Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist die behauptete Untätigkeit der Regierung von Oberbayern im Widerspruchsverfahren.
Der Kläger legte am 05.12.2010, 07.12.2010 und 28.01.2011 gegen die Bescheide der Landeshauptstadt A-Stadt vom 25.11.2010
und 06.12.2010 und 18.01.2011 Widerspruch ein. Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2011 zurückgewiesen,
der laut Empfangsbekenntnis dem Kläger am 05.04.2011 zugestellt wurde. Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2011 Klage beim Sozialgericht
München (SG) erhoben (S 8 SO 196/11).
Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 23.04.2011, eingegangen beim SG am 29.04.2011, eine Untätigkeitsklage erhoben. Der Widerspruch vom 07.12.2010 (gegen die Bescheide vom 25.11.2010 und 06.12.2010)
sei bislang nicht verbeschieden.
Das SG hat die Klage am 14. Oktober 2011 durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Über den Widerspruch sei bereits entschieden worden.
Es sei auch bereits die Klage in der Hauptsache anhängig. Die Untätigkeitsklage sei damit unzulässig.
Hiergegen hat der Kläger selbst am 26.10.2011 per Fax einen Schriftsatz zum SG angebracht, in dem er sein Missfallen mit der getroffenen Entscheidung bekundet. Insbesondere bestehe er auf der Durchführung
einer Hauptverhandlung. Der Ausdruck dieses Fax ist am 31.10.2011 nach Weiterleitung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG)
eingegangen. Es fehlt dabei die Angabe einer Adresse. Angegeben war lediglich ein Postfach mit der Nummer ... in A-Stadt sowie
eine E-Mail-Adresse.
Das LSG hat die Widerspruchsakte der Regierung von Oberbayern beigezogen. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.02.2012
ist abgesetzt worden, weil die Ladung des Klägers nicht zustellbar war. Auch die Bekanntgabe durch einfachen Brief ist nicht
geglückt.
Mit Beschluss vom 12. März 2012 ist die öffentliche Zustellung verfügt worden. Anschließend erfolgte der Aushang vom 13.03.2012
bis zum 17.04.2012.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2011 zu verurteilen, den Widerspruch
des Klägers vom 07.12.2010 gegen die Bescheide der Landeshauptstadt A-Stadt vom 25.11.2010 und 06.12.2010 zu verbescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Akten
des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist fristgerecht eingelegt. Sie ist statthaft. Sie ist aber nicht formgerecht erhoben.
Die Berufung ist schon angesichts des Streitwertes in der Sache zulässig, weil man bei einer Untätigkeitsklage ohnehin nicht
von einem bezifferten Streitwert ausgeht.
Der Senat durfte trotz Ausbleibens des Klägers entscheiden, da dieser Kenntnis vom Termin erlangt hat. Die schriftliche Ladung
ist aufgrund des Senatsbeschlusses vom 12.03.2012 in der Zeit vom 13.03.2012 bis zum 17.04.2012 im Aushang des Gerichts gewesen.
Sie gilt damit nach Ablauf der Frist von einem Monat zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als zugestellt (§
188 Zivilprozessordnung -
ZPO). Die Ladung ist zu Recht öffentlich bekannt gegeben worden (§
63 Abs.
1 und
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Danach sind Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, den Beteiligten zuzustellen. Terminbestimmungen
und Ladungen sind bekannt zu geben. Die Zustellung erfolgt von Amts wegen nach den Vorschriften der
ZPO. Die öffentliche Zustellung ist zulässig, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter
oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist (§
185 Abs.
1 Nr.
1 ZPO). Der Aufenthaltsort des Klägers ist nicht zu ermitteln, wie mehrere Wohnsitzabfragen des Senats ergeben haben.
Die Klage ist im Sinne der Klagebefugnis (§
54 Abs.
2 SGG) gegen den richtigen Beklagten gerichtet. Im Übrigen wäre sie insoweit begründet, weil der Beklagte passiv legitimiert ist
und die vermeintliche Beschwer nicht in der Unterlassung einer Weiterleitung an die Regierung gelegen war. Sie ist gegen die
Behörde zu richten, von der der Bescheid erwartet wird. Nach dem Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) vom 8. Dezember
2006 [vgl. Art. 80 (Örtliche Träger der Sozialhilfe) "(1) 1 Örtliche Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Gemeinden
und die Landkreise (§ 3 Abs. 2 SGB XII). 2 Die Sozialhilfe ist Aufgabe ihres eigenen Wirkungskreises. (2) 1 Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist,
sind die Vorschriften der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung anzuwenden. 2 Über Widersprüche im Sinn des §
83 des
Sozialgerichtsgesetzes entscheiden die Regierungen."] entscheiden die Regierungen über Widersprüche gegen Entscheidungen der örtlichen Sozialhilfeträger.
Im Übrigen erlässt für kreisfreie Gemeinden wie die Landeshauptstadt nach der Gemeindeordnung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises die Rechtsaufsichtsbehörde (Regierung), die dabei auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit
beschränkt ist (Artikel 105 Nr. 1 GO), den Widerspruchsbescheid. Die kreisfreie Gemeinde erfüllt im übertragenen Wirkungskreis alle Aufgaben, die sonst vom Landratsamt
als der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde wahrzunehmen sind; sie ist insoweit Kreisverwaltungsbehörde. Sie erfüllt ferner
die den Landkreisen obliegenden Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises.
Die Berufung ist aber unzulässig, weil es an der Prozessvoraussetzung der ordnungs- gemäßen Bezeichnung des Klägers mit seiner
Wohnungsanschrift fehlt. Durch die Angabe eines Postfachs ist keine der Benennung einer Wohnanschrift gleichwertige zweifelsfreie
Identifizierungsmöglichkeit des rechtsuchenden Absenders bzw. Empfängers verbunden (vgl. dazu und auch zum Folgenden Beschluss
des erkennenden Senats vom 01.03.2012, Az.: L 8 SO 3/12 B ER und Urteil vom selben Tage, Az.: L 8 SO 182/11). Die Berufung
ist damit schon nicht wirksam eingelegt.
Der Kläger hat am 26.10.2011 per Fax einen von ihm unterschriebenen Schriftsatz zum SG angebracht, in dem er sein Missfallen mit der getroffenen Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 8 SO 237/11 bekundet. Insbesondere
bestehe er auf der Durchführung einer Hauptverhandlung. Angegeben war aber statt einer Adresse nur ein Postfach mit der Nummer
... sowie der Ortsangabe A-Stadt unter der Postleitzahl D-.
Bei einem solchen Sachverhalt fehlt es trotz vorhandener, einseitiger, Kommunikation an der Sachurteilsvoraussetzung der Wohnanschriftsangabe
als unverzichtbarer Verfahrensvorschrift. Als allgemeine Prozessvoraussetzung erfordert ein zulässiges Rechtsschutzbegehren
im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird. Die Angabe einer aktuellen Adresse
zur Anschrift des Rechtsschutzsuchenden ist in jeder Lage des Verfahrens erforderlich (BSG, Urteil vom 18.11.2003, Az.: B 1 KR 1/02 S). Die Vorschriften des
SGG sind insoweit unvollständig (vgl. §
153 Abs.
1 SGG bzw. entsprechende Anwendung der Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105). Das Erfordernis
der Angabe einer Adresse, die den Wohnsitz bzw. den Aufenthaltsort widerspiegelt, beruht aber auf demselben Grundgedanken
wie die kodifizierte prozessuale Schriftform (§
90 SGG bzw. §
151 SGG). Eine natürliche Person wird im Rechtsverkehr durch die Angabe ihres Namens und ihrer Anschrift individualisiert. Die Adresse
ist für die Identifikation des Rechtsuchenden und die Authentizität des Rechtschutzbegehrens nötig; es muss zuverlässig feststehen,
wer die Klage willentlich in den Rechtsverkehr eingebracht hat. Deren Angabe ist weiterhin Voraussetzung für die im gerichtlichen
Verfahren unerlässliche wechselseitige Kommunikation, insbesondere die Zustellung von Entscheidungen mit Folgewirkungen für
die Rechtskraft und Rechtssicherheit sowie für gerichtliche Anordnungen, denen der Kläger im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht
nachzukommen hat (Binder, Kommentar Lüdtke,
Sozialgerichtsgesetz, Rn. 1 zu §
90). Unter der Anschrift ist die Angabe der Wohnung nach Ort, Straße, Hausnummer und gegebenenfalls weiteren Unterscheidungsmerkmalen
(z.B. Gebäudeteil wie etwa Stockwerk oder Gartenhaus) zu verstehen. Dieses Verständnis liegt zahlreichen prozessualen Vorschriften
zugrunde, zum Beispiel über die Zustellung von Entscheidungen (vgl. §
63 Abs.
2 SGG i.V.m. §§
166 ff
ZPO). Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtsuchenden bedarf es, damit ein Tätigwerden
des zuständigen Gerichts überhaupt möglich ist. Weiter verlangen kosten- rechtliche Gründe (§§
192,
193 SGG) sowie die Notwendigkeit eines unmittelbaren Zugangs zum Rechtsschutzsuchenden wegen der Sachermittlung die genaue Kenntnis
der Wohnanschrift. Schließlich begibt sich der Rechtsschutzsuchenden mit der Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens
in eine Rolle, die trotz des Amtsermittlungsprinzips regelmäßig ein Mindestmaß an aktiver Mitwirkung erfordert (vgl. §
103 Satz 1 Halbsatz 2, §
106 Abs.
1, §
111 Abs.
1 SGG); dies ist ohne sichere, auch für den Prozessgegner transparente Kommunikationsmöglichkeiten (vgl. §
128 Abs.
2 SGG) nicht gewährleistet. Demgemäß besteht in Literatur (Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
90 Rn. 4 und §
92 Rn. 4; Breitkreuz/Fichte, zu §
92 SGG, BeckOK Autor: Hintz,
SGG §
92, Rn. 1) und Rechtsprechung weitgehend Einigkeit darüber, dass eine das Verfahren als natürliche Person betreibende Partei
nach allen Prozessordnungen ohne Rücksicht auf die jeweilige Formulierung des Gesetzes ihre "ladungsfähige Anschrift", die
Angabe des tatsächlichen Wohnorts, also die Anschrift, unter der die Partei persönlich zu erreichen ist, anzugeben hat (vgl.
BVerwG, Urteil vom 13.04.1999 Az.: 1 C 24/97, BSG, Urteil vom 18.11.2003, Az.: B 1 KR 1/02 S, Beschlüsse des Bayer. LSG vom 19. 03. 2012, L 8 SO 42/12 B PKH, 19. 03. 2012, L 8 SO 32/12 B ER PKH, vom 01.03.2012, Az:
L 8 SO 3/12 B ER, 13.02.2009 und vom 16.02.2009, L 7 AS 150/08, L 7 AS 153/08 und L 7 AS 160/08, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.08.2010, Az.: L 13 R 3865/09). So genügt beispiels- weise schon nicht die bloße Angabe einer E-Mail-Adresse und/oder einer Mobilfunk-Telefonnummer. Selbst
die Angabe der Anschrift eines Postzustellungsbevollmächtigten ist für eine ordnungsgemäße Rechtsmittelwahrung nicht ausreichend
(Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.03.2006, Az: L 8 KR 46/05).
Unter den gegebenen Umständen war es dem Senat auch nicht möglich, den Kläger zur Herstellung der Prozessvoraussetzung zu
einer korrekten Bezeichnung der ladungsfähigen Anschrift zu veranlassen. Alle Versuche, den Kläger zu einer Mitwirkung zu
bewegen, scheiterten an der fehlenden direkten Kommunikation. So erfordert eine Betreibensaufforderung (§
156 Abs.
2 SGG) eine Zustellung an den Kläger, ebenso wie die Bestellung eines besonderen Vertreters (§
72 Abs.
2 SGG) die Zustimmung des Beteiligten erfordert.
Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem
Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist (z.B. bei einem besonderen schützenswerten Geheimhaltungsinteresse
in einem Adoptionsverfahren, vgl. BGHZ 102, 332, 336). Solche Umstände hat der Antragsteller hier weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich. Das nach seinem Vortrag
erkennbare Bestreben, ein gerichtliches Verfahren aus Dritten im Einzelnen nicht zugänglich gemachten persönlichen Gründen
möglichst anonym zu betreiben oder gar vor Gläubigern geschützt zu sein, steht dem nach der zutreffenden Ansicht des BSG (a.a.O.) nicht gleich.
Im vorliegenden Fall ist eine wechselseitige Kommunikation mit dem Kläger nicht möglich. Die Bevollmächtigung seines Anwalts
hat sich nur auf die erste Instanz bezogen. Die Mitteilungen an den Kläger per Postfach blieben unbeantwortet.
Die Berufung ist damit zu verwerfen (§
158 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision (§
160 SGG) sind nicht ersichtlich.