Vergütung eines Sachverständigengutachtens
Unterschreitung der im Verwaltungswege festgesetzten Kosten
Kein Verbot der reformatio in peius
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines neurochirurgischen Gutachtens nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Das Gericht entscheidet nach § 4 Abs. 7 Satz 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) in Senatsbesetzung, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Die Klägerin des Verfahrens L stellte am 4. Mai 2015 den Antrag, vom Antragsteller dieses Verfahrens ein Gutachten erstatten
zu lassen. Mit Schreiben vom 11. Mai 2015 forderte das Gericht einen Vorschuss in Höhe von 1.500,00 EUR an, der am 16. Juli
2015 einging.
Mit Beweisanordnung vom 27. Juli 2015 wurde der Antragsteller zum Sachverständigen ernannt. Mit Anschreiben vom 31. Juli 2015
wurde ihm die Beweisanordnung mit folgendem fettgedruckten Hinweis übersandt:
"Sollten die Kosten den eingezahlten Vorschuss von 1.500,00 EUR übersteigen, so werden Sie gebeten, dem Gericht unverzüglich
die endgültige Höhe der Kosten schriftlich mitzuteilen. In diesem Falle warten Sie bitte die Benachrichtigung des Gerichts
ab, ob das Gutachten zu erstatten ist oder die Akten ohne Erledigung des Gutachtenauftrags zurückgesandt werden sollen. Mehrkosten
für die weitere Bearbeitung werden nur nach Einwilligung des Gerichts übernommen."
Mit Schreiben vom 5. August 2015 teilte der Antragsteller mit, der Vorschuss werde nicht ausreichen. Er schätze die Kosten
auf 6.000,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer. Bevor er sich mit der Angelegenheit weiter befasse, erwarte er die Kostenzusage des
Gerichts.
Die Sache wurde daraufhin dem Vorsitzenden des für die JVEG-Angelegenheiten zuständigen Senats - hier ebenfalls der 2. Senat - vorgelegt, der den Antragsteller mit Schreiben vom 2.
September 2015 unter Darstellung der Entschädigungsregeln des Senats darauf hinwies, dass sich das veranschlagte Honorar wohl
nicht ergeben werde. Daraufhin erfolgte ein Telefonat des Antragstellers mit dem Vorsitzenden gleichen Inhalts (Aktenvermerk
vom 7. September 2015).
Auf die Anforderung eines weiteren Kostenvorschusses vom 2. September 2015 durch die Berichterstatterin in Höhe von 4.500,00
EUR unter Übersendung des Schreibens des Sachverständigen teilte der Bevollmächtigte der Klägerin unter dem 14. September
2015 mit, dass die Kosten nicht zu rechtfertigen seien. Das Gericht werde gebeten, "auf die Höhe der Gutachterkosten hinzuwirken".
Am 2. Oktober 2015 ging das Gutachten mit einer Rechnung in Höhe von 5.955,21 EUR ein.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle stellte die Vergütung auf 4.805,22 EUR fest (Schreiben vom 31. Mai 2016). Der Antragsteller
stellte daraufhin am 8. Juni 2016 Antrag auf richterliche Festsetzung mit dem Begehren, die vollen von ihm abgerechneten Kosten
zu erstatten.
Rechtsgrundlage der Festsetzung sind §§ 8, 8 a, 9 JVEG. Danach war die Vergütung in Höhe des eingezahlten Vorschusses von 1.500,00 EUR festzusetzen.
Der erheblichen Unterschreitung der im Verwaltungswege festgesetzten Kosten steht das Verschlechterungsverbot (reformatio
in peius) nicht entgegen. Denn die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist
eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich
vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird. Damit wird eine vorherige Berechnung
der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher
eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg
erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger
ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (allgemeine
Meinung, vgl. z. B. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Auflage 2014, § 4 Rdnr. 12 m.w.N. und Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2016, Az. L 15 RF 28/16, Rn 13, zitiert nach
juris).
§ 8 a Abs. 4 JVEG schreibt vor, dass der Berechtigte die Vergütung nur in Höhe des Auslagenvorschusses erhält, wenn diese den angeforderten
Auslagenvorschuss erheblich übersteigt und der Berechtigte nicht rechtzeitig auf diesen Umstand hingewiesen hat.
Vorliegend hat der Antragsteller zwar formal auf die übersteigenden Kosten hingewiesen, aber die vom Gesetzgeber als selbstverständlich
vorausgesetzte Wartepflicht auf die Nachricht des Gerichts, wie weiter verfahren werden soll, verletzt. Die Hinweispflicht
auf die erhebliche Überschreitung des Kostenvorschusses ist vom Gesetzgeber nicht als rechtsfolgenlose Formvorschrift gedacht,
sondern soll den Kostenpflichtigen - hier die Klägerin - in die Lage versetzen, zu entscheiden, ob die erheblichen Mehrkosten
für das Gutachten aufgebracht werden sollen oder aber ob auf das Gutachten verzichtet werden soll. So war bereits vor Inkrafttreten
des § 8a JVEG unter Geltung der Vorschrift des §
407 a Abs.
3 Satz
Zivilprozessordnung (
ZPO) anerkannt, dass die Hinweispflicht des Sachverständigen den Beteiligten in die Lage versetzen sollte, von einer kostspieligen
Beweisaufnahme Abstand zu nehmen. Schon nach damals geltendem Recht konnte die Nichtbeachtung der Hinweispflicht unter bestimmten
Voraussetzungen zu einer Kürzung der Vergütung des Sachverständigen führen (vgl. z. B. Meyer/Höver/Bach, JVEG, Kommentar, 25. Auflage 2011, § 8 Rdnr. 8.18). Während nach dem "alten" Recht eine Kürzung nicht in Betracht kam, wenn feststand, dass trotz eines Hinweises
die Beweiserhebung durch den Sachverständigen fortgesetzt worden wäre, hat der Gesetzgeber mit § 8 a Abs. 4, 5 JVEG die Rechtslage insoweit verschärft. Es kommt nun nicht mehr darauf an, ob das Gutachten letztlich auch zu den teureren Kosten
von der Klägerseite getragen worden wäre.
Abgesehen von dieser Verschärfung zeigt der dargestellte Zweck der Hinweispflicht, dass der Sachverständige selbstverständlich
abzuwarten hat, ob das Gutachten zu den kostspieligeren Konditionen erstattet werden soll oder nicht. Diese Selbstverständlichkeit
bedarf eigentlich keiner weiteren Begründung (so auch Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2016, Az. L
15 RF 28/16, Rdnr. 41, zitiert nach juris).
Vorliegend hat der Gutachter einen Hinweis des Gerichtes im Sinne einer Erstattung des Gutachtens nicht abgewartet. Vielmehr
wurde seine Erwartung der Kostenzusage für das Gutachten in Höhe von rund 6.000,00 EUR durch die Ausführungen des Vorsitzenden
des zuständigen JVEG-Senats enttäuscht, so dass ihm ohnehin hätte klar sein müssen, dass eine Gutachtenzusage zu den geforderten Konditionen nicht
erfolgen werde.
Sollte der Sachverständige trotz des eindeutigen und fettgedruckten Hinweises im Anschreiben zur Beweisanordnung noch im Zweifel
gewesen sein, ob das Gutachten - entgegen den Ausführungen des zuständigen Senats des Landessozialgerichts - hätte erstattet
werden sollen, so wäre zumindest eine Rückfrage bei Gericht erforderlich gewesen. Eine solche Rücksprache hat der Sachverständige
allerdings nicht gehalten und es vorgezogen, trotz fehlender Zusage des Gerichts, das Gutachten möglichst schnell zu erstatten.
So ist das Gutachten nach Anforderung des Vorschusses am 2. September 2015 - ohne dass dieser eingezahlt worden wäre und ohne
dass das Gericht die Fortsetzung der Gutachtenerstattung angeordnet hätte - am 2. Oktober 2015 mit Rechnung eingegangen.
Damit liegen die Voraussetzungen vor, bei denen der Gesetzgeber in § 8 a Abs. 4, 5 JVEG eine Begrenzung der Vergütung auf die Höhe des geleisteten Vorschusses vorsieht.
Es bedarf auch keiner weiteren Begründung, dass dem Sachverständigen hier ein Verschulden zur Last zu legen ist, denn nach
seinem Schreiben vom 5. August 2015 hatte er angekündigt, bis zur Kostenzusage des Gerichts mit der Erstattung des Gutachtens
zu warten, hat sich dann aber trotz der für ihn negativen Auskünfte des Vorsitzenden des für die JVEG-Sachen zuständigen Senats dazu entschlossen, das Gutachten trotz der Wartepflicht zu erstatten. Es ist daher davon auszugehen,
dass er diese vorsätzlich verletzt hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).