Unzulässige "Untätigkeitbeschwerde" in Fällen der Rüge eines überlangen Gerichtsverfahrens
1. Die beim Sozialgericht erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist nicht statthaft, weil gesetzlich nicht vorgesehen.
2. Die Vorschriften über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren in den §§
198-
201 GVG gelten über §
202 SGG für das gesamte sozialgerichtliche Verfahren.
3. Das genügt, um dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes zu entsprechen; es verbleibt kein Raum für eine "Untätigkeitsbeschwerde."
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie beantragt, das Sozialgericht Berlin zu verpflichten, "im Verfahren nunmehr
umgehend und ohne weitere Zeitverzögerung eine Entscheidung über den Antrag vom 7.10.13 zu treffen", ist unzulässig.
Die Untätigkeitsbeschwerde ist nicht statthaft, denn sie ist im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. hierzu und zum Folgenden Bundessozialgericht,
Beschlüsse vom 21. Mai 2007 - B 1 KR 4/07 S - und vom 6. Februar 2008 - B 6 KA 61/07 B - beide bei juris). Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die
Bürger erkennbar sein. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu
dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen. Die rechtliche Ausgestaltung
des Rechtsmittels soll dem Bürger insbesondere die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist.
Deshalb geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) davon aus, eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde sei kein wirksamer Rechtsbehelf gegen
eine überlange Verfahrensdauer (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 8. Juni 2006 - 75529/01 - juris). Hieran gemessen verbleibt kein Raum dafür, zur Vermeidung eines
Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ohne gesetzliche Grundlage durch Richterrecht eine Untätigkeitsbeschwerde zu schaffen, um auf ein laufendes Verfahren einzuwirken.
Dementsprechend haben auch der Bundesfinanzhof (Beschluss vom 4. Oktober 2005 - II S 10/05 juris) und das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 5. Dezember 2006, 10 B 68/06 - juris) entschieden, dass es ein Rechtsinstitut der "Untätigkeitsbeschwerde" nicht gibt.
Daneben ist zu beachten, dass mit dem am 3. Dezember 2011 in Kraft getretenen Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen
Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I Seite 2302) der Gesetzgeber das
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) geändert und diesem Gesetz den Siebzehnten Titel "Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren"
mit den §§
198 bis
201 GVG neu angefügt (Artikel 1 des Gesetzes) hat. Mit diesen Regelungen, die in der Sozialgerichtsbarkeit gemäß §
202 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in der Fassung von Artikel 7 Nr. 6 des Gesetzes vom 24. November 2011 entsprechend anzuwenden sind, und die gemäß §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG ausdrücklich auch auf Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anwendbar sind, wird eine Anspruchsgrundlage für die Geltendmachung
eines Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens
unter Normierung der tatbestandlichen Voraussetzungen geschaffen. Mit diesen Regelungen soll der Rechtsschutz bei überlanger
Verfahrensdauer einheitlich und ausschließlich durch einen außerhalb des Ausgangsverfahrens zu verfolgenden Anspruch gewährt
werden. Damit wird dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gegen eine überlange Verfahrensdauer hinreichend Rechnung getragen,
sodass es einer Untätigkeitsbeschwerde nicht mehr bedarf (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. September
2012, L 11 VE 14/12 B - juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.