Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Wesentlicher Verfahrensmangel
Verpflichtung zur Amtsermittlung
Fehlende Ermittlungen
Tatbestand:
Streitig sind in der Sache Ansprüche auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der Kläger ist 1958 geboren worden. Er hat in der DDR nach dem Abschluss der Polytechnischen Oberschule vom September 1976
bis Juli 1978 den Beruf des Bootsbauers erlernt (Facharbeiterzeugnis vom 10. Juli 1978) und vor dem Beginn einer Arbeitsunfähigkeit
im November 2012 langjährig, zuletzt durchgehend seit November 2007 ausgeübt. Seitdem ging er keiner versicherungspflichtigen
Beschäftigung mehr nach, das letzte Arbeitsverhältnis wurde zu Ende März 2014 beendet. Nach einem Krankenhausaufenthalt wegen
eines im Dezember 2012 diagnostizierten Harnblasenkarzinoms befand er sich vom 19. März 2013 bis zum 9. April 2013 in Kostenträgerschaft
der Beklagten zu einer Anschlussheilbehandlung. Ausweislich des Entlassungsberichts der Rehabilitationsklinik M S GmbH wurde
der Kläger arbeitsunfähig bei fortbestehender ambulanter Behandlungsbedürftigkeit entlassen. Zum Leistungsvermögen wurde im
Übrigen ausgeführt, dass die letzte berufliche Tätigkeit als Bootsbauer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden
könne. Bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen
(kein Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten, keine Arbeiten bei Nässe und Kälte, kein ständiges Bücken und Knien,
keine Arbeiten auf Gerüsten und Leitern, keine Überkopfarbeiten, keine Nachtschichten) täglich sechs und mehr Stunden verrichten.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien zu prüfen (Diagnosen: Urothelkarzinom der Harnblase, radikale Zystoprostatektomie
mit Anlage einer Neoblase und simultaner Appendektomie am 1. Februar 2013, Belastungsinkontinenz I°-II°, Rekonvaleszenz nach
chirurgischem Eingriff).
Den vom Kläger im September 2013 bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 23. Oktober 2013 ab. Der Kläger sei nach dem Ergebnis
der medizinischen Ermittlungen nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Er sei auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei
Berufsunfähigkeit. Zwar könne er im bisherigen Beruf des Bootsbauers nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig
sein. Er könne in diesem zeitlichen Umfang aber noch als Löter, Telefonist oder Verkäufer von Booten arbeiten. Bei dieser
Entscheidung lagen der Beklagten eine Epikrise des H-Klinikums B S (stationärer Aufenthalt wegen des Harnblasenkarzinoms vom
30. Januar bis 26. Februar 2013 mit "Beurlaubung" vom 23. bis 25. Februar 2013), die der Bewilligung der Anschlussheilbehandlung
vorangegangene prüfärztliche Stellungnahme vom 28. Februar 2013 und der Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik vor.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass ihm ein Grad der Behinderung von 80 nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs
Neuntes Buch zuerkannt worden sei. In seinem alltäglichen Tun sei er sehr stark eingeschränkt. Sein Gesundheitszustand erlaube
ihm nicht, konzentriert über längere Zeit einer Tätigkeit nachzugehen.
Die Beklagte holte daraufhin Befundberichte des Facharztes für Urologie Dipl.-Med. B ein, zu dem der Facharzt für Innere Medizin
Dr. F eine prüfärztliche Stellungnahme abgab.
Durch Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wiederholte und vertiefte ihre
Auffassung aus dem Ausgangsbescheid, wobei sie als Verweisungstätigkeit den Löter in der Einzelfertigung benannte.
Mit seiner Klage hat der Kläger weiter geltend gemacht, dass ihm sein Gesundheitszustand keine Erwerbstätigkeit im Umfang
von wenigstens sechs Stunden mehr erlaube. Er sei außerdem berufsunfähig. Der von der Beklagten benannte Verweisungsberuf
sei ihm aufgrund seiner Vorbeschäftigung als Bootsbauer sozial nicht zumutbar.
Das Sozialgericht Cottbus, an das der Rechtsstreit zuvor zuständigkeitshalber vom Sozialgericht Berlin verwiesen worden war,
holte nach Rücklauf eines "Fragebogens zur Person" Befundberichte der vom Kläger benannten behandelnden Ärzte und eine Auskunft
des letzten Arbeitgebers des Klägers ein. Auf entsprechende Anforderung gelangte außerdem ein nach Untersuchung des Klägers
erstelltes Gutachten des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Cottbus vom 2. Juni 2014 zu den Akten. Darin wird die
Leistungsfähigkeit des Klägers mit vollschichtig für leichte körperliche Arbeiten angegeben und weiter ausgeführt, dass der
unproblematische Zugang zu sanitären Einrichtungen essentiell sei. Die vom Kläger als alternative Berufsvorstellung genannte
Tätigkeit des Bootsverleihers sei leidensgerecht.
Mit Schriftsatz vom 16. März 2015 hat sich die Beklagte unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des Facharztes
für Allgemeinmedizin Dr. S zu den Ermittlungsergebnissen geäußert und ist bei ihrer Auffassung geblieben. An der bisher benannten
Verweisungstätigkeit des Löters werde festgehalten.
Der Kläger seinerseits hat seine Auffassung bekräftigt, täglich nicht mindestens sechs Stunden arbeitsfähig und zudem berufsunfähig
zu sein. Er bestreite sowohl, dass ihm eine Tätigkeit als Löter noch zumutbar sei, als auch, dass es diesen Beruf überhaupt
oder in nennenswerter Zahl in der Bundesrepublik Deutschland gebe.
Durch Urteil vom 10. August 2015 hat das Sozialgericht die Klage nach mündlicher Verhandlung ohne weitere Ermittlungen abgewiesen.
Der Tatbestand des ausgefertigten Urteils umfasst einschließlich der Überschrift und der Anträge der Beteiligten ein Blatt
sowie sechs Zeilen des Folgeblattes im Format DIN A4 bei einem Zeilenabstand von 1,5 Zeilen. Er lautet:
"Die Beteiligten streiten über Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1958 geborene Kläger hat den Beruf eines Bootsbauers erlernt. Er beantragte am 18. September 2013 Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 23. Oktober 2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen eingelegten
Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2014 zurück.
Mit seiner am 12. März 2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er ist der Auffassung, sein Gesundheitszustand führe zu einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Kläger meint, die bisherigen
medizinischen Ermittlungen würden seinen Gesundheitszustand nicht vollumfänglich erfassen. Zumindest sei er nicht auf den
Beruf des Löters zu verweisen.
...
[Wiedergabe der von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 10. August 2015 gestellten Anträge]
Die Beklagte ist der Auffassung die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig.
Die Kammer hat durch die Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte Beweis erhoben. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Befundberichte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen, wird auf die
Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung waren."
In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung,
weil er aus medizinischen Gründen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei. Zu diesen Feststellungen gelange die Kammer
aufgrund des schlüssigen und überzeugenden Reha-Entlassungsberichtes vom 14. Juni 2013, dem sie sich nach eigener Prüfung
anschließe. Die Darstellung des Klägers zu seinen Gesundheitsproblemen decke sich mit den Einschätzungen im Entlassungsbericht.
Maßgeblich sei für den Kläger die nach der Blasentumorresektion eingetretene Inkontinenz. Hieraus ergäben sich zwar "qualitative
Einschränkungen aber keine Qualitativen Einschränkungen". Die vermehrten Pausenzeiten wegen Inkontinenz seien jedoch keine
Leistungslimitierung, die eine unzumutbare Härte bei der Ausübung eines Berufes nach sich ziehe.
Zum Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat das Sozialgericht nach Wiedergabe des Gesetzestextes
Ausführungen zu dem sogenannten Stufenschema des Bundessozialgerichts (BSG) betreffend die soziale Zumutbarkeit von Verweisungsberufen und zu den Kriterien für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit
zu einer bestimmten Gruppe (Stufe) des Mehrstufenschemas gemacht. Dann heißt es: "Der Kläger ist vor dem 02. Januar 1961 geboren.
Der maßgebliche Beruf des Klägers als Bootsbauer ermöglicht die sozial zumutbare Verweisung zumindest auf den Beruf des Löters.
Dieser ist dem Kläger aufgrund der medizinischen Feststellungen auch medizinisch zumutbar. Der Kläger kann auch den Beruf
des Löters in der Einzelfertigung, bei dem es sich um einen Anlernberuf handelt, mit dem ihm grundsätzlich innewohnenden handwerklichen
Fähigkeiten eines gelernten Bootsbauers, erlernen."
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er ist der Auffassung, dass sich aus dem vom Sozialgericht herangezogenen
Reha-Entlassungsbericht keine konkrete Leistungseinschätzung ergebe. Das Anforderungsprofil an einen Löter erfülle er nicht,
außerdem sei sie ihm diese Tätigkeit als Anlerntätigkeit nicht sozial zumutbar. Das Sozialgericht habe sich außerdem nicht
mit der Frage befasst, ob bei ihm eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
vorliege. Da er keine Harnblase im herkömmlichen Sinn mehr habe, müsse er häufiger als üblich die Toilette aufsuchen. Zudem
müsse eine Toilette mit innenliegendem Waschbecken jederzeit und schnell erreichbar sein. Derzeit verrichte er einfache Schraub-
und Montagearbeiten im Bootsbau in Heimarbeit. Damit habe er seine Leistungsgrenzen erreicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. August 2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat sich dem Antrag des Klägers angeschlossen.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
begründet.
Gemäß §
159 Abs.
1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil eine mit der Berufung angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das
Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche
und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung sind erfüllt. Ein Mangel des Verfahrens liegt vor, wenn gegen eine
das gerichtliche Verfahren regelnde Vorschrift verstoßen worden ist. Wesentlich ist dieser Mangel, wenn die Entscheidung darauf
beruhen kann (allgemeine Meinung, stellvertretend Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
159 Rn 3, 3a).
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Urteil des Sozialgerichts bereits in formaler Hinsicht verfahrensfehlerhaft ist,
indem es im Sinne des Gesetzes an einem Tatbestand (§
136 Abs.
1 Nr.
5 SGG; zu den Anforderungen an eine Bezugnahme im Tatbestand auf Schriftstücke nach Maßgabe des §
136 Abs.
2 SGG stellvertretend Keller a.a.O. §
136 Rn 6a m.w.Nachw.) und Entscheidungsgründen (§
136 Abs.
1 Nr.
6 SGG; zu den Anforderungen aus letzter Zeit BSG, Urteile vom 23. Juli 2015 - B 5 RS 9/14 R und B 5 RE 17/14 R -) mangelt. Den Angaben unter der Überschrift Tatbestand lässt sich jedenfalls noch hinreichend deutlich
entnehmen, von welchem Streitgegenstand das Sozialgericht bei seiner Entscheidung ausgegangen ist und dementsprechend, worüber
das Landessozialgericht im Rahmen seiner funktionalen Zuständigkeit als Rechtsmittelgericht statthaft eine Entscheidung treffen
kann (§
29 Abs.
1 SGG und hierzu BSG, Urteile vom 23. April 2015 - B 5 RE 23/14 R - SozR 4-2600 § 2 Nr. 20 und vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 20/01 R - SozR 3-1500 § 29 Nr. 1). Die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung kann damit nicht in der Verletzung des §
136 Abs.
1 Nr.
5 oder 6
SGG ihre Ursache haben, weshalb die Voraussetzungen des §
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG insoweit nicht erfüllt sind.
Ein zur Zurückverweisung berechtigender wesentlicher Verfahrensmangel liegt aber insoweit vor, als das Sozialgericht den entscheidungserheblichen
Sachverhalt entgegen der Verpflichtung zur Amtsermittlung (§
103 SGG) nicht hinreichend aufgeklärt hat. Zu ermitteln sind alle Tatsachen, die, ausgehend von der Rechtsauffassung des Sozialgerichts,
für die Entscheidungsfindung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich sind.
Rechtsgrundlagen für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche sind die §§
43,
240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI), die in dem angefochtenen Urteil in der maßgeblichen Fassung wiedergegeben worden sind.
Für einen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ist danach klärungsbedürftig, ob der Kläger aus
medizinischen Gründen voll oder teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 und Sätze 2 und 3, Abs. 3
SGB VI) und ob er die sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt (§§
43 Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs.
2 Nr.
2 und
3 und Abs.
4 bis
6,
241 SGB VI).
Nach dem Versicherungsverlauf des Klägers, wie er aus der Verwaltungsakte der Beklagten hervorgeht, gibt es keinen Anhaltspunkt
dafür, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für irgendeinen ernsthaft in Betracht kommenden Zeitpunkt des Eintritts
des Leistungsfalls (der Kläger macht selbst nicht geltend, vor dem Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit im November 2012 erwerbsgemindert
zu sein) in Frage stehen könnten.
Eine klageabweisende Entscheidung kann sich deshalb nur dadurch rechtfertigen, dass die medizinischen Voraussetzungen für
eine volle oder teilweise Erwerbsminderung nicht nachzuweisen sind. Das Sozialgericht war angesichts dessen gehalten, Ermittlungen
zur Aufklärung des Leistungsvermögens des Klägers anzustellen. Hierzu reicht es aber nicht ohne Weiteres aus, lediglich Befundberichte
von behandelnden Ärzten einzuholen, wie im vorliegenden Fall geschehen. Abgesehen davon, dass das Sozialgericht seine Entscheidung
weder darauf noch auf die zu den Befundberichten abgegebene ärztliche Stellungnahme der Beklagten gestützt hat, kommt den
schriftlichen Äußerungen behandelnder Ärzte nur der Charakter von Auskünften (§
106 Abs.
3 Nr.
4 SGG) oder schriftlicher Aussagen sachverständiger Zeugen (§§
106 Abs.
4,
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V. mit §§
377 Abs.
3,
414 Zivilprozessordnung [ZPO]) zu. Sie vermitteln dem Gericht deshalb nicht zwangsläufig die erforderliche Sachkunde über das objektive Vorliegen
von Krankheitsbildern und deren Auswirkungen auf das rentenrechtlich erhebliche Leistungsvermögen.
Diese Sachkunde kann zwar möglicherweise dadurch hergestellt werden, dass ein Leistungsträger im Verwaltungs- und Vorverfahren
sozialmedizinisch fundierte Äußerungen - regelmäßig nach Untersuchung des Versicherten - im Rahmen der ihn treffenden Pflicht
zur Amtsermittlung (§§ 20, 21 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) eingeholt oder beigezogen hat (s. in diesem Zusammenhang BSG, Beschluss vom 7. August 2014 - B 13 R 420/13 B -). Selbst wenn unterstellt wird, dass der Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Märkische Schweiz hierzu im vorliegenden
Fall prinzipiell geeignet ist, so erfolgte die Entlassung aus der Anschlussheilbehandlung doch als "arbeitsunfähig". Arbeitsunfähigkeit
wurde dem Kläger durch den behandelnden Arzt Dipl.-Med. B - bei von ihm mitgeteilter unveränderter Befundlage - aber auch
nach dem Ende der Anschlussheilbehandlung durchgehend mindestens bis zur Erstattung des Befundberichts vom 10. November 2014
bescheinigt. Jedenfalls mit Blick darauf, dass der Kläger in diesem Zeitpunkt bereits nahezu zwei Jahre lang keiner versicherungspflichtigen
Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen und das letzte Arbeitsverhältnis Ende März 2014 beendet worden war, hätte sich das Sozialgericht
gedrängt fühlen müssen aufzuklären, ob Arbeitsunfähigkeit aus Sicht des behandelnden Arztes "nur" im Sinne des Unvermögens,
die letzte konkrete Berufstätigkeit auszuüben, oder - nachdem der Kläger nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stand - weitergehend
im Sinne des Unvermögens, jegliche Art von abhängiger Erwerbstätigkeit auszuüben, vorlag (zur Begrifflichkeit stellvertretend
Brandts in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, §
44 SGB V, Rn 27ff, im Besonderen Rn 43ff. m.w.Nachw.). Diese Frage wird durch die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. Späth nicht
geklärt. Für seine Annahme, der Kläger werde (nur) "in seinem Beruf als Bootsbauer weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben"
gibt es keine tatsächliche Grundlage. Der Befundbericht des Dipl.-Med. B verhält sich dazu nicht und eine andere Erkenntnisquelle
ist nicht ersichtlich Es kann nicht unterstellt werden, dass behandelnde Ärzte den Begriff der Arbeitsunfähigkeit stets rechtskonform
verwenden. Ob die Rehabilitationsklinik dies ihrerseits getan hat, kann gleichfalls aufzuklären sein.
Auf welche Weise das Sozialgericht dem sonach bestehenden Ermittlungsbedarf nachkommt, bleibt zunächst ihm überlassen. Jedenfalls
dann, wenn es zunächst nur eine ergänzende Äußerung des Dipl.-Med. B einholen würde, hätte es aber zu beachten, dass sich
selbst unter Berücksichtigung einer solchen Äußerung weiterer medizinischer Aufklärungsbedarf ergeben, im Besonderen der Entlassungsbericht
der Rehabilitationsklinik mittlerweile für die Gegenwart möglicherweise nicht mehr hinreichend aussagekräftig sein kann (s.
dazu stellvertretend BSG, Beschluss vom 13. Juni 2013 - B 13 R 485/12 B). Ob sich im weiteren Verlauf der Ermittlungen gesundheitliche Einschränkungen ergeben, welche die Leistungsfähigkeit des
Klägers soweit einschränken, dass sich die Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur bei Benennung einer konkreten
Verweisungstätigkeit bejahen lässt, hätte das Sozialgericht zu gegebener Zeit ebenfalls zu prüfen (stellvertretend dazu BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -, SozR 4-2600 § 43 Nr. 18).
Für einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist neben den versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen ("sonstige Voraussetzungen" nach §
240 Abs.
1 Einleitungssatz
SGB VI) und dem Lebensalter des Anspruchstellers (§
240 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI) klärungsbedürftig, ob Berufsunfähigkeit vorliegt (§
240 Abs.
1 Nr.
2 SGB VI).
Eine klageabweisende Entscheidung betreffend die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kann sich nach
Lage der Akten nur durch die - vom Sozialgericht auch vorgenommene - Verneinung von Berufsunfähigkeit rechtfertigen. Das Lebensalter
des Klägers steht dem Zugang zu dieser Rentenart nicht entgegen, ebensowenig stehen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
in Frage.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (unter anderem das vom Sozialgericht zitierte Urteil vom 14. Mai 1996 - 4 RA 60/94 -, SozR 3-2600 § 43 Nr. 13; ergänzend etwa Urteil vom 23. Oktober 1996 - 4 RA 1/96 -, SozR 3-2600 § 43 Nr. 14) ist zur Prüfung von Berufsunfähigkeit zunächst regelmäßig der bisherige, rentenrechtlich geschützte
Beruf des Versicherten zu bestimmen und festzustellen, ob das Leistungsvermögen des Versicherten bezogen auf den "bisherigen
Beruf" dauerhaft - das heißt wenigstens für mehr als 26 Wochen - (nur) aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als sechs
Stunden gesunken ist. Sollte eine solche Leistungsminderung - im Sinne eines Vollbeweises - nachgewiesen sein, ist anhand
des sogenannten Stufenschemas des BSG zu prüfen, ob der Versicherte sozial zumutbar auf einen anderen Beruf verwiesen werden kann. Unabhängig davon, ob dieses
Stufenschema - wie vom Sozialgericht angenommen - vier Stufen umfasst (so etwa BSG, Urteil vom 5. April 2001 - B 13 RJ 23/00 R -, SozR 3-2600 § 43 Nr. 25 bezogen auf "Arbeiterberufe") oder sechs (in diesem Sinn stellvertretend BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 5/04 R -, ausführlich auch zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, und im Anschluss daran Urteil vom 26. April 2007 - B
4 R 5/06 R -) ist dafür zunächst festzustellen, welcher Stufe der bisherige Beruf des Versicherten zuzuordnen ist. Anschließend ist
festzustellen, ob der Versicherte auf einen qualitativ gleichwertigen, arbeitsmarktgängigen (stellvertretend dazu BSG, Urteil vom 25. Juli 2001 - B 8 KN 14/00 R - SozR 3-2600 § 43 Nr. 26) Vergleichsberuf ("Verweisungsberuf") verwiesen werden kann, den er mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen
und unter Berücksichtigung des sogenannten Überforderungsverbots (Einarbeitung binnen längstens drei Monaten, BSG, Urteil vom 29. April 2004 a.a.O.) noch täglich wenigstens sechs Stunden vollwertig verrichten kann. Qualitativ gleichwertig
ist ein Verweisungsberuf, der allenfalls der im Vergleich zur Stufe des bisherigen Berufes nächstniedrigeren Stufe zuzuordnen
ist. Mit Ausnahme der ungelernten Berufe und des sogenannten unteren Bereichs der Anlernberufe (Berufe mit einer Ausbildungszeit
von bis zu einem Jahr), die auf die Stufe der ungelernten Berufe und damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sind,
ist ein arbeitsmarktgängiger Verweisungsberuf konkret zu benennen.
Nach der Rechtsprechung des BSG (s. beispielhaft auch insoweit das vom Sozialgericht zitierte Urteil in SozR 3-2600 § 43 Nr. 13) ist "Maßstab für die im
Einzelfall erforderliche Bestimmtheit der Tatsachenangaben über den Vergleichsberuf ..., ob sie dafür ausreichen, dass der
Versicherte erkennen kann, welchen in der Arbeitswelt vorhandenen Vergleichsberuf der Versicherungsträger für zumutbar erachtet.
Es muss deutlich werden, welche das Berufsbild prägenden Aufgaben, welche typischen Anforderungen an die berufliche Vorbildung,
an die Berufserfahrung, an sonstige Kenntnisse sowie an fachliche Fähigkeiten der Beruf stellt und welche Belastungen üblicherweise
mit den typischen Aufgaben verbunden sind; die Beanspruchung der Leistungsfähigkeit durch die berufstypisch üblichen Arbeitsbedingungen,
ggf. einschließlich besonderer Arbeitszeiten und Einsatz von technischen Mitteln muss abschätzbar werden; außerdem müssen
ggf. weitere Tatsachen (z.B. tarifvertragliche Einstufung) benannt werden, wenn der Vergleichsberuf (u.a.) deswegen als der
Berufskompetenz des Versicherten qualitativ "entsprechend" (gleichwertig) erachtet wird. Nur bei hinreichend konkreter Benennung
des Vergleichsberufs kann der Versicherte substantiiert darlegen und durch thematisch spezifizierte Beweisanträge den sog.
Negativbeweis dafür antreten, dass dieser ihn fachlich-qualitativ über- oder unterfordert oder gesundheitlich überfordert
oder die Voraussetzungen des Einwendungsausschlusses (Katalogfall) vorliegen. Deshalb reicht für eine konkrete Benennung die
Angabe bloßer Verrichtungen nie aus; stets muss das typische berufsbildprägende Anforderungsprofil und das damit verbundene
Belastungsprofil deutlich werden. Hierfür kann allerdings sogar gelegentlich die bloße Bezeichnung eines Berufs ausreichen,
falls dessen Existenz und typischer Gegenstand allgemeinkundig, den Beteiligten geläufig oder jedenfalls im allgemeinen Verkehr
bekannt oder staatlich geregelt ist. Das von der Begründungspflicht geforderte Maß an tatsächlichen Angaben über den Verweisungsberuf
hängt somit von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BSG SozR 1500 § 136 Nr. 10)."
Das Sozialgericht ist - nach Lage der Akten zutreffend - davon ausgegangen dass der Beruf des Bootsbauers in dem beschriebenen
Sinn den "bisherigen Beruf" des Klägers darstellt. Den Entscheidungsgründen ist dann aber bereits nicht zu entnehmen, ob das
Sozialgericht es als nachgewiesen ansieht, dass der Kläger den bisherigen Beruf aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht
mehr ausüben kann. Dies könnte allenfalls dann offen bleiben, wenn das Vorliegen von Berufsunfähigkeit jedenfalls daran scheitern
würde, dass der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen auf einen sozial zumutbaren Vergleichsberuf verwiesen werden
könnte.
Den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils kann jedoch gleichfalls nicht entnommen werden, welcher Stufe des Stufenschemas
genau das Sozialgericht den "bisherigen Beruf" zugeordnet hat. Weder äußert es sich ausdrücklich dazu, noch ergibt sich dies
aus dem Zusammenhang. Zwar hat der Kläger die Ausbildung als Bootsbauer mit einem Facharbeiterzeugnis nach DDR-Recht abgeschlossen,
die reguläre Ausbildungszeit lag dort aber bei zwei Jahren (s. Bundesanstalt für Arbeit [Herausgeberin], Bildung und Beruf
Heft 305 - DDR-Ausbildungsberufe Heft 5 -, S. 126) und endete beim Kläger sogar vorher. Die vom letzten Arbeitgeber des Klägers
vorgelegte - in dem angefochtenen Urteil nicht in Bezug genommene - bundesdeutsche Ausbildungsordnung mit einer Ausbildungsdauer
von dreieinhalb Jahren stammt erst aus dem Jahr 2000.
Die genaue Zuordnung zu einer Stufe kann allenfalls dann offen bleiben, wenn ein die Berufsunfähigkeit ausschließender Verweisungsberuf
derselben Stufe zuzuordnen ist, der der bisherige Beruf mindestens zuzuordnen ist, oder sogar einer höheren Stufe. Selbst
wenn unterstellt wird, dass das Sozialgericht hiervon ausgegangen wäre, indem es - was nach der vom Kläger zurückgelegten
Ausbildungsdauer naheliegt - den Beruf des Bootsbauers keiner geringeren Stufe als der des oberen Anlernbereichs zuordnen
wollte, musste es sich jedenfalls dazu gedrängt fühlen, eine Verweisungstätigkeit nach Maßgabe der oben bezeichneten Rechtsprechung
genau zu beschreiben und gegebenenfalls Erkenntnisquellen, die seine Auffassung stützen, in das Verfahren einzuführen. Abgesehen
davon, dass nicht klar wird, ob der Verweisungsberuf der des "Löters" oder der des "Löters in der Einzelfertigung" ist (oder
ob beide Begriffe synonym verwendet werden und wenn ja warum), wird in dem angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt, welchen
Inhalt die Verweisungstätigkeit genau hat und welche persönlichen und fachlichen Anforderungen sie stellt. Nachdem der Kläger
dies ausdrücklich in Frage gestellt hat, können auch Ermittlungen dazu erforderlich werden, ob der Verweisungsberuf arbeitsmarktgängig
ist.
Je nachdem, von welchen persönlichen und fachlichen Anforderungen an die Verweisungstätigkeit auszugehen ist und ob sie sich
als arbeitsmarktgängig erweist, kann sich im Weiteren ergeben, dass sich das Sozialgericht auch dazu gedrängt fühlen muss,
das gesundheitliche Leistungsvermögen oder die fachliche Fähigkeit des Klägers, den Verweisungsberuf binnen drei Monaten vollwertig
auszuüben, aufzuklären.
Fehlt es sonach in weitem Umfang an Ermittlungen, zu denen sich das Sozialgericht im Rahmen des §
103 SGG gedrängt fühlen musste, so folgt daraus zum einen, dass die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen kann, und zum anderen,
dass der Verfahrensmangel eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich macht. Letzteres ist nach der Gesetzesbegründung
(BT-Drucks. 17/6746, S. 27, zu Nummer 8) der Fall, wenn die Beweisaufnahme einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen
Mitteln erforderlich macht. Wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, sind Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts
und der Frage der Berufsunfähigkeit noch in weitem Umfang erforderlich, was zwangsläufig einen derartigen Einsatz von personellen
und sächlichen Mitteln nach sich zieht.
Im Rahmen des von ihm bei der Entscheidung über die Zurückverweisung auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse des
Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz
abgewogen und sich angesichts der erheblichen Mängel der Sachverhaltsaufklärung durch das Sozialgericht für eine Zurückverweisung
entschieden. Hierbei hat er berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch weit von einer Entscheidungsreife entfernt ist, weshalb
der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist,
besonders ins Gewicht fällt. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen
wieder her. Auch der Grundsatz der Prozessökonomie führt nicht dazu, den Rechtsstreit bereits jetzt abschließend in der Berufungsinstanz
zu behandeln. Denn das gesamte Verfahren vor dem Senat hat vom Eingang der Berufung am 11. September 2015 bis zum Tag der
Verkündung des Urteils nur annähernd ein halbes Jahr in Anspruch genommen. Es erscheint deshalb prozessökonomischer, dem Sozialgericht
zunächst Gelegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts in rechtskonformer Weise zu geben.
Das Sozialgericht wird in seiner künftigen Kostenentscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden haben
wird.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.