Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig eine Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit des Beigeladenen
zu 1) für den Kläger in der Zeit vom 1. August 2003 bis zum 31. Dezember 2005.
Der Beigeladene zu 1) war seit dem 1. Oktober 2001 bis zum 31. Dezember 2005 bei der Klägerin als Diplom-Ingenieur (FH) Versorgungstechnik
angestellt. Der Kläger und der Beigeladene zu 1) hatten mit Datum vom 12. September 2001 einen Anstellungsvertrag geschlossen.
Als Vergütung wurde ein monatliches Bruttogehalt von 6.300 DM vereinbart. Der Beigeladene zu 1) war zur gesetzlichen Sozialversicherung
gemeldet worden. In den hier streitgegenständlichen Jahren 2003 bis 2005 erhielt der Beigeladene zu 1) einen Bruttoverdienst
von jeweils 40.078,56 Euro im Jahr. Die Jahresarbeitsentgeltgrenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung waren in der Vergangenheit
im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) wie folgt bestimmt:
|
Allgemeine Grenze (§ 6 Abs. 6 SGB V)
|
Besondere Grenze (§ 6 Abs. 7 SGB V)
|
ab 2003 monatlich
|
jährlich Anhebung
|
jährlich Anhebung
|
2000
|
3.297,83 EUR
|
39.574 EUR
|
-
|
-
|
-
|
2001
|
3.336,17 EUR
|
40.034 EUR
|
1,2 %
|
-
|
-
|
2002
|
3.375,00 EUR
|
40.500 EUR
|
1,2 %
|
-
|
-
|
2003
|
3.825,00 EUR
|
45.900 EUR
|
13,3 %
|
41.400 EUR
|
2,2 %
|
2004
|
3.862,50 EUR
|
46.350 EUR
|
1,0 %
|
41.850 EUR
|
1,1 %
|
2005
|
3.900,00 EUR
|
46.800 EUR
|
1,0 %
|
42.300 EUR
|
1,1 %
|
2006
|
3.937,50 EUR
|
47.250 EUR
|
1,0 %
|
42.750 EUR
|
1.1 %
|
Nach einer Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum 1. August 2003 bis 31. Dezember 2006 forderte die Beklagte mit Bescheid vom
14. Dezember 2007 von dem Kläger 15.553,14 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen
Pflegeversicherung nach. Zur Begründung führte die Beklagte aus, für den Beigeladenen zu 1) seien keine Beiträge zur gesetzlichen
Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt worden, obwohl dieser ein Entgelt unterhalb der "Beitragsbemessungsgrenze" bezogen
habe. Der Kläger legte Widerspruch ein und trug vor, zum Zeitpunkt der Einstellung des Beigeladenen zu 1) im Jahr 2001 sowie
im Folgejahr habe das Gehalt über der "Beitragsbemessungsgrenze" zur gesetzlichen Krankenversicherung gelegen. Die Beklagte
habe auf die Meldungen des Bruttoarbeitsentgelts nicht früher reagiert. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde von
der Beklagten abgelehnt. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Die Beklagte verwies auf die Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung zum 1. Januar
2003. Die Vergütung des Beigeladenen zu 1) habe die Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschritten, so dass keine Versicherungsfreiheit
mehr bestanden habe. Ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach §
8 SGB V sei nicht gestellt worden. Das Bestehen einer privaten Krankenversicherung sei unerheblich. Die Pflichtversicherung in der
gesetzlichen Krankenversicherung sei kraft Gesetzes und unabhängig vom Willen des Versicherten nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V eingetreten.
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben zum Sozialgericht München. Der Kläger hat eine unzureichende Kontrolle seiner Meldungen
durch die Beigeladene zu 2) als der zuständigen Einzugsstelle gerügt. Zudem hat der Kläger es als "nicht nachvollziehbar"
bezeichnet, dass Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nachbezahlt werden sollen, obwohl für denselben Zeitraum Beiträge
an eine private Krankenversicherung geleistet worden seien. Die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten sei aufgrund
von unterbliebenen Leistungen auch nie belastet worden. Zudem hat sich der Kläger gegen die Beschränkung der rückwirkenden
Befreiungsmöglichkeit auf einen Zeitraum von drei Monaten gewandt. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 19. März 2009 den
Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2008 aufgehoben. Das
Sozialgericht hat zwar grundsätzlich einen Anspruch der Beklagten auf Nachzahlung von Beiträgen nach §
28e Abs.
1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) bejaht. Der Nachforderung stehe jedoch das Äquivalenzprinzip entgegen. Dieses sei offenkundig gestört, wenn Rechtspositionen
des Versicherungsträgers in Gestalt von Beitragsansprüchen geltend gemacht werden, ohne dass im Gegenzug das Risiko einer
möglichen Gewährung von Leistungen bestehe. Das Unterlassen von Beitragszahlungen sei zudem gutgläubig erfolgt. Der Kläger
sei davon überzeugt gewesen, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht erreicht worden sei. Auf das gestörte Äquivalenzprinzip
könne sich der Kläger auch berufen, obwohl er nicht Versicherter und damit auch nicht Leistungsberechtigter sei. Auch der
Beitragsleistung des Arbeitgebers stehe als Äquivalent die Möglichkeit von Leistungsansprüchen des Arbeitnehmers gegenüber.
Eine doppelte Inanspruchnahme durch Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung und Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung
sei dem Arbeitgeber nicht zumutbar.
Dagegen haben die Beklagte und die Beigeladene zu 2) Berufung eingelegt. Beide verweisen auf die Solidargemeinschaft der Versicherten
in der gesetzlichen Krankenversicherung und sind der Auffassung, dass Nachforderungen auch ohne entsprechende Leistungsansprüche
als Gegenleistung möglich sind. Zumal Barleistungen in Form von Krankengeld auch noch nachträglich gewährt werden könnten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. März 2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14. Dezember 2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2008 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts wurden zum Gegenstand dieses Verfahrens.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und auch in der Sache begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht
den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2008 aufgehoben.
Die Beklagte ist gegenüber der Klägerin zur Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen
Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 15.553,14 Euro verpflichtet.
Der Beigeladene zu 1) war seit Beginn seiner abhängigen Beschäftigung bei dem Kläger ab 1. Oktober 2001 versicherungspflichtig
in der gesetzlichen Krankenversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V und in der sozialen Pflegeversicherung nach §
20 Abs.
1 Nr.
1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI). Er erhielt einen Bruttoverdienst von jährlich 40.078,56 Euro. Bereits nach Anhebung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zum
1. Januar 2002 lag das Arbeitseinkommen des Beigeladenen zu 1) damit eindeutig unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Es
bestand daher bereits ab dem Jahr 2002 kraft Gesetzes keine Versicherungsfreiheit mehr in der gesetzlichen Krankenversicherung
nach §
6 Abs.
1 Nr.
1 i.V.m. §
6 Abs.
6 SGB V. Die Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen - vom Beigeladenen zu 1) ebenfalls nicht erreichten - Jahresarbeitsentgeltgrenzen
nach §
6 Abs.
7 SGB V lagen nicht vor.
Die Nachforderung von Beiträgen nach §
28e Abs.
1 Satz 1
SGB IV verletzt auch nicht das Grundrecht des Klägers aus Art.
2 Abs.
1 GG. Der Gesetzgeber greift zwar in den Schutzbereich des Art.
2 Abs.
1 GG ein, wenn er die Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit verbundene Beitragspflichten anordnet
(vgl. zur gesetzlichen Rentenversicherungspflicht BVerfGE 97, 271 ; 109, 96 ; stRspr). Für das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gelten jedoch die Schranken des Art.
2 Abs.
1 Halbsatz 2
GG. Es ist nicht verletzt, wenn die Eingriffsnorm formell und materiell verfassungsgemäß ist, insbesondere dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und den rechtsstaatlichen Anforderungen des Vertrauensschutzes entspricht (vgl. BVerfGE 97, 271 ; stRspr).
Zur Rechtfertigung der Beitragspflicht stehen den Beiträgen Ansprüche auf Leistungen aus dem zugleich begründeten Versicherungsverhältnis
gegenüber. Diese Äquivalenz ist auch in dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit nicht gestört. Das Bundessozialgericht hat
ausdrücklich entschieden, dass bei rückwirkender Feststellung einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung
entgegen dem allgemein geltenden Sachleistungsprinzip Kostenerstattungsansprüche nachträglich geltend gemacht werden können
(vgl. BSG, Urteil vom 4. Oktober 1988, 4/11a RK 2/87).
Zudem hält das Gesetz entsprechende Mittel bereit, um eine Doppelversorgung in der privaten und in der gesetzlichen Krankenversicherung
zu verhindern. §
5 Abs.
9 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467) regelte ausdrücklich den hier streitgegenständlichen Fall. Nach §
5 Abs.
9 SGB V konnte, wer in der gesetzlichen Krankenversicherung erst versicherungspflichtig wurde und zuvor bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen
versichert war, den bestehenden Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Beginn der Versicherungspflicht an kündigen. Dies erforderte
allerdings eine zeitnahe Reaktion des Versicherten. Tatsächlich bestanden nur eingeschränkte Möglichkeiten einer Rückabwicklung
des privaten Versicherungsverhältnisses nach § 178 h Abs. 2 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG). Die Zulässigkeit der Begrenzung des rückwirkenden Kündigungsrechts auf zwei Monate nach Eintritt der Versicherungspflicht
ist jedoch eine Frage des Zivilrechts und muss hier nicht rechtlich beurteilt werden (vgl. bereits Bayer. LSG, Urteil vom
29. April 2008, L 5 KR 14/07). Alternativ dazu hätte der Beigeladene zu 1) als ein Versicherter, der wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungspflichtig
in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde, auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden können (§
8 Abs.
1 Nr.
1 SGB V). Auch diese Vorschrift setzt freilich voraus, dass die Betroffenen die veränderten Verhältnisse kennen und innerhalb der
- auch hier vorgegebenen - Frist des §
8 Abs.
2 Satz 1
SGB V den Antrag stellen. Der Beigeladene zu 1) hat auch von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
Zwar vermag der Senat dem Kläger in seinem tatsächlichen Vorbringen zu folgen, die Einzugsstelle hätte aufgrund der jährlich
gemeldeten Entgelte erkennen sollen, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze bereits ab dem Jahr 2002 unterschritten wurde. Aufgrund
des automatisierten Meldeverfahrens kann von der Einzugsstelle, der zunächst zutreffend die Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens
der Jahresarbeitsentgeltgrenze gemeldet war, jedoch keine Aufklärung erwartet und noch weniger verlangt werden. Vielmehr liegt
das Risiko einer Fehleinschätzung mit der Folge, dass von den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, einer Doppelversorgung
in der gesetzlichen und in der privaten Krankenversicherung entgegenzuwirken, vom Versicherten kein Gebrauch gemacht wird,
bei den Betroffenen selbst. Insbesondere dem Kläger, als dem hier von der Nachforderung der vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
(Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) betroffenen Arbeitgeber, ist es im Rahmen seiner Lohnbuchführung durchaus zuzumuten,
Änderungen in der Höhe der Jahresarbeitsentgeltgrenzen genauso wie ein Über- oder gegebenenfalls sogar Unterschreiten aufgrund
von höheren oder niedrigeren Entgeltzahlungen zu berücksichtigen und seine Meldungen an die Einzugsstelle gegebenenfalls zu
korrigieren. Das Bayerische Landessozialgericht hat bereits früher entschieden, dass es dem Arbeitgeber obliegt, den sozialversicherungsrechtlichen
Status seiner Arbeitnehmer zu prüfen und auf Änderungen der Voraussetzungen für ein Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze
zu reagieren. Die nachträgliche Leistungspflicht von Beiträgen für den bereits vergangenen Zeitraum verstößt auch nicht gegen
den in §
242 BGB normierten allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (vgl. bereits Bayer. LSG, Urteil vom 29. April 2008, L 5 KR 14/07). Das Risiko der nichtordnungsgemäßen Beurteilung des Versicherungsstatus dagegen der Solidargemeinschaft aufzubürden, wäre
nicht sachgerecht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. März 2004, L 16 B 17/04 KR ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung. Für die Festsetzung des Streitwertes gelten §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG bestehen nicht.