Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ab dem 1.1.2005
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger, da er am 22.01.2002 eine Erklärung nach §
428 Sozialgesetzbuch III (
SGB III) abgegeben hat, über das Ende des Bezugs von Arbeitslosenhilfe am 31.12.2004 hinaus ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bis
zum Beginn seiner Rente im Jahr 2008 zusteht.
Der 1943 geborene Kläger meldete sich am 27.12.2001 ab 01.01.2002 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Am 22.01.2002
übersandte er dem Arbeitsamt (jetzt: Agentur für Arbeit) unterschriftlich die von der Beklagten für über 58-jährige Arbeitslose
ausgearbeitete Erklärung, er wolle Alg bzw. Arbeitslosenhilfe (Alhi) unter den erleichterten Voraussetzungen in Anspruch nehmen.
Das Arbeitsamt bewilligte ihm ab 01.01.2002 Alg zunächst mit Bescheid vom 25.01.2002, nach Widerspruch mit Bescheid vom 20.02.2002
bis zum 24.02.2003. Am 25.02.2003 war der Anspruch des Klägers auf Alg erschöpft.
Auf weiteren Antrag bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 14.02.2003 ab 25.02.2003 Anschluss-Alhi bis 24.02.2004 (Ende
des Bewilligungsabschnitts).
Entsprechend dem Antrag auf Fortzahlung der Alhi vom 19.01.2004 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 12.02.2004, der sich
nicht in den Akten befindet, Alhi über den 24.02.2004 bis zum 31.12.2004.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Die Überführung der Alhi in das Alg II ab 01.01.2005 könne für den Personenkreis der
älteren Arbeitslosen nicht gelten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2004 zurück. Das Sozialgesetzbuch II (SGB II) trete zum
01.01.2005 in Kraft.
Der Kläger hat hiergegen (Az.: S 37 AL 756/04) Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Die Beklagte sei zu verurteilen, ihm Alhi über den 31.12.2004 hinaus bis zum abschlagsfreien Rentenbeginn (31.01.2008)
zu leisten und die laufende Alhi dabei von den anfallenden gesetzlich vorgesehenen Kürzungen mit den entsprechenden Auswirkungen
auf die Rente auszunehmen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.12.2006 abgewiesen und auf den Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2005 verwiesen. Ein Verstoß
gegen verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen sei nicht erkennbar. Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11.06.2007
Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (Az.: L 9 AL 191/07) eingelegt.
Am 22.03.2005 beantragte der Kläger erneut ungekürztes Alg bis zu seinem Renteneintritt. Die Beklagte lehnte den Zugunstenantrag
mit Bescheid vom 19.05.2005 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2005 zurück.
Sie habe den Anspruch des Klägers auf Alg bis zum 24.02.2003 vollständig erfüllt. Auch dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz
vom 23.09.2005 (Az.: S 37 AL 1322/05) mit gleichbleibender Begründung Klage beim SG erhoben. Er wolle Alg bis zum Rentenbeginn. Das SG hat auch diese Klage abgewiesen (Urteil vom 08.12.2006). Nach Ausschöpfung des Anspruchs auf Alg stehe dem Kläger für den
Zeitraum ab dem 25.02.2003 kein Alg mehr zu, insoweit werde auf den Widerspruchsbescheid vom 20.09.2005 verwiesen.
Mit der dagegen eingelegten Berufung vom 11.06.2007 (Az.: L 9 AL 192/07) hat der Kläger auf seine bisherigen Ausführungen verwiesen. Die Kooperation der Beklagten mit den Kommunen in Job-Centern
sei verfassungswidrig. Er werde in seinen Grundrechten verletzt. Dem hat die Beklagte entgegengehalten (Berufungserwiderung
vom 23.01.2008), das Bundesverfassungsgericht habe das SGB II nicht für verfassungswidrig erklärt. Die Regelungen über die
Alhi seien zum 31.12.2004 aufgehoben worden, das Zweite Buch Sozialgesetzbuch sei am 01.01.2005 in Kraft getreten.
Der Senat hat mit Beschluss vom 19.03.2008 die Streitsachen L 9 AL 191/07 und L 9 AL 192/07 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Az.: L 9 AL 191/07 weitergeführt.
In der Begründung der Berufung vom 11.02.2010 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend gemacht, der Kläger beanspruche
die Weitergewährung von Alg bzw. Alhi über den 24.03.2003 (richtig wohl: 24.02.2003) hinaus sowie über den 31.12.2004 hinaus
bis zum Bezug von Regelaltersrente. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 09.02.2010 zur vorliegenden Problematik
der Abschaffung der Alhi für Personen, die von der Möglichkeit gebrauch gemacht haben, Alg nach §
428 SGB III unter erleichterten Voraussetzungen zu beziehen, nicht Stellung genommen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
sei die Abschaffung der Alhi und die Ersetzung durch die Leistungen des SGB II nicht verfassungswidrig. Das gelte auch für
Personen, die eine Erklärung nach §
428 SGB III abgegeben haben. Im vorliegenden Fall habe der Kläger die Erklärung nach §
428 SGB III während des Bezugs von Alg abgegeben. Zu diesem Zeitpunkt sei die Abschaffung der Alhi und die Einführung des SGB II nicht
absehbar gewesen. Der Auffassung des BSG könne nicht gefolgt werden. Die Abschaffung der Alhi greife im Fall einer Erklärung
nach §
428 SGB III in das Eigentumsrecht des Art.
14 Grundgesetz ein und sei nicht gerechtfertigt. Es fehle an einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügenden Übergangsregelung.
Dem hat die Beklagte entgegengehalten, das BSG habe bereits mehrfach entschieden, die Abschaffung der Alhi für ältere Arbeitslose,
die eine Erklärung nach §
428 SGB III abgegeben haben, verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Eine über die Regelung des §
65 Abs.
4 SGB II - wonach weiterhin (wie nach der Regelung des §
428 SGB III) auf die subjektive Verfügbarkeit verzichtet wird - hinaus gehende Übergangsregelung sei nicht geboten.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger erklärt, er habe die Erklärung nach §
428 SGB III unterschrieben, weil er dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Als die Änderung zum 01.01.2005 eingetreten
sei, habe sich seine Situation geändert. Er selbst habe aber auch ab diesem Zeitpunkt ebenso wie vorher keine Eigenbemühungen
unternommen, um seine Arbeitslosigkeit zu beenden. Der Prozessbevollmächtigte hat im Einvernehmen mit dem Kläger die Berufung
insoweit zurückgenommen, als das Urteil des SG vom 08.12.2006, Az.: S 37 AL 1322/05 betroffen ist (Anspruch auf Arbeitslosengeld über den 24.02.2002 hinaus). Der Kläger hat weiter erklärt, er wolle die Berufung
auch wegen der überlangen Verfahrensdauer mit dem Ziel einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht bzw. durch den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterführen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.12.2006 (Az.: S 37 AL 756/04) sowie den Bescheid vom 12.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.05.2004 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihm Alhi über den 31.12.2004 hinaus bis zum 31.08.2008 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet.
Streitgegenstand der Berufung ist der Bescheid vom 12.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.05.2004 mit
dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger über den 31.12.2004 hinaus bis zu seinem Rentenbeginn Alhi zu bewilligen.
Streitgegenstand ist nicht der Bescheid vom 19.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.09.2005, mit dem es
die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger ab dem 25.02.2003 Arbeitslosengeld bis zu seinem Rentenbeginn zu zahlen. Der Kläger
hat die Berufung insoweit zurückgenommen.
Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ab dem 01.01.2005 bis zum Rentenbeginn steht dem Kläger nicht zu, auch nicht deswegen,
weil er am 22.01.2002 erklärt hat, er wolle Alg bzw. Alhi unter den erleichterten Voraussetzungen nach §
428 SGB III in Anspruch nehmen. Denn ab dem 01.01.2005 sind die Regelungen über die Arbeitslosenhilfe des
SGB III durch die Regelungen über das Arbeitslosengeld II durch das Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ersetzt worden.
Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) - der sich der Senat anschließt - bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen die Regelungskompetenz des Gesetzgebers bezüglich der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Einführung des Arbeitslosengeldes
II (BSG, Urteil vom 05.09.2007, Az.: B 11b AS 51/06 R ; BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az.: B 11b AS 1/06 R ; BSG, Urteil vom 28.11.2007, Az.: B 11a/7a AL 62/06 R ; BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az.: B 11b AS 9/06 R ; BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az.: B 11b AS 3/06 R). Danach ist es nicht verfassungswidrig, dass die Alhi durch das Alg II ersetzt worden ist (vgl. auch Brandt in Niesel,
SGB III, 5. Auflage, §
428 Rn. 12). Schon die Alhi ist nicht beitragsfinanziert gewesen. Auf eine Eigentumsgarantie kann sich der Arbeitslose nicht
berufen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip sind unter anderem deswegen
nicht verletzt, weil die Betroffenen ausreichend Gelegenheit hatten, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.
Auch ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot ist zu verneinen. Unabhängig davon, ob überhaupt ein Fall der
unechten Rückwirkung vorliegt, kann ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitslosen, bis zur Inanspruchnahme einer
Altersrente Leistungen in Höhe der zuletzt bezogenen Alhi zu erhalten, nicht anerkannt werden.
§
428 SGB III begründet allenfalls ein Vertrauen des Arbeitslosen, künftig von der Voraussetzung der Arbeitsbereitschaft entlastet zu werden.
Dem ist in § 65 Abs 4 SGB II Rechnung getragen worden. Im Übrigen überwiegen jedenfalls die mit der Ablösung der Alhi zugunsten
der Grundsicherung für Arbeitsuchende verfolgten öffentlichen Belange. Danach ist der Gesetzgeber nicht gehalten gewesen sei,
für ältere Alhi-Bezieher eine dem § 24 SGB II vergleichbare Regelung zu schaffen.
Die Frage eines Vertrauensschutzes war spätestens mit dem Urteil des 11. Senats des Bundessozialgerichts vom 23.11.2006 geklärt
(vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006, Az.: B 11 b AS 9/06 R zitiert nach juris). Wie das BSG ausgeführt hat, konnte die in §
428 SGB III getroffene gesetzliche Regelung allenfalls ein Vertrauen darauf begründen, dass der Arbeitslose (voraussichtlich bis zur
Inanspruchnahme einer Altersrente) von der Leistungsvoraussetzung der Arbeitsbereitschaft entlastet wird. Diesem Gesichtspunkt
hat das Gesetz vom 24.12.2003 durch eine spezielle Übergangsregelung in § 65 Abs 4 SGB II Rechnung getragen. Danach haben
erwerbsfähige Hilfebedürftige, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
auch dann, wenn sie nicht arbeitsbereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, ihre Hilfebedürftigkeit
durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden (Satz 1). Die im Gesetz weiter vorgesehene zeitliche Befristung des erleichterten Anspruchserwerbs
und das weitere Verfahren korrespondieren mit §
428 SGB III (Satz 2 und 3). Insbesondere gefährdet die Befristung nicht den unveränderten Fortbestand der bisherigen Regelung für diejenigen
älteren Arbeitslosen, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres im Jahr 2002 die Erklärung nach §
428 SGB III unterschrieben haben und zum 01.01.2005 vom Alhi-Bezug in den Alg II-Bezug gewechselt sind. Auf Grund dieser Übergangsregelung
ist sichergestellt, dass Arbeitslose, die im Vertrauen auf §
428 SGB III ihre Arbeitsbereitschaft beendet haben, ihre Lebensplanung nicht ändern müssen (vgl. BSG aaO. unter Hinweis auf: BT-Drucks
15/1749 S 34 zu Art. 1 § 65 Abs. 5).
Dem haben sich der 14/7b Senat (BSG, Urteil vom 06.09.2007, Az.: B 14/7b AS 30/06 R zitiert nach juris) und der 7 a Senat (BSG, Urteil vom 10.05.2007, Az.: B 7 a AL 48/06 R) angeschlossen.
Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in §
160 Abs.
2 Ziffer 1 und 2
SGG genannten Gründe vorliegt.