Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) für den Zeitraum 11.12.2010 bis 25.03.2011.
Der 1952 geborene Kläger war seit April 2005 als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten krankenversichertes
Mitglied. Am 02.11.2010 erkrankte der Kläger an akuter Lumbalgie. Sein Hausarzt Dr S. stellte am gleichen Tag Arbeitsunfähigkeit
(AU) fest. Der Kläger erhielt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.11.2010 Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber, vom 01.
bis 10.12.2010 zahlte die Beklagte Krg. Ab 26.03.2011 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Dr S. attestierte wegen Lumbalgien
folgende AU-Zeiten:
AU festgestellt am
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mit
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voraussichtl Ende der AU
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02.11.2010
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AUB
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12.11.2010
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13.11.2010
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AUB
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26.11.2010
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27.11.2010
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AUB
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10.12.2010
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11.12.2010
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AUB
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22.12.2010
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22.12.2010
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AUB
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31.12.2010
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23.12.2010
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Auszahlschein
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14.01.2011
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AUB
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25.01.2011
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25.01.2011
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Auszahlschein
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25.01.2011
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AUB
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08.02.2011
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08.02.2011
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Auszahlschein
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08.02.2011
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AUB
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21.02.2011
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21.02.2011
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Auszahlschein
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07.03.2011
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Auszahlschein
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weiter AU, nächster Praxisbesuch 25.03.2011
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Mit Bescheid vom 21.12.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab 12.12.2010, dem Tag nach ärztlicher Bescheinigung
der AU, nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert sei und daher ab 11.12.2010 kein Krg gezahlt werde.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er bereits am 10.12.2010 in der Praxis des Dr S. gewesen sei. Die Praxis
sei überfüllt gewesen und der Arzt habe den Kläger daher gebeten, zur Samstagssprechstunde nochmals zu erscheinen. Am 11.12.2010
sei dann die AU-Bescheinigung (AUB) ausgestellt worden. Dr S. bestätigte diesen Vortrag mit einer Bescheinigung vom 03.01.2011.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die über den Bezug von Krg aufrechterhaltene
Mitgliedschaft des Klägers habe am 10.12.2010 geendet. Aufgrund der ärztlichen Feststellung am 11.12.2010 könne frühestens
am 12.12.2010 ein Anspruch auf Krg entstehen, zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger jedoch nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert
gewesen.
Hiergegen richtet sich die am 02.03.2011 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Der Kläger macht geltend, dass es sich um eine durchgehende und nicht erstmalig bescheinigte AU handele.
Das SG hat Dr S. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dieser hat unter dem 06.06.2011 mitgeteilt, dass er am 10.12.2010
bis 12:30 Uhr Sprechstunde gehabt habe. Der Kläger sei an diesem Tag bei ihm gewesen. Da sehr viel los gewesen sei, habe er
ihm vorgeschlagen, am 11. oder 13.12.2010 wieder zu kommen. Seines Erachtens sei das Verfahren der AU-Verlängerung durchgehend.
Mit Urteil vom 27.02.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Krankenversicherungsschutz mit Anspruch auf Krg
habe nur bis 10.12.2010 bestanden. Mit Ablauf dieses Tages sei die Mitgliedschaft als versicherungspflichtiger Beschäftigter
erloschen. Die Mitgliedschaft bleibe nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) nur solange erhalten, wie ein Anspruch auf Krg bestehe oder Krg bezogen werde. Nach §
46 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB V entstehe der Anspruch auf Krg am Tag nach der ärztlichen Feststellung der AU. Die Erlangung der ärztlichen Feststellung der
AU gehöre zu den Obliegenheiten der Versicherten. Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung seien
daher von den Versicherten zu tragen. Die AUB vom 27.11.2010 sei bis 10.12.2010 befristet gewesen. Danach sei AU erst am 11.12.2010
festgestellt worden, so dass der Anspruch erst am 12.12.2010 habe entstehen können. Wegen der entstanden Anspruchslücke sei
der Kläger nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert gewesen. Ein Ausnahmesachverhalt, in dem die ärztliche Feststellung
der AU ausnahmsweise nachgeholt werden könne, liege nicht vor. Derartige Ausnahmen seien in engen Grenzen anerkannt worden,
wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der AU durch Umstände verhindert oder verzögert worden seien, die dem Verantwortungsbereich
der Krankenkassen zuzurechnen seien. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor. Dem Kläger sei möglich und zumutbar gewesen,
sich rechtzeitig zur Feststellung der AU bei einem weiteren Arzt vorzustellen. Ihm sei auch zumutbar gewesen, in der Praxis
am 10.12.2010 zu warten und den Vorschlag des Arztes mit Verweis auf die notwendige Feststellung seiner AU abzulehnen. Darüber
hinaus hätte der Kläger am 10.12.2010 auch noch einen anderen Vertragsarzt zur Feststellung der AU aufsuchen können. Eine
der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung des Vertragsarztes liege nicht vor. Der behandelnde Arzt sei weder verpflichtet,
den Kläger auf die dargestellte Rechtslage hinzuweisen, noch die Untersuchungstermine so zu gewährleisten, dass eine Befunderhebung
spätestens am letzten Tag der bescheinigten AU erfolge. Auch über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könne der Kläger
die Zahlung von Krg nicht verlangen, da dies ohne vorherige ärztliche Feststellung der AU ein gesetzwidriges Verhalten der
Beklagten wäre, welches der Kläger nicht verlangen könne.
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 07.03.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.03.2014 eingelegte Berufung des
Klägers. Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers sei nicht nachvollziehbar. Aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes und
mehrstündiger Wartezeit sei der Kläger nicht mehr in der Lage gewesen, in der Praxis zu verharren. Im Wechsel zwischen Stehen,
Gehen und kurzzeitigem Sitzen habe der Kläger zeitweise in entwürdigender Art auf dem Boden der Arztpraxis gelegen. Erst im
Anschluss hieran und nach wiederholter Anfrage sei der Vorschlag unterbreitet worden, am Folgetag erneut zu erscheinen. Ein
weiteres Warten wie auch das Aufsuchen einer anderen Arztpraxis sei nach mehrstündiger physischer und psychischer Belastung
nicht zumutbar gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.02.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21.02.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 11.12.2010 bis 25.03.2011
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In der Berufungsbegründung würden keine Sachverhalte oder Argumente vorgetragen, die nicht schon im Rahmen des Klageverfahrens
erläutert und besprochen worden seien. Die Beklagte verweise daher auf den angefochtenen Bescheid sowie die Ausführungen im
Urteil des SG.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und
die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2011 ist rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von Krg für die Zeit vom 10.12.2010 bis 25.03.2011.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krg sind die §§
44 ff
SGB V. Nach §
44 Abs.
1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär
behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§
46 Satz 1 Nr. 2
SGB V). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krg die vorherige ärztliche Feststellung der AU voraus. Dem Attest des behandelnden
Arztes mit der Feststellung der AU kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage
für den über den Krg-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den
Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (Bundessozialgericht <BSG> 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr. 7).
Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei
zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen
(BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr. 12). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und
seiner Krankenkasse gemäß §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1).
Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist keine reine Formalität, sondern Voraussetzung der Entstehung des Anspruchs
auf Krankengeld. Mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender Arbeitsunfähigkeit sollen beim Krankengeld
Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der AU und deren rückwirkende
Bescheinigung beitragen könnten. Als Regelfall geht das Gesetz davon aus, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte
Versicherte selbst die notwendigen Schritte unternimmt, um die mögliche Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen und seine
Ansprüche zu wahren. Mit Blick darauf muss die AU nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krankengeldes auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn
ununterbrochen bestanden hat. Auch dann muss der Versicherte die Fortdauer der AU grundsätzlich rechtzeitig vor Ablauf der
Befristung der bisherigen Attestierung ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, wenn er das Erlöschen oder
Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden will. Sowohl bei der ärztlichen Feststellung als auch der Meldung der Arbeitsunfähigkeit
handelt es sich um eine Obliegenheit des Versicherten; die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung
oder Meldung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Regelmäßig ist danach die Regelung des §
46 Satz 1 Nr. 2
SGB V strikt zu handhaben (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04, BSGE 95, 219, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1; vgl. auch BSG 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, <[...]>).
Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krankengeld bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter"
Anspruch auf Krankengeld hat. Zwar endet nach §
190 Abs.
2 SGB V die Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt
endet. Nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V blieb die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zunächst unstreitig
bis 10.12.2010 erhalten. Will ein Versicherter seine Mitgliedschaft als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung
über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus durch einen Anspruch auf Krg aufrechterhalten, muss er seine AU vor Ablauf
jedes Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich feststellen lassen (BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, NZS 2014, 458).
Der Kläger hat noch am Morgen des 10.11.2010, des letzten Tages der bescheinigten AU, seinen Hausarzt aufgesucht und dort
längere Zeit gewartet; wegen seiner Rückenschmerzen teilweise sogar auf dem Boden liegend im überfüllten Wartezimmer. Dies
steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der Zeugenaussage des Dr S. vor dem SG und der glaubhaften Angaben des Klägers. Dr S. hat dem Kläger im Hinblick auf das Ende der Sprechstunde um 12:30 Uhr sodann
vorgeschlagen, am Folgetag erneut zu erscheinen. Am Samstag, 11.11.2010 hat Dr S. sodann eine weitere AUB ausgestellt bis
zunächst 22.12.2010. Bei dieser besonderen Konstellation, dass der Versicherte am letzten Tag der bescheinigten AU seinen
Arzt aufsucht, mit diesem spricht und eine Fortsetzung des Termins mit Feststellung der AU direkt am Folgetag stattfindet,
liegt eine rechtzeitige Feststellung der AU vor. Die Obliegenheit des Klägers, zur Aufrechterhaltung seines Krankengeldanspruchs
seine AU vor Ablauf jedes Krankengeldbewilligungsabschnitts erneut ärztlich feststellen lassen (vgl BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, NZS 2014, 458), hat er damit erfüllt. In diesem Ausnahmefall ist mit der am 10.11.2010 begonnenen und am 11.11.2010 fortgeführten Konsultation
keine Lücke eingetreten, so dass auch über den 10.11.2010 hinaus der Anspruch auf Krg bestand.
Das durchgehende Vorliegen der AU im hier streitigen Zeitraum ergibt sich aus den AUB und den Auszahlscheinen und wird auch
von der Beklagten nicht bestritten. Auch Dr D. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg ist im Rahmen
der medizinischen Fallberatung vom 20.12.2010 von der Fortdauer der AU ausgegangen. Im gesamten Folgezeitraum bis 25.03.2011
ist die AU auch durchgehend ärztlich bescheinigt bzw. mit Auszahlscheinen bestätigt. Bis 31.12.2010 liegen durchgehend AUB
vor, Auszahlscheine vom 23.12.2010, 25.01.2011, 08.02.2011 und 21.02.2011 bestätigen darüber hinaus die AU. Nachdem die Beklagte
den Kläger selbst mit Schreiben vom 21.12.2010 darauf hingewiesen hatte, dass er Auszahlscheine vorlegen soll, muss sie sich
auch an der rückwirkenden Bestätigung der AU durch Auszahlscheine festhalten lassen. Damit ist mit den nachfolgenden Auszahlscheinen
die AU hinreichend festgestellt. Dass der Hausarzt des Klägers in der Übergangsphase von AUB zu Auszahlscheinen teilweise
beides parallel ausgestellt hat, steht dem nicht entgegen. Im Übrigen hat auch der Vertreter der Beklagten im Erörterungstermin
am 05.08.2014 bestätigt, dass - abgesehen von der nach seiner Auffassung bestehenden Lücke am 11.12.2010 - die durchgehende
ärztliche Feststellung der AU in der vorliegenden Form akzeptiert werde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG).