Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei psychischer Erkrankung, Anwendbarkeit des bis 31.12.2000 geltenden
Rechts
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise
wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung 26.09.2000 hat.
Die 1951 geborene Klägerin ist in der Türkei geboren und im Jahr 1970 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Nach
eigenen Angaben der Klägerin habe sie keine Schule besucht, sei Analphabetin. Einen Beruf habe sie nicht erlernt. In Deutschland
hat sie 1970 bis 1975 als Montiererin, anschließend fünf Jahre als Löterin am Fließband sowie ab 1980 bis 1999 als Polsterin
bei einer Firma in A-Stadt gearbeitet. Diese Tätigkeit wurde krankheitsbedingt im Januar 1999 aufgegeben, ab dem 23.02.1999
bezog die Klägerin Krankengeld, nach Aussteuerung ab dem 13.07.2000 Arbeitslosengeld. Im August 1999 hielt sich die Klägerin
mit ihrer Familie in der Türkei auf. Bei einem während des Aufenthalts stattfindenden Erdbeben hat die Klägerin zwei eigene
Kinder, drei Enkelkinder und weitere Familienangehörige verloren. Während die Klägerin seit Januar 1999 überwiegend wegen
orthopädischer Leiden in ärztlicher Behandlung war, erfolgte ab November 1999 eine Behandlung wegen reaktiver Depression auf
das Erdbebenereignis und einer akuten chronischen Gastritis. In der Zeit vom 30.05.2000 bis 27.06.2000 absolvierte die Klägerin
eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik Bad N., aus der sie sowohl für ihre letzte
Tätigkeit als Arbeiterin in einer Möbelfabrik als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt als vollschichtig leistungsfähig entlassen,
jedoch gegenwärtig aufgrund der psychischen Situation als arbeitsunfähig eingestuft wurde. Gleichzeitig wurde aus psychischen
Gründen eine stufenweise Wiedereingliederung in das Berufsleben für notwendig erachtet. Am 26.09.2000 beantragte die Klägerin
sodann Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten, da ihrer Ansicht nach krankheitsbedingt keine Tätigkeit mehr möglich sei.
Im August 2001 brachte die Klägerin nach künstlicher Befruchtung ein Mädchen zur Welt.
Die Klägerin war im Rahmen eines arbeitsamtsärztlichen Gutachtens nach Untersuchung vom 11.08.2000 von Dr.H. aufgrund der
gegenwärtig bei ihr bestehenden psychischen Störung für nicht mehr leistungsfähig erachtet worden. Sie sei nicht in der Lage
eine regelmäßige Beschäftigung auszuüben. Mit einer wesentlichen Befundbesserung in absehbarer Zeit sei nicht zu rechnen.
Arbeitsmedizinisch zusätzlich zu beachten seien auch die Beschwerden am Stütz- und Bewegungsapparat, diese bedingten jedoch
nur qualitative Leistungseinschränkungen. Die Beklagte holte nach Beiziehung ärztlicher Befundunterlagen ein internistisches
Gutachten von Dr.H. vom 20.11.2000, ein psychiatrisches Teilgutachten von Frau Dr.F. vom 08.01.2001 sowie ein chirurgisches
Teilgutachten von Dr.R. vom 16.01.2001 ein, die übereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, dass bei der Klägerin trotz der bestehenden
gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein noch vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
vorliege. Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 15.02.2001 den Antrag der Klägerin auf Gewährung
von Erwerbsunfähigkeitsrente vom 26.09.2000 ab. Der hiergegen mit Schriftsatz vom 12.03.2001 eingelegte Widerspruch, der nicht
begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2001 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat nach Beiziehung ärztlicher Befundunterlagen ein internistisch/sozialmedizinisches Gutachten von Dr.G. eingeholt, der
am 17.12.2002 unter Anschluss an das psychiatrische Vorgutachten von Frau Dr.F. zu der Feststellung gelangte, dass sich bei
der jetzigen Untersuchung keine Hinweise für eine tiefgreifende psychische Störung mit erheblicher Beeinträchtigung der Denkabläufe
und des Antriebs erkennen ließen. Die Klägerin wirke trotzdem derzeit gedrückt und antriebsarm. Es werde jedoch die Auffassung
vertreten, dass diese psychischen Zustände grundsätzlich zumindest mit ärztlicher Hilfe willentlich überwindbar seien. Die
übrigen somatischen Gesundheitsstörungen spielten bei der Beurteilung des Leistungsvermögens keine wesentliche Rolle. Die
Klägerin sei noch in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen auszuüben.
Auf Antrag der Klägerin hat das SG ein Gutachten von Prof. Dr.W., Bezirkskrankenhaus D-Stadt, eingeholt, der unter Mitwirkung des Oberarztes Dr.M.P. am 24.02.2006
zu dem Ergebnis kam, dass die Klägerin ab August 1999 weniger als 4 - 7 Stunden täglich leistungsfähig sei. Als relevante
Gesundheitsstörungen in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin seien eine mittelschwere bis schwere Depression, eine
Somatisierungsstörung, eine somatoforme Schmerzstörung sowie für August 1999 bis ca. Juli 2000 eine posttraumatische Belastungsstörung
zu konstatieren. Ob eine Einschränkung auf 2 - 3 Stunden oder weniger als 2 Stunden gegeben sei, könne aufgrund der Aggravationstendenz
nicht mit zureichender Sicherheit objektiv festgestellt werden. Die zeitliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin
bestehe seit August 1999 und sei zunächst durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom bedingt. Im weiteren Verlauf habe
die Einschränkung angehalten, sei jedoch seit dem Sommer 2000 bis zum Untersuchungszeitpunkt 2006 überwiegend durch das depressive
Syndrom und die Somatisierungsstörung bedingt. Weiter führte der Gutachter aus, dass bei der Klägerin zwar unbewusste Verschlimmerungstendenzen
bezüglich der Grundsymptome des diskutierten psychosomatischen Krankheitsbildes der Somatisierungsstörung vorlägen, dass aber
zugleich das starke Ausmaß der subjektiven Beeinträchtigung weniger mit der gegenwärtig diagnostizierten Depression oder der
früher vorliegenden posttraumatischen Belastungsstörung, sondern eher mit dem Rentenbegehren zu erklären sei. Des Weiteren
wird ausgeführt, dass retrospektiv das Ausmaß der posttraumatischen Belastungsstörung allenfalls bis Januar 2000 zu belegen
sei, da dann ab hier spezifische Angaben fehlten und die ärztlichen Berichte im Vorfeld der in-vitro-Fertilisation und der
Verlauf nach Entbindung eher gegen das überdauernde Vorliegen dieser Störung sprächen. Spätestens im Frühsommer 2000 habe
dann ein ausgeprägtes depressives Syndrom bestanden, das phänomenologisch und psychodynamisch einer pathologischen Trauerreaktion
entsprochen habe und formal die Merkmale einer mittelschweren bis schweren depressiven Erkrankung erfüllt hätte.
Das SG hat mit Urteil vom 26.07.2006 die Klage gegen den Bescheid vom 15.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2001
abgewiesen. Zur Begründung hat das SG sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr.G. sowie den Gutachten im Verwaltungsverfahren angeschlossen und darauf hingewiesen,
dass dem Gutachten von Prof. Dr.W. nicht gefolgt werden könne, nachdem der Gutachter selbst an mehreren Stellen seines Gutachtens
Zweifel an der Schwere der psychischen Erkrankung äußere und auf eine Aggravation der Klägerin und einen zu Tage tretenden
Rentenwunsch hinweise. Der Gutachter berichte auch davon, dass der Behandlungsverlauf während des stationären Aufenthaltes
der Klägerin Anfang 2005 davon beeinflusst gewesen sei, dass Seitens der Angehörigen der deutliche Wunsch nach einer Unterstützung
im laufenden Sozialgerichtsverfahren bestanden habe. Ferner hat das SG ausführlich auf widersprüchliche Angaben der Klägerin im Rahmen der durchgeführten Begutachtungen und auch im Zusammenhang
mit einem Rechtsstreit um die Gewährung von Arbeitslosengeld hingewiesen und insoweit Zweifel an der Richtigkeit der Angaben
der Klägerin geäußert.
Zur Begründung der am 09.08.2006 zum Bayer.Landessozialgericht eingelegten Berufung wird darauf hingewiesen, dass das SG seine eigene fachliche Einschätzung zum psychischen Gesamtzustand der Klägerin über die des Gutachters Prof. Dr.W., eines
Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Chefarzt der Klinik
für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik gestellt habe. Zwar habe der Gutachter Aggravationstendenzen der Klägerin
bestätigt, davon unabhängig aber die Kriterien für eine schwere depressive Störung mit somatischen Symptomen als erfüllt angesehen.
Gerade wegen der Aggravationstendenzen komme der Gutachter zu dem Schluss, dass ein unter halbschichtiges Leistungsvermögen
nicht zuverlässig ausgeschlossen werden könne. Eine Leistungsfähigkeit im Bereich von 4 bis unter 7 Stunden täglich schließe
der Gutachter aber zuverlässig aus. Das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Klägerin durch das erlittene Trauma werde vom SG falsch interpretiert. Die Begründung des SG zum Vorliegen der schweren Depression seien grundsätzlich ebenso wenig nachzuvollziehen wie die Rückschlüsse, die das Gericht
aus dem angeblich widersprüchlichen Verhalten der Klägerin ziehe.
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin beigezogen und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten
von Dr.G. B., Reha-Zentrum R., D-Stadt, eingeholt. Dr.B. kommt in seinem Gutachten vom 25.01.2007 zu folgenden Diagnosen:
- Anpassungsstörungen mit anhaltenden leichten depressiven Reaktionen
- somatoforme Schmerzstörung.
Gleichwohl sei die Klägerin in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung von qualitativen
Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich bei durchschnittlicher Belastung und in betriebsüblichen Arbeitspausen
zu verrichten. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Vermieden werden müssten Arbeiten mit besonderen Anforderungen
an die geistige Beweglichkeit, die Konzentration, mit häufiger Umstellungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit, Kundenkontakte,
Beratungstätigkeiten sowie Arbeiten unter Zeitdruck. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht seien einfache Tätigkeiten als
Arbeiterin in einer Möbelfabrik weiterhin zumutbar. Der Zustand der Klägerin bestehe seit ca. 2000 und sei als chronisch zu
bezeichnen. Den Akten sei zu entnehmen, dass im Sommer 2000 ein ausgeprägtes depressives Syndrom vorgelegen habe und auch
nochmals Anfang 2005, sodass eine stationäre Behandlung in der Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses D-Stadt erforderlich gewesen
sei. Es habe sich bei der gutachterlichen Untersuchung auf neurologischem Fachgebiet kein pathologischer Befund ergeben, insbesondere
hätten keine umschriebenen Lähmungen, Gefühlsstörungen oder Koordinationsstörungen festgestellt werden können. Auf psychiatrischem
Fachgebiet habe der Antrieb allenfalls leicht reduziert gewirkt. Die Affektivität habe zeitweise etwas starr und wenig motivationsfähig
gewirkt. Eine ausgesprochen depressive Stimmungslage sei aber nicht festzustellen gewesen, insbesondere habe nichts für das
Vorliegen einer mittelschweren oder gar schweren depressiven Störung gesprochen. Eine nachvollziehbare und adäquate Traurigkeit
sei spürbar gewesen, wenn die Klägerin über den Verlust ihres Sohnes und ihrer Tochter gesprochen habe. Im Rahmen einer ergänzenden
Stellungnahme vom 26.02.2007 hat der gerichtliche Sachverständige noch mitgeteilt, dass die Klägerin in der Zeit ab Rentenantragstellung
bis zum 31.12.2000 noch in der Lage gewesen wäre, 8 Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen
zu arbeiten.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat sodann ein psychosomatisches Gutachten von Prof. Dr.L. eingeholt, der in seinem Gutachten
vom 26.03.2008 zu dem Ergebnis kam, dass die Klägerin seit der Rentenantragstellung über keinerlei Leistungsvermögen mehr
verfüge. Bei Annahme vergleichbarer Diagnosen wie der gerichtliche Sachverständige Dr.B. wird dem Ausmaß der posttraumatischen
Belastungsstörung größeres Gewicht beigemessen unter Berücksichtigung bedeutsamer, psychodynamisch wirkender biographischer
Elemente, die bereits in der Kindheit bzw. Pubertät zu einer depressiven Grundstruktur, emotionaler Bedürftigkeit sowie zu
länger bestehenden Somatisierungstendenzen bei der Klägerin geführt hätten, und zusätzlich zum kulturellen Hintergrund für
eine Neigung zur körperlichen Verarbeitung psychischer Spannungen spreche. Von der Beklagten und vom SG seien die Auswirkungen der posttraumatischen Belastungsstörung unterschätzt worden. Die in-vitro-Fertilisation könne nicht
als gewisse Besserung der Depression betrachtet werden, sondern vielmehr als verzweifelter Reparaturversuch, ein Versuch der
Wiederherstellung einer gewissen psychischen Stabilität, sogar als Minderung der Überlebensschuld. Eine Besserung der Symptomatik
sei bei der Klägerin nie eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.07.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.06.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.07.2006 zurückzuweisen.
Zur Begründung weist die Beklagte darauf hin, dass die vom Gutachter Dr.L. getroffene Leistungseinschätzung nicht nachzuvollziehen
sei. Die Einschränkungen der Erlebens- und Gestaltungsfähigkeit wären zwar von ihm beschrieben worden, sie seien jedoch in
ihrer Auswirkung auf den Alltag nicht objektiv nachvollziehbar, weil sich der Gutachter ausschließlich auf die Angaben der
Klägerin selbst und ihrer Angehörigen stütze. Eine genaue Schilderung des Tagesablaufs fehle ebenso wie die Begründung, worauf
sich die abweichende Beurteilung gegenüber dem Vorgutachten im Einzelnen stütze. Es fehlten Angaben darüber, ob sich die Klägerin
in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung befinde, ob Psychotherapie durchgeführt werde, ob die medikamentöse Behandlung
der Depression ausreichend erscheine, was aber Voraussetzung für die Annahme eines chronischen Krankheitsverlaufs einer Depression,
gleichgültig welcher Ursache, sei, aus der eine dauerhafte Leistungsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abgeleitet
werde.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz verwiesen. Der Senat hat ergänzend noch aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin Dr.D.,
Dr.E. und Frau Dr.K. eingeholt, die keine Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche wesentliche Änderung im Gesundheitszustand
der Klägerin ergeben haben.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit dem Urteil vom 26.07.2006 die Klage gegen den Bescheid vom 15.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27.06.2001 abgewiesen, denn die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit
nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht (§§
43, 44
SGB VI a. F.) noch wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach §
43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB VI - oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240SGB VI in der Fassung ab 01.01.2001.
Gemäß §
302 b Abs
1 SGB VI sind die §§
43, 44
SGB VI in der Fassung bis 31.12.2000 weiterhin anzuwenden, wenn bis zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit
oder Erwerbsunfähigkeit dem Grunde nach bestanden hat. Eine bescheidmäßige Feststellung des Anspruchs bis zu diesem Zeitpunkt
ist dabei nicht notwendig (Kater, Kass.Komm §
300 SGB VI Rdnr. 11 m.w.N.). Die Klägerin hatte aber bis zum 31.12.2000 dem Grunde nach einen solchen Anspruch nicht erworben.
Gemäß §
43 SGB VI a. F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie
1. berufsunfähig sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Berufsunfähig sind dabei gemäß §
43 Abs
2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich,
geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken
ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten,
die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung
sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig
ist jedoch nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann.
Gemäß § 44
SGB VI a.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie
1. erwerbsunfähig sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind dabei gemäß § 44 Abs 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser
Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630,00 DM übersteigt; erwerbsunfähig
sind auch Versicherte nach § 1 Nr.2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig
sein können. Erwerbsunfähig ist nicht, wer
1. eine selbständige Tätigkeit ausübt oder
2. eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Rentenantragstellung (26.09.2000) in der Lage war,
leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen noch im Umfang
von acht Stunden täglich zu verrichten und dass dieses Leistungsvermögen auch am 31.12.2000 noch vorhanden war. Der Senat
stützt seine Überzeugung auf das eingeholte Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr.B., der für den Senat nachvollziehbar
und überzeugend zu dem Ergebnis kam, dass bei der Klägerin zwar eine Anpassungsstörung mit anhaltenden leichten depressiven
Reaktionen sowie eine somatoforme Schmerzstörung vorliegt, dass gleichwohl aber noch ein entsprechendes Leistungsbild der
Klägerin für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen
gegeben ist. Es fanden sich keine Anhaltspunkte für eine mittelschwere oder gar schwere depressive Störung, lediglich ein
leicht reduzierter Antrieb sowie eine leichte Einschränkung der Schwingungsfähigkeit und der Affektivität. Der gerichtliche
Sachverständige weist unter exakter Analyse der vorhandenen Aktenunterlagen darauf hin, dass die Klägerin u.a. hinsichtlich
ihres Tagesablaufes widersprüchliche Angaben gemacht hatte, und ihre Verhaltensweisen teilweise nicht nachvollziehbar wären
bzw. gegen das Vorliegen einer entsprechend massiven Depression sprächen. So sei es ihr in den vergangenen Jahren immer wieder
möglich gewesen, mehrwöchige Reisen in die Türkei unternehmen zu können und insoweit viel Antrieb und Vigilanz aufzubringen.
Auch das Austragen eines weiteren Kindes, die Geburt einer Tochter mit Kaiserschnitt und das Großziehen der jetzt 5 Jahre
alten Tochter müsse als Indiz dafür gewertet werden, dass die Angaben der Klägerin, praktisch nur herumzuliegen und nichts
mehr zu unternehmen, zumindest in diesem Ausmaß nicht zutreffend seien. In der Tat finden sich in den Aktenunterlagen unterschiedliche
Schilderungen des Tagesablaufs, wobei dieser mit zunehmender Verfahrensdauer immer weiter eingeschränkt dargestellt wird.
Die Klägerin hat gegenüber der Gutachterin der Beklagten Frau Dr.F. im Januar 2001 noch erklärt, dass sie zu Hause ihren Haushalt
selbstständig bewerkstelligen könne und dass sich der Ehemann durchgehend oder für längere Zeit in der Türkei aufhalte um
nach der vermissten Tochter zu suchen. Sie selbst lebe in A-Stadt, versorge sich selbst. Im weiteren Verlauf des rentenrechtlichen
Verfahrens schränkt sich die Aktivität der Klägerin zunehmend ein, so wird sie zunächst nur bei der Hausarbeit durch den Ehemann
und Nachbarn und Bekannte unterstützt und schließlich werden die Tätigkeiten vollständig vom Ehemann übernommen, während sie
das Bett kaum mehr verlassen könne. Dies dürfte mit der Betreuung eines Kleinstkindes wohl kaum möglich gewesen sein. Im Entlassungsbericht
des Bezirkskrankenhauses D-Stadt vom 11.04.2005 wird ebenfalls berichtet, dass die Klägerin zunächst im Zusammenhang mit dem
Erdbeben im August 1999 eine depressive Episode nach Extrembelastung durchlebte, die aber dann im Laufe des Jahres 2000 eine
deutlich Besserung erfahren habe. Eine Verschlechterung der Symptomatik habe sich erst dann wieder ergeben, als die 3 1/2
jährige Tochter der Klägerin im September (2004) in den Kindergarten gekommen sei. Ein weiterer Belastungsfaktor sei die lange
Dauer des laufenden Sozialgerichtsverfahrens wegen eines abgelehnten Rentenantrages. Auch die bei der Klägerin festzustellenden
Aggravationstendenzen legt der gerichtliche Sachverständige Dr.B. für den Senat nachvollziehbar und anhand der vorhandenen
Aktenunterlagen logisch und überzeugend dar. Die gleichen Aggravationstendenzen werden im Übrigen vom Gutachter Prof. Dr.L.
bestätigt. Er kommt bei Annahme der im Wesentlichen gleichen Diagnosen allerdings zu der Einschätzung, dass das Erdbeben in
der Türkei zu einer massiven posttraumatischen Belastungsstörung geführt habe, was im Zusammentreffen mit der Persönlichkeitsstruktur
der Klägerin und ihrer eigenen Entwicklung in der Kindheit zu einem massiven Leistungseinbruch geführt hätte. Eine Auseinandersetzung
mit den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr.B. findet jedoch nicht statt, vielmehr wird zur Begründung auf
allgemeine medizinische Erkenntnisse bzw. das "Erscheinungsbild der PTSD in den Medien" verwiesen und darauf hingewiesen,
dass das Ausmaß des Umfangs der Leistungseinschränkung durch eine PTSD davon abhängen würde, wie "gut der Proband dies verkaufen"
könne. Ferner ist im Hinblick auf die psychische Erkrankung der Klägerin, die unzweifelhaft durch die dramatischen Erlebnisse
im August 1999 verstärkt worden ist, zu beachten, dass eine kontinuierliche und effektive Behandlung der psychischen Erkrankung
nicht ernsthaft versucht wurde. Dies bestätigt der gerichtliche Sachverständige Dr. B. in seinem Gutachten, was sich mit den
vorliegenden ärztlichen Befundberichten deckt. Aussagekräftig ist ferner insbesondere der Reha-Entlassungsbericht der Psychosomatischen
Klinik Bad N. von Juni 2000, der zeitlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rentenantragstellung zu sehen ist. In diesem
Bericht wird klar zwischen der Arbeitsunfähigkeit bedingenden psychischen Erkrankung der Klägerin nach Extrembelastung und
ihrem positiven bzw. negativen Leistungsvermögen in rentenrechtlicher Hinsicht und der daraus folgenden dauerhaften Funktionseinschränkung
differenziert und der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen
angegeben. Auch Prof. Dr. W. konstatierte eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes der Kläger Anfang bis Mitte 2000,
insbesondere während der Zeit der künstlichen Befruchtung bis zur Geburt des Kindes im August 2001. Soweit Prof. Dr.L. unter
Hinweis auf den kulturellen Hintergrund der Klägerin von einer schlimmeren Auswirkung des Erlebten auf die schon vorbelastete
Psyche der Klägerin zur Einschätzung des Leistungsvermögens verweist, ist dies für den Senat nicht überzeugend. Zum einen
konnte die Klägerin mit dieser Vorbelastung mehr als 20 Jahre berufstätig sein und hat ihre letzte Tätigkeit wegen Beschwerden
auf dem orthopädischen Fachgebiet aufgegeben. Eine effiziente Behandlung der orthopädischen Erkrankungen der Klägerin ist
ebenso wenig erfolgt wie eine nachhaltige Behandlung der psychischen Erkrankung. Eine differenzierende Begründung unter Auseinandersetzung
mit dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. wird für die Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin jedoch nicht gegeben.
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin auf unter 8 Stunden täglich für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen im Sinne der §§
43, 44
SGB VI a.F. in der Zeit zwischen Rentenantragstellung (September 2000) bis zum 31.12.2000 kann nach Überzeugung des Senats aus den
vorliegenden Gutachten und ärztlichen Befundunterlagen deshalb nicht abgeleitet werden. Da die Klägerin keine Berufsausbildung
abgeschlossen und nur in ungelernten Tätigkeiten beschäftigt war, ist als Beurteilungsmaßstab auch nur der allgemeine Arbeitsmarkt
heranzuziehen. Die Klägerin hat deshalb bis zum 31.12.2000 keinen Anspruch auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
im Sinne der §§
43, 44
SGB VI a.F. gehabt, sodass auch §
302 b SGB VI nicht zum Tragen kommt.
Es fehlt nach Überzeugung des Senates aber auch an einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden,
das unter Geltung des §
43 SGB VI in der Fassung ab dem 01.01.2001 einen späteren Eintritt des Leistungsfalles und damit einen Anspruch auf eine volle oder
teilweise Erwerbsminderungsrente begründen könnte. Zu berücksichtigen ist hierbei - entgegen der Meinung des Prozessbevollmächtigten
der Klägerin - auch, dass die Klägerin im Rechtsstreit um die Gewährung von Arbeitslosengeld nach Aussteuerung im Jahr 2002
selbst vorgetragen hatte, der Arbeitsvermittlung vollumfänglich zur Verfügung zu stehen. Dies bestätigt lediglich die in den
vorliegenden Befundberichten enthaltenen zeitnahen Feststellungen über den Tagesablauf der Klägerin. Die vom arbeitsamtsärztlichen
Dienst zunächst vorgenommene Einschätzung eines unter dreistündigen Leistungsvermögens wurde von diesem nach Beiziehung weiterer
Befundunterlagen und in Abstimmung mit der Beklagten revidiert und der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestätigt,
so wie auch von der Reha-Klinik Bad N. im Juni 2000. Anhaltspunkte für einen späteren Eintritt eines Leistungsfalles im Sinne
des §
43 SGB VI n. F. bestehen nach Ansicht des Senates ebenfalls nicht, nach den vorliegenden Gutachten ist die Klägerin nach wie vor in
der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen
noch im Umfang von mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Auch die neu beigezogenen Befundberichte der behandelnden
Ärzte der Klägerin geben keinen Anhalt dafür, dass in der Zwischenzeit eine wesentliche Verschlimmerung seit Rentenantragstellung
eingetreten wäre. Der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr.D. spricht von einer reaktiven Depression, es sei keine wesentliche
Verschlimmerung eingetreten. Eine kontinuierliche intensive Therapie findet nicht statt, wofür auch der aufgelistete ca. vierteljährige
Behandlungsrhythmus spricht. Eine Medikation wird nicht dokumentiert. Soweit seitens des behandelnden Urologen und der behandelnden
Frauenärztin Diagnosen gestellt wurden, wird aus den Befundberichten ersichtlich, dass die Klägerin auch hier bestehende Behandlungsmöglichkeiten
nicht wahrnimmt. Für die Annahme einer rentenrechtlich notwendigen quantitativen Leistungseinschränkung durch eine psychische
Erkrankung ist jedoch erforderlich, dass diese zu einer erheblichen Einschränkung - etwa in Form einer mittleren bis schweren
Depression - führt und dass zur Verfügung stehende Behandlungsoptionen ausgeschöpft wurden, ohne dass eine Besserung oder
Überwindung der Krankheit unter Einsatz der möglichen Eigenkräfte dauerhaft gelingt. Hiervon kann aufgrund der vorliegenden
ärztlichen Befundberichte und Sachverständigengutachten nicht ausgegangen werden. Die vorhandenen Einschränkungen auf orthopädischem
und urologischem Fachgebiet begründen nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen lediglich qualitative Leistungseinschränkungen.
Ein Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI scheitert an dem fehlenden Berufsschutz der Klägerin. Sie hatte vor Rentenantragstellung nur ungelernte bzw. angelernte Tätigkeiten
ausgeübt und kann somit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
kann die Klägerin aber noch mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten.
Die Berufung gegen das Urteil des SG vom 26.07.2006 ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision nach §
160 Abs
2 Nr.
1 und
2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.