Vergütung stationärer Krankenhausleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung; Voraussetzungen einer Fallzusammenführung
bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlenbehandlungen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob zwei stationäre Krankenhausbehandlungen im Wege der Fallzusammenführung mit nur einer
Fallpauschale abzurechnen sind. Mangels Akteneinsicht beruft sich die Beklagte außerdem auf die Verletzung ihres rechtlichen
Gehörs.
Die Klägerin betreibt ein nach §
108 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) zur Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Hochschulklinikum. Der bei der beklagten
Krankenkasse versicherte und am 1934 geborene H. G. (im Folgenden Versicherter) wurde zweimal im Zusammenhang mit einer bei
ihm erforderlichen kombinierten Radio-Chemotherapie wegen eines Parotiskarzinoms behandelt. Während seines ersten Aufenthalts
(24. Januar bis 4. Februar 2008) mit der nach der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme 10. Revision, Version 2004 (ICD 10) Aufnahmediagnose ICD-10 C 07 (bösartige Neubildung der Parotis) wurde
vom 28. Januar bis 4. Februar 2008 täglich eine Hochvoltstrahlentherapie durchgeführt. Am 29. und 30. Januar 2008 wurde zusätzlich
eine Chemotherapie mit Cisplatin appliziert. Einen Tag nach der Chemotherapie-Gabe entwickelte der Versicherte Übelkeit und
starke Abgeschlagenheit, worauf vom 29. Januar bis 4. Februar 2008 eine Infusionstherapie erfolgte (vorläufiger Arztbrief
des Prof. Dr. K., Oberarzt der Abteilung des Universitätsklinikums F., Klinik für Strahlenheilkunde, vom 1. Februar 2008).
Am 4. Februar 2008 wurde dem Versicherten, bei dem zuletzt am 31. Januar 2008 die Laborwerte bestimmt worden waren und hierbei
u.a. ein Serum-Kreatininwert von 1,32 mg/dl bestimmt worden war, erneut Blut entnommen. Der Laborauftrag wurde ausweislich
des Laborbefunds um 11.26 Uhr erteilt. Um 11.30 Uhr wurde der Versicherte, dem es nach dem Pflegebericht der Klägerin am 3.
Februar 2008 wieder etwas besser ging und bei dem sich am 4. Februar 2008 ein regulärer Verlauf zeigte, nach dem Fallprotokoll
der Klägerin entlassen. Nach dem vorläufigen Arztbrief des Prof. Dr. K. vom 1. Februar 2008 wurde vereinbart, die weiteren
Bestrahlungstermine ambulant wahrzunehmen. Die Laboruntersuchung des am Entlasstag entnommenen Blutes ergab einen Serum-Kreatininwert
von 2,22 mg/dl. Hierüber wurde der Versicherte telefonisch informiert. Bei einer am 5. Februar 2008 erfolgten erneuten Kontrolle
zeigte sich der Serum-Kreatininwert von 2,33 mg/dl, weshalb der Versicherte von der Klägerin vom 5. bis 8. Februar 2008 erneut
stationär aufgenommen wurde. Während dieses Aufenthalts wurde vom 5. bis 7. Februar 2008 eine erneute Hydratationstherapie
und vom 6. bis 8. Februar 2008 eine weitere Hochvoltstrahlentherapie durchgeführt. Am 8. Februar 2008 wurde der Versicherte
in deutlich gebessertem Allgemeinzustand ohne Normalisierung der Nierenwerte erneut entlassen (Entlassungsbericht von Prof.
Dr. G., Ärztliche Direktorin des Universitätsklinikums F., Klinik für Strahlenheilkunde, vom 12. Februar 2008).
Die Klägerin rechnete für beide stationäre Aufenthalte die Diagnosis Related Group (DRG) D20A (andere Strahlentherapie bei
Krankheiten und Störungen des Ohres, der Nase, des Mundes und des Halses, mehr als ein Behandlungstag, Alter über 70 oder
mit äußerst schweren Komplikationen oder Komorbiditäten) mit einer Vergütung von € 3.889,97 für den ersten Aufenthalt (Rechnung
vom 14. Februar 2008) sowie ohne Abzug des Eigenanteils des Versicherten in Höhe von € 40,00 von € 4.009,97 für den zweiten
Aufenthalt (Rechnung vom 21. Februar 2008) ab. Die Beklagte beglich beide Rechnungen zunächst in voller Höhe, beauftragte
aber noch am 27. Februar 2008 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung der Frage, ob eine
Fallzusammenführung stattfinden könne. Dr. Ba. vom MDK bejahte in seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 29. Mai 2008 die
Notwendigkeit einer Fallzusammenführung gemäß § 2 Abs. 3 der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2008, da die Entlassung ohne
Kontrolle der Kreatinin-Laborwerte erfolgt sei. Bei optimaler Ablauforganisation wäre eine Entlassung aus der stationären
Behandlung medizinisch nicht sinnvoll gewesen. Die Wiederaufnahme des Versicherten am Folgetage resultiere direkt auf der
mangelnden Koordination (Blutentnahme - Ergebnis - Fortsetzung der Hydratation) des Ablaufs. Die hier behandelte Chemotherapienebenwirkung
sei insofern nicht unvermeidbar, sondern bekannt und behandlungsbedürftig gewesen, sei aber im Patientenmanagement nicht berücksichtigt
worden. Auf die Bitte der Beklagten um Rücküberweisung eines überzahlten Betrags in Höhe von € 3.972,03 für den Aufenthalt
vom 5. bis 8. Februar 2008, bat die Klägerin um Durchführung einer Folgebegutachtung. Die Beklagte hörte hierauf Dr. L. vom
MDK, der in seinem Gutachten vom 7. November 2008 auf der Grundlage der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Laborwerte
vom 28. Januar bis 8. Februar 2008 die Auffassung vertrat, dass die Wiederaufnahme als fortgesetzte Behandlung im Rahmen eines
notwendigen Behandlungsstranges zu werten sei und die stationären Aufenthalte deshalb entsprechend zusammenzuführen seien.
Die Entscheidung zur Beendigung der Infusionstherapie und die Entlassung am 4. Februar 2008 bei erheblich angestiegenen Retentionswerten
sei entweder nicht nachvollziehbar oder aber mit einer zu späten Sichtung der Laborparameter zu erklären. Die Wiederaufnahme
am Folgetag scheine eher eine Revision der am Vortag fälschlicherweise erfolgten Entlassung zu sein, als eine reine Kontrolle
und dann Entscheidung zur Wiederaufnahme. Somit sei die Wiederaufnahme eindeutig als eine in den Verantwortungsbereich des
Krankenhauses fallende Komplikation zu werten. Nachdem die Klägerin auch hiermit nicht einverstanden war, schaltete die Beklagte
erneut Dr. L. ein. Dieser hielt in seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 22. Juni 2009 am Ergebnis der Vorbegutachtung
fest. Nachdem die Klägerin hierauf erfolgten Aufforderungen der Beklagten um Rücküberweisung des überzahlten Betrags weiterhin
nicht nachkam, rechnete die Beklagte am 12. August 2010 mit einem Erstattungsanspruch in Höhe des für den zweiten stationären
Aufenthalt des Versicherten in Rechnung gestellten Betrags in Höhe von € 4.009,97 gegen unstreitige Vergütungsansprüche der
Klägerin aus späteren Behandlungsfällen auf.
Am 15. Dezember 2010 machte die Klägerin den Betrag von € 4.009,97 für den zweiten stationären Aufenthalt zuzüglich Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 12. August 2010 beim Sozialgericht Stuttgart im Klagewege
geltend. Mit Beschluss vom 29. September 2011 verwies das Sozialgericht Stuttgart den Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg
(SG), bei dem der Rechtsstreit am 18. Oktober 2011 einging.
Die Klägerin trug vor, nach FPV 2008 komme eine Fallzusammenführung nicht in Betracht. Eine Zusammenführung nach § 2 Abs.
2 FPV 2008 scheitere daran, dass die DRG D20A in der Spalte 13 mit einem "X" gekennzeichnet sei, was bedeute, dass eine Zusammenfassung
von Fällen bei Wiederaufnahme nach § 2 Abs. 1 FPV nicht erfolge. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 FPV 2008 lägen nach dessen
Satz 2 nicht vor, da die Nierenfunktionsstörung eine unvermeidbare Nebenwirkung der Chemotherapie sei. Der Versicherte sei
am 4. Februar 2008 entlassen worden, weil er sich nach einer Episode der Übelkeit durch die Cisplatin-Gabe zu diesem Zeitpunkt
wieder in klinisch gutem Allgemeinzustand befunden habe und wieder selbst und ohne Erbrechen habe trinken können. Zum Zeitpunkt
der Entlassung habe aus medizinischer Sicht davon ausgegangen werden können, dass der Versicherte bei einem lediglich leicht
erhöhten Kreatininwert von 1,32 mg/dl habe ambulant bestrahlt werden können. Sodann sei der Kreatininwert jedoch auf 2,22
mg/dl angestiegen, sodass eine Nierenfunktionsstörung als Nebenwirkung der Chemotherapie diagnostiziert worden sei. Diese
habe am 5. Februar 2008 zur stationären Aufnahme geführt. Eine Wiederaufnahme wäre nicht zu vermeiden gewesen. Da es sich
eindeutig um eine unvermeidbare Nebenwirkung einer Chemotherapie gehandelt habe, komme eine Fallzusammenführung wegen einer
in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation ausweislich des Wortlauts des § 2 Abs. 3 FPV 2008 nicht
in Betracht. Ein aus Sicht der Beklagten vorliegendes wirtschaftliches Fallsplitting rechtfertige ebenfalls keine Fallzusammenführung
(Verweis auf Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 16. Februar 2011 - L 2 KR 51/08 -; in [...]). Selbiges sei den Vorschriften der Fallzusammenführung nicht immanent. Ungeachtet dessen liege auch kein Fall
der missbräuchlich verfrühten Entlassung des Versicherten vor. Zum Zeitpunkt der Entlassung des Versicherten hätten keine
Anhaltspunkte bestanden, den Versicherten noch länger in der stationären Behandlung zu belassen. Dies hätte eine sekundäre
Fehlbelegung dargestellt. Erfahrungsgemäß werde in den Fällen, in denen sich keine weitere Behandlung angeschlossen habe,
von den Krankenkassen argumentiert, dass eine frühzeitigere Entlassung hätte erfolgen müssen. Ein eigenes Einsichtsrecht in
die Patientenunterlagen stehe der Beklagten nicht zu (Verweis auf Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11. April
2006 - L 11 KR 3455/05, Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 64/01 R-, vom 22. April 2009 - B 3 KR 24/07 R - und vom 5. Februar 2008 - B 2 U 10/07 R -; alle in [...]). Die Klägerin legte eine Stellungnahme der Dr. H., Medizincontrolling, Universitätsklinikum F., vom 17.
Oktober 2011 vor.
Die Beklagte trat der Klage mit der Bitte um Einsicht in die Patientenunterlagen zur Wahrung ihrs rechtlichen Gehörs (Verweis
auf BSG, Urteil vom 15. November 2007 - B 3 KR 13/07 R -; in [...], Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 29. Oktober 2008 - S 12 KR 181/07 -; nicht veröffentlicht) und unter Vorlage des nach Einsicht in die Patientenunterlagen erstatteten Sozialmedizinischen Gutachtens
des Dr. M., MDK, vom 5. Juli 2011 entgegen. Es gelte der Grundsatz, dass die Entlassung nur dann erfolgen dürfe, wenn sie
abgeschlossen sei. Dies sei hier offensichtlich nicht der Fall gewesen. Die Wiederaufnahme wäre nach Einschätzung des MDK
zu vermeiden gewesen. Es liege ein wirtschaftliches Fallsplitting vor, das jedenfalls nach §
12 SGB V ausgeschlossen sei. Die obere Grenzverweildauer des ersten Falles sei bis zum 13. Februar 2008 gegangen. Selbst wenn man
fiktiv von einer Entlassungsfähigkeit ausgehen würde, falle die Wiederaufnahme einen Tag später in den Verantwortungsbereich
der Klägerin und sei mit dem ersten Aufenthalt abgegolten (Verweis auf BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 3 KR 15/11 R -; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. August 2011 - L 5 KR 248/10 -; beide in [...]).
Das SG zog die Patientenakte der Klägerin bei und übersandte diese von der Klägerin zur Weiterleitung in einem verschlossenen Umschlag
eingereichte Patientenakte in einem verschlossenen Umschlag an die Beklagte zur Weiterleitung an den MDK. Der Versicherte
wurde nicht befragt, ob er mit der Weitergabe seiner Krankenunterlagen an die Beklagte einverstanden sei.
Mit Urteil vom 9. August 2012 verurteilte das SG die Beklagte, an die Klägerin € 4.009,97 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 12. August 2010 zu zahlen. Es führte aus, es, das SG, neige der Auffassung zu, das rechtliche Gehör der Beklagten könne auch im Sozialgerichtsprozess dadurch ausreichend gewährt
werden, dass die Beklagte eine weitere Stellungnahme des MDK anfordere und das Gericht diesem die Patientenakte zur Einsicht
zur Verfügung stelle. Damit würden die schützenswerten Interessen des Patienten, um dessen Patientenakte es gehe, bestmöglich
gewahrt und auf der anderen Seite die Interessen der Beklagten an einer umfassenden Rechtsverteidigung nicht unbillig beschränkt.
Der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, sie habe den Versicherten am 4. Februar 2008 voreilig - aus fortbestehender stationärer
Behandlungsnotwendigkeit - entlassen und ihr müsse deshalb eine gesonderte Abrechnung des am folgenden Tage notwendig werdenden
zweiten stationären Aufenthalts verweigert werden. Ein klassischer Fall einer Fallzusammenführung im Sinne des § 2 Abs. 3
FPV 2008 liege nicht vor. Davon abgesehen stünde § 2 Abs. 3 Satz 2 FPV 2008 einer von der Beklagten geforderten Fallzusammenführung
wegen Wiederaufnahme im Zusammenhang mit einer Komplikation entgegen, weil danach eine Fallzusammenfassung nicht vorgenommen
werde bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Um
eine solche Nebenwirkung handele es sich bei der Nierenfunktionsstörung des Versicherten. Mit dem Argument der "Fehlentlassung"
könne die Beklagte deshalb nicht durchdringen, weil die Klägerin den Versicherten angesichts des letzten günstigen Kreatininwerts
vom 31. Januar 2008, der in den Folgetagen folgenden Behandlungsmaßnahmen und des sich bessernden Allgemeinzustands am 4.
Februar 2008 aus der stationären Behandlung in die ambulante Weiterbehandlung habe entlassen dürfen und zwar unbeschadet ihrer
Aufforderung an den Versicherten, vor Verlassen der Klinik die Blutwerte nochmals kontrollieren zu lassen. Die Klägerin sei
nicht verpflichtet gewesen, den Versicherten noch weiter in stationärer Behandlung zu behalten, um zunächst die Ergebnisse
der Blutuntersuchung abzuwarten. Angesichts des gebesserten Allgemeinzustands sei davon auszugehen gewesen, dass sich die
Blutwerte ebenfalls weiter gebessert hätten. Dass der Kreatininwert dann so deutlich angestiegen sei, sei aus medizinischer
Sicht überraschend gewesen und habe zu Recht am Folgetag zu einer erneuten stationären Aufnahme geführt. Mit dem deutlich
verschlechterten Kreatininwert hätten die entlassenden Ärzte zum Zeitpunkt ihrer Entlassungsentscheidung (ex-ante-Betrachtungsweise)
nicht rechnen müssen. Der Zinsanspruch stehe der Klägerin nach §
288 Bürgerliches Gesetzbuch, § 19 Abs. 1 des Landesvertrags vom 1. Januar 2006 zu.
Gegen das der Beklagten am 20. August 2012 zugestellte Urteil richtet sich deren am 19. September 2012 eingelegte Berufung.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei. Sie sei im laufenden Klageverfahren nicht
ausschließlich auf die Einsichtnahme in die Patientenakten durch den MDK zu verweisen. Schützenswerte Interessen des Versicherten
stünden nicht entgegen. Sie unterliege dem Datenschutz. Die Entscheidung des MDK sei für sie nicht bindend. Ohne die Patientenunterlagen
könne sie die Einschätzung des MDK nicht vollständig überprüfen. Im Übrigen sei die Aufteilung in zwei Behandlungsfälle nicht
gerechtfertigt. Soweit das SG zu dem Ergebnis komme, dass der Allgemeinzustand und die Blutwerte sich insoweit gebessert hätten, dass die Entlassung gerechtfertigt
gewesen sei, sei dem nicht zu folgen. Bei der Entlassung sei sicherzustellen, dass der Versicherte entlassfähig sei. Bei Kenntnis
einer chemoinduzierten Niereninsuffizienz nach Cisplatin-Gabe sei sicherzustellen, dass die Laborwerte (hier Kreatininwerte)
bei Entlassung unbedenklich seien und im Normbereich lägen. Die Entscheidung aufgrund von Laborwerten vom 31. Januar 2008
und unter dem Eindruck, dem Versicherten gehe es besser, zu fällen, sei medizinisch nicht haltbar. Der Arzt habe um die Krankenanamnese
des Versicherten gewusst. Der Laborwert hätte im stationären Rahmen abgenommen und ausgewertet werden müssen, um dann die
Entlassfähigkeit zu überprüfen. Dies sei nicht getan worden. Es liege hier zudem ein klassischer Fall der Fallzusammenführung
vor (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 3 KR 15/11 -; a.a.O.). Der Blutwert stehe im Zusammenhang mit der durchgeführten Behandlung
und falle somit in den Verantwortungsbereich der Klägerin. Es sei eine unvermeidbare Komplikation, die zu Lasten der Klägerin
gehe, da die Wiederaufnahme in die Frist der oberen Grenzverweildauer (bis 13. Februar 2008) falle. Ihre Auffassung bestätige
das Urteil des BSG vom 18. Juli 2013 (B 3 KR 6/12 R; in [...]).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen und das Urteil des SG und trägt ergänzend noch einmal vor, dass durch § 2 Abs. 3 Satz 2 FPV 2008 klargestellt worden sei, dass im Rahmen onkologischer Behandlungen eine Zusammenfassung und Neueinstufung
generell nicht vorgenommen werde. Dies sei sachlogisch, um den der Verordnung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für
das Jahr 2004 (Fallpauschalenverordnung 2004 - KFPV 2004) zugrunde liegenden Grundsatz zu wahren, dass Krankenhausaufenthalte
infolge von Behandlungsstrukturen und -abläufen, die sich ohne fehlsteuernde Anreize von Fallpauschalen entwickelt hätten,
nicht zusammenzuführen seien. Der Sachverhalt sei mit dem des Verfahrens B 3 KR 6/12 R (Urteil vom 18. Juli 2013; a.a.O.) nicht vergleichbar, da dort die FPV 2007 heranzuziehen gewesen sei und diese den in die
FPV 2008 aufgenommenen § 2 Abs. 3 Satz 2 nicht enthalte. Auch das Urteil des BSG vom 12. Juli 2012 - B 3 KR 15/11 R - (a.a.O.) sei nicht einschlägig. Zum einen mangele es bereits an einer VergleichBa.it der Sachverhalte und zum anderen greife
das BSG unter Rdziff. 25 selbst den Umstand auf, dass eine Fallzusammenführung und Neueinstufung nicht vorgenommen werde bei unvermeidbaren
Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Mit dem Argument der Fehlentlassung
könne die Beklagte ebenfalls nicht durchdringen. Sie habe den Versicherten in Anbetracht des letzten günstigen Kreatininwerts
in die ambulante Behandlung entlassen dürfen. Aufgrund des verbesserten Allgemeinzustands habe davon ausgegangen werden können,
dass die Blutwerte sich ebenfalls weiterhin besserten. Dass der Kreatininwert dann weiter angestiegen sei, habe aus medizinischer
Sicht nicht vorhergesehen werden können. Das rechtliche Gehör der Beklagten habe das SG beachtet. Das Defizit der Krankenkassen, medizinische Stellungnahmen nicht selbst bewerten zu können, werde durch die Einschaltung
des MDK ausgeglichen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten, die Krankenhausakte und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene (§§
143,
151 Abs.1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten nach §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, hat in geringem Umfang Erfolg. Das SG hat zu Recht entschieden, dass eine Zusammenführung der beiden stationären Behandlungen des Versicherten zu einem "Behandlungsfall"
ausscheidet. Den sich für den zweiten stationären Aufenthalt ergebenden Vergütungsanspruch hat die Beklagte noch nicht erfüllt,
da sie nach ursprünglicher Bezahlung des hierfür in Rechnung gestellten Betrags in Höhe von € 4.009,97 am 12. August 2010
eine Verrechnung mit weiteren Forderungen der Klägerin vorgenommen hat. Unzutreffend hat das SG jedoch nicht berücksichtigt, dass die Klägerin der Beklagten mit dieser Rechnung auch den Eigenanteil des Versicherten für
dessen Aufenthalt in Höhe von € 40,00 berechnet hat. Ein Vergütungsanspruch hierfür besteht nach §§ 43b Abs.
3 Satz 1,
61 Satz 3
SGB V nicht. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §
19 Abs.
1 und 3 des ab 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Krankenhausbehandlungsvertrags nach §
112 Abs.
2 Nr.
1 SGB V für das Land Baden-Württemberg (hierzu 1.). Das rechtliche Gehör der Beklagten ist nicht verletzt (hierzu 2.).
1.
Die Klägerin hat mit der erhobenen echten Leistungsklage im Sinne des §
54 Abs.
5 SGG die richtige Klageart gewählt; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten
Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in
dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung
einer Klagefrist nicht geboten (z.B. BSG, Urteil vom 13. November 2013 - B 3 KR 33/12 R -; in [...]). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert.
In der Sache streiten die Beteiligten um die Wirksamkeit der von der Beklagten am 12. August 2010 erklärten Aufrechnung mit
einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in Höhe von € 4.009,97. Die mit der erhobenen Leistungsklage verfolgten Vergütungsansprüche
der Klägerin aus späteren Krankenhausbehandlungen von Versicherten der Beklagten sind unstreitig. Darauf, welche Vergütungsansprüche
die Klägerin aufgrund welcher konkreten Krankenhausbehandlung geltend macht, kommt es nicht an. (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R -; in [...]).
Diese Klageforderung ist in Höhe von € 3.969,97 begründet. Der Beklagten steht kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
über € 3.969,97 zu; denn in dieser Höhe hat sie die zweite stationäre Behandlung des Versicherten in der Zeit vom 5. bis 8.
Februar 2008 mit Rechtsgrund vergütet, weil der Klägerin insoweit ein Entgeltanspruch über insgesamt € 3.969,97 zustand (zum
öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten vgl. schon BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 21/03 R -; in [...]).
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist §
109 Abs.
4 Satz 3
SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), hier anzuwenden i.d.F. durch Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz (2. FPÄndG) vom 15. Dezember 2004 (BGBl I,
S. 3429), der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2008 vom 21. September 2007 (FPV 2008) sowie §
17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) i.d.F. durch Art. 1 Nr. 4 2. FPÄndG und des am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Krankenhausbehandlungsvertrags nach §
112 Abs.
2 Nr.
1 SGB V für das Land Baden-Württemberg. Die Frage der Fallzusammenführung richtet sich nach § 2 Abs. 2 Satz 3 FPV 2008. Hiernach
durfte die Klägerin die zwei stationären Behandlungen des Versicherten getrennt mit Einzelvergütungen von € 3.889,97 und €
3.969,97 abrechnen.
Rechtsgrundlage für die von der Krankenkasse erklärte Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zur
Erfüllung von Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser ist §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m. §§
387 ff.
BGB. Auch außerhalb der besonderen Regelungen der §§
51,
52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) über die Aufrechnung gegen Sozialleistungsansprüche besteht im Sozialrecht allgemein die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen
Forderung im Wege der Aufrechnung, auf welche die §§
387 ff.
BGB entsprechend anzuwenden sind, entgegenzutreten. Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige
Tilgung zweier Forderungen bewirkt wird, ist gemäß §
387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen,
wobei die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung uneingeschränkt wirksam und fällig sein muss, die Hauptforderung dagegen
lediglich erfüllbar zu sein braucht. Außerdem darf entsprechend §
390 BGB die Gegenforderung nicht einredebehaftet sein (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R -; a.a.O.).
Diese Aufrechnungsvoraussetzungen sind hier in Höhe von € 3.969,97 erfüllt, weil der zur Aufrechnung gestellte Erstattungsanspruch
der Beklagten insoweit nicht bestand. Die Fallzusammenführung war hier nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FPV 2008 ausgeschlossen.
Die Grundvoraussetzung eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung auch für den zweiten stationären Aufenthalt des Versicherten
vom 5. bis 8. Februar 2008 ist erfüllt. Die Beklagte ist, was sie grundsätzlich auch nicht bestreitet, verpflichtet, die stationäre
Krankenhausbehandlung ihres Versicherten in der Klinik der Klägerin vom 5. bis 8. Februar 2008 zu vergüten. Die Zahlungsverpflichtung
einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten
kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V erforderlich ist (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R - m.w.N.; in [...]). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Beim Versicherten lagen bei der Aufnahme am 5. Februar 2008
in das nach §
108 Nr. 1
SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Krankenhausbehandlung
vor. In der Zeit vom 5. bis 8. Februar 2008 war er auch krankenhausbehandlungsbedürftig. Die medizinische Notwendigkeit der
beiden stationären Behandlungen und auch die jeweilige Dauer von zwölf bzw. vier Belegungstagen steht nicht im Streit.
Maßgebend für die Höhe des Vergütungsanspruchs ist innerhalb des hier maßgeblichen DRG-Systems der Fallpauschalenkatalog.
Danach hat die Klägerin zu Recht für beide stationären Behandlungen des Versicherten die DRG D20A in Ansatz gebracht. Dies
wird von der Beklagten auch nicht angegriffen. Sie ist vielmehr der Auffassung, dass nach der FPV 2008 i.V.m. dem Gebot des
SGB V zur wirtschaftlichen Leistungserbringung eine Zusammenführung beider Behandlungsfälle zu einem Behandlungsfall hätte erfolgen
müssen. Dies trifft jedoch nicht zu.
Werden Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit
der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat nach § 8 Abs. 5 KHEntgG das Krankenhaus
eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen (Satz 1). Näheres
oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG oder eine Rechtsverordnung nach § 17b Abs. 7 KHG (Satz 2). Dies erfolgte in § 2 FPV 2008. Nachdem - was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - die Voraussetzungen für eine Fallzusammenführung nach
§ 2 Abs. 1 und 2 FPV 2008 nicht vorliegen, da die Fallpauschale der hier zugrunde zu legenden DRG D20A bei Versorgung in einer
Hauptabteilung in Spalte 13 gekennzeichnet sind, kommt hier allein eine Fallzusammenführung nach § 2 Abs. 3 FPV 2008 in Betracht.
Nach § 2 Abs. 3 FPV 2008 hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine
Fallpauschale vorzunehmen, wenn Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer in den
Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der
oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter dieser Vorschrift
zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen werden (Satz 1). Mit der FPV 2008 erfuhr diese Regelung eine
Einschränkung. Nach dem neu eingefügten § 2 Abs. 3 Satz 2 FPV 2008 wird eine Zusammenfassung und Neueinstufung bei unvermeidbaren
Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen nicht (mehr) vorgenommen.
Eine solche unvermeidbare Nebenwirkung einer Chemotherapie im Rahmen einer onkologischen Behandlung lag beim Versicherten
vor.
Der Versicherte befand sich im Rahmen der onkologischen Behandlung des Parotiskarzinoms in stationärer Behandlung. Die Klägerin
führte bei ihm ab 28. Januar 2008 eine Strahlentherapie und ab 29. Januar 2008 außerdem eine Radiochemotherapie durch. Aufgrund
der Radiochemotherapie mit Cisplatin kam es beim Versicherten zu einer Verschlechterung seiner Nierenwerte. Am 24. und 28.
Januar 2008 wurden noch Serumkreatininwerte von 1,16 und 1,19, am 31. Januar 2008 jedoch ein erhöhter Wert von 1,32 gemessen.
Die Verschlechterung der Nierenwerte war den Sozialmedizinischen Gutachten von Dr. Ba. vom 29. Mai 2008 und von Dr. Mörch
vom 5. Juli 2011 sowie dem Entlassungsbericht des Prof. Dr. G. vom 12. Februar 2008 folgend eine Nebenwirkung der Chemotherapie.
Diese schädliche, unbeabsichtigte Reaktion in Form der Verschlechterung der Nierenwerte trat trotz bestimmungsgemäßen Gebrauchs
der Chemotheapie auf. Diese Nebenwirkung war auch unvermeidbar. Obwohl die Klägerin den Versicherten insoweit korrekt behandelt
hat und auf die einen Tag nach Chemotherapie-Gabe sich entwickelnde Übelkeit und starke Abgeschlagenheit sofort reagierte
und ab 29. Januar 2008 eine Infusionstherapie durchführte und diese bis 4. Februar 2008 fortsetzte, ist durch die Behandlung
eine negative Folge erwachsen. § 2 Abs. 3 Satz 2 FPV 2008 schließt damit die Fallzusammenführung aus.
Eine Fallzusammenführung unter Zugrundelegung der FPV 2008 ist auch nicht deshalb zu erwägen, weil die Klägerin den Versicherten
entlassen hat, bevor ihr das Ergebnis der Blutkontrolle vorlag. Ob deshalb zu Unrecht die Entlassungsentscheidung erfolgte,
kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Eine Fallzusammenführung zweier stationärer Aufenthalte bei unvermeidbaren
Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen haben die Vertragsparteien, die
die FPV 2008 ausgehandelt haben, bewusst nicht an die Prüfung der Voraussetzungen der Entlassungsfähigkeiten geknüpft.
Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§§
2 Abs.
4,
12 Abs.1, 70 Abs.
1 Satz 2
SGB V) gebietet keine Fallzusammenführung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot allein verpflichtet ein Krankenhaus nicht dazu, die für
die Krankenkasse finanziell günstigste Art der Durchführung einer Behandlung zu wählen. Es begründet keine Fürsorgepflicht
des Krankenhauses für die sparsame Mittelverwendung des Vertragspartners. Der Gesetzgeber hat zur Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung
der Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten (§
2 Abs.
2 Satz 1
SGB V) vorgesehen, dass sich die Krankenkassen der verschiedenen Leistungserbringer bedienen, mit denen sie über Art und Umfang
der Leistungen sowie deren Vergütung Verträge abschließen. Dem Vertragsmodell liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Seite
ihre Interessen zu wahren sucht, der Einigungsdruck aber zu einem angemessenen Interessenausgleich führt. Die sich aus der
auf Dauer angelegten intensiven Vertragsbeziehungen zwischen einem Leistungserbringer und einer Krankenkasse ergebenden gegenseitigen
Treue- und Rücksichtnahmepflichten (§
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m. §§
241 Abs.
2,
242 BGB) gehen nicht so weit, dass vertraglich eingeräumte Vergütungsansprüche nicht voll ausgeschöpft werden dürfen. Treue- und
Rücksichtnahmepflichten aus Vertragsverhältnissen wirken sich regelmäßig lediglich auf vertragliche Nebenpflichten aus, die
nicht ausdrücklich geregelt sind. Eindeutig vereinbarte Vergütungsansprüche können dadurch nicht eingeschränkt werden. Hier
kann von den Krankenkassen erwartet werden, dass sie ihren Auftrag zur sparsamen Mittelverwendung in vollem Umfang eigenverantwortlich
wahrnehmen und durch entsprechende Vertragsgestaltung - soweit ein Konsens zu erzielen ist - auch umsetzen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot
verpflichtet ein Krankenhaus lediglich, innerhalb der gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben wirtschaftlich zu handeln, nicht
aber, darüber hinaus - gegen eigene Interessen - weitere Vorgaben aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten aufzustellen; es
muss also nur die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einsetzen und die vertraglichen und gesetzlichen Voraussetzungen
einhalten (so BSG, Urteil vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R -; a.a.O.). Dem ist die Klägerin hier nachgekommen. Der Versicherte hatte nach §
39 SGB V einen Anspruch auf beide stationäre Krankenhausbehandlungen. Auch die zweite Krankenhausbehandlung war - wie bereits ausgeführt
- medizinisch erforderlich. Selbst wenn die erste Behandlung möglicherweise hätte fortgesetzt werden sollen, was hier offenbleiben
kann, ändert dies nichts daran, dass die zweite Behandlung für sich genommen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich war
und damit dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprach.
Dahingestellt bleiben kann wie der Fall zu beurteilen wäre, wenn die Entlassung aus medizinischen Gründen zu Unrecht erfolgt
wäre. Ein solcher Sachverhalt lag hier nicht vor. Die Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit durch den verantwortlichen
Krankenhausarzt (§
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V) ist auch in einem Abrechnungsstreit zwischen Krankenhaus und Krankenkasse immer daraufhin zu überprüfen, ob nach den objektiven
medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und dem damals verfügbaren Wissens-
und Kenntnisstand des Krankenhausarztes - ex ante - eine Krankenhausbehandlung erforderlich war, seine Beurteilung also den
medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Standards entsprach und nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen
Erfahrung stand. Dies gilt sowohl für die erstmalige Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit als auch für die
jeweiligen Folgeentscheidungen, wenn es um die Verlängerung eines Krankenhausaufenthalts geht, wobei sich der Wissens- und
Kenntnisstand des Krankenhausarztes im Laufe einer Krankenhausbehandlung naturgemäß verändern wird (BSG, Urteil vom 10. April 2008 - B 3 KR 19/05 R -; in [...]). Am Entlassungstag, dem 4. Februar 2008, war nach dem verbesserten Befinden des Versicherten, den am 31. Januar
2008 bestimmten Blutwerten und nach erfolgter Behandlung des Versicherten mittels Infusionstherapie sowie abgeschlossener
erster Chemotherapie eine Krankenhausbehandlung des Versicherten über den 4. Februar 2008 hinaus nicht mehr erforderlich.
Dass hohe Kreatininwerte nicht zwingend einer weiteren Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bedürfen, zeigt sich auch darin,
dass die Entlassung des Versicherten am 8. Februar 2008 trotz noch nicht normalisierter Nierenwerte erfolgte. Eine erneute
Wiederaufnahme war nicht notwendig.
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 12. Juli 2012 (B 3 KR 18/11 R -; in [...]; Parallelentscheidung zu B 3 KR 15/11 R vom selben Tag; in [...]) ableiten. Das BSG hatte allein über die Fallzusammenführung für den Fall des Vorliegens einer unvermeidbaren Komplikation zu entscheiden. Hiervon
abweichend ist hier § 2 Abs. 2 Satz 3 FPV 2008 maßgebend, der für den Fall einer unvermeidbaren Nebenwirkung von Chemo- und
Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen eine Sonderregelung trifft. Auch aus dem Urteil des BSG vom 18. Juli 2013 - B 3 KR 6/12 R -; a.a.O. folgt nichts hiervon Abweichendes, nachdem insoweit noch FPV 2007, die den Zusatz in § 2 Abs. 2 Satz 3 noch nicht
enthält, maßgebend war.
Die Beklagte hat der Klägerin nur € 3.969,97 zu zahlen. Denn die Klägerin hat zu Unrecht von der an die Beklagte gestellten
Rechnung nicht den Eigenanteil des Versicherten in Höhe von € 40,00 (vier Tage à € 10,00) abgezogen. In dieser Höhe besteht
kein Vergütungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten gemäß §§ 43b Abs.
3 Satz 1,
61 Satz 3
SGB V. Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, zahlen nach §
39 Abs.
4 Satz 1
SGB V vom Beginn der vollstationären Krankenhausbehandlung an innerhalb eines Kalenderjahres für längstens 28 Tage den sich nach
§
61 Satz 2
SGB V ergebenden Betrag je Kalendertag (dies sind je Kalendertag € 10,00) an das Krankenhaus. Da die vorangegangene stationäre
Behandlung vom 24. Januar bis 4. Februar 2008 zwölf Tage umfasste, war die Höchstgrenze von 28 Tagen noch nicht erreicht.
In Höhe dieses Betrags hat die Beklagte der Klägerin ab 15. Dezember 2010 im vom SG tenorierten Umfang Zinsen gemäß §
19 Abs.
1 und
3 des Vertrags nach §
112 Abs.
2 Nr.
1 SGB V zu zahlen.
2.
Die Beklagte kann schließlich auch nicht mit Erfolg einwenden, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (§
62 SGG) verletzt worden sei, weil ihr durch das SG und - auch wenn nicht ausdrücklich beantragt - durch den Senat ein eigenes Einsichtsrecht in die Patientenakten des Versicherten
versagt worden sei. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Da eine Zustimmungserklärung des Versicherten
nicht vorliegt, ist der Beklagten Einsicht in die ärztlichen Behandlungsunterlagen ihres Versicherten weder vom SG noch vom Senat zu gewähren.
Die Beklagte macht mit ihrem mit Schriftsatz vom 25. Februar 2011 erstmals vorgebrachten Begehren auf eigene Akteneinsicht
einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht durch das SG in die nach Beiziehung durch das SG vom SG als Beiakten geführten Patientenakten des Krankenhauses geltend. Hierfür normiert §
120 SGG die maßgeblichen Voraussetzungen. Die Vorschrift stellt für diesen prozessualen Anspruch eine abschließende Regelung dar.
Über die Gewährung von Akteneinsicht nach §
120 SGG entscheidet der Vorsitzende. Er kann gemäß §
120 Abs.
3 SGG aus besonderen Gründen die Einsicht in die Akten oder in Aktenteile sowie die Fertigung oder Erteilung von Auszügen und Abschriften
versagen oder beschränken. Gegen die Versagung kann gemäß §
120 Abs.
3 Satz 2
SGG das Gericht angerufen werden, das dann endgültig entscheidet. Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden
und ist als prozessleitende Verfügung nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
172 Abs.
2 SGG). Hat das Gericht Akteneinsicht zu Unrecht versagt, kann dies im Einzelfall eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör (§
62 SGG) darstellen und im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung zur Hauptsache als Verfahrensfehler gerügt werden (vgl.
hierzu BSG, Urteil vom 15. November 2007 - B 3 KR 13/07 R -; in [...]).
Abgesehen davon, dass das SG in seinem Urteil vom 9. August 2012 insoweit ausgeführt hat, dass es zu der Auffassung neige, das rechtliche Gehör der Beklagten
könne auch im Sozialgerichtsprozess dadurch ausreichend gewährt werden, dass die Beklagte eine weitere Stellungnahme des MDK
anfordert und das Gericht diesem die Patientenakte zur Einsicht zu Verfügung stellt, womit die schützenswerten Interessen
des Patienten, um dessen Patientenakte es gehe, bestmöglich gewahrt und auf der anderen Seite die Interessen der Beklagten
an einer umfassenden Rechtsverteidigung nicht unbillig beschränkt würden, und damit in nicht zu beanstandender Weise ausdrücklich
über das Einsichtsrecht entschieden hat, steht Krankenkassen kein Recht zu, selbst in die ärztlichen Behandlungsunterlagen
Einsicht zu nehmen. Für die Prüfung der Abrechnung vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens hat dies das BSG bereits entschieden (z.B. BSG, Urteile vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 64/01 R -, 22. April 2009 - B 3 KR 24/07 R - und 21. März 2013 - B 3 KR 28/12 R -; alle in [...]). Ein Einsichtsrecht besteht auch im gerichtlichen Verfahren nicht. Denn das nicht zustehende Recht auf
Einsicht in die ärztlichen Behandlungsunterlagen kann im gerichtlichen Verfahren nicht dadurch ausgehebelt werden, dass nunmehr
der Krankenkasse Einsicht in die ärztlichen Behandlungsunterlagen gewährt wird. Die Krankenkasse erhielte auf diesem Wege
Informationen, die sie jedenfalls ohne Zustimmung ihres Versicherten außerhalb des gerichtlichen Verfahrens nicht erhalten
dürfte. Einsicht in die ärztlichen Behandlungsunterlagen kann auch im gerichtlichen Verfahren nur der MDK erhalten (Gerlach
in Dettling/Gerlach, Krankenhausrecht, §
39 SGB V Rn. 123), wie dies vorliegend auch erfolgte. Im Übrigen ist es einer Krankenkasse datenschutzrechtlich erlaubt, sich im Rahmen
der Prüfung einer Abrechnung eines Krankenhauses bei ihrem Versicherten nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen und von
ihm Sozialdaten zu erheben (BSG, Urteil vom 13. November 2012 - B 1 KR 14/12 R -; in [...]).
3.
4.
Die Revision wird zugelassen.
5.
Die endgültige Festsetzung des Streitwerts für beide Rechtszüge folgt aus §
197a Abs.
1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 sowie § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.