Beitragsberechnung zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung; Nichtberücksichtigung der durchschnittlichen
Unterhaltskosten für Kinder beim Beitragsbemessungsentgelt
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Beitragsberechnung im Bereich der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen
Pflegeversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen die durchschnittlichen Unterhaltskosten für Kinder vom Beitragsbemessungsentgelt
abzuziehen sind.
Die Kläger sind miteinander verheiratet und Eltern der drei 1990, 1992 und 1995 geborenen Kinder. Die 1966 geborene Klägerin
ist als Verwaltungsangestellte mit einem Umfang von 12 Wochenstunden seit 01.05.2003 beim Beigeladenen zu 3) versicherungspflichtig
beschäftigt. Der 1965 geborene Kläger arbeitet beim Beigeladenen zu 3) versicherungspflichtig in Vollzeit als Bildungsreferent
in der Eingruppierung nach BAT III mit Vergütungsgruppenzulage. Alle Kinder befinden sich noch in Ausbildung. Für diese bezogen die Kläger jeweils Kindergeld
in gesetzlicher Höhe.
Am 06.07.2006 beantragten die Kläger (jeweils mit getrennten Schreiben) bei der Beklagten den Unterhalt für die drei Kinder
und die Erziehungs- und Betreuungsleistungen bei der Beitragserhebung zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung
zu berücksichtigen. Die Erfüllung dieser Aufgaben mindere ihre Leistungsfähigkeit und sei als Beitragsäquivalent zu berücksichtigen.
Der Gesetzgeber habe das Verfassungsgerichtsurteil vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94) nicht ausreichend bzw nicht verfassungsgemäß umgesetzt. Zur weiteren Begründung legten sie Artikel aus der Zeitung "D. Praxis
+ Recht 4/2004" vor. Mit Bescheiden vom 20.07.2006 lehnte die Beklagte die Anträge der Kläger mit der Begründung ab, durch
das Kinderberücksichtigungsgesetz (KiBG) sei der Gleichheitsgrundsatz im Bereich der Pflegeversicherung gewahrt. Für den Bereich
der Kranken- und Rentenversicherung gebe es keine vergleichbare Regelung. Hier seien die Rechtsvorschriften zum Beitragssatz
anzuwenden. Daher bestehe im Moment keine Rechtsgrundlage zur Beitragsreduzierung in der Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung.
Hiergegen haben die Kläger (jeweils getrennt) am 21.08.2006 Widerspruch eingelegt und zur Begründung vorgetragen, das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) habe darauf hingewiesen, dass seine Entscheidung zur Pflegeversicherung auch für andere Zweige der Sozialversicherung
von Bedeutung sein könne. Der Gesetzgeber habe hingegen die unsolidarischen Verteilungswirkungen sogar noch verschärft und
lediglich in der Pflegeversicherung einen geringen Zusatzbeitrag für Kinderlose eingeführt. Es liege weiterhin eine verfassungswidrige
Benachteiligung von Eltern auf der Beitragsseite vor. Demgegenüber stünden systemspezifische Vorteile für Kinderlose, die
nicht gerechtfertigt seien. Die intergenerationelle Verteilungsgerechtigkeit werde gebrochen und ein intertemporaler Ausgleich
finde nicht statt. Mit Widerspruchsbescheiden vom 16.05.2007 hat der Widerspruchsausschuss der Beklagten die Widersprüche
der Kläger zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, in der Krankenversicherung sei die begehrte Beitragsreduzierung
mangels gesetzlicher Regelung nicht vorgesehen und daher nicht möglich. Der Gesetzgeber habe das Urteil des BVerfG vom 03.04.2001
umgesetzt, so dass eine Beitragsreduzierung im Bereich der Pflegeversicherung ausscheide. Im Bereich der Rentenversicherung
scheide nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ebenfalls eine Beitragsreduzierung aus (Bezugnahme auf Urteil vom 05.07.2006, B 12 KR 20/04 R).
Gegen die Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 14.06.2007 gemeinsam Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen vorgetragen, im Jahr 2006 hätten sie zusammen insgesamt 60.345,30 € brutto
verdient. Netto verfügbar sei ein Betrag von 41.586,20 € gewesen. Dem stehe ein Betrag des steuerrechtlichen Existenzminimums
in Höhe von insgesamt 32.752,-- € gegenüber. Ihre fünfköpfige Familie habe damit nach Deckung ihres Existenzminimums zusammen
einen frei verfügbaren Betrag in Höhe von jährlich 8.334,-- € zur Verfügung, pro Kopf gerechnet seien dies 147,24 € pro Monat.
Für das Jahr 2007 ergebe ein Vergleich, dass ein Single monatlich 1.973,97 € und Verheiratete ohne Kinder einen Betrag von
1.770,92 € zur Verfügung hätten. Trotz dieser drastisch geminderten Leistungsfähigkeit müssten Eltern erhöhte Beiträge zur
gesetzlichen Renten-, Kranken und Pflegeversicherung zahlen (gegenüber einem kinderlosen Paar "1,5 Mal mehr an Humanbeiträgen").
Deshalb seien die durchschnittlich geleisteten Unterhaltsbeträge für ihre Kinder von der Beitragsbemessungsgrundlage abzuziehen,
um unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Generationenvertrags Familiengerechtigkeit auf der Beitragsseite der Sozialversicherung
herzustellen. Sie seien der Überzeugung, dass das Beitragssystem der Sozialversicherung im Laufe von fünf Jahrzehnten in die
Verfassungswidrigkeit hineingewachsen sei. Dies sei unter vielen unabhängigen Fachleuten längst nicht mehr streitig. Die "herrschende
Orthodoxie der Sozialversicherung" sei jedoch ganz anderer Meinung. Schließlich sei auch die beitragsfreie Mitversicherung
in der Krankenversicherung semantisch fehlerhaft und irreführend, da davon nur dann gesprochen werden könnte, wenn die auf
die Kinder und Ehegatten entfallenden Unterhaltsteile von der Bemessungsgrundlage abgezogen würden. Zur weiteren Begründung
ihrer Klage haben die Kläger die Verfassungsbeschwerdeschriften gegen das Urteil des BSG vom 05.07.2006 (Blatt 59-85 der SG-Akte) sowie den Aufsatz "Die familienpolitische Strukturreform der Sozialversicherung" von Dr. B. (Blatt 107-138 der SG-Akte) vorgelegt und zudem den Antrag gestellt, bei Prof. Dr. B. ein Sachverständigengutachten einzuholen (zu den Beweisfragen
siehe Blatt 50 der SG-Akte).
Mit Beschluss vom 27.12.2007 hat das SG die Beigeladenen zu 1) bis 3) zum Verfahren beigeladen.
Mit Urteil vom 11.05.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, eine Rechtsgrundlage für eine Reduzierung der hier streitigen
Sozialversicherungsbeiträge finde sich im Sozialgesetzbuch nicht. Ein solcher Anspruch sei auch nicht unmittelbar aus dem
Grundgesetz (
GG) herzuleiten. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Herabsetzung der Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
setze jedenfalls voraus, dass die Vorschriften zur Beitragshöhe und -tragung verfassungswidrig seien. Davon habe sich das
Gericht nicht überzeugen können. Sie griffen weder in unverhältnismäßigerweise in die allgemeine Handlungsfreiheit der Kläger
noch in ihre Rechte aus Art
6 oder 14
GG ein, auch verletzten sie nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Staat sei nicht durch Art
6 Abs
1 GG gehalten, die Beitragslast insofern auszugleichen, als er die Eltern vollständig oder teilweise von den Beiträgen freistellen
müsse. Er bewege sich innerhalb des ihm eingeräumten Spielraums, wie bereits das BVerfG (Bezugnahme auf Urteil vom 03.04.2001,
1 BvR 1629/94) und das BSG (Bezugnahme auf Urteil vom 05.07.2006, B 12 KR 20/04 R) entschieden hätten. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber mit dem in §
55 Abs
3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) geregelten Zuschlag für Kinderlose von 0,25 Beitragssatzpunkten das Urteil des BVerfG umgesetzt. Die Kläger könnten sich
auf das genannte Urteil des BVerfG auch nicht in dem Sinne berufen, als sie hieraus ein verfassungsrechtliches Gebot ableiten
wollen, ihre Beitragsbelastung in der gesetzlichen Rentenversicherung zu mindern. Denn der Entscheidung des BVerfG vom 03.04.2001
sei nicht zu entnehmen, dass diese Entscheidung auch für andere Zweige der Sozialversicherung anzuwenden sei. Auch dies habe
das BSG in seinem Urteil vom 05.07.2006 bereits festgestellt. Die Kläger übersähen, dass Kindererziehung und Beitragszahlung in der
gesetzlichen Rentenversicherung nicht gleichartig seien. Der Gesetzgeber habe darüber hinaus durch die rentenrechtliche Berücksichtigung
von Kindererziehungszeiten bereits einen ersten Schritt in Richtung des Ausgleichs der Ungleichbehandlung getan. Auch die
Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung sei verfassungsgemäß. Denn zu berücksichtigen sei, dass Kinder ebenso
wie eventuell nicht erwerbstätige Ehegatten beitragsfrei mitversichert seien. Schließlich sei auch Art
14 GG durch die Beitragspflicht nicht verletzt.
Gegen das den Klägern am 18.06.2010 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 15.07.2010 beim SG zum Landessozialgericht (LSG) erhobene Berufung. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, der Sozialgerichtsbarkeit
sei der "Vorspann zum Pflegeurteil vom 03.04.2001 offensichtlich nicht mehr geläufig" und es bestehe "überhaupt [eine] fundamentale
Unkenntnis über die güterwirtschaftlichen und sozialökonomischen Grundlagen des Sozialsystems". Ihnen gehe es um die Beseitigung
gleichheitswidriger Benachteiligungen zu Lasten von Familien. Dies habe das SG übersehen. Auch sei das Urteil des BSG vom 05.07.2006 "argumentativ abwegig". Sie hätten stets die Beitragsäquivalenz ihrer Kindererziehung mit Geldbeiträgen und
die Inäquivalenz der Beitragsseite der intergenerationellen Sozialsysteme geltend gemacht. Auch fehle im Urteil des SG eine Auseinandersetzung mit ihrem Beweisantrag aus der Klageschrift. Sie hätten jedoch auf den Beweisantrag im Rahmen der
mündlichen Verhandlung nicht verzichtet. Insofern habe das SG auch das rechtliche Gehör verletzt. Generell liege eine "Transferausbeutung" vor, wobei drei Ebenen der Benachteiligung zu
unterscheiden seien. Zum einen die synchron und horizontal erfolgende Benachteiligung, welche aus der Tatsache resultiere,
dass die Sozialversicherung von Eltern und Nichteltern dieselben Geldbeiträge vom Bruttolohn verlange, obwohl Eltern mit ihrer
Kindererziehung schon die bestandssichernden Beiträge für das System erbrächten und sie zudem weniger leistungsfähig seien.
Darüber hinaus seien die direkten und indirekten Kosten der Kindererziehung enorm. Auch spiele letztlich der allgemeine Familienlastenausgleich
keine Rolle, da völlig ungeklärt sei, wie hoch der Anteil staatlicher Entlastung an den Kinderkosten sei. Die Hauptnutznießer
der Erziehungsleistung der Eltern seien ihre kinderlosen Jahrgangsteilnehmer, welche allenfalls minimal an den Kinderlasten
beteiligt seien. Das Problem der Transferausbeutung bzw der "parasitären Vorteile" Kinderloser sei den "Erfindern der Produktivitätsrente"
von Anfang an völlig klar gewesen. Vor diesem Hintergrund habe das BVerfG im Beitragskinderurteil zu Recht die Gleichwertigkeit
der Kindererziehung mit monetären Beiträgen für diejenigen Systeme anerkannt, in welchem die Versorgung der alten Generation
dominiere. Das SG habe die Entwicklung der Verfassungsjudikatur seit dem sogenannten Trümmerfrauenurteil vom 07.07.1992 nur "höchst unvollkommen
rezipiert und in keiner Weise reflektiert". Schließlich habe das SG nicht berücksichtigt, dass sich das BSG "bar jeder güterwirtschaftlichen Kenntnis und des Vorlaufs zum Beitragskinderurteil (...) zu einer nur als abwegig zu bezeichnenden
Argumentation" versteigere. Entkleidet von dem terminologischen Überbau sowie der semantischen Verhüllung der drei Alterssicherungssysteme
als "Versicherung" und zurückgeführt auf den güterwirtschaftlichen Kern änderten auch Immigration oder Steuerfinanzierung
nichts Grundsätzliches an der Transferausbeutung der Familien durch die Sozialversicherung. Hinzu komme, dass das BSG eine "intellektuelle Auseinandersetzung mit entgegenstehenden Ansichten gezielt vermieden" habe. Zur weiteren Begründung
haben die Kläger ua die Aufsätze "Ein Vergleich der von Familien geleisteten Beiträge und erhaltenen Leistungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung" von Niehaus (Sozialer Fortschritt 12/2009), "Das Beitragskinderurteil des Bundesverfassungsgerichts vom
03.04.2001" von Dr. Estelmann (SGB 2002, 245), "Transferrechtliche Ausbeutung und verfassungsrechtlicher Schutz von Familien,
Müttern und Kindern" von Suhr (Der Staat 1990, 69), "Demographie und kein Ende - Plädoyer für eine neue Gemeinschaftsaufgabe Demographiepolitik" von Birg, das "Kurzgutachten
zum Thema Transferausbeutung der Familien durch die Gesetzlichen Sozialversicherungen" von Loos, den Beitrag "Die ökonomischen
Ursachen der niedrigen Fertilität in Deutschland" von Adrian, die Übersicht "Gesundheitsausgaben in der GKV" von Niehaus,
den Beitrag "Sozialrechtlicher Familienlastenausgleich" von Lenze (Lexikon des Rechts, März 2010), die Übersicht "Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben
in Abhängigkeit vom Alter" von Niehaus, den Beitrag "Die Lüge von 184 Mrd Familienförderung" von Ripsam und das Referat "Der
Staat als Kindeswohlgefährder" von Lenze vorgelegt. Im Übrigen wird auf die Berufungsschriften vom 20.12.2010 (Blatt 16-56,
Blatt 60-84 der LSG-Akte), auf den Schriftsatz vom 31.01.2011 (Blatt 93-106 der LSG-Akte) und vom 05.03.2012 (Blatt 174-296)
Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.05.2010 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20.07.2006 in der Gestalt der
Widerspruchsbescheide vom 16.05.2007 insoweit aufzuheben, als nach dem 31.05.2006 die Beiträge zur gesetzlichen Pflege-, Kranken-
und Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Erziehung von drei Kindern über eine die Höhe von 50 vH der gegenwärtigen
Bemessung (auch hinsichtlich des sogenannten Arbeitgeberbeitrags) übersteigende Summe erhoben werden,
hilfsweise die Beitragsbemessung ohne einen Abzug eines Betrags von € 833,00 je Kind/Monat erfolgt,
hilfsweise die Beitragsbemessung ohne einen entsprechenden Abzug des in §
32 Abs
6 EStG genannten Betrages (steuerliches Existenzminimum) von der Bemessungsgrundlage erfolgt,
hilfsweise den Rechtsstreit gemäß Art
100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur
Pflege-, Kranken- und Rentenversicherung regelnden Vorschriften (§§
157,
161 Abs
1 162 Nr
1 SGB VI, §§
223 Abs
2,
226 Abs
1 Satz 1 Nr
1 sowie 241
SGB V und §§ 54 Abs 2 Satz 1,
55 Abs
1 und
3 Satz 1,
57 Abs
1 Satz 1
SGB XI iVm §
226 SGB V) unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 03.04.2001 - 1 BvR 1629/94 - mit den Grundrechten der Kläger aus den Art
3,
6,
20 und
28 (Sozialstaatsprinzip)
GG vereinbar sind
und hilfsweise die unbeschränkte Revisionszulassung.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG ebenfalls für zutreffend.
Der Beigeladene zu 3) hat keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz sowie auf die die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§
143,
144,
151 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerechte Berufung der Kläger ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Denn das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 20.07.2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom
16.05.2007 (§
95 SGG) verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf Reduzierung ihrer Beiträge zur gesetzlichen Kranken-,
Renten- und Pflegeversicherung. Die von ihnen für den streitigen Zeitraum ab Juli 2006 (Antragseingang bei der Beklagten)
gezahlten Beiträge entsprechen der einfachgesetzlichen Rechtslage, gegen die ihrerseits durchgreifende verfassungsrechtliche
Bedenken nicht bestehen.
Streitgegenstand des Hauptantrags ist ausschließlich, ob bei der Beitragsberechnung im Hinblick auf die Beiträge der Kläger
zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung die durchschnittlichen Unterhaltskosten für ihre gemeinsamen drei
Kinder (geboren 1990, 1992 und 1995) vom Beitragsbemessungsentgelt von Verfassungs wegen abzuziehen sind. Hierbei geht der
Senat zugunsten der Kläger davon aus, dass im hier streitigen Zeitraum ab Juli 2006 noch eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung
(§
1601 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) für alle drei Kinder bestand und der Unterhalt auch tatsächlich von den Klägern geleistet wurde und wird.
Soweit die Kläger rügen, das SG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) verletzt, kann der Senat dem nicht folgen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch
eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu
denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG, 18.01.2011 - 2 BU 5/10 R = UV-Recht Aktuell 2011, 493; 13.10.1993 - 2 BU 79/93, SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG, 29.05.1991 - 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190). Das SG hat aber keine Überraschungsentscheidung getroffen. Vielmehr ist es dem im schriftlichen Verfahren gestellten Beweisantrag
- ohne weitere Begründung - nicht gefolgt. Hierbei ist aber zu beachten, dass Beweisanträge der Beteiligten grundsätzlich
nur Anregungen sind (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 8. Aufl 2008, §
103 RdNr 12c), wobei sie nicht ohne Bedeutung sind, was sich in der Regelung des §
160a Abs
2 S 3
SGG zeigt. Darüber hinaus wäre ein etwaiger Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör auch mit der Durchführung des Berufungsverfahrens
geheilt (vgl Keller, aaO. § 62 RdNr 11e), da ein inhaltsgleicher Beweisantrag auch in der Berufungsbegründungsschrift vom
14.12.2010 (Bl 42 der LSG-Akte) gestellt wurde. Die durch den Rechtsbeistand Dr. B. in der mündlichen Verhandlung am 24.04.2012
vertretene Kläger zu 2) hat jedoch den Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten (vgl.
Niederschrift vom 24.04.2012). Es genügt für eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht, wenn Beweisanträge lediglich
in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind (vgl nur BSG 24.10.2011, B 14 AS 45/11 B = juris RdNr 9 mwN). Im Übrigen enthält der Schriftsatz der Kläger vom 05.03.2012 einen solchen Beweisantrag ebenfalls
nicht mehr.
Abhängig beschäftigte Versicherte wie die Kläger haben sich während der Dauer der Beschäftigung rechtlich grundsätzlich und
faktisch in aller Regel durch die hälftige Tragung der nach ihrem Bruttoentgelt bemessenen Beitragslast an den Ausgaben der
gesetzlichen Rentenversicherung zu beteiligen. Dies ergibt sich einfachgesetzlich aus den Vorschriften des Vierten Kapitels
(§§
153 ff) des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI). Einnahmen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (im Folgenden Rentenversicherung) sind hiernach insbesondere
die Beiträge und die Zuschüsse des Bundes (§
153 Abs
2 SGB VI). Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur
jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§
157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§
161 Abs
1 SGB VI), die bei Beschäftigten wie den Klägern aus dem Arbeitsentgelt bestehen (§
162 Nr 1
SGB VI). Beitragssatz und Beitragsbemessungsgrenze sind von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
festzusetzen (§
160 SGB VI).
Nach §
226 Abs
1 S 1 Nr
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), der seit Inkrafttreten des
SGB V am 01.01.1989 unverändert geblieben ist, wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt
aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt. Bei Arbeitnehmern, die gegen ein monatliches Arbeitsentgelt
bis zum oberen Grenzbetrag der Gleitzone (§
20 Abs
2 des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IV]) mehr als geringfügig beschäftigt sind, gilt der Betrag der beitragspflichtigen Einnahme nach §
163 Abs
10 S 1 bis 5 und 8
SGB VI entsprechend (§
226 Abs
4 SGB V). Nach §
241 SGB V in der bis 31.12.2007 geltenden Fassung sind die Beiträge nach einem Beitragssatz zu erheben, der in Hundertsteln der beitragspflichtigen
Einnahmen in der Satzung festgesetzt wird. Soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, zahlen Mitglieder Beiträge nach dem allgemeinen
Beitragssatz. Dieser Beitragssatz gilt für Mitglieder, die bei Arbeitsunfähigkeit für mindestens sechs Wochen Anspruch auf
Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts oder auf Zahlung einer die Versicherungspflicht begründenden Sozialleistung haben. Durch
Gesetz vom 26.03.2007 (BGBl I, 378) wurde mit Wirkung zum 01.01.2009 §
241 SGB V insofern geändert, als nach dessen Abs
1 die Bundesregierung nach Auswertung der Ergebnisse eines beim Bundesversicherungsamt zu bildenden Schätzerkreises durch Rechtsverordnung
ohne Zustimmung des Bundesrates erstmalig bis zum 1.11.2008 mit Wirkung ab dem 01.01.2009 den allgemeinen Beitragssatz in
Hundertsteln der beitragspflichtigen Einnahmen festzulegen hatte. Seit dem 01.01.2011 (Gesetz vom 22.12.2010, BGBl I, 2309)
beträgt gemäß §
241 SGB V der allgemeine Beitragssatz 15,5 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten
nach §
5 Abs
1 Nr
1 und
13 SGB V trägt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge des Mitglieds aus dem Arbeitsentgelt nach dem um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten
allgemeinen oder ermäßigten Beitragssatz; im Übrigen tragen die Beschäftigten die Beiträge (§
249 Abs
1 SGB V in der ab 01.01.2012 geltenden Fassung).
Nach §
54 Abs
1 SGB XI werden die Mittel für die Pflegeversicherung durch Beiträge sowie sonstige Einnahmen gedeckt. Die Beiträge werden nach einem
Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§
55 SGB XI) erhoben. Die Beiträge sind für jeden Kalendertag der Mitgliedschaft zu zahlen, soweit dieses Buch nichts Abweichendes bestimmt.
Für die Berechnung der Beiträge ist die Woche zu sieben, der Monat zu 30 und das Jahr zu 360 Tagen anzusetzen (§
54 Abs
2 SGB XI). Gemäß §
55 Abs
1 SGB XI (in der seit 01.07.2008 geltenden Fassung) beträgt der Beitragssatz bundeseinheitlich 1,95 vom Hundert der beitragspflichtigen
Einnahmen der Mitglieder; er wird durch Gesetz festgesetzt. Für Personen, bei denen §
28 Abs
2 SGB XI Anwendung findet, beträgt der Beitragssatz die Hälfte des Beitragssatzes nach §
55 Abs
1 S 1
SGB XI. Ebenfalls seit 01.07.2008 gilt, dass sich der Beitragssatz nach Abs 1 S 1 und 2 für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in
dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten erhöht (Beitragszuschlag
für Kinderlose; §
55 Abs
3 S 1
SGB XI). Dies gilt nicht für Eltern im Sinne des §
56 Abs
1 S 1 Nr
3 und Abs
3 Nr
2 und
3 des
Ersten Buches (
SGB I). §
57 Abs
1 SGB XI (in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung) bestimmt, dass bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der gesetzlichen Krankenversicherung
pflichtversichert sind, für die Beitragsbemessung die §§
226 bis
238 und §
244 SGB V sowie die §§ 23a und 23b Abs 2 bis 4
SGB IV gelten. Die nach §
20 Abs
1 S 2 Nr
1 und
12 SGB XI versicherungspflichtig Beschäftigten, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, und ihre Arbeitgeber
tragen die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte (§
58 Abs
1 S 1
SGB XI in der ab 01.04.2007 geltenden Fassung).
Nach diesen gesetzlichen Grundlagen ist die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden verfahren. Die Kläger erfüllen jeweils
die Voraussetzungen der entsprechenden Grundtatbestände (§
5 Abs
1 Nr
1 SGB V, §
1 S 1 Nr
1 HS 1
SGB VI, §
20 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB XI), ohne sich auf eine Ausnahmeregelung berufen zu können. Insbesondere liegen die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit
wegen sog Entgeltgeringfügigkeit nicht vor. Hierüber besteht auch unter den Beteiligen kein Streit.
Die angegriffenen Regelungen, die - anders als von den Klägern gewünscht - keinen geminderten Beitrag wegen des Abzugs von
Unterhaltsleistungen vorsehen, sind nicht verfassungswidrig. Das Verfahren war insoweit nicht gemäß Art
100 Abs
1 GG auszusetzen, um die Entscheidung des BVerfG einzuholen.
Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger verletzen die genannten Regelungen zur Beitragsbemessung nicht Art
6 Abs
1 GG iVm Art
3 GG.
Nach Art
6 Abs
1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Demgemäß bestimmt §
6 SGB I, dass derjenige, der Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden Belastungen
hat. Aus der in Art
6 Abs
1 GG getroffenen Wertentscheidung zugunsten von Ehe und Familie in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art
28 GG) ergibt sich aber lediglich eine allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich, nicht aber eine konkrete
Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist; vielmehr besteht
insoweit grundsätzlich eine Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BVerfGE 87, 1, 35 f, 40 = SozR 3-5761 Allg Nr 1). Im Bereich des Sozialrechts hat der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum.
Ein Freiraum steht dem Gesetzgeber auch bei der Entscheidung darüber zu, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz
der Familie (Art
6 Abs
1 GG) verwirklichen will (zum weiten Spielraum s zuletzt BVerfG, 09.11.2011, 1 BvR 1853/11, NJW 2012, 214 = juris RdNr 13). Dabei hat er neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und vor allem
auf die Funktionsfähigkeit des Ganzen zu achten. Demgemäß lässt sich der Wertentscheidung des Art
6 Abs
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen,
nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher Ausgleich vorzunehmen ist (vgl BVerfGE
106, 166, 177 f; 110, 412, 436; 111, 160, 171 f = SozR 4-5870 § 1 Nr 1 RdNr 53). Auch der 12. Senat des BSG hat unter eingehender Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG darauf hingewiesen (Urteil vom 05.07.2006 - B 12 KR 20/04 R, SozR 4-2600 § 157 Nr 1 RdNr 49), dass Art
6 Abs
1 GG den Gesetzgeber weder verpflichtet, jegliche die Familie betreffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen
zu entlasten, noch ihn dazu zwingt, Familien - ohne Ausgleich mit anderen Gemeinwohlbelangen sowie ohne Beachtung der Funktionsfähigkeit
und des Gleichgewichts des Ganzen - zu fördern (vgl BVerfG, 12.10.2010, 1 BvL 14/09, BVerfGE 127, 263 = SozR 4-1300 § 116 Nr 2, RdNr 38; s hierzu auch BSG, 12.12.2006, B 13 RJ 22/05 R, SozR 4-2600 § 70 Nr 2; die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG, 29.8.2007, 1 BvR 781/07).
Diese von Verfassungs wegen zu beachtenden Vorgaben hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherungs-
(hierzu unter Ziff 1), Krankenversicherungs- (hierzu unter Ziff 2) und Pflegeversicherungsbeiträgen (hierzu unter Ziff 3)
beachtet. Aufgrund der in den genannten Zweigen der Sozialversicherung erfolgten Konkretisierung des "Familienlastenausgleichs"
bzw "Familienleistungsausgleich" (so die Überschrift zu § 32 Einkommenssteuergesetz [EStG]) war der Gesetzgeber von Verfassungs
wegen nicht verpflichtet, die von den Klägern favorisierte Beitragsberechnungsmethode (Abzug der durchschnittlichen Unterkunftskosten
beim Beitragsbemessungsentgelt) zu normieren. Denn im Gegensatz zur Auffassung der Kläger ist der "Familienlastenausgleich"
- als Konkretisierung und Ausformung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzauftrags gem Art
6 Abs
1 GG - vorliegend zu berücksichtigen, auch wenn die additive Höhe der hierdurch bewirkten Entlastung der Familien nicht konkret
beziffert werden kann.
1. Die von den Klägern geltend gemachte Benachteiligung der Kindererziehenden in der Alterssicherung gemäß den Vorgaben des
BVerfG sind bereits mehrfach abgebaut worden; verschiedene Rentenreformen haben den "Familienlastenausgleich" bzw "Familienleistungsausgleich"
iS der Vorgaben des BVerfG ausgeweitet. Dieser beschränkt sich nicht in der Anrechnung von Kindererziehungszeiten; insgesamt
ergeben sich nunmehr wegen Kindern erhebliche zusätzliche Rentenansprüche (BSG, 12.12.2006, B 13 RJ 22/05 R, SozR 4-2600 § 70 Nr 2). In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zB auf die Höherbewertung von Beitragszeiten hinzuweisen, die Eltern
begünstigt, die während der ersten zehn Lebensjahre des Kindes - also während der Berücksichtigungszeiten (§
57 SGB VI) wegen Kindererziehung erwerbstätig sind und nur unterdurchschnittlich verdienen; die in dieser Zeit erzielten Entgelte werden
- für Zeiten ab 1992 - bei der Rentenberechnung gemäß §
70 Abs
3a S 1 und 2
SGB VI aufgewertet; dasselbe gilt für Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes
bis zu seinem 18. Lebensjahr. Eltern, die wegen gleichzeitiger Erziehung bzw Pflege von zwei oder mehr Kindern nicht erwerbstätig
sein können, erhalten einen Zuschlag an EP, der der höchstmöglichen Förderung von Erziehungspersonen entspricht. Außerdem
erhöht sich - mit Wirkung ab 1. Januar 2002 - die Hinterbliebenenrente um Kinderzuschläge (§
78a SGB VI). Darüber hinaus wurden folgende - den Familienlastenausgleich konkretisierenden - Regelungen in das
SGB VI aufgenommen (vgl hierzu Weselski in jurisPK-
SGB I, §
6 RdNr
26, Stand 10/2011): §
32 Abs
1 SGB VI (Zuzahlungsfreiheit unter 18 Jahren), §
46 Abs
2 S 1 Nr
1 und §
243 Abs
2 und Abs
3 SGB VI (große Witwen- oder Witwerrente bei Kindererziehung), §§
47 und
243a SGB VI (Erziehungsrente); §
3 S 1 Nr
1 iVm §§
56,
249 und
249a SGB VI (Kindererziehungszeiten), §
58 Abs
1 S 1 Nr
2 SGB VI (Anrechnungszeiten für Schwangerschaft oder Mutterschaft), §
270 SGB VI (Kinderzuschuss) und §§
294-
299 SGB VI (Leistungen für Kindererziehung an Mütter der Geburtenjahrgänge vor 1921).
Zwar wird auch die Meinung vertreten (vgl Lenze jurisPR-SozR 22/2006 Anm 3), die rentenrechtliche Bewertung der Kindererziehung
sei keine fürsorgerische staatliche Leistung mit einem entsprechend weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, sondern
die Kindererziehung selbst sei eine genuine Leistung, auf die die staatlichen Umlageverfahren für ihre Weiterexistenz ebenso
angewiesen seien wie auf die monatliche Beitragszahlung der Versicherten (Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG zur Pflegeversicherung
vom 03.04.2001, BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 sowie auf das sog Trümmerfrauenurteil vom 07.07.1992, BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1). Dem ist jedoch mit dem BSG (aaO.) entgegenzuhalten, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 03.04.2001 zwar ausgeführt hat, es werde zu prüfen sein, ob
die Grundsätze dieses Urteils (zum generativen Beitrag) "auch für andere Zweige der Sozialversicherung Bedeutung haben". Hiervon
ist das BVerfG inzwischen jedoch wieder abgerückt. In seinem Beschluss vom 09.12.2003 (BVerfGE 109, 96, 127 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 zur Alterssicherung der Landwirte) hat es die eigenständige Berücksichtigung eines generativen
Beitrags in der Rentenversicherung nicht für verfassungsrechtlich geboten erachtet; es hat insoweit ua darauf hingewiesen,
dass die Erziehungsleistung bei der Alterssicherung im Rahmen der Rentenversicherung nicht völlig unberücksichtigt bleibe,
sich zB bereits ua rechtsbegründend (wie bei der Wartezeit gemäß §
56 Abs
1 SGB VI) auswirke. All dies hat das BSG in seinem Urteil vom 12.12.2006 (B 13 RJ 22/05 R, SozR 4-2600 § 70 Nr 2) bereits ausführlich dargestellt, wobei die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil nicht zur Entscheidung
angenommen wurde (BVerfG 29.8.2007, 1 BvR 781/07). Der Senat schließt sich deshalb den Ausführungen des BSG nach eigener Prüfung - auch in Kenntnis des Berufungsvorbringens der Kläger - vollumfänglich an.
2. Im Bereich der Krankenversicherung erfüllt der Gesetzgeber - entgegen der Ansicht der Kläger - ebenfalls seinen aus Art
6 Abs
1 GG herrührenden Schutzauftrag, und zwar nicht nur durch die (kostenfreie) Familienversicherung (§
10 SGB V). In diesem Zusammenhang hat das BSG bereits darauf hingewiesen, dass die Privilegierung mitversicherter Familienangehöriger Folge des Familienlastenausgleichs
in der GKV ist (BSG, 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, BSGE 99, 19 = SozR 4-2500 § 241a Nr 1 RdNr 40; zur von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden Beitragsfreiheit Familienversicherter:
BVerfG, 12.02.2003, 1 BvR 624/01, BVerfGE 107, 205, 213 = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 29). Darüber hinaus wurden folgende - den Familienlastenausgleich konkretisierenden - Regelungen
in das
SGB V aufgenommen (vgl hierzu Weselski in jurisPK-
SGB I, §
6 RdNr
26, Stand 10/2011): §
38 SGB V (Haushaltshilfe), §§
39 Abs
4,
40 Abs
5 und
6 SGB V (Freiheit vor Zuzahlungen), §
45 SGB V (Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes), §
62 Abs
2 S 3
SGB V (Verminderung der Belastungsgrenze), §
192 Abs
1 Nr
2 SGB V (Fortbestehen der Mitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Eltern- oder Erziehungsgeld oder bei Inanspruchnahme
von Elternzeit) und §
224 Abs
1 SGB V (Beitragsfreiheit bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, Bezug von Erziehungsgeld oder von Elterngeld). Darüber hinaus sind
in diesem Zusammenhang - zumindest mittelbar - auch die §§ 195-200
RVO (Leistungen bei Schwanger- und Mutterschaft) zu berücksichtigen.
3. Auch im Bereich der sozialen Pflegeversicherung erfüllt der Gesetzgeber - wiederum entgegen der Ansicht der Kläger - seinen
aus Art
6 Abs
1 GG herrührenden Schutzauftrag. Mit der Erhebung eines Beitragszuschlages für kinderlose Versicherte nach §
55 Abs
3 SGB XI hat er das Urteil des BVerfG vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2) zum Familienlastenausgleich in der sozialen Pflegeversicherung umgesetzt. Das BVerfG hatte insofern
gefordert, dass die Erziehung von Kindern bei der Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung berücksichtigt werden müsse,
dem Gesetzgeber zur Umsetzung jedoch einen Spielraum gelassen. Der Gesetzgeber hat durch die Erhebung eines Beitragszuschlages
von kinderlosen ab 1940 geborenen Mitgliedern ab Vollendung ihres 23. Lebensjahres unabhängig von den Gründen der Kinderlosigkeit
diese verfassungsrechtliche Vorgabe umgesetzt und dabei auch Stiefeltern von dem Beitragszuschlag ausgenommen (BSG, 18.07.2007, B 12 P 4/06 R, BSGE 99, 15 = SozR 4-3300 § 55 Nr 1 RdNr 19). In der Begründung zum Gesetzentwurf wird ausgeführt, dass die Erziehungsleistung von Eltern
honoriert werden sollte (vgl BT-Drucks 15/3671, S 4). Darüber hinaus stellt auch §
49 Abs
2 SGB XI iVm §
192 Abs
1 Nr
2 SGB V (Fortbestehen der Mitgliedschaft bei Anspruch auf Mutterschaftsgeld, bei Bezug von Eltern- oder Erziehungsgeld oder Inanspruchnahme
von Elternzeit) eine konkretisierende Regelung des Familienlastenausgleichs dar.
Aus den zuvor dargestellten Gründen hatten auch die Hilfsanträge keinen Erfolg. Um Wiederholungen zu vermeiden, wir auf die
obigen Ausführungen Bezug genommen.
Die von den Klägern pauschal behauptete Verletzung der Art
1,
2,
14,
20 und
28 GG liegt im Hinblick auf die Beitragserhebung in den hier streitigen Sozialversicherungszweigen ebenfalls nicht vor. Lediglich
ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vermögen als solches durch Art
14 Abs
1 GG nicht gegen die Auferlegung öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten geschützt ist (vgl BVerfG, 12.10.1994, 1 BvL 19/90, BVerfGE 91, 207, 220), soweit es dadurch - wofür vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen - nicht zu einer grundlegenden Beeinträchtigung
der Vermögensverhältnisse kommt (vgl BVerfG, 31.5.1990, 2 BvL 12/88 ua, BVerfGE 82, 159, 190; im Ausgangspunkt ebenso BVerfG, 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, 112 f). Damit steht auch die Heranziehung zu Kranken-, Renten- und Pflegversicherungsbeiträgen - ohne einen Abzug von Unterhaltsleistungen
an Kinder - mit dem Eigentumsgrundrecht in Einklang.
Wie bereits dargelegt, ergibt sich bereits aus den genannten, den Familienlastenausgleich konkretisierenden Regelungen, dass
der Gesetzgeber seinen von Verfassungs wegen eröffneten Spielraum in verfassungsgemäßer Weise genutzt hat, sodass es keiner
weiteren Beweiserhebung bedarf. Dies gilt auch für die von den Klägern angenommene Pflicht des Senats (vgl Blatt 116 = 178
der LSG-Akte), die "Transfersalden" durch Sachverständige zu ermitteln, nachdem der Gesetzgeber dies unterlassen habe. Denn
nach Auffassung des erkennenden Senats wird der Familienlastenausgleich - wie ebenfalls bereits dargelegt - durch eine Vielzahl
von Normen in den gesetzlichen Sozialversicherungssystemen und zusätzlich im Steuerrecht bewirkt, sodass es im Hinblick auf
die vom Gesetzgeber variantenreiche Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs, bei dem es sich um ein - wenn auch heterogenes
- Gesamtkonstrukt handelt, nicht auf einzelne "Transfersalden" ankommt. Schließlich war weder die Einholung weiterer Sachverständigengutachten
noch die Ladung von Sachverständigen zur Erläuterung der von den Klägern vorgelegten Gutachten oder Stellungnahmen geboten.
Nach Auffassung des Senats unterfällt es zunächst dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wie er auf die sich abzeichnende
Entwicklung der Gesamtbevölkerung reagiert. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass eine auf dem Anwartschaftsdeckungsverfahren
beruhende Versicherung, bei der grundsätzlich die Prämien zur Bildung von Altersrückstellungen für künftige Versicherungsleistungen
genutzt werden, nicht in gleicher Weise auf die Prämienzahlungen der nachwachsenden Generation ausgerichtet ist, wie die auf
dem Umlageverfahren basierenden gesetzlichen Sozialversicherungen (so die Auffassung des BVerfG in der Entscheidung vom 03.04.2004,
1 BvR 1681/94 ua, SozR 3-3300 § 23 Nr 23 = juris RdNr 69), folgt daraus nicht, dass Eltern im Vergleich zu Kinderlosen nur bei einer nach
dem Umlageverfahren organisierten Versicherung benachteiligt sind. Denn Kinderlose können die Prämien für eine kapitalgedeckte
Versicherung idR eher aufbringen als Eltern, die zusätzlich ihre Kinder unterhalten müssen. Ein Familienlastenausgleich ist
deswegen keine Frage des Versicherungsprinzips, sondern des gesamten Sozial- und Steuerrechts.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) zugelassen.