Gründe
I
Streitig ist im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
gegen eine Beitragsnachforderung iHv 7 689,22 EUR sowie deren Aufhebung der Vollziehung aufgrund einer nachträglich eingetretenen
Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (in der Folge: Antragstellerin).
Die Antragstellerin betreibt ein Fitnessstudio mit Filialen. Dabei arbeitete sie in den Jahren 2017 und 2018 mit C. F. (in
der Folge: F) zusammen, der selbst ein kleines Fitnessstudio betreibt. Die Tätigkeit des F betraf die "Durchführung eines
funktionellen Trainingskonzepts" bzw die eines Fitnesstrainers für Kleingruppentraining. Zu der Zusammenarbeit gab es nach
den Angaben der Antragstellerin neben dem aktenkundigen schriftlichen Vertrag eine mündliche Kooperationsvereinbarung. Nachdem
die Antragstellerin und F von einer selbstständigen Tätigkeit des F ausgingen, erfolgte keine Verbeitragung der Zahlungen
der Antragstellerin zur Sozialversicherung.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung kam die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (in der Folge: Antragsgegnerin) hingegen zu
dem Ergebnis, dass es sich bei der Tätigkeit des F für die Antragstellerin um eine abhängige Beschäftigung handelte und forderte
Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung iHv insgesamt 7 689,28 EUR nach (Bescheid vom 4.12.2019). Die Nachforderung
wurde aufgrund einer Einzugsermächtigung, die der zuständigen Einzugsstelle eingeräumt war, vom Konto der Antragstellerin
eingezogen und ist derzeit beglichen. Über den von der Antragstellerin rechtzeitig erhobenen Widerspruch ist nach Aktenlage
bislang nicht entschieden worden.
Sowohl die Anträge der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung nach §
86a SGG als auch der beim Sozialgericht München erhobene Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz blieben ohne Erfolg. Das Sozialgericht
vermochte iR seiner summarischen Prüfung sowohl Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses als auch Merkmale einer
selbstständigen Tätigkeit vorzufinden. Insgesamt seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen zu bezeichnen, so
dass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht komme. Die Antragstellerin habe auch eine unbillige Härte
nicht glaubhaft gemacht. Hierfür könnte nicht berücksichtigt werden, dass es aufgrund der Corona-Krise (derzeit) zu Liquiditätsengpässen
bei der Antragstellerin komme. Solche seien schließlich bislang bei der Antragstellerin nicht ersichtlich. Darüber hinaus
seien sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene Sofortprogramme aufgelegt worden, durch die Liquiditätsengpässe zu überbrücken
seien (Beschluss vom 7.4.2020).
Mit ihrer hiergegen erhobenen Beschwerde möchte die Antragstellerin neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs
gegen die Beitragsnachforderung die Aufhebung der Vollziehung erreichen. Das Sozialgericht habe mit seiner Entscheidung in
offener Stellungnahmefrist ihr rechtliches Gehör verletzt und darüber hinaus die im Rahmen des §
86b SGG bestehenden Möglichkeiten zu eng definiert. Es sei die konkrete rechtliche und wirtschaftliche Situation zu berücksichtigen.
Auch bei der Prüfung des Vorliegens einer unbilligen Härte habe das Sozialgericht die Latte zu hochgelegt. Das Außervollzugsinteresse
der Antragstellerin sei in der konkreten und aktuellen Situation abzuwägen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin
grds ein "gesundes" Unternehmen betreibe. Durch die Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsregierung seien sämtliche Filialen
der Antragstellerin seit Mitte März geschlossen. Da damit der Vergütungsanspruch gegenüber den Kunden untergehe, müsse die
Antragstellerin mit einem Totalausfall aller Einnahmen rechnen. Diese Situation habe die Antragstellerin bis April überstanden,
weil die Gesellschafter über den totalen Gehaltsverzicht hinaus 7 000 EUR einbezahlt hätten. Die zum 5.5.2020 fälligen laufenden
Zahlungen iHv 12 108,49 EUR hätten aus den zuletzt noch flüssigen Mitteln iHv 12 765,37 EUR bestritten werden können. Dabei
seien die Gehälter iHv rd 8 000 EUR einschließlich der Zahlungen an die Einzugsstellen iHv 2 594,12 EUR bereits abgebucht.
Im Laufe des Monats Mai würden weitere laufende Betriebsausgaben fällig, die lediglich dann vollständig bedient werden könnten,
wenn die Antragstellerin auf die streitige Beitragsnachforderung zurückgreifen könne. Die Existenz des Betriebes bis zu der
Ende Mai zu erwartenden Wiedereröffnung der Studios könne damit mit der begehrten Rückzahlung gesichert werden. Dann wäre
die Antragstellerin "über dem Berg" und könne auch ihren Verpflichtungen gegenüber den Einzugsstellen weiter nachkommen. Die
Antragstellerin habe bereits alle für eine Wiedereröffnung notwendigen Voraussetzungen geschaffen, die zu erwartenden Auflagen,
insbesondere die Anzahl der trainierenden Personen im Verhältnis zur Fläche würden erfüllt.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 7.4.2020 die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 23.12.2019
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.12.2019 unddie Aufhebung der Vollziehung durch die vorläufige Verpflichtung der
Antragsgegnerin zur Rückzahlung der bereits beglichenen Nachforderung vom 4.12.2019 an die Antragstellerin anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nachforderung bestünden nicht. Die vom Sozialgericht angestellten Überlegungen seien zutreffend.
Auch aktuell bestehe ein öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der Beitragsschulden. Deren Forderung sei deshalb kraft
Gesetzes sofort vollziehbar (§
86a Abs
2 Nr
1 SGG), um im Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten und des einzelnen Beschäftigten die Funktionsfähigkeit der Leistungsträger
zu gewährleisten. Dieses Ziel sei mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht zu erreichen. Ein Sonderfall läge nicht
vor. So erscheine die Beitragsnachforderung bereits ihrer Höhe nach nicht geeignet, die laufenden Betriebskosten auf längere
Sicht auszugleichen. Es sei weiter nicht absehbar, wann die Antragstellerin ihren Betrieb wieder fortführen könne. Insgesamt
sei fraglich, ob das Unternehmen der Antragstellerin trotz der Beitragsnachforderung die aktuelle Krise überwinden könne.
Es sei aber sicher, dass die Beitragsnachforderung im Insolvenzfall nicht mehr realisiert werden könne, auch wenn sie, die
Antragsgegnerin, in der Hauptsache obsiege. Gerade in der aktuellen Krisensituation sei zu berücksichtigen, dass Beitragsforderungen,
die heute nicht realisiert würden, uU zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt nicht mehr durchsetzbar sein würden. Damit bestehe
gerade jetzt ein besonderes öffentliches Interesse am Festhalten der Vollziehung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten verwiesen.
II
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4.12.2019 ist
anzuordnen, da zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (zu dessen Maßgeblichkeit vgl Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK
SGG, 1. Aufl, Stand 14.4.2020, §
86b RdNr 170) ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung glaubhaft ist.
Trotz des mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen
Bescheides nach §
86a Abs
2 Nr
3 SGG eingeräumten Vorrangs vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung kann die im Einzelfall nach §
86b Abs
1 S 1
SGG durch das Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Betroffenen ausfallen. Dies ist dann der Fall, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen
eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl §
86a Abs
3 S 2
SGG). Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne sind vorliegend nicht glaubhaft, nachdem ein Obsiegen der Antragstellerin in der
Hauptsache nicht wahrscheinlicher sei als ihr Unterliegen. Erhebliche Gründe für ein Obsiegen in der Hauptsache (zu deren
Notwendigkeit vgl LSG, Baden-Württemberg, Beschluss vom 5.3.2013 - L 4 R 4381/12 ER-B - RdNr 21 zitiert nach juris mwN) sind derzeit nicht glaubhaft. Hierfür genügt insbesondere nicht, dass ggf noch weitere
Sachverhaltsvermittlungen erforderlich sein dürften (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.7.2016 - L 8 R 977/15 B ER - RdNr 4 zitiert nach juris). Die von F für die Antragstellerin ausgeübte Tätigkeit als Fitnesstrainer kann grds sowohl
als abhängige Beschäftigung als auch als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden. Bei der weiteren Prüfung werden zunächst
die zwischen der Antragstellerin und F mündlich getroffenen Vereinbarungen und deren Umsetzung in der Praxis festzustellen
sein. Darauf, dass diese (angeblich) "unstreitig" seien, kommt es im sozialgerichtlichen Verfahren nicht an (vgl BSG, Urteil vom 22.3.2018 - B 5 RE 5/16 R - RdNr 63). Die konkret festgestellten Umstände sind schließlich in die vorzunehmende
Gesamtabwägung einzustellen (vgl dazu ua BSG, Urteil vom 14.3.2018 - B 12 R 3/17 R).
Gleichzeitig bestehen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Nachforderung insoweit, als F bereits über eigene Betriebsstrukturen
verfügen und die von der Antragstellerin dargelegte Kooperationssituation gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen dürfte.
Eine abschließende Prüfung der Rechtmäßigkeit der Nachforderung ist im Hinblick auf die insoweit in der Hauptsache noch vorzunehmenden
Feststellungen insbesondere zur mündlichen Kooperationsvereinbarung im vorliegenden Verfahren derzeit nicht möglich. Die Antragstellerin
hat hingegen glaubhaft gemacht, dass das Festhalten an der sofortigen Vollziehung der Beitragsnachforderung eine unbillige,
nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für sie zur Folge hätte. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen,
dass die aktuelle finanzielle Situation der Antragstellerin auf staatliche Maßnahmen (zur Bekämpfung des neuen Coronavirus)
zurückgeht, die keine spezifische Ursache im Betrieb der Antragstellerin haben, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse
erfolgten. Die Antragstellerin konnte weiter glaubhaft machen, dass allein durch die staatlich angeordnete Einstellung ihres
Studiobetriebs Liquiditätsprobleme entstanden sind. Sie konnte schließlich darlegen, dass sie - über das Betreiben des vorliegenden
Verfahrens hinaus - die ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen (Verzicht der Geschäftsführer auf Gehalt, Einzahlung privater
Mittel durch die Gesellschafter) getroffen hat, um den entstandenen Liquiditätsproblemen zu begegnen. Ungeachtet dessen können
die laufenden Verpflichtungen im Monat Mai aus den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr bzw nur unter Berücksichtigung
der streitigen Erstattung bedient werden. Die Antragstellerin hat ihre sofortige Zahlungsunfähigkeit für den Fall glaubhaft
gemacht, dass ihr die streitige Beitragsnachforderung nicht erstattet wird. Die Versagung der begehrten Erstattung bzw der
für sie erforderlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung erscheint vor dem Hintergrund unbillig, dass - wie dargelegt -
die aktuellen Liquiditätsprobleme glaubhaft allein auf die staatlich angeordneten und absehbar befristeten Maßnahmen zur Bekämpfung
des Coronavirus zurückgehen und im Übrigen glaubhaft ist, dass sich diese nachhaltig lösen werden, sobald der Studiobetrieb
der Antragstellerin wieder aufgenommen werden kann. Das Interesse der Sozialversicherung, auch und insbesondere in Krisenzeiten
mit den erforderlichen Beitragsmitteln ausgestattet zu sein, steht dem nicht entgegen. Denn insoweit würde übersehen, dass
das Fortbestehen des Betriebs der Antragstellerin mit mehreren Arbeitnehmern und monatlichen Beiträgen zur Sozialversicherung
iHv rd 2 500 EUR nicht zuletzt auch im Interesse der Solidargemeinschaft steht. Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist,
dass trotz aller Bemühungen eine Insolvenz der Antragstellerin und damit der endgültige Verlust der Nachforderung zu befürchten
stehe, erscheint dies zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats und nach aktuellem Sachstand nicht glaubhaft.
2. Auch die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Rückzahlung der bereits beglichenen Beitragsnachforderung sind
glaubhaft. Nach §
86b Abs
1 S 2
SGG kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen
ober befolgt worden ist. Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts. Bei der Ausübung dieses Ermessens geht es nicht mehr
darum, ob ein Fall vorliegt, der in einem solchen Maße untypisch ist, dass die gesetzliche Regelung (der sofortigen Vollziehbarkeit)
nicht der Billigkeit entspricht. Vielmehr geht es darum, ob - zB aus Opportunitätsgesichtspunkten - die formell rechtmäßige
Vollziehung wieder ganz oder teilweise rückgängig gemachten werden sollte (vgl Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss
vom 25.2.2008 - L 6 B 262/07 U LW -ER - RdNr 28 zitiert nach juris). Die Antragstellerin konnte glaubhaft machen, dass sie ohne die Rückzahlung der streitigen
Nachforderung zahlungsunfähig würde. Die fehlende Rückzahlung würde das Fortbestehen der Antragstellerin und damit der von
ihr eingegangenen sozialversicherungsbeitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gefährden. Gleichzeitig besteht die realistische
Chance, dass durch die Beitragserstattung der Fortbestand des Betriebs der Antragstellerin über die aktuelle Krisensituation
hinaus sichergestellt werden kann. Dies steht letztlich auch im öffentlichen Interesse bzw dem Interesse der Sozialversicherung.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 HS 3
SGG i.V.m. §
154 Abs
1 VwGO.
IV
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §
197a SGG i.V.m. § 52 Abs 1 und 3, § 53 Abs 2 Nr 4 GKG und berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig
nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache als Streitwert anzusetzen ist.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.