Anspruch auf Kindergeld; Versagung bei Wohnsitz in Paraguay; Rentenzug aus Deutschland; Verfassungsmäßigkeit
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf sozialrechtliches Kindergeld.
Der 1940 geborene Kläger, der aus Deutschland eine gesetzliche Altersrente und eine Betriebsrente bezieht und sich nach eigenen
Angaben seit Mai 2005 durchgehend in Paraguay aufhält, begehrt im Berufungsverfahren die Zahlung von Kindergeld für seine
im November 2006 in Paraguay geborene und dort lebende Tochter E. W ... Die Beklagte hat den hierauf gerichteten Antrag vom
29. März 2007 mit der Begründung abgelehnt, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kindergeld seien auch in Verbindung
mit Art. 77 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit
auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGVO 1408/71)
nicht erfüllt, weil der Kläger nicht nach § 1 Abs. 1
Bundeskindergeldgesetz (
BKGG) anspruchsberechtigt sei und seinen Wohnsitz außerhalb des Anwendungsbereichs der EGVO 1408/71 habe. Es bestehe auch kein
entsprechendes Abkommen mit Paraguay (Bescheid vom 16. August 2007, Widerspruchsbescheid vom 26. November 2007).
Die am 23. Dezember 2007 (Eingang bei Gericht) beim Sozialgericht Nürnberg (SG) dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 28. Mai 2008). Das SG hat - teilweise unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2007 - ausgeführt, der Kläger
erfülle weder die Voraussetzungen des § 1
BKGG noch des Art 77 EGVO 1408/71, da er im streitigen Zeitraum keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des
BKGG bzw. der Verordnung gehabt habe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelungen und deren Anwendung durch die Beklagte
bestünden nicht.
Zur Begründung der am 2. Juli 2008 (Eingang beim SG) eingelegten Berufung hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, er beziehe nur eine Altersrente in Höhe von monatlich
500 Euro aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und eine Betriebsrente in Höhe von 150 Euro. Weiteres Einkommen
oder Vermögen hätten er, seine Lebensgefährtin und seine Tochter nicht. Kindergeld oder vergleichbare Leistungen paraguayischer
Behörden würden ebenfalls nicht bezogen. Sowohl das
BKGG als auch dessen Anwendung im konkreten Fall verstoße gegen das
Grundgesetz (
GG). Ihm als deutschem Staatsangehörigen Kindergeld zu versagen, weil er sich nicht im EU-Raum aufhalte, verstoße gegen Art.
3 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz), Art.
6 GG (Schutz von Ehe und Familie) und das verfassungsrechtliche Willkürverbot. Das starre Festhalten am Gesetzeswortlaut ohne
Beachtung von Sinn und Zweck des Kindergeldes widerspreche außerdem dem Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung.
Er dürfe gemäß Art.
3 GG nicht anders behandelt werden, als die in § 1 Abs. 1
BKGG genannten Entwicklungshelfer, Missionare oder Beamten im auswärtigen Dienst, denen der Gesetzgeber Kindergeld zuspreche,
weil sie aufgrund ihrer Berufswahl gezwungen seien, in Übersee zu leben. Er sei vergleichbaren Zwängen unterworfen, denn er
habe sich nicht freiwillig in Paraguay niedergelassen. Er sehe nach wie vor seine Wurzeln in Europa und würde auch dorthin
zurückkehren, wenn ihn nicht unüberwindliche äußere Zwänge (verlorener Pass, Geburt zweier Kinder 2006 und 2008, fehlende
finanzielle Mittel für den Aufenthalt in Europa) in Paraguay festhalten würden. Auch unterliege er aufgrund seines Rentenbezugs
grundsätzlich der deutschen Einkommensteuer und sei versicherungsfrei. Damit unterscheide sich sein Status nicht von dem der
in § 1 Abs. 1
BKGG genannten Personen mit Auslandsaufenthalt. Im Übrigen halte er sich sowohl in Deutschland als auch in Griechenland, wo er
Grundbesitz und ebenfalls Anspruch auf Rente habe, für unbeschränkt steuerpflichtig. Art.
6 GG sei verletzt, weil im konkreten Fall die Versagung von Kindergeld ein Abgleiten der Familie in die Hilfsbedürftigkeit nach
sich ziehen würde. Genau dies sollten die Leistungen des
BKGG verhindern. Außerdem sollten sie deutschen Familien Anreize dazu bieten, nicht aus finanziellen Erwägungen auf Kinder zu
verzichten. Unter diesem Aspekt sei es angesichts der heute das öffentliche Leben beherrschenden Weltoffenheit zu kurz gedacht,
wenn einem deutschen Familienvater das Kindergeld für seine Nachkommen versagt werde, solange er und das Kind nicht im EU-Raum
lebten, andererseits Kindergeld an Bevölkerungsgruppen gezahlt werde, die in Deutschland lebten, aber nicht aus dem EU-Raum
kämen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liege darin, dass die Versagungspraxis auf sachfremden, lebensfernen und rein fiskalischen
Gründen beruhe.
Aus diesen Gründen liege eine Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht nahe. Dieses habe über die aufgeworfenen Fragen
unter dem Aspekt eines im Ausland (Übersee) lebenden Deutschen noch nicht entschieden. Auch hätten die bezeichneten Grundrechtsverletzungen
für die Allgemeinheit eine besondere Bedeutung, weil eine hohe Zahl deutscher Eltern in Übersee von der beanstandeten Verwaltungspraxis
und Gerichtspraxis betroffen sei.
Einen Antrag des Klägers, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm Rechtsanwalt E. S., B-Stadt,
beizuordnen, hat der Senat wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt (Beschluss vom 23. Dezember 2008).
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28. Mai 2008 sowie den Bescheid vom 16. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26.November 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für dessen Tochter E. W. ab 1. November 2006 monatliches
Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§
153 Abs.
4 S. 1
SGG). Die Beteiligten wurden hierzu gehört (§
153 Abs.
4 S. 2
SGG) und haben keine Einwände erhoben.
Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 1 Abs. 1
BKGG gehört. Danach erhält Kindergeld, wer nach §
1 Abs.
1 und
2 des Einkommensteuergesetzes (
EStG) nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist und auch nicht nach §
1 Abs.
3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wird, wenn er in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit
nach §
24 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) steht oder versicherungsfrei nach §
28 Nr. 1
SGB III ist (Nr. 1), als Entwicklungshelfer, Missionar oder Beamter in einer Tätigkeit nach § 123a Beamtenrechtsrahmengesetz im Ausland tätig ist (Nr. 2 und 3) oder als Ehegatte eines Mitglieds der Truppe oder des zivilen Gefolges eines NATO-Mitgliedstaates
die Staatsangehörigkeit eines EU/EWR-Mitgliedstaates besitzt und in Deutschland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
hat (Nr. 4). Die Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 4 sind beim Kläger offenkundig nicht erfüllt. Auch in Verbindung mit Art.
77 EGVO 1408/71 kommt ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nicht in Betracht, weil er nach den zutreffenden Feststellungen
des SG im maßgebenden Zeitraum ab November 2006 keinen Wohnsitz im Anwendungsbereich der EGVO 1408/71 hatte. Zur Vermeidung von
Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§
153 Abs.
2 SGG).
Für eine im Berufungsverfahren vorgetragene unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers in Deutschland liegen unabhängig davon,
dass in diesem Falle ein Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld ausgeschlossen wäre und damit Klage und Berufung bereits
unschlüssig wären, keinerlei Anhaltspunkte vor. Es ist weder ein Wohnsitz oder Dienstverhältnis im Bundesgebiet (§
1 Abs.
1 und
2 Einkommensteuergesetz -
EStG -) noch ein Antrag nach §
1 Abs.
3 EStG ersichtlich. Welche Bedeutung eine Steuerpflicht in Griechenland für den geltend gemachten Anspruch auf sozialrechtliches
Kindergeld haben soll, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen Ausführungen eine Auseinandersetzung mit den einfachgesetzlichen
Grundlagen des Kindergeldrechts weitgehend vermissen lassen, nicht dargelegt.
Das SG ist auch den im Berufungsverfahren wiederholten verfassungsrechtlichen Einwänden des Prozessbevollmächtigten des Klägers
zu Recht nicht gefolgt. Soweit der Kläger einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art.
3 GG rügt, setzt er sich in seiner Begründung schon nicht mit den Gründen für die von ihm angesprochenen, in § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3
BKGG geregelten Ausnahmetatbestände für Entwicklungshelfer, Missionare und Beamte im Auslandsdienst, insbesondere die vom Gesetzgeber
für Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip geforderte und in diesen Fällen gegebene Verbindung der Betroffenen mit dem deutschen
Arbeits-, Dienst- und Sozialrechtssystem, auseinander (vgl. BT-Drs. 13/1558 S. 163). Es handelt sich dabei um Fälle, in denen
der Betroffene ähnlich wie bei der von § 1 Abs. 1 Nr. 1
BKGG erfassten Entsendung (§ 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) von einer inländischen Institution zur Beschäftigung ins Ausland "entsandt" wird. Der bloße
Bezug einer Rente aus Deutschland während eines Aufenthalts im Ausland vermittelt keinen vergleichbaren, auf Beschäftigung
beruhenden Inlandbezug und ist diesen Sachverhalten unabhängig davon, dass der Katalog des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4
BKGG abschließend ist, daher nicht gleichzusetzen. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, aus welchen Gründen sich der Kläger
im maßgebenden Zeitraum ab November 2006 außerhalb des durch Art. 77 EGVO 1408/71 räumlich erweiterten Anwendungsbereichs des
BKGG aufhält.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Verstoß gegen Art.
6 Abs.
1 GG rügt, setzt sich die Begründung weder mit Inhalt und Reichweite dieses Grundrechts (vgl. u.a. Schmidt-Bleibtreu,/Hofmann/Hopfauf,
Kommentar zum
Grundgesetz, 11. Aufl., Art
6 Rn. 3ff.) noch (u.a.) damit auseinander, dass der Staat selbst bei Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt des Betroffenen
im Inland nicht verpflichtet ist, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen (BVerfGE 40, 132; 43, 121), aus Art.
6 Abs.
1 GG kein Anspruch auf konkrete Leistungen abgeleitet werden kann (BVerfGE 82, 60; 99, 246) und der Gesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Familienlastenausgleich geforderte steuerliche
Freistellung des Existenzminimum (BverfGE 99, 182) im Rahmen seiner weit reichenden Gestaltungsfreiheit zulässigerweise durch
eine Anhebung der Steuerfreibeträge verwirklicht hat (vgl. BVerfG HFR 2004, 692).
Im Übrigen besteht weder eine grundsätzliche Verpflichtung, Familien (oder Einzelpersonen) im Ausland vor dem Abgleiten in
die Sozialhilfebedürftigkeit zu bewahren, (vgl. § 24 SGB XII und die hierzu ergangene Rechtsprechung), noch ist es Sinn des
BKGG, deutschen Staatsangehörigen unabhängig von Wohnort und gewöhnlichem Aufenthalt finanzielle Anreize zur Familiengründung
oder finanzielle Unterstützung zum Lebensunterhalt der Familie zu bieten. Die letztgenannte Begründung der Berufung steht
in klarem Widerspruch zu Wortlaut und Entstehungsgeschichte des
BKGG (vgl. nur BT-Drs. 13/1558 und zum - hier ebenfalls fehlenden - Inlandsbezug des Kindes nach § 2 Abs. 5
BKGG BT-Drs. 8/2110 S. 4; BSG Urteil vom 22. November 1988, Az.: 10 RKg 26/87).
Auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot ist in keiner Weise nachvollziehbar begründet worden. Die Anknüpfung
von Leistungen an einen Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ist grundsätzlich keine sachfremde Erwägung. Für eine
behauptete lebensferne und auf rein fiskalischem Kalkül beruhende Gesetzgebung oder Bewilligungspraxis bietet die Berufungsbegründung
keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Ist schon kein Verstoß des § 1 Abs. 1
BKGG gegen Verfassungsrecht ersichtlich, stellt sich die Frage einer verfassungskonformen Auslegung oder einer Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Klagebegehren auch im Berufungsverfahren erfolglos
geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG), liegen nicht vor.