Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten bei Ermittlungen
des Sozialgerichts
Gründe:
I. In der Hauptsache streiten die Parteien wegen einer Statusfeststellung nach § 7 a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch. Im
vorliegenden Verfahren wendet sich der Kläger und Beschwerdeführer (Bf.) gegen die Ablehnung eines Antrags auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe (PKH) und Anwaltsbeiordnung durch das Sozialgericht München.
Der Bf. war seit August 1999 als Kurierfahrer für die Firma M tätig. Bei dieser Firma handelte es sich um eine Vermittlungsfirma
für Kurierdienstleistungen. Sie schloss mit dem Bf. einen Vertrag, nach dem jener sich dem Auftragsvermittlungsdienst der
M anschloss (so genannter Anschlussvertrag). Dafür berechnete die M dem Bf. eine Gebühr. Im Februar 2002 bewarb sich der Bf.
bei der M für eine Festtour. Die entsprechende Kundin der M, die Firma B, bekam der Bf. auf diese Weise vermittelt. Der Bf.
macht nun geltend, ab dieser Zeit habe sich die Struktur seiner Erwerbstätigkeit entscheidend gewandelt; er sei von da an
abhängig bei der M - im Gewande einer Arbeitnehmerüberlassung an die B - beschäftigt gewesen.
Am 12.10.2004 beantragte der Bf. bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Bg.), seinen sozialversicherungsrechtlichen Status
festzustellen.
Wenig später erhob er beim Arbeitsgericht München Klage mit dem Begehren festzustellen, dass zwischen ihm und der M seit dem
01.02.2002 ein Arbeitsverhältnis bestehe. Am 07.02.2005 wurde der Arbeitsrechtsstreit durch außergerichtlichen Vergleich beendet.
Darin erklärten der Bf. und die M, es bestehe Einigkeit, dass zwischen ihnen nie ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Weiter
enthält der Vergleich einen Passus, wonach das inzwischen eingeleitete Statusfeststellungsverfahren davon nicht berührt werde.
Mit Bescheid vom 30.05.2005 stellte die Bg. fest, seit August 1999 sei der Bf. selbstständig tätig gewesen; eine abhängige
Beschäftigung habe nicht vorgelegen. Erst am 03.02.2006 erhob der Bf. dagegen "Einspruch". Daraufhin erläuterte ihm die Bg.
mit Schreiben vom 21.02.2006, der Widerspruch sei verfristet und müsse als unzulässig zurückgewiesen werden. Sie behandelte
ihn im Folgenden als Überprüfungsantrag im Sinn von § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Mit Bescheid vom 21.08.2006 entschied die Bg., der Bescheid vom 30.05.2006 werde nicht zurückgenommen. Weder sei das Recht
unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Bezüglich der Tätigkeit als Kurierfahrer sei
eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers nicht gegeben. Weisungen, die Zeit, Dauer, Ort der zu beurteilenden
Tätigkeit sowie Art und Weise von deren Durchführung beträfen, hätten nicht einseitig im Rahmen eines Direktionsrechts erteilt
werden können. In dieser Tätigkeit habe daher keine persönliche Abhängigkeit zum Auftraggeber bestanden. Entscheidungserheblich
sei weiterhin, dass der Bf. durch den Vergleichsschluss im Rahmen des Arbeitsgerichtsprozesses ein Arbeitsverhältnis ausgeschlossen
habe. Bei dieser Sach- und Rechtslage sei eine Rücknahme nicht möglich.
Auf den Widerspruch des Bf. vom 13.09.2006 hin nahm die Bg. weitere Ermittlungen bei der M und der B auf. Mit Widerspruchsbescheid
vom 29.10.2007 wies die Bg. den Widerspruch zurück. Dem Bescheid vom 30.05.2005 liege weder ein falscher Sachverhalt noch
eine falsche Rechtsanwendung zugrunde. Die B habe auf Nachfrage der Bg. mitgeteilt, zwischen ihr und dem Bf. hätten keinerlei
vertragliche Beziehungen bestanden. Alle von ihm ausgeführten Fahrten seien ausschließlich über die M abgerechnet worden.
Eine persönliche Beauftragung des Bf. seitens der B sei zu keiner Zeit erfolgt. Der Bf. habe die Fahrten mit eigenem Fahrzeug
auszuführen gehabt; das unternehmerische Risiko hätte bei ihm gelegen. Aus den Verträgen zwischen dem Bf. und der M sowie
zwischen der M und der B ließe sich keine Weisungsgebundenheit des Bf. ableiten; dort seien weder Arbeitszeit noch Arbeitsort
festgehalten. Bei Gesamtwürdigung aller Umstände überwögen die Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit.
Mit der am 19.11.2007 erhobenen Klage begehrt der Bf. die Feststellung, von Februar 2002 bis Oktober 2004 hätte eine abhängige
Beschäftigung vorgelegen. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Anwaltsbeiordnung beantragt.
Er hat seine Klage nach wie vor damit begründet, er hätte während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums ausschließlich
für die B gearbeitet. Er hätte dort einen Schreibtisch, ein Handy und einen Dienstwagen (BMW 318i Combi) gehabt. Er hätte
auch andere Arbeiten als Kurierfahrten für die B erledigt, die ansonsten deren Arbeitnehmer verrichten würden. Täglich sei
er acht bis neun Stunden für die B unterwegs gewesen. Die gesamte Zeit könne er mit Stundenzetteln belegen. Als Zeugen benannte
er Kollegen.
Mit Schriftsatz vom 27.11.2007 nahm das Sozialgericht bei der B Ermittlungen auf, indem es dieser eine formblattmäßige Arbeitgeberanfrage
übersandte mit der Bitte, diese ausgefüllt zurückzuschicken. Die B vermerkte aber lediglich, ein Beschäftigungsverhältnis
habe nicht vorgelegen und machte darüber hinaus keine Angaben. Nach umfangreichen Äußerungen der Parteien fragte das Sozialgericht
mit Schriftsatz vom 08.04.2008 erneut bei der B nach. Schließlich hat das Sozialgericht die M und die B beigeladen.
Mit Beschluss vom 02.09.2008 hat es den Antrag auf PKH-Bewilligung und Anwaltsbeiordnung abgelehnt. Es hat diese Entscheidung
damit begründet, § 44 SGB X erfordere ähnlich wie die Regelungen zur Wiederaufnahme eines gerichtlichen Verfahrens ein dreistufiges Verfahren. Die Bg.
habe zu Recht entschieden, dass der Bf. weder neue Beweismittel vorgelegt noch neue Tatsachen vorgetragen habe, die geeignet
wären, eine für ihn günstigere Entscheidung zu treffen; denn als Gründe für die Unrichtigkeit der bestandskräftigen Entscheidung
führe der Bf. nach wie vor Argumente an, die rechtlich nicht relevant seien. Die vom Bf. beantragte Zeugeneinvernahme hätte
bereits im arbeitsgerichtlichen Verfahren erfolgen können. Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung verbiete es vor diesem Hintergrund,
diese Beweiserhebung nun im sozialgerichtlichen Verfahren durchzuführen. Der vom Bf. erhobene Rechtsanspruch sei wegen des
Vergleichs im Arbeitsgerichtsverfahren verwirkt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von PKH und Anwaltsbeiordnung
abgelehnt.
Als Maßstab ist insoweit zu berücksichtigen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen das Verfahren in der Hauptsache nicht
in nennenswertem Umfang in das PKH-Verfahren verlagert werden darf. Die Klärung schwieriger Rechtsfragen sowie Beweiserhebungen
haben dort im Prinzip keinen Platz. Die Gewährung von PKH soll den Rechtsschutz ermöglichen, ihn aber nicht vorwegnehmen.
Allerdings ist im PKH-Verfahren nicht jede Beweisantizipation ausgeschlossen, sondern vielmehr in eng begrenztem Rahmen zulässig.
Sachverhaltsermittlungen müssen nicht von vornherein unterbleiben. Eine Beweisaufnahme - und auch eine Beweiswürdigung - ist
dann unbedenklich, wenn konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit
zum Nachteil des Bf. ausgehen würde (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28.11.2007
- 1 BvR 68/07 und andere sowie 1 BvR 69/07 und andere).
Gemessen daran muss im vorliegenden Fall eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen Sinn bejaht werden.
Das ergibt sich allein daraus, dass das Sozialgericht bis zur Entscheidung über den PKH-Antrag selbst bereits eingehende Ermittlungen
durchgeführt hatte. Es ist verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen, wenn deren Ergebnis nun für die Beurteilung der hinreichenden
Erfolgsaussicht herangezogen wird. Geboten ist vielmehr eine Ex-ante-Betrachtung, die ansetzt, bevor die Ermittlungen eingeleitet
worden sind. Allein schon der Umstand, dass das Sozialgericht umfangreiche Ermittlungen für erforderlich gehalten hat, zeigt,
dass nach seiner Ansicht eine Ergebnisoffenheit bestanden hat, die eine hinreichende Erfolgsaussicht begründet. Dabei spielt
keine Rolle, ob die Entscheidungsstruktur des § 44 SGB X mehrstufig aufgebaut und auf welcher Stufe die von der Bg. getroffene Entscheidung anzusiedeln ist. Im vorliegenden Verfahren
geht es darum herauszufinden, ob der Bescheid der Bg. vom 30.05.2005 falsch ist, und ggf. eine Korrektur vorzunehmen. Die
Antwort darauf liegt nicht auf der Hand, sondern erfordert eine intensive und extensive sachliche und rechtliche Prüfung.
In diese Richtung haben sowohl die Bg. selbst als auch das Sozialgericht bis dato sehr ausführlich ermittelt. Das Begehren
des Klägers scheitert nicht schon auf einer vorgelagerten "Stufe", die es erübrigen würde, überhaupt in eine Sachprüfung einzutreten.
Auch die subjektiven, insbesondere die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor. Der Bf. bezieht
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und verfügt nicht über verwertbares Vermögen.
Die Anwaltsbeiordnung beruht auf §
121 Abs.
2 ZPO.
Eine Entscheidung zur Tragung der außergerichtlichen Kosten unterbleibt wegen §
73 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§
177 SGG).