Feststellung eines Grades der Behinderung
Verfahrensrüge
Auslegung und Anwendung der Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze
Error in iudicando
Behauptete Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab Oktober 2010.
Der Beklagte hat bei ihm zunächst nur einen GdB von 10 festgestellt (Bescheid vom 21.2.2011, Widerspruchsbescheid vom 3.11.2011).
Das SG hat die Klage abgewiesen, nachdem nach medizinischen Ermittlungen der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben hatte, beim
Kläger einen GdB von 20 ab März 2012, 30 ab September 2012 und 40 ab September 2013 festzustellen, weil sich die Beschwerden
an der Lendenwirbelsäule verschlimmert hätten (Urteil vom 21.8.2014).
Seine Berufung hat der Kläger damit begründet, das SG habe seine Hüftbeschwerden und die deshalb im Laufe der Zeit erfolgte beidseitige Implantation von Hüftgelenksprothesen nicht
genug berücksichtigt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hätten die Versorgungsmedizinischen Grundsätze schon bei einer Endoprothese
einseitig einen GdB von mindestens 20 vorgesehen. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte einen GdB von 40 ab 1.10.2010 festgestellt.
Die darüber hinausgehende Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 3.11.2016).
Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG erhoben. Das LSG habe die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache verkannt und Verfahrensfehler begangen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
weder der behauptete Verfahrensmangel (1.), noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl
§
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Die Beschwerde hat keinen Verfahrensmangel dargelegt.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
Zu den Verfahrensfehlern zählen nur Verstöße gegen das Prozessrecht einschließlich der Vorschriften, auf die das
SGG unmittelbar oder mittelbar verweist. Rügefähig sind folglich nur Fehler, die dem Gericht auf dem Weg zu seiner Entscheidung
(bis zur Zustellung an die Beteiligten) unterlaufen sind (error in procedendo; vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde,
2. Aufl 2010, RdNr 445; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 16a und §
144 RdNr 32; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 87).
Die Kritik der Beschwerde, das Berufungsgericht habe mit der erfolgten Auslegung und Anwendung der Anlage Versorgungsmedizinische
Grundsätze (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung gegen die Grundsätze der Auslegung von Vorschriften verstoßen, zeigt keinen Verfahrensfehler auf. Vielmehr wendet sich die
Beschwerde damit gegen die rechtliche Einordnung des Sachverhalts durch das LSG im Einzelfall. Damit rügt sie der Sache nach
nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen Rechtsanwendungsfehler (error in iudicando). Die inhaltliche
Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Ebenso wenig dargelegt ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert
ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar
aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit
Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen
(Karmanski in Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
160a RdNr 50 mwN).
Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Soweit die Beschwerde sinngemäß fragt,
ob die auf Grundlage einer älteren Fassung der VG festgestellte Einstufung auch bei später im Verfahren hinzugetretenen Beeinträchtigungen
Bestand hat und der Bewertung zugrunde zu legen ist,
hat sie nicht dargelegt, warum diese Frage entscheidungserheblich ist und ein Revisionsverfahren sie klären könnte. Die tatsächlichen
Feststellungen des LSG binden den Senat nach §
163 SGG, weil der Kläger dagegen keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben hat. Danach war für die Hüft-Totalendprothese rechts des
Klägers nach Teil B Nr 18.12 der VG, die im Zeitpunkt der Antragstellung im Oktober 2010 galt (idF vom 14.7.2010), noch mindestens
ein Wert von 20 anzusetzen. Die nachfolgende Fassung der VG (idF vom 17.12.2010) sah in Teil B Nr 18.12 für die Auswirkungen
derselben Operation nur noch einen Mindestwert von 10 vor. Indes hat das LSG es ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich
dahinstehen lassen, ob die ursprüngliche Bewertung der Hüftoperation des Klägers mit 20 fortzuschreiben war. Wie das Berufungs-
gericht ausgeführt hat, hätte selbst eine solche Fortschreibung nichts am Gesamt-GdB des Klägers geändert.
Mit dieser Argumentation setzt sich die Beschwerde nicht substantiiert auseinander und vermag sie daher nicht zu erschüttern.
Zwar behauptet sie, das LSG habe für die beidseitigen Hüftschäden des Klägers zu Unrecht lediglich einen GdB von 30 anstatt
von richtigerweise mindestens 40 angesetzt. Allerdings legt die Beschwerde nicht substantiiert dar, auf welche Feststellungen
des LSG sie ihre abweichenden Schlussfolgerungen stützen will. Vielmehr wendet sich die Beschwerde mit ihrer Behauptung, beim
Kläger sei in Wirklichkeit ein höherer GdB festzustellen gewesen, im Kern gegen die auf ein Sachverständigengutachten gestützte
Beweiswürdigung des LSG. Diese entzieht §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG indes vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung
kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen
werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
160 RdNr 58 mwN).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.