Anerkennung eines Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung; Entbehrlichkeit weiterer Ermittlungen im sozialgerichtlichen
Verfahren beim fehlenden Nachweis einer haftungsbegründenden Kausalität
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente streitig.
Der 1943 geborene Kläger erlitt am 07.08.1968 einen Arbeitsunfall, bei dem er sich einen Außenknöchelbruch links zuzog. Nach
den Angaben des Klägers sei ihm ein großer Zementstein auf den linken Fuß gefallen. Mit Bescheid vom 21.10.1971 stellte der
Beklagte als Unfallfolgen fest: "Geringgradiger Muskelschwund des linken Ober- und Unterschenkels, leichte Einschränkung der
Beweglichkeiten des rechten Sprunggelenks". Für den Zeitraum vom 19.11.1968 bis 28.02.1969 bewilligte der Beklagte dem Kläger
Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH. Ab 01.03.1969 bestehe kein Rentenanspruch mehr,
weil die MdE nur noch um 10 vH gemindert sei. Ab 01.03.1970 betrage die MdE unter 10 vH.
Am 13.08.2003 teilte der Kläger mit, dass sich die Folgen des Unfalls vom 07.08.1968 weiter verschlechtert hätten und von
den zwischenzeitlich behandelnden Ärzten ein Hinken des linken Fußes festgestellt worden sei, man sich aber bezüglich der
Ursachen nicht einigen könne. Anschließend erstatteten im Auftrag des Beklagten der Dipl.-Mediziner W. am 11.03.2004 ein Gutachten
auf chirurgischem Fachgebiet und Prof. Dr. G. am 18.03.2004 ein Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet - jeweils
nach ambulanter Untersuchung des Klägers - und gelangten darin zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass der Außenknöchelbruch
ohne wesentliche Funktionseinschränkungen regelrecht verheilt sei. Es sei eine spastische Störung des linken Beines festzustellen,
deren Ursache jedoch unklar bleibe. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfall vom 07.08.1968 lasse sich nicht mit ausreichender
Wahrscheinlichkeit feststellen. Gestützt hierauf lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2004 den Antrag auf Neufeststellung
einer Rente ab. Die vom Kläger geklagten Beschwerden im linken Bein ließen sich nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit
auf den Unfall vom 07.08.1968 zurückführen. Den hiergegen vom Kläger am 20.04.2004 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2004 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 09.09.2004 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und geltend gemacht, dass der Arbeitsunfall vom 07.08.1968 für die bestehenden Beschwerden am linken Bein wesentlich
mitursächlich sei. Im Auftrag des SG hat der Chirurg Dr. S. gemäß §
106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 12.10.2005 ein Gutachten erstattet und am 21.11.2005 sowie am 04.04.2006 ergänzend
Stellung genommen.
Mit Urteil vom 19.12.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei infolge des Arbeitsunfalls vom 07.08.1968 nicht um wenigstens
20 vH gemindert. Es sei allenfalls eine endgradige Bewegungseinschränkung im linken Fußgelenk verblieben, die jedoch keine
MdE von mindestens 10 vH bedinge. Die beim Kläger vorliegende spastische Störung des linken Beines sei nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Aus dem Umstand, dass die Ursache der neurologischen Störungen
derzeit nicht zu eruieren sei, folge nicht, dass ein Kausalzusammenhang zu dem Arbeitsunfall hergestellt werden könne. Es
spreche auch nichts dafür, dass es bei dem Unfall seinerzeit neben der Verletzung des Außenknöchels noch zu einer Schädigung
der Halswirbelsäule oder des Rückenmarks gekommen sei. Das SG habe seine Überzeugung aufgrund der kritischen Prüfung des Gutachtens von Dr. S. gewonnen, der die medizinische Problematik
plausibel und schlüssig dargelegt habe.
Hiergegen richtet sich die beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am 23.02.2007 eingegangene Berufung des Klägers. Mit
Schriftsatz vom 24.05.2007 hat der Kläger Arztbriefe der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums E. vom 25.09.2006,
des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen Prof. Dr. G. vom 03.03.2006,
des Radiologen Dr. L. vom 25.10.2006 sowie seine eigene Stellungnahme vom 22.05.2006 zur ergänzenden Stellungnahme des Chirurgen
Dr. S. vom 04.04.2006 übersandt. Dr. S. habe das Gutachten des Prof. Dr. G. auf Seite 24 nicht richtig gelesen. Dort stehe
jedenfalls nicht, dass ein Zusammenhang mit dem Ereignis vom 07.08.1968 ausgeschlossen werde, sondern, dass sich ein ursächlicher
Zusammenhang nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lasse, eine weitere diagnostische Abklärung den Gutachtensauftrag
aber überschreite. Die von ihm veranlasste Verlaufsuntersuchung vom 03.03.2006 bei Prof. Dr. G. habe gezeigt, dass - obwohl
beide Untersuchungstermine zwei Jahre auseinander gelegen hätten - keine Verschlechterung festgestellt worden sei. Das lasse
darauf schließen, dass in all den Jahren keine wesentlichen Veränderungen erfolgt seien.
Auf Antrag des Klägers hat anschließend Dr. J., Chefarzt der Orthopädischen Klinik des Kreiskrankenhaus D., nach ambulanter
Untersuchung des Klägers am 31.10.2007 gemäß §
109 SGG ein Gutachten erstattet und - unter Berücksichtigung des fachradiologischen Zusatzgutachtens des Radiologen Greiner vom 07.11.2007
- zusammenfassend festgestellt, dass es weder auf neurologischem noch auf orthopädischem Fachgebiet ausreichende Hinweise
dafür gebe, dass das Unfallereignis vom 07.08.1968 mit der bestehenden neurologischen Symptomatik des linken Beines in Zusammenhang
stehen könnte. Die MdE im allgemeinen Erwerbsleben betrage weiterhin unter 10. Weiterhin hat auf Antrag des Klägers der Chefarzt
der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Evangelischen Krankenhauses L. Dr. C. nach ambulanter Untersuchung des Klägers
am 17.10.2008 ein Gutachten gemäß §
109 SGG erstattet und darin ebenfalls die Auffassung vertreten, dass ein ursächlicher Zusammenhang der Störung des linken Beines,
die als zentrale Störung eingeordnet werden müsse, mit dem genannten Unfallereignis nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
hergestellt werden könne.
Hierzu äußert sich der Kläger mit Schriftsatz vom 02.06.2009 dahingehend, dass in verschiedenen Untersuchungen eine eventuelle
Bewusstlosigkeit oder Wirbelsäulenverletzung nicht habe ausgeschlossen werden können. Nach dem Unfall habe lediglich eine
Wundversorgung stattgefunden. Weitergehende Untersuchungen oder eine nachbehandelnde Physiotherapie seien nicht erfolgt, auch
keine Reha oder andere Maßnahme zur gesundheitlichen Wiederherstellung, wodurch damals auch eine weitere Schädigung erkannt
worden wäre. Er könne nicht sagen, ob eine Bewusstlosigkeit vorgelegen habe, da er sich nicht daran erinnern könne. Diesem
Schriftsatz war eine Erklärung der Ehefrau des Klägers vom 02.06.2009 beigefügt.
In der nichtöffentlichen Sitzung vom 07.09.2009 hat der Kläger auf Befragen erklärt, dass der Betriebsarzt der Bau-BG anlässlich
einer Vorsorgeuntersuchung zu ihm gesagt habe, dass die spastische Störung am linken Bein vom Tragen des Gipses kommen könne.
Er ziehe sein linkes Bein ab und zu nach, stolpere ab und zu, das Bein sei ziemlich kälteempfindlich und er schlafe deshalb
auch im Sommer mit Strümpfen im Bett. Diese Beschwerden habe er ungefähr seit 1989.
Auf Veranlassung des Gerichts hat Dr. C. am 11.01.2010 ergänzend Stellung genommen.
Mit Schriftsätzen vom 10.02.2010 und 05.03.2010 trägt der Kläger weiterhin vor, dass der Unfall auch geeignet gewesen sei,
sein Gehirn oder Rückenmark mit den entsprechenden Folgen zu schädigen. Die Muskelschwäche (Kraftminderung, Parese) und der
Muskelschwund (Artrophie) bestünden seit dem Unfall und würden bereits in der Abschlussuntersuchung und im Rentenfeststellungsbescheid
vom 21.10.1971 erwähnt.
Sinngemäß beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.12.2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 16.08.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 07.08.1968 Verletztenrente
nach den gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen,
hilfsweise, nach §
106 SGG bzw. nach §
109 SGG eine weitere Untersuchung zu veranlassen, zwecks Feststellung der Krankheitsursache ggf. des Gehirns oder des Rückenmarks,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Berufungserwiderung trägt der Beklagte mit Schriftsätzen vom 15.07.2009 und 08.04.2010 vor, dass die Frage, auf welche
Ursachen die Beschwerden des Klägers denn sonst zurückzuführen seien, für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung
irrelevant sei, wenn - wie hier - feststehe, dass sie jedenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den streitgegenständlichen
Unfall aus dem Jahr 1968 zurückzuführen seien. Es sei nicht Aufgabe des Berufungsverfahrens, zu klären, was ansonsten noch
als Ursache in Betracht kommen könne.
Mit Schriftsätzen vom 03.05.2010 und 02.06.2010 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Berichterstatterin
anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß §§
155 Absätze 3 und 4, 124 Abs.
2 SGG erklärt.
Das Gericht hat 1 Band Akten der Beklagten, 2 Band Akten des SG (S 15 U 197/04 und S 14 SB 304/03) sowie 2 Röntgenaufnahmen der L.-Universität M., 3 Röntgenaufnahmen der Dres. R. und W., 4 MRT s von den Dres. L./E./H.,
3 MRT s der Dres. D./S./R. und 5 MRT s der Dres. L./E. beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
beigezogenen Akten und der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 19.12.2006 die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid vom 08.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 16.08.2004 ist rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, §
54 Abs
1 SGG.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass dem Kläger kein Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von Verletztenrente
gemäß §
56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 07.08.1968 zusteht. Es ist weder in den mit Bescheid vom 21.10.1971 festgestellten Unfallfolgen
eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eingetreten noch besteht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein - rechtlich wesentlicher - Ursachenzusammenhang zwischen
den vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und dem Unfallereignis vom 07.08.1968.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches nur
wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt, §
73 Abs.
3 Satz 1 1. HS
SGB VII.
Nach §
56 Abs
1 Satz 1
SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente.
Nach §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens
ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Maßstab für die Bewertung sind die
nach den medizinischen Erfahrungssätzen gebildeten, durch die Rechtsprechung bestätigten allgemeinen Bewertungsgrundsätze
(s. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl, S. 96 ff).
Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalles muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder mittels des Gesundheitserstschadens oder direkt
ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Nach dieser werden
als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt
im Wesentlichen mitgewirkt haben (stRspr vgl. zuletzt Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils Rn 11). "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig".
Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den
Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr 69
zu § 542 aF
RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589
RVO; vgl Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung § 8 Rn 314). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen
Ursachenzusammenhang sprechenden Gründe so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann
und ernstliche Zweifel ausscheiden. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt hingegen nicht (vgl. BSGE SozR 41 zu §
128 SGG; BSG SozR zu § 542
RVO a.F.).
Die vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen "spastische Störungen des linken Beines" und "Hinken
des linken Fußes" sind weder als Verschlimmerung der mit Bescheid vom 21.10.1071 anerkannten Unfallfolgen anzuerkennen noch
sind sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 07.08.1968 zurückzuführen.
Zu dieser Überzeugung gelangte das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen ärztlichen Unterlagen
und Stellungnahmen, insbesondere aufgrund der im Berufungsverfahren gemäß §
109 SGG eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr.J. vom 31.10.2007 sowie des Nervenarztes Dr. C. vom 17.10.2008 einschließlich ergänzender
Stellungnahme vom 11.01.2010. Die Beurteilung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. J. und Dr. C. ist schlüssig und nachvollziehbar
und stimmt im Wesentlichen mit der Beurteilung des vom SG gemäß §
106 SGG gehörten Chirurgen Dr. S. überein.
Zu Recht hat der Orthopäde Dr. J. in seinem Gutachten vom 31.10.2007 festgestellt, dass es auf orthopädischem Fachgebiet keine
ausreichenden Hinweise dafür gibt, dass das Unfallereignis vom 07.08.1968 mit der bestehenden neurologischen Symptomatik des
linken Beines des Klägers im Zusammenhang stehen könnte.
Gegen einen solchen ursächlichen Zusammenhang im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit spricht bereits, dass es - was
der ärztliche Sachverständige Dr. S. in seinem Gutachten vom 12.10.2005 zutreffend betont hat -, anhand der ärztlichen Unterlagen
unwahrscheinlich ist, dass beim Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 07.08.1968 ein Schaden am Achsenorgan vorgelegen
hat. Ferner spricht dagegen, dass die Missempfindungen erst im Jahr 1989 durch den Nervenarzt Dr. F. festgestellt worden sind,
wobei nach dessen Angaben diese seit vier bis fünf Jahren bestehen. Somit ist eine derartige Schädigung über viele Jahre nach
dem Unfall hinaus nicht aktenkundig geworden.
Ebenso hat der vom Gericht gehörte Nervenarzt Dr. C. - in Übereinstimmung mit dem von dem Beklagten gehörten Nervenarzt Prof.
Dr. G., dessen Gutachten im Wege des Urkundsbeweises verwertbar ist - in seinem Gutachten vom 31.10.2007 einen ursächlichen
Zusammenhang der Störung des linken Beines, die als zentrale Störung eingeordnet werden muss, mit dem Unfallereignis vom 07.08.1968
im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit verneint. Solche idiopathischen spastischen Störungen sind keine Seltenheit.
Soweit der Kläger vorträgt, für den Unfallzusammenhang spreche, dass die Verlaufsuntersuchung vom 03.03.2006 bei Prof. Dr.
G. gezeigt habe, dass - obwohl dieser Untersuchungstermin zwei Jahre später als die Untersuchung durch Dr. S. stattgefunden
habe - keine Verschlechterung festgestellt worden sei, der bei der Abschlussuntersuchung am 21.10.1971 anerkannte Muskelschwund
des linken Ober- und Unterschenkels sowie Einschränkungen der Beweglichkeit seien heute noch festzustellen, was darauf schließen
lasse, dass in all den Jahren keine wesentlichen Veränderungen erfolgt seien, vermag das Gericht dieser Argumentation nicht
zu folgen. Eine Nicht-Feststellbarkeit einer Verschlechterung der Störungen am linken Bein im vom Kläger angegebenen Zeitraum
begründet nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den ursächlichen Zusammenhang im dargestellten Sinn.
Das Gericht war auch nicht gehalten, der Anregung des Klägers nach §
106 SGG, hilfsweise dem Antrag des Klägers nach §
109 SGG, eine weitere Untersuchung zwecks Feststellung der Krankheitsursache des Gehirns oder des Rückenmarks zu veranlassen, zu
entsprechen. Denn diese Anregung bzw. dieser Antrag des - rechtskundig vertretenen - Klägers ist auf einen im sozialgerichtlichen
Verfahren unzulässigen Ausforschungsbeweis gerichtet.
Ein - unzulässiger - Ausforschungsbeweis liegt im sozialgerichtlichen Verfahren vor, wenn ihm die Bestimmtheit bei der Angabe
der Tatsache oder des Beweismittels fehlt, oder aber der Beweisführer für seine Behauptung nicht genügend Anhaltspunkte angibt
und erst aus der Beweisausforschung die Grundlage für seine Behauptung gewinnen will (BSG, Urteil vom 19.11.2009, B 13 R 303/09 B; BSG Urteil vom 19.09.1979 - 11 RA 84/78; zur Begrifflichkeit Greger in Zöller,
ZPO, Komm., 28. Aufl., §
284 Rn 5). Nach den im Zivilprozess entwickelten Grundsätzen zum Ausforschungsbeweis zielt dieser darauf ab, bisher unbekannte
Tatsachen zwecks genaueren Vorbringens in Erfahrung zu bringen (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 05.04.2001, IX ZR 276/98, NJW 2001, 2327; Urteil vom 02.04.2007 II ZR 325/05; BB 2007, 1185 mwN).
Zur Begründung seines Antrags trägt der Kläger mit Schriftsätzen vom 02.06.2009, 10.02.2010 und vom 05.03.2010 vor, der Unfall
vom 07.08.1968 sei geeignet gewesen, sein Gehirn oder Rückenmark mit den entsprechenden Folgen zu schädigen. In verschiedenen
Untersuchungen hätten eine eventuelle Bewusstlosigkeit oder eine Wirbelsäulenverletzung nicht ausgeschlossen werden können.
Nach der dem Schriftsatz vom 02.06.2009 beigefügten Erklärung der Ehefrau des Klägers vom 02.06.2009 sei er nach dem Absturz
wie leblos am Boden gelegen und habe sich nicht geregt. Als er sich nach einiger Zeit doch bewegt habe und versucht habe,
aufzustehen, sei sie sehr erleichtert gewesen. Aufgrund seiner Verletzung habe er kaum laufen können, sei aus dem Keller gehumpelt
und nicht anzusprechen gewesen (vermutlich Schockzustand), habe sich auf das Moped seines Vaters gesetzt und sei trotz seiner
Verwundung zum Arzt gefahren. Nach dem Unfall habe lediglich eine Wundversorgung stattgefunden. Weitergehende Untersuchungen
oder eine nachbehandelnde Physiotherapie seien nicht erfolgt, auch keine Reha oder eine andere Maßnahme zur gesundheitlichen
Wiederherstellung, wodurch damals auch eine weitere Schädigung erkannt worden wäre. Er selbst könne nicht sagen, ob eine Bewusstlosigkeit
vorgelegen habe, da er sich nicht daran erinnern könne.
Mit diesem Vortrag begehrt der Kläger die Veranlassung einer Untersuchung gemäß §
106 SGG, hilfsweise gemäß §
109 SGG, um die bisher nach seiner Auffassung unbekannte "Tatsache", nämlich "Schädigung des Gehirns oder Rückenmarks - möglicherweise
aufgrund einer Bewusstlosigkeit -" in Erfahrung zu bringen und darauf einen genaueren Vortrag zur Zusammenhangsfrage stützen
zu können. Damit handelt es sich um eine Anregung bzw. um einen Antrag, der auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gerichtet
ist, sodass das Gericht nicht gehalten war, die beantragte Untersuchung zu veranlassen.
Letztlich kann dahinstehen, ob diese Anregung bzw. Antragstellung des - rechtskundig vertretenen - Klägers wegen "Unklarheit"
in dem Sinne auszulegen ist, dass der Kläger zum Beweis des Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall vom 07.08.1968 und den
gesundheitlichen Beeinträchtigungen am linken Bein die Einholung eines Gutachtens nach §
106 SGG anregt bzw. die Einholung eines Gutachtens nach §
109 SGG beantragt und dabei die Untersuchung des Gehirns und des Rückenmarks als mögliche Ursache hierfür anregt oder davon auszugehen
ist, dass das klägerische Begehren in der Anregung bzw. im Antrag klar zum Ausdruck kommt und deshalb eine derartige Auslegung
nicht in Betracht kommt. Auch bei entsprechender Auslegung der Anregung bzw. des Antrags des Klägers war das Gericht nämlich
nicht gehalten, ein weiteres Gutachten gemäß §
106 SGG bzw. §109
SGG einzuholen. Denn es steht bereits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Unfall vom 07.08.1968 keine
Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks des Klägers verursacht hat. Die Beschwerden im linken Bein des Klägers sind jedoch
zweifelsfrei durch eine Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks bedingt. Dies ergibt sich aus den zutreffenden Ausführungen
des ärztlichen Sachverständigen Dr. C. in seinem Gutachten vom 17.10.2008 einschließlich ergänzender Stellungnahme vom 11.01.2010,
denen das Gericht uneingeschränkt folgt. Aufgrund einer Würdigung aller in den Akten enthaltenen Befunde einschließlich Kernspintomografiebefunde
und Diagnosen sowie aufgrund des von ihm selbst erhobenen Befundes ist Dr. C. zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unfall
vom 07.08.1968 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine zentrale Parese, also keine Schädigung des Gehirns oder
des Rückenmarks, verursacht hat. Die Beschwerden im linken Bein sind jedoch durch eine Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks
und nicht durch eine Schädigung von Nerven im Bereich des Beins verursacht. Somit fehlt es hier am erforderlichen Vollbeweis
für den vom Kläger behaupteten Gesundheitserstschaden "Schädigung des Gehirns bzw. des Rückenmarks", der Voraussetzung für
die Anerkennung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des linken Beines des Klägers wäre.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem - bereits dargestellten - Vortrag des Klägers mit Schriftsatz vom 02.06.2009,
wonach in verschiedenen Untersuchungen eine eventuelle Bewusstlosigkeit oder Wirbelsäulenverletzung nicht habe ausgeschlossen
werden können. Letztlich kann nämlich dahingestellt bleiben, ob bei ihm Bewusstlosigkeit oder ein kurzer Verwirrtheitszustand
eingetreten war. Die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens nach §
106 SGG bzw. §
109 SGG ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nämlich nicht, denn eine - vom Gericht zu Gunsten des Klägers unterstellte - Bewusstlosigkeit
oder ein kurzer Verwirrtheitszustand ("Schockzustand") des Klägers nach dem Unfallereignis vom 07.08.1968 begründet nicht
die Annahme einer Schädigung des zentralen Nervensystems mit in der Folge auftretender zentraler Paresen. Auch insoweit folgt
das Gericht den schlüssigen und überzeugenden gutachterlichen Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. C. in seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 11.01.2010. Vielmehr spricht die Würdigung aller Befunde und Untersuchungsergebnisse dagegen,
dass der Unfall vom 07.08.1968 eine Schädigung des zentralen Nervensystems mit in der Folge auftretender zentraler Paresen
hervorgerufen hat. Die nachgewiesenen Verletzungen hätten lediglich periphere Nervenläsionen hervorrufen können, also Schädigungen
der Nerven in der Peripherie (am Bein, am Unterschenkel, am Knöchel).
Darüber hinaus war auch bei entsprechender Auslegung dem Antrag des Klägers, ein Gutachten nach §
109 SGG einzuholen, deshalb nicht zu entsprechen, weil sowohl der gerichtliche Sachverständige Dr. J. als auch der gerichtliche Sachverständige
Dr. C. mit der Erstellung von Gutachten gemäß §
109 SGG vom Gericht beauftragt worden sind, so dass es sich hier um einen sogenannten mehrfach wiederholenden Antrag nach §
109 SGG handelt. Besondere Umstände, die die Einholung eines erneuten Gutachtens nach §
109 SGG rechtfertigen, sind vom Kläger nicht dargetan worden und aus den dargelegten Gründen auch nicht ersichtlich. Vielmehr ist
eine Schädigung des Gehirns oder des Rückenmarks, die im Vollbeweis nachzuweisen wäre, vom Neurologen Dr. C. mit schlüssigen
und überzeugenden gutachterlichen Ausführungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen worden.
Schließlich waren weitere Ermittlungen des Gerichts gemäß §
106 SGG auch nicht wegen des klägerischen Vortrags, die Störung am linken Bein könne vom Tragen eines Gipses kommen - was ihm ein
Betriebsarzt anlässlich einer Untersuchung gesagt habe -, veranlasst. Ein Gips am Bein konnte - worauf Dr. C. in seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 11.01.2010 zu Recht hinweist - keine spastischen Störungen eines Beins, damit keine zentral bedingte Störung
des linken Beins des Klägers hervorrufen. Vielmehr können solche nur im zentralen Nervensystem hervorgerufen werden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass weitere Ermittlungen gemäß §
106 SGG bzw. die Einholung eines Gutachtens gemäß §
106 oder §
109 SGG entbehrlich waren, weil eine Nicht-Feststellbarkeit einer konkurrierenden Ursache für den ursächlichen Zusammenhang zwischen
dem Unfallereignis und der als Unfallfolge geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigung (hier: spastische Störung des
linken Beines) jedenfalls dann ohne rechtliche Relevanz ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden (hier: Schädigung des Gehirns
oder Rückenmarks) verursacht hat, der Voraussetzung für die als Unfallfolge geltend gemachte gesundheitliche Beeinträchtigung
ist.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.12.2006 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§
183,
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG.