Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung; Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen; Berücksichtigung
einer Haftzeit als Anrechnungszeit
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft einen geltend gemachten Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch
Sechstes Buch (
SGB VI).
Der Kläger stammt aus Mazedonien. 1972 kam er vom ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland. Seit 04.10.2002 befindet er sich
in Strafhaft; er sitzt in der Justizvollzugsanstalt A-Stadt (JVA) ein, wo er voraussichtlich noch für längere Zeit inhaftiert
sein wird.
Der Versicherungsverlauf des Klägers weist zuletzt bis einschließlich Oktober 2002 Pflichtbeitragszeiten aus, wobei diese
von der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wurden. Danach sind keine rentenrechtlichen Zeiten mehr vorhanden.
Am 26.10.2006 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung. Dabei gab er an, er fühle sich seit ca. 16 Jahren vor
allem wegen eines Diabetes mellitus erwerbsgemindert. Die Frage, ob er eine Berufsausbildung durchlaufen habe, beantwortete
er im Rentenantrag mit "nein". In einem am 25.01.2007 ausgefüllten Fragebogen gab er gegenüber der Beklagten ausdrücklich
an, er habe keinen Schulabschluss und keinen Beruf erlernt.
Die Beklagte holte einen Befundbericht des ärztlichen Dienstes der JVA (Dr. R.) ein. Dieser wies als Diagnosen vor allem einen
insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit zahlreichen diabetesbedingten Folgeerkrankungen (Retinopathie, Maculopathie, Polyneuropathie)
aus. Nach einer Laserbehandlung am rechten Auge im Dezember 2006, so der Bericht, bestünden keine Sehbeschwerden mehr. Seit
ca. 1988 liege ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus vor, der aufgrund schlechter Diät- und Medikamentencompliance über
lange Zeit hinweg unzureichend eingestellt gewesen sei. Aufgrund der vorgelegten Fremdbefunde kam der medizinische Dienst
der Beklagten zum Ergebnis, der Kläger sei in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten sechs Stunden
und mehr täglich zu verrichten.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 05.02.2007 ab. Sie begründete dies damit, die Voraussetzung von §
43 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 bzw. Abs.
2 Satz 1 Nr. 2
SGB VI, wonach in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit vorliegen müssen (im Folgenden: Drei-Fünftel-Belegung), sei nicht erfüllt. Im maßgeblichen Zeitraum vom 26.10.2001
bis 25.10.2006 seien nur ein Jahr und ein Kalendermonat mit Beiträgen belegt.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben 08.02.2007 Widerspruch ein. Er trug vor, mindestens mit Beginn seiner Haft am 04.10.2002
habe Erwerbsunfähigkeit vorgelegen. Die Beklagte forderte bei Dr. R. aktuelle Befunde an. Dieser übersandte mit Schreiben
vom 19.03.2007 Befunde aus dem Zeitraum 2002/2003 und teilte mit, er halte den Rentenantrag des Klägers nicht für gerechtfertigt.
Hauptsächlich darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2007 zurück.
Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Dieses hat Befundberichte eingeholt, wobei der abgefragte
Zeitraum im Oktober 2006 begonnen hat. Der Augenarzt Dr. L. hat mitgeteilt, der Kläger sei seit 29.03.2004 bei ihm in Behandlung,
die letzte Untersuchung habe am 25.10.2006 stattgefunden (Diagnosen: nicht proliferative diabetische Retinopathie; Zustand
nach fokaler Laserkoagulation). Dr. R. hat geschrieben, der Schwerpunkt der Gesundheitsstörungen liege auf internistisch-endokrinologischem
Gebiet. Am Auge hätten lediglich ambulante Eingriffe stattgefunden. Der Kläger sei nach wie vor in der Lage, leichte körperliche
Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuführen. Die Befunde hätten sich kontinuierlich langsam verschlechtert, was
sich durch die unverändert schlechte Einstellung des Diabetes mellitus erkläre.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens mit diabetologischem Schwerpunkt von
Dr. U. H. nach persönlicher Untersuchung (Gutachten vom 09.06.2008). Seit dem Rentenverfahren, so der Sachverständige, hätten
sich die Gesundheitsstörungen der Art nach nicht geändert. Es müsse allerdings davon ausgegangen werden, dass es zu einer
Verschlechterung der diabetischen Folgeerkrankungen gekommen sei. Bezüglich des rechten Auges bestehe diagnostischer und gegebenenfalls
therapeutischer Handlungsbedarf. Das Leistungsvermögen des Klägers sei beeinträchtigt vor allem wegen der diabetesbedingten
Folgeerkrankungen an Augen, Nieren, peripherem Nervensystem. Trotz hoher Insulindosierung sei der Zucker nicht optimal eingestellt,
es liege eine erhebliche Insulinresistenz vor. Die Chancen, über diätetische Disziplin und vermehrte Bewegung hiergegen vorzugehen,
seien - mangels fehlender Einsicht des Klägers - als gering einzuschätzen. Unabhängig von den Folgeschäden bewirke auch die
Stoffwechselstörung allein eine Leistungsminderung, die sich aber nicht quantitativ auswirke. Die anderen Gesundheitsstörungen
stünden im Hintergrund. Es könnten noch mindestens sechs Stunden täglich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im
Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausgeführt werden. Arbeiten mit höheren Ansprüchen an die Sehschärfe, auch an das binokulare
Sehen und das Nachtsehvermögen, könnten nicht mehr ausgeführt werden. Die Insulininjektionen könnten im Rahmen der betriebsüblichen
Pausen vorgenommen werden. Eine psychische Störung mit Krankheitswert liege nicht vor. Dieses Leistungsvermögen habe bereits
am 01.10.2003 bestanden. Weitere fachärztliche Untersuchungen hat Dr. H. nicht für notwendig gehalten. Eine höhergradige psychische
Störung liege nicht vor. Als Rheumatologe mit über zwanzigjähriger Erfahrung in der Rehabilitation Erwerbstätiger mit degenerativen
Wirbelsäulen- und Gelenkserkrankungen sei er auch in der Lage festzustellen, dass eine höhergradige, weit über das Altersmaß
hinausgehende Störung der Funktionalität des Bewegungssystems nicht vorliege.
Mit Gerichtsbescheid vom 19.01.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es fehle
an der Drei-Fünftel-Belegung. Die Voraussetzungen des §
43 Abs.
4 SGB VI für eine Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraums lägen nicht vor. Bei der Zeit der Inhaftierung handle es sich nicht um eine
Anrechnungszeit; wie Dr. R. mitgeteilt habe, hätte auch keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Der Kläger sei auch nicht bereits
spätestens bis 01.10.2003 erwerbsgemindert gewesen; insoweit hat sich das Gericht auf das Gutachten des Dr. H. gestützt. Eine
Berufsunfähigkeitsrente scheide schon deswegen aus, weil der Kläger keinen Berufsschutz genieße. Bei der Rentenantragstellung
habe der Kläger selbst angegeben, er habe keinen Beruf erlernt.
Mit Schriftsatz vom 10.02.2009 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er verweist auf seinen schlechten Gesundheitszustand. Es
ist davon auszugehen, dass er beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Januar 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids
vom 05.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2007 zu verurteilen, ihm ab Antragstellung eine Rente wegen
voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat von einer gesonderten Begründung abgesehen.
Mit Beschluss vom 30.03.2009 hat der Senat die Berufung nach §
153 Abs.
5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) dem Berichterstatter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des Sozialgerichts
und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch
auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung liegen nicht vor. Folgende
materiell-rechtliche Regelungen sind maßgebend:
Nach §
43 Abs.
1 Satz 1
SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind und die im Gesetz genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert
sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI).
Gemäß §
43 Abs.
2 Satz 1
SGB VI haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie neben
der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen voll erwerbsgemindert sind. Das ist nach §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI dann der Fall, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich
erwerbstätig sein kann (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Eine der angesprochenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen besteht in der Erfüllung der so genannten Drei-Fünftel-Belegung:
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 und §
43 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 SGB VI kann eine Rente wegen Erwerbsminderung nur dann gewährt werden, wenn in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung scheitert schon daran, dass die Voraussetzung
der Drei-Fünftel-Belegung nicht erfüllt ist. Der Kläger begehrt die Rente ab Antragstellung; dies ist als Klageantrag im Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts festgehalten und vom anwaltlich vertretenen Kläger im Berufungsverfahren auch nicht korrigiert worden.
Aus §
99 Abs.
1 Satz 1
SGB VI folgt, dass bei einer Stellung des Rentenantrags am 26.10.2006 der frühest mögliche Rentenbeginn der 01.08.2006 sein könnte;
dies würde voraussetzen, dass der Leistungsfall im Monat Juli 2006 eingetreten wäre.
Bei einem angenommenen Leistungsfall im Juli 2006, zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung oder später wäre die Voraussetzung
der Drei-Fünftel-Belegung nicht erfüllt. Die entsprechenden Pflichtbeitragszeiten vermag der Kläger nicht vorzuweisen. Das
gilt auch unter Berücksichtigung der Erweiterung nach §
55 Abs.
2 SGB VI, wonach in den Begriff "Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" auch andere Beiträge einbezogen
werden. Auch wenn - bei der für den Kläger günstigsten Klageantragstellung - eine Erwerbsminderung im Monat Juli 2006 und
nicht erst zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung eingetreten wäre, käme man allenfalls auf 16 Monate mit Pflichtbeitragszeiten
im maßgebenden Fünf-Jahres-Zeitraum.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, kann der für die Erfüllung der notwendigen Pflichtbeitragszeiten maßgebende
Zeitraum nicht über §
43 Abs.
4 SGB VI in die Vergangenheit ausgedehnt werden. Insbesondere liegen keine Anrechnungszeiten (§
43 Abs.
4 Nr.
1 SGB VI) oder solche Zeiten vor, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder
selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen worden ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten
wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer
1 oder 2 liegt (§
43 Abs.
4 Nr.
3 SGB VI). Die Zeit der Inhaftierung als solche - auch darauf hat das Sozialgericht zu Recht hingewiesen - verkörpert keine Anrechnungszeit.
Sie beinhaltet aber auch keine Anrechnungszeiten nach §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI, also Zeiten, in denen der Kläger arbeitsunfähig gewesen ist oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe
am Arbeitsleben erhalten hat. Richtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Sozialgerichts, Arbeitsunfähigkeit hätte
überhaupt nicht vorgelegen; denn bezüglich der Arbeitsfähigkeit in diesem Sinn ist das Leistungsvermögen des Klägers an den
Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu messen. Das so definierte Leistungsvermögen war zumindest bis zum Gutachten
des Dr. H. erhalten (dazu unten). Hinzu kommt, dass eine Haftzeit von vornherein keine derartige Anrechnungszeit sein kann,
weil nur solche Krankheitszeiten als Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit behandelt werden dürfen, in denen der Versicherte,
wäre er gesund gewesen, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung hätte nachgehen können; ein Versicherter muss gerade
durch die Arbeitsunfähigkeit davon abgehalten worden sein, Beitragszeiten durch Wahrnehmung einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung zu erwerben. Daran fehlt es beim Kläger als Inhaftiertem evident.
Sonstige Anrechnungszeiten, insbesondere solche nach §
252 SGB VI, sind während der Inhaftierungsphase offenkundig nicht gegeben.
§
241 Abs.
1 SGB VI bietet keine Handhabe, den Fünf-Jahres-Zeitraum zu verlängern; denn dort genannte Zeiten sind nicht vorhanden.
Jedenfalls so lange die Voraussetzung der Drei-Fünftel-Belegung noch erfüllt gewesen war, lag keine (quantitative) Erwerbsminderung
im Sinn von §
43 SGB VI vor.
Der Senat ist davon überzeugt, dass beim Kläger in der fraglichen Zeit ab Oktober 2002 - in seinem Widerspruchsschreiben reklamierte
der Kläger, jedenfalls bei Haftantritt sei er erwerbsunfähig gewesen -, und zwar mindestens bis zur Erstellung des Gutachtens
durch Dr. H., weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vorgelegen hat. Das ergibt sich aus dem überzeugenden
Gutachten des Dr. H ... Die diesbezügliche Beweiswürdigung des Senats führt zum gleichen Ergebnis wie die des Sozialgerichts.
Allerdings ist nicht zu leugnen, dass der Kläger erheblich gesundheitlich beeinträchtigt ist. Seit ca. 1988 besteht ein insulinpflichtiger
Diabetes mellitus, der aufgrund schlechter Diät- und Medikamentencompliance über lange Zeit hinweg schlecht eingestellt war.
Der Senat teilt die Einschätzung des Dr. H., dass das Leistungsvermögen des Klägers vor allem wegen der diabetesbedingten
Folgeerkrankungen an Augen, Nieren und peripherem Nervensystem beeinträchtigt ist. Trotz hoher Insulindosierung ist der Zucker
nicht optimal eingestellt, wobei eine erhebliche Insulinresistenz vorliegt. Dr. H. hat eine Verschlechterung der diabetischen
Folgeerkrankungen festgestellt. Bezüglich des rechten Auges, so der Gutachter, bestehe diagnostischer und gegebenfalls therapeutischer
Handlungsbedarf.
Dennoch kommt Dr. H. plausibel zum Ergebnis, der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich leichte bis gelegentlich
mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausführen. Arbeiten mit höheren Ansprüchen an die Sehschärfe,
auch an das binokulare Sehen und das Nachtsehvermögen, könnten nicht mehr ausgeführt werden. Diese qualitative Einschränkung
bedingt jedoch keine Erwerbsminderung im Sinn des §
43 SGB VI. Hinzu kommt, dass die Probleme des Klägers beim Sehen offenbar therapeutisch gemindert werden können. Die psychischen und
orthopädischen Befunde, die Dr. H. erhoben hat, waren in einer Weise unauffällig, dass dieser auch ohne Zuziehung weiterer
medizinischer Sachverständiger in der Lage war, "belastbar" festzustellen, eine Erwerbsminderung sei daraus nicht abzuleiten.
Dieses Ergebnis, das sich der Senat zu eigen macht, wird durch die Befunde der behandelnden Ärzte bestätigt. Vor allem die
Einschätzung von Dr. R. spricht gegen eine rentenrelevante Erwerbsminderung. Dieser teilte der Beklagten mit Schreiben vom
19.03.2007 Folgendes mit:
"Das Bestehen einer Erwerbsunfähigkeit bereits vor 2002/2003 geht für mich aus den vorliegenden Befunden nicht hervor.
...
Zwar bestehen bei Herrn L. sicher ernsthafte organische Spätfolgen eines über Jahre hinweg schlecht eingestellten Diabetes
mellitus, insbesondere waren wegen einer diabetischen Maculopathie mehrmals Laserkoagulationen der Netzhaut notwendig geworden
und der Visus wurde 2006 mit 0,8 auf beiden Augen bestimmt. Die Nierenfunktion ist inzwischen auch beeinträchtigt ...
Der Gefangene ist nach meiner Ansicht jedoch durchaus für leichte Arbeiten einsetzbar, da zur Zeit bei ihm keine schwerwiegenden
Funktionseinschränkungen, mit Ausnahme der vorbeschriebenen im Augenbereich, vorliegen. Eine schwerwiegende Gesundheitsverschlechterung
hat im Zeitraum 2002 bis 2003 nach den mir vorliegenden Unterlagen nicht stattgefunden."
Dem Sozialgericht gegenüber hat Dr. R. geschrieben, der Schwerpunkt der Gesundheitsstörungen liege auf internistisch-endokrinologischem
Gebiet. Am Auge hätten lediglich ambulante Eingriffe stattgefunden. Der Kläger sei nach wie vor in der Lage, leichte körperliche
Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuführen.
Auch die Befunde anderer Ärzte lassen keine dramatische Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers erkennen: Am 25.10.2000
stellte der Neurologe Dr. R. eine leichte chronische Denervierung und eine leichte diabetische Polyneuropathie fest. Am 28.03.2001
sah der Augenarzt Dr. W. keine diabetischen Veränderungen, am 27.11.2002 stellte er beidseits einen Visus von 0,7 fest, am
19.03.2003 die Notwendigkeit einer Fernbrille. Der Anstaltsarzt Dr. U. berichtete am 06.12.2002, die Blutzuckereinstellung
sei derzeit noch nicht ganz befriedigend, jedoch deutlich verbessert. Hinsichtlich der Augen sei es zwischen dem 26.03.2001
und dem 27.11.2002 zu einer leichten Verschlechterung im Sinn vereinzelter Mikroblutungen gekommen. Ein operatives Vorgehen
sei laut Augenkonsil vom 27.11.2002 nicht geplant. In verschiedenen psychiatrischen Befunden ist von einem depressiven Syndrom
wegen der strafprozessualen Hauptverhandlung die Rede, der Kläger habe Schlafstörungen, Grübeln und Zukunftsangst beklagt.
Am 06.03.2003 bot ein EKG diskrete Hinweise auf eine Ischämie im Hinterwandbereich. Im Befundbericht des Augenarztes Dr. L.
vom 19.09.2003 werden als Diagnosen Catarakt beidseitig, diabetische Maculopathie beidseitig genannt; Visus beidseits 0,6.
In beiden Augen zeige sich eine diabetische Maculopathie, die ggf. einer Laserkoagulation bedürfe.
Bei einer Gesamtbetrachtung aller medizinischen Stellungnahmen kommt der Senat zum Schluss, dass zumindest bis zur Erstellung
des Gutachtens des Dr. H. keine Erwerbsminderung im rentenrelevanten Sinn vorgelegen hat. Dabei spielt keine Rolle, dass Dr.
H. sich rückschauend nur bis zum Zeitpunkt 01.10.2003 geäußert hat. Selbst wenn vorher eine Erwerbsminderung vorgelegen hätte,
so steht doch fest, dass dies zumindest ab 01.10.2003 nicht (mehr) der Fall war. Jedoch wäre eine in der Vergangenheit vorübergehend
vorhandene, jedoch behobene Erwerbsminderung nicht geeignet, für das Rentenbegehren des Klägers den relevanten "Eintritt der
Erwerbsminderung" im Sinn von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2, §
43 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 SGB VI darzustellen. Dazu müsste eine in der Vergangenheit eingetretene Erwerbsminderung vielmehr ununterbrochen fortbestanden haben.
Unabhängig von diesen Erwägungen hat der Senat angesichts der genannten Befunde aus dem Zeitraum 2000 bis 2003 keine Zweifel,
dass auch vor dem 01.10.2003 die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht zeitlich gemindert war. Denn bei ihm hat sich ein progredientes
Krankheitsbild gezeigt; man vermag eine stetige Verschlechterung feststellen. So hat der Kläger vor Dr. H. vorgetragen, in
letzten Jahren hätte sich das Sehvermögen deutlich verschlechtert; es sei eine Laserbehandlung des linken Auges erfolgt, seit
sechs Monaten sei das rechte Auge schlechter geworden. Dr. H. hat seinerseits bemerkt, es müsse davon ausgegangen werden,
dass es zu einer Verschlechterung der diabetischen Folgeerkrankungen gekommen sei. Das stimmt auch mit der Einschätzung des
Dr. R. überein. Schon deshalb ist es ausgeschlossen, dass vor dem 01.10.2003 eine rentenrelevante Erwerbsminderung bestanden
hatte, die in der Folgezeit wieder entfallen ist.
Dass beim Kläger keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bestanden hat, hat bereits das Sozialgericht zutreffend
festgestellt. Insoweit bleibt ergänzend darauf hinzuweisen, dass nach Einschätzung des Dr. H. die Insulininjektionen im Rahmen
der betriebsüblichen Pausen gesetzt werden können. Auch das Sehvermögen war und ist nicht in einer Weise beeinträchtigt, dass
dies zusammen mit anderen Gesundheitsstörungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen begründen könnte.
Auch solche Ausnahmetatbestände, die von einer Erfüllung der Drei-Fünftel-Belegung befreien würden (vgl. §
43 Abs.
5 in Verbindung mit §§
53,
245 SGB VI), sind nicht erfüllt. Des Weiteren ist §
43 Abs.
6 SGB VI evident nicht einschlägig. Schließlich vermag auch §
241 Abs.
2 SGB VI nicht, dem Kläger den Weg zu einer Rente wegen Erwerbsminderung zu eröffnen. Denn nicht alle Kalendermonate vom 01.01.1984
bis zum Kalendermonat vor dem unterstellten Eintritt einer Erwerbsminderung sind mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt;
durch Zahlung freiwilliger Beiträge (vgl. §
241 Abs.
2 Satz 2 in Verbindung mit §
197 Abs.
2 SGB VI) kann dieser Mangel nicht kompensiert werden.
Ebenso wenig kann der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §
240 SGB VI beanspruchen. Auch diesbezüglich wäre die Erfüllung der Drei-Fünftel-Belegung Voraussetzung (vgl. §
240 Abs.
1 SGB VI: "... bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen ..."); daran fehlt es, wie oben gezeigt worden ist. Eine teilweise Erwerbsminderung
bei Berufsunfähigkeit ist auch nicht eingetreten, so lange die Voraussetzung der Drei-Fünftel-Belegung noch erfüllt gewesen
wäre. Denn der Kläger kam nicht in Genuss eines besonderen Berufsschutzes. Das hat das Sozialgericht zutreffend entschieden.
Der Senat ist gleichfalls der Ansicht, dass es sich bei der Tätigkeit in einer Brotfabrik nicht um eine Facharbeitertätigkeit
gehandelt hat. Zweimal hat der Kläger angegeben, er habe keinen Beruf erlernt. Das geschah nicht nur durch Ankreuzen im Rentenantrag,
sondern auch expressis verbis im Fragebogen vom 25.01.2007. Erst gegenüber dem Sozialgericht hat der Kläger geäußert, er hätte
von 1972 bis 1974 eine Bäckerlehre gemacht und diese mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Der Senat glaubt jedoch den beiden
älteren Einlassungen, zumal der Versicherungsverlauf des Klägers keine Ausbildungszeiten ausweist. Vor allem aber fällt ins
Gewicht, dass der Kläger die im Gerichtsbescheid enthaltenen Ausführungen des Sozialgerichts hierzu im Berufungsverfahren
nicht beanstandet hat. Auf die Gelegenheit, dies eventuell in der mündlichen Verhandlung nachzuholen, hat der Prozessbevollmächtigte
des Klägers verzichtet, indem er mit Schriftsatz vom 01.09.2009 mitgeteilt hat, er werde an der mündlichen Verhandlung nicht
teilnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger auch vor dem Bayerischen Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.