Unzulässigkeit der Klage des Sohnes im sozialgerichtlichen Verfahren bei fehlender Vollmachtsvorlage durch die Mutter
Gründe
I.
Zugrunde liegt ein Streit über eine Gerichtskostenfeststellung des Kostenbeamten in einem Beschwerdeverfahren nach §
197 a Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Im Beschwerdeverfahren L 8 SO 117/13 B vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG), das aus einer Anfechtungsklage gegen ein
Auskunftsverlangen des damaligen Beklagten herrührte und mit der Verwerfung der sowohl gegen die Kostengrundentscheidung als
auch die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 10.01.2014 endete, in dem die Kosten
des Beschwerdeverfahrens der Erinnerungsführerin auferlegt und der Streitwert auf 5.000,- EUR festgesetzt worden waren, erhob
der Kostenbeamte mit Gerichtskostenfeststellung vom 13.01.2014 bei der Erinnerungsführerin Gerichtskosten in Höhe von 50,-
EUR.
Dagegen wandte sich der Sohn der Erinnerungsführerin als deren Bevollmächtigter mit Schreiben vom 20.01.2014. Sinngemäß wurde
vorgetragen, dass die Beschwerdeentscheidung vom 10.01.2014 aus mehreren Gründen falsch sei und die Erinnerungsführerin daher
keine Gerichtskosten zu tragen habe. Die Erinnerung wurde mit Beschluss des Senats vom 31.01.2014, Az.: L 15 SF 16/14 E, zurückgewiesen.
Dagegen legte der Sohn der Erinnerungsführerin für diese mit Schreiben vom 10.02.2014 Anhörungsrüge ein. Er sah in dem mit
der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil das Sozialgericht in einem anderen
Fall anders entschieden habe. Bei Gleichbehandlung müsste die Gegenseite die Kosten tragen. Er erklärte weiter die Aufrechnung
mit einer Kostenschuld, die trotz Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Sozialgericht in einem anderen Verfahren
beglichen worden sei. Die Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des Senats vom 07.04.2014, Az.: L 15 SF 53/14, als unzulässig verworfen.
Mit Schreiben vom 04.11.2014 hat der Sohn der Erinnerungsführerin für diese Nichtigkeitsklage gemäß §
579 Abs.
1 Nr.
4 Zivilprozessordnung (
ZPO) zum Aktenzeichen L 15 SF 53/14 erhoben; eine Vollmacht hat er - wie schon bei der Erinnerung und der Anhörungsrüge - nicht vorgelegt. Er hat die Nichtigkeitsklage
damit begründet, dass er zum Entscheidungszeitpunkt der zurückliegenden Beschlüsse des Senats unter Betreuung gestanden habe
und daher seine Mutter nicht rechtswirksam vertreten habe können. Im Übrigen sei seine Mutter völlig unbeteiligt; die Behörde
versuche auf diesem Weg nur, sich vor Leistungen ihm gegenüber zu drücken.
Mit Schreiben vom 28.11.2014 hat der Senat den Sohn der Erinnerungsführerin dazu aufgefordert, u.a. zu belegen, dass er diese
im aktuellen Verfahren vertreten dürfe.
Der Sohn der Erinnerungsführerin hat zwar anschließend Unterlagen vorgelegt, aus denen sich Informationen zu der für ihn ausgesprochenen
Betreuung ergeben, sich aber im Schreiben vom 19.01.2015 nicht zur Frage der Vertretungsberechtigung geäußert.
Nachdem ein Schreiben des Sohns der Erinnerungsführerin vom 28.01.2015 weitere Hinweise darauf ergeben hatte, dass dieser
mit dem vorliegenden Verfahren eigene Interessen verfolgen könnte, hat der Senat den Sohn der Erinnerungsführerin mit Schreiben
vom 30.01.2015, zugestellt mit Postzustellungsurkunde, darauf hingewiesen dass für das Gericht Zweifel daran bestünden, dass
die Verfahren so auch von seiner Mutter gewünscht seien und von dieser auch mitgetragen würden. Wegen dieser Zweifel hat der
Senat den Sohn der Erinnerungsführerin gemäß §
73 Abs.
6 Satz 2
SGG aufgefordert, eine Vollmacht seiner Mutter bis spätestens 27.02.2015 (Eingang bei Gericht) vorzulegen. Er ist gleichzeitig
darauf hingewiesen worden, dass bei nicht rechtzeitiger Vorlage der Vollmacht das eingelegte Rechtsmittel als unzulässig verworfen
werden könne.
Bis zum heutigen Tag hat der Sohn der Erinnerungsführerin eine Vollmacht nicht vorgelegt.
II.
Die Wiederaufnahmeklage ist als unzulässig zu verwerfen, da die Erhebung nicht durch die Erinnerungsführerin selbst erfolgt
ist und der die Nichtigkeitsklage Erhebende keine Vollmacht vorgelegt hat.
Der Senat geht, ohne dies näher prüfen zu müssen, davon aus, dass eine Nichtigkeitsklage im Sinn des §
579 ZPO als Unterfall der Wiederaufnahmeklage gemäß §
578 Abs.
1 ZPO auch im Rahmen von Streitigkeiten nach § 66 GKG im Zusammenhang mit sozialgerichtlichen Verfahren eröffnet ist; denn entscheidungserheblich ist dies nicht. Eine solche Klage
scheitert im vorliegenden Fall mangels Vollmacht schon an den allgemeinen Prozessvoraussetzungen; sie ist unzulässig (§
179 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
589 Abs.
1 Satz 2
ZPO). Es verbleibt damit bei der Rechtskraft der Beschlüsse vom 31.01.2014, Az.: L 15 SF 16/14 E, und vom 07.04.2014, Az.: L 15 SF 53/14, deren Aufhebung Ziel der Nichtigkeitsklage gewesen ist.
Nach §
179 Abs.
1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren unter entsprechender Anwendung der Vorschriften der
ZPO wieder aufgenommen werden. Eine Wiederaufnahmeklage zieht unter Umständen ein dreistufiges Verfahren nach sich. Zunächst
haben die Gerichte zu prüfen, ob die Wiederaufnahmeklage zulässig ist. Bejahendenfalls schließt sich die Prüfung ihrer Begründetheit
an, wobei es darum geht, ob tatsächlich ein Wiederaufnahmegrund vorliegt; ist das der Fall, hat das Gericht das rechtskräftig
abgeschlossene Verfahren wieder aufzunehmen. Unter Umständen schließt sich sodann das ersetzende Verfahren in der Sache an.
Im vorliegenden Fall ist die Nichtigkeitsklage als unzulässig zu verwerfen. Der Sohn der Erinnerungsführerin hat trotz entsprechender
Aufforderung durch das Gericht mit Fristsetzung und Hinweis auf die Folgen einer Nichtvorlage einer Vollmacht gemäß §
73 Abs.
6 Satz 2
SGG eine solche, aus der sich seine Bevollmächtigung für die Erhebung der Nichtigkeitsklage ergeben würde, nicht vorgelegt hat.
Die Nichtigkeitsklage ist daher als unzulässig zu verwerfen (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders.,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
73, Rdnr. 66).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat zur Frage der fehlenden Vollmachtsvorlage im Urteil vom 13.12.2000, Az.: B 6 KA 29/00 R, Folgendes ausgeführt [Anmerkung des Senats: Die damals zitierten Paragraphen sind, was die Nummerierung, nicht aber den
hier relevanten Inhalt betrifft, seitdem geändert worden.]:
"Gemäß §
73 Abs
1 Satz 1
SGG können sich die Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens in jeder Lage des Verfahrens durch prozeßfähige Bevollmächtigte
vertreten lassen. Wie §
73 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGG bestimmt, ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen und bis zur Verkündung der Entscheidung zu den Akten einzureichen (sofern
sie - was vorliegend nicht in Rede steht - nicht zur Niederschrift des Gerichts erteilt wird (Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 aaO)).
"Akten" iS dieser Vorschrift sind die Gerichtsakten; denn sie regelt die Prozeßvertretung vor Gericht und spricht von der
Verkündung einer Entscheidung, womit die nächstfolgende Gerichtsentscheidung gemeint ist (so bereits das von den Vorinstanzen
zitierte Urteil des BSG (12. Senat) vom 15. August 1991 SozR 3-1500 § 73 Nr 2 S 3 f, insoweit wiederum unter Hinweis auf BSG (11a Senat) SozR 1500 § 73 Nr 5). Nur bei Ehegatten und Verwandten in gerader Linie kann gemäß §
73 Abs
2 Satz 2
SGG die Bevollmächtigung ohne diese Voraussetzungen unterstellt werden. Mit Rücksicht auf den Inhalt der gesetzlichen Regelung
des §
73 Abs
2 Satz 1
SGG bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, daß ein Richter nach Klageeingang oder später auf einer zu den Gerichtsakten
bis zur Verkündung der instanzabschließenden Entscheidung einzureichenden schriftlichen Prozeßvollmacht für das sozialgerichtliche
Verfahren besteht und diese vom Bevollmächtigten anfordert. Das gilt selbst für den Fall, daß dies routinemäßig geschieht
oder daß sich in den Akten des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens oder in einem anderen zugehörigen Vorgang (so die Gestaltung
bei BSG (7. Senat) SozR 3-1500 § 158 Nr 2 S 9) bereits eine auf denselben Bevollmächtigten lautende, wie auch immer formulierte Vollmacht des Klägers befinden
sollte.
Entspricht das Vorgehen eines Bevollmächtigten im Rechtsstreit nicht den vorgenannten gesetzlichen Anforderungen und reicht
dieser eine Klageschrift ohne schriftliche Prozeßvollmacht ein, ist die Klage unzulässig. Das Vorhandensein der Vollmacht
und die daran geknüpfte Zulässigkeit der Klage sind im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen
(so Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB), Beschluss vom 17. April 1984 - 2/83 = GmSOGB SozR 1500
§ 73 Nr 4 S 8 = NJW 1984, 2149; BSG SozR 1500 § 73 Nr 5 S 12; BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 2 S 3). Ist keine Prozeßvollmacht zu den Gerichtsakten gelangt, bedarf es allerdings, damit das Gericht die Klage ohne
Prüfung in der Sache als unzulässig abweisen kann, regelmäßig einer vorherigen schriftlichen richterlichen Aufforderung an
den Bevollmächtigten, binnen einer bestimmten Frist die fehlende Vollmachtsurkunde nachzureichen, verbunden mit dem Hinweis,
daß die Klage anderenfalls als unzulässig abgewiesen werden kann (so GmSOGB SozR 1500 § 73 Nr 4 S 10 f; BSG SozR 1500 § 73 Nr 5 S 12; BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 2 S 6). Ein solches prozessuales Vorgehen hat im Verhältnis zu dem vollmachtlos auftretenden Prozeßvertreter Anhörungs-
und Warnfunktion. Spätestens nach Erhalt dieses richterlichen Schreibens muß sich diesem aufdrängen, daß das Fehlen der Prozeßvollmacht,
zu dessen Behebung er im Einzelfall aufgefordert worden ist, auch in einem möglicherweise nachfolgenden Rechtsmittelverfahren
grundsätzlich nicht mehr geheilt werden kann ..."
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Nichtigkeitsklage als unzulässig zu verwerfen.
Der für die Erinnerungsführerin auftretende Sohn hat zu keinem Zeitpunkt - weder im Verfahren der Erinnerung noch in dem der
Anhörungsrüge noch in dem der Nichtigkeitsklage - eine Prozessvollmacht zu den Akten übersandt. Er hat auch nicht auf die
richterliche Aufforderung im Schreiben vom 30.01.2015, das mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden ist, reagiert, ist
trotz der ausführlichen und eindeutigen Hinweise des Senats über die Folgen einer Nichtvorlage der Vollmacht passiv geblieben
und hat keine Vollmacht vorgelegt.
Dieses Ergebnis hält auch einer Betrachtung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stand. Weder die in Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) verankerte Rechtsschutzgarantie noch das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
3 GG abgeleitete Gebot eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.01.2000, Az.: 1 BvR 321/96) schützen einen Bevollmächtigten vor der Verwerfung einer Klage als unzulässig, wenn er sich gegenüber der gerichtlichen
Aufforderung zur Vorlage einer Vollmacht völlig passiv verhält (ständige Rspr. des BVerfG, vgl. z.B. Beschlüsse vom 23.02.1971,
Az.: 2 BvR 84/71, vom 15.07.1988, Az.: 1 BvR 599/88, und vom 16.12.1997, Az.: 1 BvR 2369/97; vgl. auch BSG, Urteil vom 13.12.2000, Az.: B 6 KA 29/00 R).
Das Erfordernis der Einreichung einer schriftlichen Vollmacht zu den Gerichtsakten entfällt auch nicht deshalb, weil es sich
bei dem hier betroffenen Bevollmächtigten um den Sohn der Erinnerungsführerin handelt. Zwar kann gemäß §
73 Abs.
6 Satz 3
SGG bei Ehegatten, Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Dies bedeutet
aber nicht, dass in jedem Fall zwingend von einer wirksamen Bevollmächtigung auszugehen ist. Vielmehr darf das Gericht der
Frage der Bevollmächtigung weiter nachgehen, wenn Zweifel an der Erteilung einer Vollmacht bestehen (vgl. Leitherer, a.a.O.,
§ 73, Rdnr. 68a). In einem derartigen Fall ist auf Verlangen des Gerichts - wie bei jedem anderen Bevollmächtigten auch -
eine Vollmacht zu den Akten vorzulegen. Im vorliegenden Fall hat insbesondere - aber nicht nur - das Schreiben des Sohns der
Erinnerungsführerin vom 28.01.2015 den Eindruck erweckt, dass es dem Sohn um die Geltendmachung eigener Rechte gegangen ist
und er das Verfahren vorrangig in seinem eigenen Interesse betrieben hat. Eine derartige Situation gibt einen berechtigten
Anlass dafür, der Frage der Bevollmächtigung näher nachzugehen.
Über die Nichtigkeitsklage hat das Bayer. LSG in der selben Besetzung wie über die mit der Nichtigkeitsklage angegriffene
Anhörungsrüge und die vorhergehende Erinnerung zu entscheiden. Entsprechend § 66 Abs. 6 Satz 1, 1. Halbsatz GKG hat die Entscheidung daher der Einzelrichter zu treffen.
Die Entscheidung ist entsprechend § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Sie ergeht entsprechend § 66 Abs. 8 GKG kosten- und gebührenfrei.