Rechtswegverweisung des Amtshaftungsanspruchs; Rechtsweg für verbliebene Ansprüche und Anspruchsgrundlagen
Gründe:
I. Streitig ist, ob die Verweisung des Anspruchs aus Amtshaftung an das Landgericht auch die Anspruchsgrundlagen aus dem Sozialgesetzbuch
(hier aus dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) erfasst oder ob diese in der Zuständigkeit des Sozialgerichts verbleiben.
Der Kläger und Beschwerdeführer vermietete seine Wohnung für 670,- Euro monatlich an G. und dessen minderjährige Kinder, die
vom Beklagten und Beschwerdegegner laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II bezogen. Die Miete wurde
ab März 2005 auf Antrag der Leistungsbezieher und wegen entstandener Mietschulden direkt an den Kläger ausbezahlt. Ab Mai
2006 bewilligte der Beklagte Leistungen, die überwiegend unter der Gesamtmiete lagen. Auf den vom Kläger gegen G. wegen Mietschulden
erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss für Leistungsansprüche nach SGB II erklärte der Beklagte, dass die laufenden
Geldleistungen nach §
54 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) nicht pfändbar seien. In der Folge ließ sich der Kläger Leistungsansprüche nach SGB II von G. abtreten und von G. bevollmächtigten.
Er beantragte dann als Bevollmächtigter beim Beklagten laufende Leistungen und die Übernahme von Mietschulden.
Gegen zwei zurückweisende Widerspruchsbescheide erhob er Klage zum Sozialgericht aus abgetretenem bzw. gepfändetem und aus
eigenem Recht auf Zahlung von 6.915,61 Euro nebst Zinsen für laufende Mieten vom Mai 2006 bis Dezember 2007 und eine Nachforderung
aus einer Nebenkostenabrechnung. Nachdem der Kläger erklärte, sich auch Amtshaftungsansprüche vorzubehalten, trennte das Sozialgericht
die Ansprüche aus Amtshaftung ab und verwies den abgetrennten Rechtsstreit an das Landgericht Traunstein (Beschluss vom 19.04.2010,
Az. S 19 AS 779/10).
Der Kläger machte daraufhin geltend, dass der gesamte Rechtsstreit einschließlich der sozialrechtlichen Ansprüche an das Landgericht
zu verweisen sei und eine Zuständigkeit des Sozialgerichts nicht mehr gegeben sei. Mit Beschluss vom 29.11.2010 stellte das
Sozialgericht fest, dass - nach der Verweisung der Amtshaftungsansprüche - der beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit zulässig sei. Der Rechtsweg für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende ergebe sich aus
§
51 Abs.
1 Nr.
4a Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der Kläger mache Ansprüche auf Kosten der Unterkunft und Heizung bzw. auf Auszahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach SGB II zumindest aus abgetretenem oder gepfändetem Recht sowie aus eigenem Recht geltend. Damit würden die Beteiligten
zumindest auch über Rechtsfolgen aus der Anwendung der Normen des SGB II streiten. Eine Verweisung des gesamten Rechtsstreits
an das Landgericht komme nicht in Betracht. Der Beschluss wurde dem Kläger am 03.12.2010 zugestellt.
Am 03.01.2011 hat der Kläger Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Die Ansprüche auf Zahlung von 6.915,61 Euro würden
sämtlich auf sozialrechtliche Normen aus übergegangenem Recht als auch auf Amtshaftungsansprüche gestützt. Es gehe um einen
einheitlichen Sachverhalt und einen einheitlichen Streitgegenstand. Aus der einheitlichen Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs
nach §
17 Abs.
2 Satz 1
GVG und dem Entscheidungsprivileg für die Amtshaftung nach §
17 Abs.
2 Satz 2
GVG folge, dass der Rechtsstreit insgesamt an das Landgericht Traunstein zu verweisen sei. Andernfalls würde ein einheitlicher
Streitgegenstand aufgespaltet werden, was dem effektiven Rechtsschutz widerspreche.
II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
202 SGG i.V.m. §
17a Abs.
4 Satz 3
GVG, §
173 SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht mit Beschluss vom 29.11.2010 zu Recht festgestellt hat, dass
mit Ausnahme der Amtshaftungsansprüche für die verbliebenen Ansprüche und Anspruchsgrundlagen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten
gegeben ist.
Nicht Gegenstand dieser Beschwerde ist der Beschluss vom 19.04.2010, mit dem die Ansprüche aus Amtshaftung abgetrennt und
verwiesen wurde. Es kann daher die umstrittene Frage offen bleiben, ob innerhalb eines prozessualen Anspruchs eine Teilverweisung
der Anspruchsgrundlage Amtshaftung überhaupt zulässig ist (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 20.10.2010, B 13 R 63/10 B, Rn. 23 mit weiteren Hinweisen).
Das Sozialgericht hatte gemäß §
17a Abs.
3 Satz 2
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) vorab durch Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden, weil der Kläger diese rügte. Der Beschluss beruht
auf einer zutreffenden Anwendung von §
17 Abs.
2 GVG.
§
17 Abs.
2 GVG in der seit 1991 gültigen Fassung lautet:
Das Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.
Artikel 14 Abs. 3 Satz 4 und Artikel 34 Satz 3 des Grundgesetzes bleiben unberührt.
Mit Rechtsstreit ist der einzelne prozessuale Anspruch, also der jeweilige Streitgegenstand gemeint. Für jeden prozessualen
Anspruch hat das angerufene Gericht zu prüfen, ob es das "Gericht des zulässigen Rechtswegs" ist, also ob zumindest einer
der möglichen Klagegründe als Anspruchsgrundlage in seinen Rechtsweg fällt. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht
gegeben sind, bleiben außer Betracht (Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, §
51 Rn. 40; Zöller,
ZPO, 28. Auflage 2010, §
17 Rn. 8
GVG).
Wenn mehrere selbständige prozessuale Ansprüche in objektiver Klagehäufung nach §
56 SGG geltend gemacht werden, ist dies für jeden Anspruch gesondert zu prüfen und falls der Rechtsweg nicht gegeben ist, der betreffende
Anspruch abzutrennen (§
145 ZPO) und gemäß §
17a Abs.
2 Satz 1
GVG nach Anhörung zu verweisen.
Wenn ein einzelner prozessualer Anspruch auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt wird und der Rechtsweg zulässig ist, verpflichtet
§
17 Abs.
2 Satz 1
GVG das zuständige Gericht, diesen Anspruch unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden.
Das Gericht hat dann auch rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen zu prüfen (Meyer-Ladewig, aaO., § 51 Rn. 40).
Von diesem umfassenden Prüfungsauftrag macht §
17 Abs.
2 Satz 2
GVG eine Ausnahme. Nach Art.
34 Satz 3
GG darf für den Anspruch auf Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung und für den Rückgriff beim Staat der ordentliche Rechtsweg
nicht ausgeschlossen werden. Dieser Vorbehalt beruht auf der zivilrechtlichen Verwurzelung des Anspruchs in §
839 BGB und darauf, dass früher nur die "ordentliche Gerichte" als vom Staat unabhängige Gerichte angesehen wurden (Papier in Maunz-Dürig,
Grundgesetz, Loseblatt, Art.
34 Rn. 306).
Der Vorbehalt in §
17 Abs.
2 Satz 2
GVG führt nicht dazu, dass damit die anderen Anspruchsgrundlagen zusammen mit den Amtshaftungsansprüchen zu den ordentlichen
Gerichten gezogen werden.
Dies ergibt sich zunächst aus der Systematik des §
17 Abs.
2 GVG. Satz 1 dieser Regelung stellt den Grundsatz auf, dass das Gericht des zulässigen Rechtswegs umfassend entscheiden soll.
Satz 2 ist lediglich eine Ausnahme für eine Anspruchsgrundlage.
Auch der Wortlaut von §
17 Abs.
2 Satz 2
GVG spricht für eine enge Auslegung dieser Ausnahme. Von dem umfassenden Prüfungsauftrag des Satzes 1 bleibt der Amtshaftungsanspruch
nur "unberührt". Der Prüfungsauftrag aus Satz 1 bleibt also - abgesehen vom Amtshaftungsanspruch - bestehen.
Als weiterer Gesichtspunkt ist zu beachten, dass die Zivilgerichte einen Verwaltungsakt nicht aufheben dürfen. Dazu haben
sie keine Kompetenz. Sie dürfen einen Verwaltungsakt nur als Vorfrage inzident prüfen, soweit hierzu kein rechtskräftiges
Urteil der zuständigen Gerichtsbarkeit vorliegt (BGHZ 103, 242 = NJW 1988, 1776; Papier in Münchener Kommentar zum
BGB, 5. Auflage 2009, §
839 BGB Rn. 382, 386). Andererseits darf auch die Verwaltung mangels eines Über-Unterordnungsverhältnisses zur Amtshaftung keinen
Verwaltungsakt erlassen (BSG, Urteil vom 20.05.2003, B 1 KR 7/03 R, Rn. 15). Wenn aber ein prozessualer Anspruch auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt wird, kann ohne weiteres ein Verwaltungsakt
ergehen. Wenn nun auch andere Anspruchsgrundlagen (z.B. ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch) mit dem Amtshaftungsanspruch
an die Zivilgerichte verwiesen werden würde, wäre der Verwaltungsakt nicht mehr aufhebbar. Damit muss die Zuständigkeit für
die anderen Anspruchsgrundlagen beim bisherigen Gericht (hier Sozialgericht) bleiben.
Wie oben angesprochen, ist es umstritten, ob innerhalb eines prozessualen Anspruchs eine Teilverweisung der Anspruchsgrundlage
Amtshaftung überhaupt zulässig ist. Für die Teilverweisung spricht sich Kopp-Schenke,
VwGO, 16. Auflage 2009, Anh. § 41 Rn. 4 aus. Gegen die Teilverweisung sind das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 19.11.1997, 2 B 178/96) und in der Literatur Keller in Meyer-Ladewig, aaO. §
51 Rn. 42 sowie Ehlers in Schoch u.a.,
VwGO, Loseblatt, Mai 2010, §
17 Rn. 39
GVG. Wenn Amtshaftungsansprüche auch die anderen Anspruchsgrundlagen zu den Zivilgerichten ziehen würden, wäre keine der Meinungen
zur Teilverweisung vertretbar.
Es entstehen auch keine unlösbaren Probleme durch die Rechtswegspaltung für die Amtshaftungsansprüche und die verbleibenden
Ansprüche. Soweit das Zivilgericht auf die Entscheidung des anderen Gerichts angewiesen ist, kann es gemäß §
148 ZPO sein Verfahren aussetzen.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Sonderzuständigkeit der Zivilgerichte nach §
17 Abs.
2 Satz 2
GVG nicht dazu führt, dass auch die beim anderen Gericht anhängigen anderen Anspruchsgrundlagen in den Rechtsweg der Zivilgerichte
gezogen werden. Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
Im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde hat eine Kostenentscheidung zu ergehen, wenn der Rechtsstreit verwiesen wird oder
die Kosten streitwertabhängig zu berechnen sind (BSG, Beschluss vom 01.08.2002, B 3 SF 1/02 R). Bei der Klage handelt es sich um eine Streitigkeit nach §
197a SGG, weil weder der Kläger noch der Beklagte zu den Personen nach §183
SGG gehört. Der Kläger ist insbesondere nicht in der Eigenschaft als Leistungsempfänger beteiligt. Er kann keinen eigenen ursprünglichen
Anspruch auf Leistungen nach SGB II geltend machen. Soweit er von G. abgeleitete Rechte geltend macht, ist er nicht nach §
183 Satz 1 und
2 SGG privilegiert. Er ist kein Sonderrechtsnachfolger nach §
56 SGB I und er hat kein laufendes Verfahren eines Leistungsberechtigten übernommen. Die Kostenfolge ergibt sich aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 VwGO. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren gemäß §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG auf 1383,- Euro festgesetzt. Es ist ein Fünftel des Hauptsachestreitwertes von 6.915,61 Euro maßgeblich, weil das Interesse
an der Klärung des Rechtswegs deutlich unter dem Interesse an der Hauptsacheentscheidung liegt (BSG, Beschluss vom 06.09.2007,
B 3 SF 1/07 R; BGH, Beschluss vom 19.12.1996, III ZB 105/96). Die Zinsen werden als Nebenforderungen nach § 43 Abs. 1 GKG nicht berücksichtigt.
Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht wird gemäß §
17a Abs.
4 Satz 4 und
5 GVG zugelassen, weil das Beschwerdegericht der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beimisst.