Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Versagung der Leistungen bei Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten des Grundsicherungsempfängers
Gründe:
I. Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
- SGB II -.
Der 1969 geborene Antragsteller (ASt) bezieht seit 2005 - mit Unterbrechungen - Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende
vom Antragsgegner (Ag).
Am 05.11.2008 beantragte der ASt die Fortzahlung der Leistungen. Mit Schreiben vom 05.12.2008 teilte der Ag dem ASt mit, dass
zur Prüfung der Frage ob weiterhin Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bestehe, die Ag an Unterlagen
noch benötige: Zusatzblatt zum Antrag auf Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß Anlage, Seite
1 bis 3 vollständig ausgefüllt, versehen mit Nachweisen zu den gemachten Angaben - soweit vorhanden -; Nachweise zu den gemachten
Angaben, insbesondere Einkommensnachweise, Vermögensnachweise, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw. Folgebescheinigungen;
Nachweise über etwaige gesundheitliche Einschränkungen; Nachweise von Eigenbemühungen um Arbeit in den letzten 3 Monaten;
Kontoauszüge sämtlicher Girokonten des letzten Vierteljahres oder Kontenumsatzliste; Finanzstatusbericht/Kontenübersichten
der Sparkasse/Raiffeisenbank/sonstiger Banken. Dem Schreiben war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Soweit der ASt den
Mitwirkungspflichten nicht nachkomme und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwere, werde der Ag die beantragte
Leistung ohne weitere Ermittlungen ganz versagen. Der ASt legte keinen der geforderten Nachweise vor.
Am 26.01.2009 hat der ASt beim Sozialgericht Würzburg (SG) im Rahmen eines Eilverfahrens die sofortige Auszahlung der Grundsicherung beantragt. Er sei auf die sofortige Auszahlung
der Grundsicherung dringend angewiesen, da bereits zum wiederholten Mal die fristlose Kündigung und Aufforderung zur Räumung
der Wohnung wegen Nichtzahlung der Miete zum 31.12.2008 erfolgt sei. Dem Antrag war eine ärztliche Bescheinigung des R. Krankenhauses,
A-Stadt, beigefügt, wonach der ASt seit 17.11.2008 "bis auf Weiteres" stationär behandelt werde; darüber hinaus eine "erneute
außerordentliche Kündigung" des Mietvertrages vom 04.12.2008.
Mit Bescheid vom 04.02.2009 hat der Ag die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende für den ASt gemäß §
66 Abs
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I - abgelehnt. Der ASt sei der nach §
60 Abs
1 Nr
1 und
3 SGB I obliegenden Verpflichtung, alle Tatsachen und Beweismittel anzugeben, die für die Gewährung von Sozialleistungen nach dem
SGB II erheblich seien, nicht nachgekommen. Von der geforderten Mitwirkung sei der ASt nicht nach §
65 SGB I freigestellt; zwischen der Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten und der erheblichen Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts
bestünde ein ursächlicher Zusammenhang. Der ASt sei seiner Mitwirkungspflicht innerhalb der ihm gesetzten angemessen Frist
nicht nachgekommen, obwohl er auf die Rechtsfolge der Verletzung der Mitwirkungspflicht schriftlich hingewiesen worden sei.
Im Rahmen einer Ermessensausübung sei es sachgerecht, Leistungen zu versagen. Der Ag müsse sich aufgrund des vom Gesetzgeber
entwickelten Konzepts eines aktivierenden Sozialstaats bei der Entscheidung vom Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung
der Haushaltsmittel leiten lassen. Dieser Grundsatz verbiete die Bewilligung von Leistungen, wenn ein Anspruch nicht nachgewiesen
oder Bedürftigkeit iS des SGB II nicht glaubhaft gemacht werde. Die Versagung sei vom Gesetz als im Regelfall gewollt vorgezeichnet.
Hiergegen hat der ASt am 03.03.2009 Widerspruch eingelegt, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Mit Schreiben vom 06.02.2009 hat das SG den ASt aufgefordert, die Girokontoauszüge der letzten 3 Monate sowie einen aktuellen Auszug sämtlicher Spar- und Anlagekonten
vorzulegen.
Mit Beschluss vom 20.02.2009 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen. Dem Antrag fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da der ASt
das angestrebte Ziel auf einfachere Weise - insbesondere durch eigene (zumutbare) Mitwirkungshandlungen - erreichen könne
und sich dadurch die Einleitung gerichtlicher Schritte als überflüssig erweise. Um die Versagung der Leistung zu vermeiden,
sei der ASt gehalten gewesen, dem Ag die Kontoauszüge des letzten Vierteljahres vorzulegen. Dies sei von Seiten des ASt nicht
erfolgt. Grundsicherungsleistungen erhalte aber nur derjenige, der hilfebedürftig sei, daraus ergebe sich die Berechtigung
des Ag die Kontoauszüge anzufordern, um Hilfebedürftigkeit überprüfen zu können. Die Grenzen der Mitwirkungsverpflichtung
gemäß §
65 SGB I seien nicht überschritten. Weder das Sozialgeheimnis noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sprächen gegen die
Pflicht zur Vorlage der Kontoauszüge. Es sei auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, denn der ASt sei seiner
Feststellungslast im Hinblick auf das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit nicht nachgekommen.
Hiergegen hat der ASt am 03.03.2009 Beschwerde eingelegt. Der ASt verfüge über keinerlei Einkommen, Vermögen oder Rücklagen.
Mit der Beschwerde ist ein Kontoauszug 20/2008 der Sparkasse M. über den Kontostand am 26.08.2008 vorgelegt worden; darüber
hinaus Anlagen zu den Kontoauszügen 25/2008 und 1/2009. Mit weiteren Schreiben vom 23.03.2009 hat der ASt eine Verfügung des
Oberlandesgerichts B. vom 11.03.2009 übersandt sowie den Kontoauszug 2/2009 mit Kontobewegungen vom 02.03.2009 bis 09.03.2009.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Da der ASt nunmehr gegen den Versagungsbescheid des Ag vom 04.02.2009 am 03.03.2009 Widerspruch eingelegt hat, war der Antrag
des ASt als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs nach §
86b Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG auszulegen.
Hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in Fällen anordnen, in denen
Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage
gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet keine aufschiebende Wirkung.
Unter Berücksichtigung des § 39 Nr 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffekts auszugehen,
da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes
Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten festzustellen ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit
gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
SGG, 9.Aufl, §
86b Rdnr 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt,
wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht
erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht
in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens
und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mit berücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller aaO. Rdnr 12c).
Vorliegend ist der Versagungsbescheid vom 04.02.2009 rechtmäßig, damit hat es bei der gesetzlichen Grundintention des sofortigen
Vollzuges zu verbleiben.
Gemäß §
66 Abs
1 Satz 1
SGB I kann ein Leistungsträger, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach
§§
60 bis
62,
65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, ohne weitere Ermittlungen die Leistungen
bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht
nachgewiesen sind. Der Umfang der Mitwirkungspflicht ergibt sich aus §
60 Abs
1 Nr
1 und Nr
3 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält,
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung
der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,
...
Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage
zuzustimmen.
Nach §
66 Abs
3 SGB I darf eine Versagung oder Entziehung nur erfolgen, wenn der Leistungsberechtigte auf seine Mitwirkungspflichten unter Fristsetzung
und unter Hinweis auf die Folgen mangelnder Mitwirkung schriftlich hingewiesen worden ist. Die Entscheidung über die Versagung
unterliegt hinsichtlich des Ob und des Wie dem Ermessen der Behörde (vgl. BSG SozR-3-1200 § 66 Nr 3).
Der Versagungsbescheid vom 04.02.2009 war gemäß §
66 Abs.
3 SGB I formell rechtmäßig. Der Ag hat dem ASt mit Schreiben vom 05.12.2008 eine Frist zur Erledigung bis 16.12.2008 gesetzt, der
Versagungsbescheid ist erst am 04.02.2009 ergangen. Das Aufforderungsschreiben war mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen,
die sich nicht auf die Wiederholung des Gesetzeswortlautes oder Belehrung allgemeiner Art beschränkt hat (vgl. insoweit BSG
SozR 4100 § 132 Nr 1). Der Ag hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass bei einem Unterlassen der Mitwirkung die
beantragte Leistung ohne weitere Ermittlung ganz versagt werde.
Der ASt ist seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Er hat keine der von dem Ag geforderten Nachweise und Unterlagen
vorgelegt. Jedenfalls die Verpflichtung der Vorlage von Kontoauszügen der letzten 3 Monate (vgl. insoweit BSG 14.Senat vom
19.09.2008, Az: B 14 AS 45/07 R) sowie der Nachweis einer eventuellen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. Folgebescheinigung (vgl. insoweit § 56 SGB
II) waren berechtigt. Die Mitwirkungspflicht des Grundleistungsempfängers dient Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung.
Der Grundsicherungsempfänger beantragt staatliche Fürsorgeleistungen, die ihm ohne jegliche Gegenleistung (etwa in Form von
vorher gezahlten Beiträgen etc.) nur aufgrund seiner Hilfebedürftigkeit gewährt werden. Dem Staat bzw. der Gemeinschaft der
Steuerzahler muss daher erlaubt sein, sich davor zu schützen, dass diese Grundsicherungsleistungen an Nichtbedürftige gewährt
werden, die über weitere finanzielle Mittel verfügen, diese jedoch gegenüber dem Grundsicherungsträger verschweigen bzw. nicht
offenlegen (vgl. insoweit BSG 14.Senat aaO.).
Da es sich bei dem Widerspruch gegen einen Versagungsbescheid um einen reinen Anfechtungswiderspruch handelt (vgl für die
Klage als reine Anfechtungsklage BSG 14. Senat aaO.) war maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Erlass
des streitgegenständlichen Bescheides (vgl insoweit Keller aaO. § 54 Rdnr. 32 a). Zu diesem Zeitpunkt hatte der ASt keinerlei
Nachweise vorgelegt. Soweit hiervon für Ermessens - Verwaltungsakte Ausnahmen vorzunehmen sein sollten (vgl insoweit Keller
aaO. Rdnr. 33) bleibt festzustellen, dass der ASt auch bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats der Verpflichtung zur
Vorlage von Kontoauszügen nicht vollständig nachgekommen ist. Vielmehr hat er lediglich bruchstückhaft Unterlagen, insbesondere
Anlagen zu Kontoauszügen, übersandt, die keinen Einblick in die Kontobewegungen der letzten Monate gewähren.
Der Ag hat im Bescheid vom 04.02.2009 ein Ermessen ausgeübt und dies im Bescheid auch zum Ausdruck gebracht.
Da somit der Versagungsbescheid vom 04.02.2009 rechtmäßig ist, hat es bei der gesetzlichen Grundintention des § 39 Nr 1 SGB
II zu verbleiben. Der vom ASt eingelegte Widerspruch gegen diesen Bescheid hat keine aufschiebende Wirkung.
Mit der Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht der rechtmäßige Versagungsbescheid vom 04.02.2009 der Statthaftigkeit
eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs
2 Satz 2
SGG entgegen (vgl. insoweit LSG Baden Württemberg 13.Senat vom 27.10.2008, Az: L 13 AS 4562/08 IR-B). Lediglich ergänzend ist ausgeführt, dass auch eine solche einstweilige Anordnung nicht begründet gewesen wäre, da
der ASt einen Anordnungsanspruch wegen völlig unzureichender Angaben zur Einkommens- und Vermögenssituation nicht glaubhaft
gemacht hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.