Bindungswirkung der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten im Vormerkungsbescheid
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Bewertung von
insgesamt 63 Kalendermonaten mit Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung hat.
Der im Oktober 1941 geborene Kläger hat vom 8. Oktober 1959 bis 15. Juli 1960 und vom 1. Oktober 1963 bis 31. Juli 1964 eine
Schulausbildung sowie vom 1. August 1964 bis 10. Februar 1968 eine Fachschulausbildung absolviert.
Mit Bescheid vom 19. Juli 1989 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf des Klägers gemäß § 104 Abs. 3 AVG fest. Darin sind die o.g. Zeiten als Zeiten der Schul- bzw. Fachschulausbildung, als sog. Ausfallzeiten, enthalten.
In dem Bescheid ist der Hinweis enthalten, dass über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen
Daten erst bei Feststellung einer Leistung entschieden werde.
Dem Bescheid war auch eine Rentenauskünft vom gleichen Datum beigefügt. In dieser Rentenauskünft wurden für 61 Kalendermonate
mit Ausfallzeiten (Ausbildungszeiten) Werteinheiten unter Anwendung von § 32 a AVG ermittelt.
Mit Bescheid vom 10. November 1997 stellte die Beklagte gemäß §
149 Abs.
5 SGB VI für den Kläger den Versicherungsverlauf für die Zeiten bis 31. Dezember 1990 erneut fest, soweit sie nicht bereits früher
festgestellt worden sind. Hierin sind die Ausbildungszeiten, dem Datum nach vollständig enthalten, wurden aber zum Teil mit
dem Vermerk "Höchstdauer überschritten" gekennzeichnet. Auch in diesem Bescheid ist der Hinweis enthalten, dass über die Anrechnung
und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden werde.
Auf seinen Antrag vom 10. August 2004 hin gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 6. September 2004 Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ab 1. November 2004. Im Rentenbescheid sind 63 Kalendermonate als Ausbildungszeiten
angerechnet. Allerdings wurden von diesen 63 Kalendermonaten nur die ersten 36 Kalendermonate (35 Monate als beitragfreie
und ein Monat als beitrags- geminderte Zeit) mit Entgeltpunkten bewertet.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, im Gegensatz zu früheren Auskünften seien seine Studienzeiten
nur für 3 Jahre anerkannt worden. Dies sei eine Ungleichbehandlung, da jüngere Geburtsjahrgänge, die aber früher in Rente
gegangen seien, diese Zeiten voll angerechnet bekommen hätten. Ihm sei zwar bekannt, dass freiwillige Nachzahlungen vorgenommen
werden konnten. Die damit verbundenen hohen Beträge könne sich ein normaler Angestellter mit Familie jedoch nicht leisten.
Es hätten auch die Beiträge nachgezahlt werden müssen, die in den Jahren der Nachzahlung gelten und nicht diejenigen, die
seinerzeit für eine Versicherung ausgereicht hätten. Dies sei eine Benachteiligung gegenüber verheirateten Frauen, die sich
bei ihrer Heirat ihre Rentenversicherungsbeiträge auszahlen ließen und später durch Rückzahlung der mittlerweile geringfügig
gewordenen Beiträge verhältnismäßig hohe Renten sichern konnten. Darüber hinaus machte er weitere Einwände geltend, die nicht
Gegenstand seines Berufungsbegehrens sind.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2005 wurde der Widerspruch, soweit ihm nicht abgeholfen worden war, zurückgewiesen.
Zeiten der Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres würden bei einem Rentenbeginn ab 1. Januar 2002 bis zur Höchstdauer
von insgesamt acht Jahren (96 Kalendermonaten) als Anrechnungszeit berücksichtigt. Nach §
74 S. 3
SGB VI würden die Zeiten schulischer Ausbildung jedoch für höchstens drei Jahre bewertet. Der Widerspruchsbescheid wurde nicht mit
einer Klage angefochten und damit bestandskräftig.
Der Kläger wandte sich erst wieder im April 2005 an die Beklagte und bat - unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts
vom 30. März 2004, B 4 RA 36/02 - um Überprüfung, ob für die gesamten Ausbildungszeiten Entgeltpunkte anzusetzen seien.
Die Beklagte wertete die Anfrage des Klägers vom April 2005 als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X und lehnte durch Bescheid vom 16. Juni 2005 den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheids vom 26. November 2004 ab.
Aus dem vom Kläger zitierten Urteil des BSG ergäben sich keine Gründe für eine für den Kläger günstigere Entscheidung.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch verwies der Kläger darauf, ihm lägen Bescheide vor, die die Anerkennung von 61 Kalendermonaten
für die Studienzeit vor- sehen. Diese Zeiten sowie die Zeit der Ableistung des Grundwehrdienstes seien sogar mit höheren Werten
ausgewiesen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2006 zurück- gewiesen, da sich aus der Entscheidung des BSG
vom 30. März 2004 keine Änderung für den Fall des Klägers ergebe.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht (SG) Regensburg erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er könne keinen Unterschied zu dem bereits entschiedenen
Fall des BSG erkennen. In verschiedenen Bescheiden sei die gesamte Studienzeit mit positiven Bewertungen anerkannt worden.
Dies sei mit keinem Verwaltungsakt zurück- genommen worden.
Mit Urteil vom 18. März 2009 hat das SG die auf die Bewertung und Berücksichtigung von 61 Kalendermonaten mit Ausbildungsanrechnungszeiten gerichtete Klage abgewiesen.
Im Vormerkungsbescheid stelle der Versicherungsträger Daten (hier die Zeiten der Ausbildung) fest. In ihm könne von Gesetzes
wegen keine verbindliche Feststellung über eine etwaige zukünftige Anrechnung und Bewertung getroffen werden. In Bezug auf
die Tatsache, während welcher Zeiten Schul- und Fachschulausbildung vorgelegen hätten, habe sich nichts geändert. Aus den
Urteilen des BSG vom 30. März 2004 ergebe sich ebenfalls kein Anspruch auf Neufeststellung gemäß § 44 SGB X. Über die Anrechenarkeit könne erst im Leistungsfall entschieden werden. Ein Vertrauenstatbestand könne entgegen dem eindeutigen
Gesetzeswortlaut nicht geschaffen werden.
Mit der hiergegen erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Urteil des BSG vom 30. März 2004, Az. B
4 RA 36/02 R, wurde auszugsweise wieder- gegeben. In verschiedenen Bescheiden sei die gesamte Studienzeit mit positiven Bewertungen
anerkannt worden. Dies sei mit keinem Verwaltungsakt zurückgenommen worden. So sei mit Bescheid vom 19. Juli 1989 die strittigen
Studienzeiten nicht nur für die Beteiligten verbindlich festgestellt, sondern auch mit Werteinheiten belegt worden. Dieser
Bescheid sei zu keiner Zeit durch einen Verwaltungsakt aufgehoben worden; auch nicht durch den Bescheid vom 10. November 1998.
Der Senat hat vom Kläger sämtliche Auskünfte, Schreiben und Bescheide der Beklagten aus dem Jahr 1989 bis 1996 und von der
Beklagten eine Mikrofilmreproduktion der Vorgänge ab Januar 1997 beigezogen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2005 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 6. September
2004 in der Fassung des Bescheids vom 26. November 2004 sowie in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2005
abzuändern und den Wert der Regelaltersrente unter Bewertung von insgesamt 63 Kalendermonaten mit Anrechnungszeiten bzw. beitragsgeminderten
Zeiten wegen schulischer Ausbildung ohne Begrenzung nach §
74 S. 3
SGB VI festzustellen sowie ab Rentenbeginn entsprechend höhere Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegen- stand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 16. Juni 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2006 ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 44 Abs. 1 SGB X auf Rücknahme des Rentenbescheids vom 6. September 2004 in der Fassung des Bescheids vom 26. November 2004 sowie in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2005 und Bewertung von Anrechnungszeiten bzw. beitragsgeminderten Zeiten wegen schulischer
Ausbildung über den in den angefochtenen Bescheiden festgesetzten Umfang hinaus.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden
sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Bei Erlass des Rentenbescheids vom 6. September 2004 in der Fassung des Bescheids vom 26. November 2004 hat die Beklagte weder
das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Sie hat daher auch nicht Sozial-
leistungen zu Unrecht nicht erbracht.
Alle im Bescheid vom 19. Juli 1989 bzw. im Bescheid vom 10. November 1997 vorge- merkten Anrechnungszeiten wegen schulischer
Ausbildung sind im Rentenbescheid vom 6. September 2004 berücksichtigt worden. Weder in zeitlicher Hinsicht noch in der rentenrechtlichen
Einordnung der Zeiten als Anrechnungszeiten hat sich eine Änderung ergeben. Gemäß §
74 S. 3
SGB VI in der ab 1. Januar 2002 gültigen Fassung können aber nur maximal drei Jahre an schulischer Ausbildung bewertet werden.
Aus dem Urteil des BSG vom 30. März 2004 ergibt sich für den Fall des Klägers nichts anderes. Denn mit einem Vormerkungsbescheid
werden lediglich der Rechtscharakter der rentenrechtlichen Zeit und deren zeitlicher Umfang festgestellt. Die abschließende
Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung ist nicht Gegenstand eines Vormerkungsbescheides und hat erst mit dem Rentenbescheid
zu erfolgen.
Die Vormerkungsbescheide vom 19. Juli 1989 und 10. November 1997 enthalten auch keine Bewertung der Anrechnungszeiten. Eine
solche ist nur in den Rentenauskünften, etwa vom 19. Juli 1989 erfolgt. Diese haben jedoch keine Bindungswirkung im Sinne
des §
77 SGG, da es sich bei den Rentenauskünften nicht um Verwaltungsakte handelt. Nur Verwaltungsakte, nicht jedoch schlichte Auskünfte
können eine Bindungswirkung für eine spätere Leistungsfestsetzung im Rahmen eines Rentenbescheids entfalten. Die dem Kläger
erteilten, nicht rechtsverbindlichen Rentenauskünfte stehen unter dem Vorbehalt von zukünftigen Rechtsänderungen (vgl. nunmehr
ausdrücklich §
109 Abs.
2 SGB VI). Sie spiegeln die Rentenhöhe wider, die sich ergeben würde, wenn nach dem zum Zeitpunkt der Erteilung der Rentenauskunft
geltenden Recht ein Rentenanspruch bestünde. Eine Bindungswirkung in Bezug auf die dort ermittelten Werte für alle 61 oder
später 63 Monate mit Zeiten der schulischen Ausbildung zu Gunsten des Auskunftsempfängers im Falle einer für ihn ungünstigen
Rechtsänderung ergibt sich aus den Auskünften nicht.
Die den Kläger belastenden Abweichungen im Rentenbescheid gegenüber den Vormerkungsbescheiden liegen also nicht in dem Umstand,
dass die Beklagte bereits anerkannte Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung im Rahmen der Grund- bzw. Vergleichsbewertung
nicht mehr berücksichtigt hätte. Vielmehr haben sie ihren Grund darin, dass im Rahmen der begrenzten Gesamtleistungsbewertung
gemäß §
74 S. 2,3
SGB VI a.F. Entgeltpunkte nur noch für 3 Jahre derartiger Anrechnungszeiten zu ermitteln waren und zudem eine Begrenzung auf 0,0625
Entgeltpunkte stattzufinden hatte. Hierbei handelt es sich aber ausschließlich um eine Frage der Bewertung von Anrechnungszeiten
wegen schulischer Ausbildung, die in Übereinstimmung mit den damals wie heute gültigen Bestimmungen und nach dem tatsächlichen
Inhalt der ergangenen Vormerkungsbescheide von der Beklagten in diesen gerade nicht verbindlich geregelt worden ist (und auch
nicht verbindlich hätte geregelt werden dürfen).
Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu der vom Kläger angeführten Entscheidung des BSG vom 30. März 2004. In dem
dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt hat die dortige Beklagte statt der durch Vormerkungsbescheid festgestellten
107 Kalendermonate an Ausfallzeiten wegen Ausbildung im Rahmen der Rentenhöchstwertfestsetzung nur 60 Kalendermonate tatsächlich
berücksichtigt.
Beim Klager hat aber weder eine Kürzung der anzurechnenden Monate seiner in den früheren Bescheiden enthaltenen Anrechnungszeiten
stattgefunden, noch wurde deren rentenrechtliche Einordnung verändert. Die Bewertung der Zeiten war, wie oben bereits ausgeführt,
nicht Gegenstand der verbindlichen Feststellungen der Vormerkungs- bescheide. Damit besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
ein Anspruch des Klägers auf eine Berücksichtigung weiterer Entgeltpunkte für seine Anrechnungszeiten.
Im Übrigen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Gründe des zutreffenden Urteils
der ersten Instanz im Sinne von §
153 Abs.
2 SGG Bezug genommen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§
193 SGG) beruht auf dem Umstand, dass der Kläger auch im Berufungs- verfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.