Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Ersatz von Leistungen nach § 34 SGB II infolge einer Inhaftierung
Tatbestand:
Streitig ist der Ersatz von Leistungen nach § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von rund 24.000,- Euro, die
der Familie des Klägers infolge seiner Inhaftierung gezahlt wurden.
Der 1974 in Russland geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er studierte in Russland Biologie und Chemie, um Lehrer
zu werden. 1995 siedelte er nach Deutschland über. Er wohnte in K. zusammen mit seiner 1974 in Kasachstan geborenen Ehefrau
und den beiden gemeinsamen Kindern D. und A. (geborenen Dezember 1995 und Februar 2006) in einer Mietwohnung. Für die Wohnung
fielen monatlich 357,57 Euro Kaltmiete, 102,- Euro Heizkostenvorauszahlung (einschließlich Warmwasseranteil) und 80,- Euro
Vorauszahlung für sonstige Nebenkosten an.
Der Kläger war bis Ende 2006 als Arbeitnehmer erwerbstätig bei einem regelmäßigen monatlichen Lohn von brutto 3.272,- Euro
bzw. netto 2.457,- Euro. Im November und Dezember 2006 lag der Nettolohn jeweils über 3.000,- Euro.
Die Ehefrau des Klägers befand sich ab Februar 2006 in Erziehungsurlaub. Sie erzielte mit ihrer selbständigen Tätigkeit (Nagelstudio)
im Jahr 2006 einen Jahresüberschuss von 221,72 Euro.
Der Kläger wurde am 03.01.2007 verhaftet wegen Handel mit, Herstellen, Abgeben oder Besitz von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge. Er verblieb bis Ende 2008 in Haft.
Mit Urteil des Landgerichts K. vom 26.06.2007 wurde der bis dahin nicht vorbestrafte Kläger zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe
verurteilt. Nach dem Urteil hatte der Kläger 500 Gramm Kokain in seiner Wohnung aufbewahrt, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf
bestimmt war, und in mindestens 24 Fällen jeweils mindestens 100 Gramm Haschisch, das zumindest teilweise zum gewinnbringenden
Verkauf bestimmt war, in seiner Wohnung verwahrt und in mindestens 24 Fällen jeweils 20 Gramm Haschisch veräußert. Dies ergebe
sich aus dem umfassenden Geständnis des Klägers und dem Ergebnis der Ermittlungen der Polizei. Für den Umgang mit Kokain wurde
eine Einzelfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten ausgewiesen und für gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Haschisch 24 Einzelfreiheitsstrafen
zu jeweils 8 Monaten. Die Gesamtfreiheitsstrafe wurde ausgehend von der höchsten Einzelstrafe (Umgang mit Kokain) auf insgesamt
drei Jahre festgesetzt.
Bereits am 19.02.2007 beantragte die Ehefrau des Klägers für sich und die beiden gemeinsamen Kinder Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach SGB II. Im Antrag wurde, abgesehen von einem gebrauchten Pkw, keinerlei Vermögen angegeben. Das
Kindergeld betrug 308,- Euro (zwei mal 154,- Euro). Aus der selbständigen Tätigkeit (Nagelstudio) wurden im Jahr 2007 Einnahmen
i.H.v. monatlich 156,85 Euro erzielt.
Ausgehend von einem monatlichen Bedarf der Ehefrau und Kinder von etwa 1.405,- Euro (Regelleistungen, Mehrbedarf Alleinerziehen
und ca. 520,- Euro für Unterkunft und Heizung) wurden ab 19.02.2007 unter Anrechung von Einkommen fortlaufend Leistungen bewilligt
und für die Ehefrau Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und gesetzlichen Rentenversicherung
abgeführt. Alle Änderungen der Bewilligungen wurden sofort vollzogen durch Nachzahlungen oder Aufrechnungen.
Für die Zeit von 19.02.2007 bis 30.08.2007 erfolgte die Bewilligung mit Bescheid vom 12.03.2007, Änderungsbescheid vom 15.03.2007
und Änderungsbescheid v. 29.03.2007.
Letztlich wurden folgende Leistungen (in Euro) bewilligt und gewährt:
Monat
|
Alg II und Sozialgeld
|
GKV
|
PV
|
RV
|
19. - 28.02.2007
|
365,86
|
37,68
|
4,82
|
13,60
|
März
|
1097,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
April
|
800,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Mai
|
800,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Juni
|
800,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Juli
|
800,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
August 2007
|
800,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Für März 2007 erfolgte eine Erstattung der Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) in Höhe von 297,- Euro (170,- Euro für das Kind D., 127,- Euro für A.).
Für die Zeit von 01.09.2007 bis 29.02.2008 erfolgte die Bewilligung mit Bescheid vom 03.09.2007, Änderungsbescheid vom 15.11.2007
und Änderungsbescheid vom 14.02.2008.
Letztlich wurden folgende Leistungen (in Euro) bewilligt und gewährt:
Monat
|
Alg II und Sozialgeld
|
GKV
|
PV
|
RV
|
September 2007
|
645,57
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Oktober
|
760,09
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
November
|
760,09
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Dezember
|
833,76
|
113,05
|
14,45
|
40,80
|
Januar 2008
|
815,57
|
118,31
|
15,29
|
40,80
|
Februar 2008
|
815,57
|
118,31
|
15,29
|
40,80
|
Für die Zeit von 01.03.2008 bis 31.07.2008 erfolgte die Bewilligung mit Bescheid vom 14.02.2008, Änderungsbescheid vom 09.04.2008,
Änderungsbescheid vom 29.05.2008, Änderungsbescheid vom 16.07.2008 und Änderungsbescheid vom 28.10.2008.
Letztlich wurden folgende Leistungen (in Euro) bewilligt und gewährt:
Monat
|
Alg II und Sozialgeld
|
GKV
|
PV
|
RV
|
März 2008
|
765,15
|
118,31
|
15,29
|
40,80
|
April
|
788,85
|
118,31
|
15,29
|
40,80
|
Mai
|
975,57
|
118,31
|
15,29
|
40,80
|
Juni
|
687,57
|
118,31
|
15,29
|
40,80
|
Juli 2008
|
993,09
|
118,31
|
17,54
|
40,80
|
Für die Zeit von 01.08.2008 bis 31.01.2009 erfolgte die Bewilligung mit Bescheid 16.07.2008, Änderungsbescheid vom 28.10.2008,
Änderungsbescheid vom 12.11.2008, Änderungsbescheid vom 12.11.2008 und Änderungsbescheid vom 04.12.2008.
Ab 01.08.2008 war der Kläger als Freigänger in der Firma beschäftigt, in der er auch vor der Haft gearbeitet hatte. Er verdiente
dabei mit monatlich zwischen 1.660,- bis 1.968,- Euro brutto bzw. 1.316,- bis 1.560,- Euro netto deutlich weniger als zuvor,
weil er als Freigänger keine Schichtarbeit verrichten konnte. Die Ehefrau teilte dem Beklagten mit, dass der Lohn nicht ausgezahlt
werde, sondern der Justizvollzugsanstalt (JVA) zustehe.
Der Kläger wurde nachträglich bei der Leistungsberechnung ab 01.08.2008 berücksichtigt (Änderungsbescheid vom 04.12.2008).
Sozialversicherungsbeiträge wurden für ihn nicht abgeführt. Als Lohn wurden ersparte Aufwendungen für Verpflegung und Strom
in Höhe von 135,88 Euro monatlich angerechnet. Erst Ende Januar 2009 stellte der Beklagte durch Nachfrage bei der JVA fest,
dass vom Lohn des Klägers gemäß §
39 Strafvollzugsgesetz nur ein Anteil einbehalten worden war und der Restbetrag als Eigengeld in Höhe von 387,08 Euro im September 2008 bzw. ab
Oktober 2008 monatlich 895,64 Euro ausgezahlt worden war.
Letztlich wurden folgende Leistungen (in Euro) bewilligt und gewährt:
Monat
|
Alg II und Sozialgeld
|
GKV
|
PV
|
RV
|
August 2008
|
730,17
|
118,31
|
17,54
|
40,80
|
September
|
929,41
|
118,31
|
17,54
|
40,80
|
Oktober
|
1120,79
|
118,31
|
17,54
|
40,80
|
November
|
960,79
|
118,31
|
17,54
|
40,80
|
Dezember
|
880,79
|
118,31
|
17,54
|
40,80
|
Januar 2009
|
872,79
|
129,54
|
17,79
|
40,80
|
Die Haft des Klägers endete unter Aussetzung des Strafrests zur Bewährung am 19.12.2008. Der Kläger nahm bei seinem Arbeitgeber
seine ursprüngliche Tätigkeit mit Schichtarbeit wieder auf. Der Leistungsbezug endete zum 31.01.2009.
Mit Bescheid vom 30.01.2009 wurde vom Kläger gemäß § 34 SGB II Ersatz für die seiner Familie erbrachten Leistungen in Höhe
von 23.823,51 Euro gefordert. Aufgrund der Freiheitsstrafe seien seine Familie und er selbst (seit 01.08.2008) auf Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II angewiesen gewesen, weil wegen der Haft die Erwerbstätigkeit nicht wie bisher
ausgeübt werden konnte. Dadurch habe der Kläger die Bedürftigkeit seiner Familie grob fahrlässig und ohne wichtigen Grund
herbeigeführt. Er sei deshalb zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Hilfebedürftigkeit trete dadurch
nicht ein.
Am 19.02.2009 hat die Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch erhoben. Der subjektive Tatbestand der Straftat sei nicht derselbe
wie der des Ersatzanspruchs. Der Kläger habe eine Arbeit gefunden, die den Lebensunterhalt der Familie sichere. Diese Resozialisierung
sei aber gefährdet, wenn der Kläger auch noch die Leistungen nach SGB II zurückzahlen müsste. Trotz Aufforderung durch den
Beklagten wurden keine aktuellen Lohnabrechungen vorgelegt.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2009 zurückgewiesen. Die Erstattungsforderung von nunmehr 23.938,51
Euro wurde nach Regelleistungen (10.576,74 Euro), Kosten für Unterkunft und Heizung (9.328,24 Euro), Krankenversicherungsbeiträgen
(2.717,44 Euro), Pflegeversicherungsbeiträgen (364,09 Euro) sowie Rentenversicherungsbeiträgen (952,00 Euro) aufgegliedert.
Die Erstattung nach § 34 SGB II entspreche der Erstattung nach § 92a BSHG. Der sozialhilferechtliche Vorwurf der Sozialwidrigkeit liege nicht im Begehen der Straftat, sondern darin, dass der Betreffende
in objektiv zu missbilligende Weise sich selbst und seine Angehörigen in die Lage gebracht habe, Sozialhilfe in Anspruch nehmen
zu müssen. Dabei müsse das Verhalten ursächlich für die Hilfebedürftigkeit und die Hilfebedürftigkeit müsse für den Betroffenen
vorhersehbar und vermeidbar gewesen sein.
So lägen die Dinge hier: Der Kläger sei wegen Drogenhandels inhaftiert worden. Der Handel mit Betäubungsmitteln sei eine von
der Gesellschaft missbilligte Verhaltensweise. Diese Betätigung sei die unmittelbare Ursache für die Inhaftierung und damit
den Wegfall der Versorgung der Familie. Dies hätte dem Kläger letztlich auch bewusst sein müssen - er habe schlicht nicht
erwarten können, dass ein strafbares Verhalten ohne Konsequenzen bleibe, die unmittelbar auch seine Familie treffen würden.
Er habe es in der Hand gehabt, durch gesetzestreues Verhalten dafür zu sorgen, dass seiner Familie der Gang zur ARGE erspart
bleibe. Insoweit habe der Kläger in jedem Fall grob fahrlässig gehandelt. Ein wichtiger Grund für das sozialwidrige Verhalten
liege nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass durch die Geltendmachung des Ersatzanspruches der Kläger hilfebedürftig werde,
seien nicht ersichtlich.
Der Kläger hat am 24.07.2009 Klage erhoben. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass durch sein Handeln Hilfebedürftigkeit eintreten
werde, er habe deshalb nicht grob fahrlässig gehandelt. Der Kläger würde durch die Geltendmachung des Ersatzanspruches hilfebedürftig
werden. Später wurde mitgeteilt, dass der Kläger Ende 2009 kurzzeitig arbeitslos war bei einem Arbeitslosengeld von monatlich
1430,40 Euro. Zugleich wurde von der BA eine Sperrzeit festgestellt, weil der Kläger seine Arbeit verloren habe, weil er unerlaubt
am Arbeitsplatz geraucht habe und es zu Handgreiflichkeiten mit einem Kollegen gekommen sei.
Die Klage wurde mit Urteil vom 23.04.2010 abgewiesen. Der Ersatzanspruch beruhe auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Der Kläger
habe trotz der Inhaftierung in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern gelebt, weil kein Trennungswille
vorhanden gewesen sei. Dass die Familie des Klägers auf Leistungen angewiesen gewesen sei, beruhe auf dem sozialwidrigen Verhalten
des Klägers. Dieses liege vor, wenn der Betreffende im Sinne eines objektiven Unwerturteils in zu missbilligende Weise sich
selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen in die Lage bringt, Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen zu müssen.
Der Kläger habe zumindest grob fahrlässig sozialwidrig gehandelt. Er hätte subjektiv vorhersehen können, dass bei einer Inhaftierung
er als Hauptverdiener ausfallen werde und die Familie auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sein werde. Ein wichtiger
Grund liege hierfür nicht vor. Die eingetretene Hilfebedürftigkeit beruhe auch auf dem sozialwidrigen Verhalten des Klägers.
Es bestehe auch kein Grund, von dem Ersatzanspruch gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II wegen künftiger Hilfebedürftigkeit abzusehen.
Hierfür sei eine Prognose erforderlich unter Würdigung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalls. Hier sei die
berufliche Qualifikation, das soziale Umfeld und bei Strafgefangenen insbesondere der Resozialisierungsgedanke zu berücksichtigen.
Außerdem sei in Fällen drohender Hilfebedürftigkeit nur von der "Geltendmachung" des Ersatzanspruches abzusehen, d.h. innerhalb
des Dreijahreszeitraumes zeitweise von diesem abzusehen. Angesichts des hohen Einkommens des Klägers von etwa 3300,- Euro
brutto bei seiner Arbeitsstelle sei nicht von einer künftigen Hilfebedürftigkeit auszugehen gewesen. Es sei auch nicht absehbar
gewesen, dass der Kläger durch eigenes Verschulden seinen Arbeitsplatz erneut verlieren werde.
Das Urteil wurde dem Kläger am 17.05.2010 zugestellt.
Im Mai 2010 zog der Kläger mit seiner Familie in eine andere Mietwohnung um, die nach seinen Angaben monatlich 714,10 Euro
kostete.
Der Kläger hat am 11.06.2010 Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt. Er habe die Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit
seiner Familie nicht grob fahrlässig herbeigeführt. Er sei nicht vorbestraft gewesen und davon ausgegangen, dass er "für das
Besorgen von Cannabis für einen Kollegen" allenfalls eine Geldstrafe oder eine Bewährungsstrafe von drei Monaten zu erwarten
habe. Entgegen einer Zeugenaussage sei bei ihm kein Kokain gefunden worden. Wegen dieser Zeugenaussage habe er den Besitz
von Kokain gestanden, um eine angedrohte sechsjährige Haftstrafe zu vermeiden. Laut Urteil sei der Besitz von Cannabis nur
mit drei Monaten zu Buche geschlagen. Außerdem würde der Kläger durch den Ersatzanspruch hilfebedürftig werden. Er habe bei
seinem alten Arbeitgeber bis Ende 2009 durchschnittlich monatlich brutto 3.200,- Euro verdient. Nach kurzzeitiger Arbeitslosigkeit
verdiene der Kläger nunmehr durchschnittlich monatlich 2.600,- Euro brutto, netto 1.957,- Euro. Die Ehefrau verdiene monatlich
rund 400,- Euro.
Das Berufungsgericht hat die Strafakte beigezogen. Auf die ersten Ermittlungen von Telefongesprächen (Vermerk vom 08.11.2006,
Seite 3 bis 7 der Strafakte) und das Protokoll der Haftprüfung vom 06.02.2007 (Seite 120 ff der Strafakte) wird gesondert
verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23.04.2010 sowie den Bescheid vom 30.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 01.07.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Beklagten, die Akte des Sozialgerichts, die Strafakte und
die Akte des Berufungsgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung ist jedoch weit überwiegend nicht begründet. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 34 SGB II
liegen - abgesehen von einer geringen Korrektur des Erstattungsbetrags - vor.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 30.01.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2009. In diesem Bescheid wird
vom Kläger die Erstattung der ihm und seiner Familie in der Zeit vom 19.02.2007 bis 31.01.2009 gewährten Leistungen gefordert.
Statthaft ist die Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs.
1 Satz 1 Alt. 1
SGG.
§ 34 Abs. 1 SGB II lautet in der bis 31.03.2011 anwendbaren Fassung:
Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig
1. die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
leben,
oder
2. die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
leben,
ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Von der Geltendmachung
des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde.
Die Voraussetzungen des § 34 SGB II lassen sich wie folgt aufgliedern:
1. Der Ersatzpflichtige muss nach Vollendung seines 18. Lebensjahres entweder die Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit oder
die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch sein Verhalten (Tun oder Unterlassen) kausal herbeigeführt
haben.
2. Deswegen haben Personen der Bedarfsgemeinschaft des Ersatzpflichtigen Leistungen nach SGB II erhalten.
3. Das leistungsverursachende Verhalten des Ersatzpflichtigen ist
a) als objektiv sozialwidrig zu bewerten und
b) der Ersatzpflichtige muss sich dieser Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst gewesen
sein.
4. Es darf kein wichtiger Grund für das Verhalten des Ersatzpflichtigen vorliegen.
5. Durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs darf künftig keine Hilfebedürftigkeit entstehen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
6. Der Ersatzanspruch darf nicht nach § 34 Abs. 3 SGB II erloschen sein.
7. Es sind nur die Leistungen zu erstatten, die der Ersatzpflichtige oder seine Bedarfsgemeinschaft tatsächlich erhalten haben.
Zu 1. Leistungsverursachendes Verhalten:
Der Kläger hat durch sein Verhalten (Drogenhandel und -besitz) die Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit für die Mitglieder
seiner Bedarfsgemeinschaft entsprechend § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II herbeigeführt. Soweit die Leistungen infolge der teilweisen
Nichtanrechung des Einkommens des Klägers ab 01.08.2008 teilweise rechtswidrig gewährt wurden, hat der Kläger durch sein Verhalten
die Zahlung von Leistungen an die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft entsprechend § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II herbeigeführt.
Der Kläger hat durch den von ihm betriebenen Drogenhandel und -besitz seine Verhaftung verursacht, dadurch den Verlust seines
Erwerbseinkommens, das angesichts der sonstigen geringen Einkünfte der Familie die tragenden Säule des Familienunterhalts
war, bewirkt und damit die Hilfebedürftigkeit seiner Familie herbeigeführt.
Dies gilt auch für die Zeit ab 01.08.2008, in der der Kläger als Freigänger keine Schichtarbeit verrichten konnte und zu einem
wesentlich niedrigeren Lohn arbeitete als zuvor. Der niedrigere Lohn hätte - auch bei richtiger Anrechung - nicht ausgereicht,
den Gesamtbedarf der Familie zu decken. Auch dies war eine Folge des Drogenhandels und der Haft.
In der Literatur ist umstritten, ob sich die beiden Varianten Nr. 1 und Nr. 2 dadurch unterscheiden, dass Nr. 1 allein auf
rechtmäßig bezogene Leistungen anwendbar ist und Nr. 2 auf rechtswidrig bezogene Leistungen (so Link in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2. Auflage 2008, § 34 Rn. 5, 10 und 11) oder ob beide Varianten einen rechtmäßigen Leistungsbezug voraussetzen (so
Conradis in LPK SGB II, 3. Auflage 2009, § 34 Rn. 3 und 4).
Gegen die letztgenannte Auffassung spricht, dass nicht einzusehen ist, wieso ein sozialwidriges Verhalten dann durch Wegfall
des Erstattungsanspruch honoriert wird, wenn es zudem eine dem Veranlasser zurechenbare rechtswidrige Leistungsgewährung bewirkt.
Außerdem kann die Auffassung, dass nur rechtmäßig erbrachter Leistungen zu erstatten sind, nicht erklären, weshalb überhaupt
die Variante Nr. 2 existiert (so Conradis, aaO., Rn. 9). Da der Wortlaut der Variante Nr. 2 ("Zahlungen ... herbeigeführt")
auch für rechtswidrig erbrachte Leistungen offen ist, erfasst diese Regelung nach zutreffender Ansicht auch derartige Leistungen.
Vergleichbar der Lehre von der adäquaten Kausalität im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht in der Fallgruppe des Fehlverhaltens
Dritter (vgl. Palandt,
Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Auflage, 2011, Rn. 26 ff und Rn. 47 vor § 249) könnte eine rechtswidrige Leistungsgewährung allenfalls dann von dem
Ersatz ausgenommen sein, wenn diese Leistungsgewährung wegen eines sehr unwahrscheinlichen Kausalverlaufs dem sozialwidrigen
Verhalten nicht mehr zugerechnet werden könnte. Dies wäre etwa bei ungewöhnlich groben Fehlern der Behörde bei der Leistungsgewährung
vorstellbar. Hier beruhte die teilweise falsche Anrechung der Lohnauszahlung aber darauf, dass die Ehefrau des Klägers zur
Auszahlung des Lohns falsche Angaben machte und es sich um den Lohn eines Inhaftierten handelte, der der besonderen Verteilungsregelung
des §
39 Abs.
3 StVollzG unterlag. Die falsche Angabe der Ehefrau, die besondere Lohnform und deren falsche Anrechung sind dem sozialwidrigen Verhalten
des Klägers zurechenbar, zumal er zu keiner Zeit dem Beklagten mitteilte, dass er den überwiegenden Teil des Lohns selbst
erhalten hatte.
Zu 2. Leistungsbezug:
Die Personen der Bedarfsgemeinschaft des Klägers haben aufgrund eines Verhaltens des Klägers Leistungen nach SGB II erhalten.
Teilweise wird vertreten (Link, aaO., § 34 Rn. 8a), dass für diese Abgrenzung des Personenkreises, dessen Leistungsbezug zur
Erstattung führt, auf den Zeitpunkt des vorwerfbaren Verhaltens abzustellen ist. Zu diesem Zeitpunkt vor der Inhaftierung
lebte der Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Familie nach § 7 Abs. 3 Nrn. 3a und 4 SGB II.
Das kann aber dahinstehen, weil auch nach der Inhaftierung eine Bedarfsgemeinschaft bestand:
Für die Zeit von 19. 02.2007 bis 31.07.2008 haben seine Ehefrau und seine beiden minderjährigen Kinder allein Leistungen bezogen.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, war der Kläger auch in der Zeit der Haft, trotz des Leistungsausschlusses
nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II, Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II. Er war unverändert der nicht
dauernd getrennt lebende Ehegatte. Es bestand trotz der räumlichen Trennung kein Trennungswille der Ehegatten (vgl. §
1567 Abs.
1 BGB; BSG, Urteil vom 18.02.2010, B 4 AS 49/09 R, Rn. 13). Er ist auch unmittelbar nach der Haft wieder in die Familienwohnung eingezogen.
Der Kläger hat ab 01.08.2008 zusammen mit seiner Familie in einer Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II erhalten. Diese Leistungserbringung auch an den Kläger entspricht der Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs. 4
Satz 2 SGB II. Nach dem Urteil des BSG vom 24.02.2011, B 14 AS 81/09 R, sind Personen, die sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten jedenfalls
dann nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen, wenn sie tatsächlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Kläger war ab 01.08.2008
in Vollzeittätigkeit bei seinem ehemaligen Arbeitgeber erwerbstätig.
Zu 3. Sozialwidrigkeit:
a) Sozialwidriges Verhalten
Da die bloße Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit oder von Leistungen im Sinne der Verursachung auch ein Verhalten erfassen
würde, das keinen inneren Zusammenhang zu der Rückzahlung erbrachter Sozialleistungen hätte, und der Kostenersatzanspruch
ein deliktsähnlicher Anspruch ist, muss das verursachende Verhalten auch als sozialwidrig beurteilt werden, um den Ersatzanspruch
zu begründen.
Die Sozialwidrigkeit ist, in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängervorschrift § 92a BSHG darin zu sehen, dass der Betreffende sich in objektiv zu missbilligender Weise selbst oder die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft
in die Lage gebracht hat, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch nehmen zu müssen. Ob ein Verhalten sozialwidrig
ist, ist aus der Sicht der Gesellschaft bzw. Gemeinschaft nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BVerwG, Urteil
vom 10.04.2003, 5 C 4/02, Rn. 16 und Link, aaO., § 34 Rn. 14).
Im vorliegenden Fall ist das Verhalten des Klägers sozialwidrig. Er hatte als weit überwiegender Hauptverdiener einer vermögenslosen
vierköpfigen Familie ein Arbeitseinkommen, das den Lebensbedarf seiner Familie gut abdeckte. Dagegen war seine Ehefrau durch
die Betreuung der beiden Kinder kaum in der Lage, Erwerbseinkommen zu erzielen; sie befand sich wegen dem erst im Februar
2006 geborenen Kind in Erziehungsurlaub. Es bestand keine wirtschaftliche Notwendigkeit, "um jeden Preis" weiteres Einkommen
zu erzielen, schon gar nicht durch strafbaren Umgang mit Drogen. Trotzdem hat der Kläger sich in erheblichem Umfang und erheblicher
Häufigkeit Betäubungsmittel verschafft und sich - zumindest mit Haschisch - eine regelmäßige zusätzliche illegale Einnahmequelle
verschafft. Dieses Verhalten des Klägers ist auch in Bezug auf die nachfolgende Notwendigkeit, existenzsichernde Leistungen
erbringen zu müssen, durch nichts zu entschuldigen und sozialwidrig.
b) Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
Der Schuldvorwurf bezieht sich auf die Sozialwidrigkeit des Verhaltens und die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. den
Leistungsbezug. Dem Kläger musste bewusst oder zumindest grob fahrlässig nicht bewusst gewesen sein, dass er und seine Familie
infolge seines Verhaltens hilfebedürftig werden bzw. Leistungen erhalten würden und die Gesellschaft dies als sozialwidrig
missbilligen würde.
Grob fahrlässig handelt, wer die verkehrserforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet,
was in der gegebenen Situation jedem einleuchten muss (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dem Handelnden muss subjektiv ein Schuldvorwurf gemacht werden können.
Dem Kläger musste es klar sein, dass die Gesellschaft die Hilfebedürftigkeit bzw. den Leistungsbezug, den er mit seinem ausgeprägter
Drogenbesitz und -handel bei vormals ausreichendem Familieneinkommen verursachte, als sozialwidrig betrachtete. Das hat er
sich zumindest grob fahrlässig nicht bewusst gemacht, obwohl ihm dies bei seinen intellektuellen und lebenspraktischen Fähigkeiten
auf Anhieb hätte einleuchten müssen.
Auch wenn existenzsichernde Leistungen in einer Notsituation geleistet werden, ohne nach der Schuld an der Notsituation zu
fragen, lag es auf der Hand, dass die Gesellschaft die Grundsicherungsleistungen, die aufgrund vorsätzlichen strafbaren Verhaltens
notwendig werden, als ohne weiteres vermeidbar und im Kern als überflüssig betrachtet und damit das leistungsverursachende
Verhalten als sozialwidrig bewertet.
Der Kläger war auch über die wirtschaftliche Situation seiner Familie im Bilde. Er kannte die Vermögenslosigkeit seiner Familie.
Er wusste, dass seine Frau den Familienunterhalt mit ihrem geringen Einkommen und den Kindern nicht alleine bewerkstelligen
konnte und er wusste, dass der Lebensunterhalt seiner Familie allein von seiner Erwerbstätigkeit abhing. Insoweit ist dem
Kläger der Vorwurf des bedingten Vorsatzes in Bezug auf die Hilfebedürftigkeit und den späteren Leistungsbezug zu machen.
Der Einwand des Klägers, er habe nicht damit rechnen können oder müssen, in Haft zu geraten, verfängt nicht. Mit Strafhaft
bedrohtes vorsätzliches Verhalten, das existenzsichernde Leistungen notwendig macht, ist grundsätzlich auch dann sozialwidrig,
wenn der Betroffene hofft, mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen. Dies kann aber dahinstehen, weil bereits der Besitz
und Handel mit Haschisch angesichts dessen Frequenz und Umfangs dazu geeignet war, den Kläger in Haft zu bringen. Wenn er
gleichwohl darauf vertraute, als nicht Vorbestrafter mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen, dann war dies zumindest grob
fahrlässig. Dass er sich bei seinem Drogenhandel große Mühe gab, nicht gefasst zu werden - der Kläger verwendete (laut Strafakte)
bei seinen telefonischen Kontakten nur Spitznamen und ein Handy, das auf eine nicht existierende Person zugelassen war - zeigt
seine Professionalität und seine Furcht vor erheblichen Strafen.
Insoweit käme es gar nicht darauf an, ob der Kläger auch Kokain besessen hat und weitergeben wollte. Daran hat das Gericht
aber keinen Zweifel. Die Einlassung, der Kläger habe den Kokainbesitz und die Weitergabe des Kokains nur unter dem Druck der
Strafverhandlung und einer drohenden sechsjährigen Freiheitsstrafe gestanden, entspricht nicht der Wahrheit. Nach dem Protokoll
des Haftprüfungstermins vom 06.02.2007 hatte der Kläger bereits an diesem Tag - also kurz nach der Verhaftung und weit vor
der im Juni 2007 stattfindenden Verhandlung am Strafgericht - zugegeben, in drei Fällen Kokain erworben zu haben und auch
einem Dritten zum Konsum angeboten zu haben. Dem Geständnis vorangegangen waren eine Zeugenaussage einer Person, die die Lieferung
von Kokain an den Kläger bestätigte, und eine Zeugenaussage einer anderen Person, der der Kläger das Kokain angeboten hatte.
Zu 4. Kein wichtiger Grund:
Die Ersatzpflicht tritt nach § 34 Abs. 1 Satz 1 nicht ein, wenn der Betroffene für sein Verhalten einen wichtigen Grund hat.
Während die Sozialwidrigkeit aus der Sicht der Gesellschaft zu prüfen ist, kann beim wichtigen Grund die besondere persönliche
Situation des Betroffenen gewürdigt werden. Ein wichtiger Grund für den Drogenbesitz und -handel ist nicht ansatzweise erkennbar
und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Zu 5. Keine künftige Hilfebedürftigkeit:
Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen
künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig
machen würde. Dies ist hier nicht zu befürchten.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, ist hierzu eine Prognose anzustellen, ob der Betroffene künftig von Grundsicherungsleistungen
abhängig sein wird. Dafür sind der Bedarf und das erwartbare Einkommen bzw. Vermögen gegenüber zu stellen und die Umstände
des Einzelfalls zu berücksichtigen. Es kommt nicht drauf an, ob der Betroffene die gesamte Summe sofort und ohne Schwierigkeiten
bezahlen kann. Für die Prognose ist auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 01.07.2009)
abzustellen. Auf die erst Ende 2009 eingetretene kurzzeitige Arbeitslosigkeit des Klägers kommt es demnach nicht an. Auch
der durch den Umzug im Mai 2010 verursachte Anstieg der Unterkunftskosten ist unerheblich.
Der Bedarf des Klägers und seiner Familie betrug zu diesem Zeitpunkt ca. 1.630,- Euro (Regelleistungen 323,-, 323,-, 251,-
und 215 Euro, Kosten der Unterkunft insgesamt 540,- Euro abzüglich 20,- Warmwasserpauschale). Dem standen gegenüber das Kindergeld
von 328,- Euro (zwei mal 164,- Euro), anrechenbares Einkommen aus selbständiger Tätigkeit der Ehefrau von rund 240,- Euro
(400,- Euro bereinigt um 100,- Euro und 60,- Euro) und Einkommen des Klägers. Der Kläger war wieder bei seinem bisherigen
Arbeitgeber beschäftigt. Die Einschränkungen der Haftzeit waren entfallen, so dass der Beklagte davon ausgehen durfte, dass
der Kläger sein bisheriges Nettoeinkommen von rund 2.500,- Euro monatlich wieder erzielen konnte. Damit konnte der Beklagte
die Prognose treffen, dass die Geltendmachung des Ersatzanspruchs den Kläger nicht hilfebedürftig machen würde. Es war - entgegen
dem Vortrag des Klägers - nicht erkennbar, weshalb diese Zahlungsverpflichtung die Resozialisierung des Klägers in Frage stellen
sollte.
Zu 6. Kein Erlöschend es Ersatzanspruchs:
Der Ersatzanspruch ist nicht nach § 34 Abs. 3 SGB II erloschen. Nach dieser Vorschrift erlischt der Ersatzanspruch drei Jahre
nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist. Der Erlass eines Leistungsbescheides steht einer Klageerhebung
gleich, so dass dadurch der Fristablauf gehemmt wird (vgl. §
204 Abs.
1 Nr.
1, §
209 BGB).
Die Leistungen wurden ab dem Kalenderjahr 2007 erbracht. Die Dreijahresfrist begann am 01.01.2008 und endete am 31.12. 2010.
Der Leistungsbescheid datiert vom 30.01.2009.
Zu 7. Höhe des Ersatzanspruchs:
Es sind nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II die tatsächlich erhaltenen Leistungen zu erstatten. Darunter fallen jedenfalls die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und auch die Beiträge zu den Sozialversicherungen (Link, aaO., § 34 Rn. 22).
Leistungen, die dem Leistungsträger bereits anderweitig erstattet wurden, hier die Leistungen nach UVG für den Monat März 2007 i.H.v. 297,- Euro, sind nicht nochmals vom Kläger zu erstatten. § 34 SGB II dient der nachträglichen
Entlastung des Leistungsträgers, nicht der Erzielung zusätzlicher Einnahmen.
Es hat eine Gesamtberechung zu erfolgen, keine monatsbezogene oder personenbezogene Berechung, weil es um die Erstattung aller
erbrachten Leistungen geht, nicht um eine monatsbezogene Aufhebung gegenüber einzelnen Leistungsempfängern.
Tatsächlich erbracht wurden vom Beklagten für die Zeit von 19.02.2007 bis 31.01.2009
Regelleistungen und Unterkunftskosten:
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19.801,90 Euro
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Versicherungsbeiträge
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4.033,53 Euro
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Summe:
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23.835,43 Euro
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Abzüglich UVG-Leistungen
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297,00 Euro
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Ersatzbetrag
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23.538,43 Euro
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Im Widerspruchsbescheid wurde ein Ersatz in Höhe von 23.938,31 Euro gefordert. Mithin wurden 400,08 Euro zu viel gefordert.
Der Ersatzbescheid war deshalb aufzuheben, soweit er einen Ersatz von mehr als 23.538,43 Euro fordert.
Aus diesem Grund kommt es nicht mehr darauf an, dass auch keine Rechtsgrundlage dafür erkennbar ist, die im Ausgangsbescheid
geforderte Ersatzbetrag von 23.823,51 Euro im Widerspruchsbescheid um 100,- Euro auf 23.938,51 Euro anzuheben.
Der Ersatzbescheid entspricht im Übrigen den Vorgaben des SGB X:
Die fehlende Anhörung wurde durch das Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X nachgeholt. Der strittige Bescheid enthielt alle entscheidungserheblichen Informationen, die der Kläger benötigte, um sich
sachgerecht äußern zu können.
Der Erstattungsbescheid ist auch hinreichend bestimmt nach § 33 Abs. 1 SGB X, weil er den Erstattungsbetrag konkret benennt. Im Widerspruchsbescheid wurden die Einzelbeträge für die Regelleistungen,
die Kosten der Unterkunft und die einzelnen Sozialversicherungen benannt. Es ist nicht erforderlich, dass nach einzelnen Leistungsmonaten
oder einzelnen Leistungsempfängern aufgegliedert wird.
Der Beklagten sind keine Kosten aufzuerlegen, da der Kläger nur in geringem Umfang obsiegte.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Bislang liegt keine Entscheidung des BSG zu § 34 SGB II vor.