Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden, intravenös (i.v.) zu
verabreichenden Arzneimittels Alphaglobin durch den Kläger in den Quartalen I/1999, II/1999 und IV/1999.
Der Kläger nimmt auf dem Gebiet der Nervenheilkunde an der fachärztlichen Versorgung in B(Bezirk) teil. Er verordnete seiner
bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten Patientin G O (im Folgenden: die Versicherte) zur Behandlung einer schubförmig
verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) das Arzneimittel Alphaglobin
- im Quartal I/1999 in 2 Fällen
- im Quartal II/1999 in einem Fall
- im Quartal IV/1999 in 2 Fällen.
Dieses Arzneimittel, das aufgrund des Bescheids des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 1. Juni 1999 den Namen "Flebogamma 5
%" trägt, ist ausweislich der Fachinformation (Stand: August 1998) für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:
Immunglobulin G vom Menschen zur intravenösen Anwendung wird zur Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelkrankheiten
und zur Prophylaxe und Behandlung von Infektionen, die mit diesen Krankheiten einhergehen, angewandt.
Zusätzlich wird Immunglobulin G vom Menschen auch angewandt bei verschiedenen Krankheitsbildern, die durch einen immunologischen
Pathomechanismus (z.B. Alloantikörper und/oder Autoantikörper) induziert werden, wie z.B. bei autoimmuner Thrombozytopenie
(ITP).
1. Primäre Immunmangelsyndromen :
- kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie
- variable Immunmangelkrankheiten
- schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten
- Wiskott-Aldrich-Syndrom
2. Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), besonders akute Formen bei Kindern
3. Sekundäre Immunmangelkrankheiten wie bei folgenden Krankheitsbildern:
- chronische lymphozytäre Leukämie
- AIDS bei Kindern
- allogene Knochenmark- (und andere) transplantationen
Mit am 14. November 2000 eingegangen Schreiben stellte die BKK Berlin - eine Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) - einen
"Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 10.01.1994" wegen der o.g. Verordnungen
des Klägers. In der vom Prüfungsausschuss veranlassten Stellungnahme vom 19. Dezember 2000 teilte der Kläger mit, die Verordnung
sei erfolgt "wegen des Kinderwunsches der 1971 geborenen Patientin vor und nach der Konzeption und während des Wochenbettes
nach der Geburt des Sohnes am 10.11.1999 gemäß der ausdrücklichen Behandlungsempfehlung von Frau Prof. H, Chefärztin der Neurologischen
Abteilung des J Krankenhauses Berlin". Mit Bescheid vom 14. Juni 2001 setzte der Prüfungsausschuss "gemäß § 14 der Prüfvereinbarung
[...] eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnung von Alphaglobin in Höhe von insgesamt DM 19.104,16 fest". Den Widerspruch
des Klägers wies der Beklagte mit seiner Entscheidung vom 11. Juni 2002 zurück und führte zur Begründung unter anderem aus:
Alphaglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikation verordnet worden. Ein zulässiger Off-label-use i.S.d. Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 19. März 2002) liege aus mehreren Gründen nicht vor: Zum einen bestünden in Deutschland
für drei Betainterferone Zulassungen zur MS-Therapie, während "keine weiteren anerkannten Evidenzen für die Wirksamkeit der
Immunglobuline" festzustellen sein. Zum anderen ergebe "ein Vergleich der vorgenannten Medikamente bezüglich ihres Einsatzes
in der Schwangerschaft [...] keinen Hinweis auf eine besondere Überlegenheit von Immunglobulinen". Zum dritten weise selbst
die Multiple Sklerose Konsensus Gruppe (MSTKG) in ihren Empfehlungen darauf hin, dass keine Empfehlungen für eine prophylaktische
Therapie mit Immunglobulinen für Patientinnen in der Postpartalzeit (Zeit direkt nach der Geburt eines Kindes) gegeben werden
könnten.
Mit seiner Klage hat der Kläger vorgebracht, in der Folge eines schweren MS-Schubs im Sommer 1998 mit Gangataxie habe er die
Versicherte wegen deren dringendem Wunsch nach einem zweiten Kind Frau Prof. H (J Krankenhaus) vorgestellt. Diese habe "gestützt
auf die positiven Daten der Fazekas-Studie mit monatlicher Gabe von IVIG die Indikation von 10 g IVIG zur Schubprophylaxe"
empfohlen. Die "Ende 1998 zur Alternative anstehenden Arzneimittel (Interferone/Avonex/Rebif)" seien damals und bis heute
"in dieser Situation allgemein kontraindiziert". Der Einsatz von Immunglobulinen bei MS sei indikationsgerecht erfolgt, wie
sich aus seiner Korrespondenz mit dem PEI, insbesondere dessen Schreiben vom 4. August 2006, ergebe. Ungeachtet dessen hätten
auch die vom BSG aufgestellten Kriterien für einen Off-label-use vorgelegen: Es liege eine schwerwiegende Erkrankung vor,
ohne dass eine therapeutische Alternative bestehe. Aufgrund der von ihm eingereichten wissenschaftlichen Veröffentlichungen
habe er von einem zulässigen Off-label-use ausgehen dürfen. Außerdem verbiete sich in der vorliegenden Fallkonstellation eine
sog. Phase-III-Studie aufgrund nicht quantifizierbarer Zahlen, denn "bei dem Krankheitsbild schubförmige MS, dem damit verbundenen
Frauenanteil und nicht zuletzt dem Anteil Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft [sei] mangels der erforderlichen Probandinnen
keine Phase-III-Studie durchführbar." Unabhängig hiervon sei die Antragsfrist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 der Prüfvereinbarung
(PV) von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts nicht eingehalten. Die angegriffene Entscheidung des Beklagten sei
aber auch deswegen rechtswidrig, weil eine für die Feststellung eines sonstigen Schadens im Bereich der Beigeladenen zu 1)
erforderliche schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten nicht vorliege.
Mit Urteil vom 3. September 2008 hat das Sozialgericht Berlin den "Bescheid des Prüfungsausschusses vom 14. Januar 2001 sowie
den Beschluss des Beklagten vom 11. Juni 2002" aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Verordnung von Alphaglobin
sei auf jeden Fall im Rahmen des Off-label-use möglich gewesen. Denn die Arzneimittel Betaferon, Avonex und Rebif seien nicht
risikolos während der Schwangerschaft bzw. während des Stillens einsetzbar gewesen. Aufgrund der damals vorliegenden Datenlage
sei jedoch davon auszugehen gewesen, dass das Immunglobulin eine weit weniger schädigende Wirkung für den Zeitraum der Schwangerschaft
bzw. kurz nach der Schwangerschaft haben würde. Dies werde gestützt durch die Ausführungen des PEI vom 4. August 2006. Der
Zusatz "wie z.B." sei in der Tat so interpretierbar, dass eine Anwendung bei Erkrankungen mit vermuteter autoimmuner Pathogenese
auch außerhalb der explizit genannten Erkrankungen möglich gewesen sei.
Gegen dieses ihnen am 16. Dezember 2008 (Beklagter) bzw. 18. Dezember 2008 (Beigeladene zu 2) zugestellte Urteil richten sich
die Berufungen des Beklagten vom 14. Januar 2009 und der Beigeladenen zu 2) vom 16. Januar 2009.
Der Beklagte bezieht sich zur Begründung seiner Berufung auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juli 2006 (Az.: S 83 KA 253/03) zwischen denselben Beteiligten und ergänzend auf das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 2. April 2003 (Az.: L 9 KR 70/00).
Die Beigeladene zu 2) meint, Alphaglobin sei nicht zur Behandlung der MS zugelassen. Wissenschaftlich hochwertige Studien
für einen Off-label-use bei MS lägen - wie auch die Rechtsprechung des BSG ergebe - nicht vor. Auf Verschulden komme es nicht
an. Ein Vertrauensschutztatbestand liege nicht vor.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. September 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
beantragt die Beigeladene zu 2), Beweis zu erheben über die Frage, ob das Arzneimittel Alphaglobin bzw. Flebogamma als Mittel
angesehen werden kann, welches im Sinne der Fachinformation vom Juli 1999 anwendbar ist zur Behandlung eines immunoglogischen
Pathomechanismus, wie z.B. bei autoimmuner Thrombozytopenie,
weiter hilfsweise beantragt die Beigeladene zu 2), ihr eine Erklärungsfrist insbesondere auch im Hinblick auf den zuvor gestellten
Hilfsantrag einzuräumen.
Der Kläger beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, das vom Beklagten in Bezug genommene Urteil der 83. Kammer des Sozialgerichts Berlin habe übersehen,
dass die Prüfungsart "Verordnungsregress" in der hier anzuwendenden Berliner Prüfvereinbarung nicht vorgesehen gewesen sei.
Auch habe dieses Urteil zu Unrecht die Argumentation des BSG in seinem Urteil vom 14. März 2001 (Az.: B 6 KA 19/00 R), das eine vollkommen andere Fallkonstellation in Schleswig-Holstein betroffen habe, auf die Berliner Verhältnisse übergestülpt.
Die Beigeladene zu 1) hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
Der Senat hat die Stellungnahme des PEI vom 6. April 2009 veranlasst.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlungen war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen sind zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, da der angegriffene Bescheid
rechtmäßig ist.
Rechtsgrundlage des Bescheids vom 11. Juni 2002 sind §
106 Abs.
2 und
3 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 14 ("Prüfung in besonderen Fällen/sonstiger
Schaden") der zwischen den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen und der Beigeladenen zu 1) im Land Berlin abgeschlossenen
PV vom 10. Januar 1994.
Nach §
106 Abs.
2 Satz 1
SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der
Richtgrößen nach §
84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen
Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen
Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§
106 Abs.
2 Satz 4, 1. Halbsatz
SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren
zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen
Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
"1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz,
wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den
Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatzkassenvertrag)
finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss
vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen
Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe
beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln,
die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen
Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge
betreffend ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen."
1) Der Senat kann offenlassen, ob der Antrag der Beigeladenen zu 2) die in § 14 Nr. 2 PV geregelte Antragsfrist wahrt. Denn
zumindest für den hier streitgegenständlichen Zeitraum verstieß eine Antragsfrist im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung
gegen höherrangiges Recht.
Zwar ist der Beklagte bei Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich an die Bestimmungen der PV gebunden. Bei
der auf der Grundlage von §
106 Abs.
3 Sätze 1 und 3
SGB V abgeschlossenen PV handelt es sich um einen Normvertrag auf der Ebene des Gesamtvertrags. Zu den wesentlichen Merkmalen eines
solchen Normvertrages gehört es, dass seine Regelungen für die von ihm betroffenen Beteiligten verbindlich sind. Nur soweit
die Vorschriften in der PV gegen höherrangiges Recht verstoßen, insbesondere mit den bundesrechtlichen Vorgaben zur effektiven
Überwachung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Leistungserbringer nicht vereinbar sind, sind sie nach den allgemeinen Regeln
der Normenhierarchie nichtig und damit auch für den Beklagten nicht maßgeblich (BSG, Urteil vom 23. Februar 2005, Az.: B 6 KA 72/03 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 8; SozR 3-2500 § 106 Nr. 33, 51 und 53).
§
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V beinhaltet eine Ermächtigungsgrundlage auch für Regresse wegen der unzulässigen Verordnung von Arzneimitteln (vgl. BSG, Urteil
vom 14. März 2001 - Az.: B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 §
106 Nr.
52). Während jedoch gemäß §
106 Abs.
5 Satz 1
SGB V in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung der Prüfungsausschuss (nur) auf Antrag über einen Verstoß des Vertragsarztes
gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot entschied und gemäß §
106 Abs.
3 Satz 3, 2. Halbsatz
SGB V in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung in den Prüfvereinbarungen auf regionaler Ebene auch festzulegen ist, dass
der Prüfungsausschuss (ab 1. Januar 2008: die Prüfungsstelle) auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), der Krankenkasse
oder ihres Verbandes Einzelfallprüfungen durchführt, ging der Gesetzgeber für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember
2003 davon aus, dass jede Form der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen zu erfolgen hatte (vgl. BSG, Urteil vom 2. November
2005, Az.: B 6 KA 63/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de; Engelhard, in: Hauck/Noftz
SGB V §
106 Rd. 528). War demnach ein Antrag im fraglichen Zeitraum keine Verfahrensvoraussetzung, kann es auch nicht auf die Einhaltung
einer Antragsfrist ankommen.
Dem steht die Rechtsprechung des BSG nicht entgegen. Dieses hat zwar in Prüfvereinbarungen Antragsfristen für die Einleitung
des Verfahrens gebilligt (Urteil vom 27. Juni 2001, Az.: B 6 KA 66/00 R). Der Entscheidung lag jedoch ein Sachverhalt zugrunde, für den §
106 SGB V sowohl bezüglich des Zeitraums der zu prüfenden Quartale als auch bezüglich des Zeitpunkts der Entscheidung des Beschwerdeausschusses
ein Antragserfordernis vorsah.
Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewandt werden, Prüfgegenstand seien Arzneimittelverordnungen aus dem Jahre 1999, die
noch unter Geltung des gesetzlichen Antragserfordernisses geprüft werden müssten. Maßgeblich für die Frage des anzuwendenden
Verwaltungsverfahrensrechts ist der Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt wird. Dies entspricht dem
allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Verfahrensrechts, dass neue Bestimmungen auch für schwebende Verfahren gelten, soweit
nichts anderes vorgeschrieben ist, mithin auch für die Geltendmachung und Durchsetzung materiellrechtlicher Ansprüche, die
schon vor der Änderung des Verfahrensrechts entstanden sind (BSG, Urteil vom 21. Juni 1995, Az.: 6 RKa 54/94, BSGE 76, 149; BSG SozR 3-4100 § 152 Nr. 8 m.w.N.; s.a. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs Verwaltungsverfahrensgesetz, 7.A., § 96 Rd. 1). Materiell-rechtlich ist hingegen das zum Zeitpunkt der Arzneimittelverordnung geltende Recht anzuwenden (vgl. BSG,
Urteil vom 9. April 2008, Az.: B 6 KA 34/07 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de).
2) Zu Recht hat der Beklagte gegen den Kläger einen Schadensersatz i.S.v. § 14 Nr. 1 PV wegen Außerachtlassung der erforderlichen
Sorgfalt festgesetzt.
a.) Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerseite dient § 14 PV nicht nur als Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines sonstigen
Schadens. Der Wortlaut von Nr. 2 Satz 2, 3 und 5 Satz 2 dieser Vorschrift belegt, dass der Prüfungsausschuss auch zur Festsetzung
von Regressansprüchen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel ermächtigt wurde.
b.) Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist der Beigeladenen zu 2) dadurch entstanden, dass der Kläger in den Quartalen I/99, II/99
und IV/99 in insgesamt 5 Fällen Immunglobuline für die Versicherte verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestand.
aa.) Gemäß §§
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
3,
31 Abs.
1 Satz 1
SGB V in der 1999 geltenden, hier maßgeblichen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln,
soweit die Arzneimittel nicht nach §
34 SGB V ausgeschlossen sind. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§
2 Abs.
1 und
12 Abs.
1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität
und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie
bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl
von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie,
wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt
worden ist (BSGE 93, 1 mit Nachweisen zur ständigen Rspr.).
Das vom Kläger verordnete Immunglobulin ist als Serum Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Als solches hat es eine Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG. Die streitgegenständlichen Verordnungen bewegten sich jedoch entgegen der klägerischen Auffassung außerhalb der von der
Zulassung umfassten Anwendungsgebiete.
(1) Das Krankheitsbild der MS wird in der Fachinformation des Arzneimittels Alphaglobin im hier streitigen Zeitraum nicht
ausdrücklich genannt. Allein hieraus kann jedoch - entgegen der Rechtsauffassung der Beigeladenen zu 2) - nicht geschlossen
werden, der Kläger habe Alphaglobin zulassungsüberschreitend verordnet. Dies ließe sich nur bejahen, wenn die in der Fachinformation
unter den Ziffern 1 bis 3 erwähnten Krankheitsbilder abschließenden Charakter hätten. Hiergegen sprechen zum einen die Verwendung
des Wortes "wie" unter Ziffer 3 bzw. die Wendung "wie z.B." am Ende des zweiten einleitenden Absatzes. Hierdurch wird im allgemeinen
Sprachgebrauch zum Ausdruck gebracht, dass eine nur beispielhafte Aufzählung folgt. Darüber hinaus fehlen aber auch jegliche
Hinweise, z.B. durch die Verwendung des Wortes "nur", dass die unter den Ziffern 1 bis 3 genannten Krankheiten die allgemein
gehaltenen Umschreibungen in den beiden einleitenden Absätzen abschließend konkretisieren.
Auch ein Rückgriff auf den Zulassungsbescheid für Alphaglobin hilft nicht weiter. Denn nach der o.g. Stellungnahme des PEI
vom 6. April 2009 - das PEI ist gem. § 77 Abs. 2 i.V.m. § 21 AMG zuständige Bundesoberbehörde - gehen aus dem Wortlaut des Zulassungsbescheids die Indikationen eines Arzneimittels nicht
hervor. Vielmehr bezieht sich die Zulassung auf alle mit dem Zulassungsantrag eingereichten Unterlagen, darunter auch die
sog. "Summary of Product Characteristics" (SPC) - die Zusammenfassung der Produktmerkmale - und die Fachinformation, in denen
die Formulierung der Indikationen festgelegt wird. Der Wortlaut der zugelassenen Informationen ergibt sich daher nur aus der
Fachinformation.
Bei der Auslegung der Fachinformation ist zu berücksichtigen, dass nach der Stellungnahme des PEI vom 6. April 2009 der Wortlaut
der Indikationen für Alphaglobin eine (anlehnende) Übersetzung der damals gültigen, von der europäischen Arzneimittelagentur
EMEA publizierte, europäischen "Core SPC" ist. Bei einer so genanten Core SPC handelt es sich um eine europaweite einheitliche
amtliche Empfehlung zur Formulierung der SPC für bestimmte Arzneimittel bzw. Arzneimittelgruppen. Nach den heutigen arzneimittelrechtlichen
Vorschriften ist die SPC wörtlich identisch mit der Fachinformation (§ 22 Abs. 7 Satz 1 AMG). Im Jahre 1999 ließen es hingegen die engen Voraussetzungen des § 11a AMG in der Regel nicht zu, die SPC eins zu eins als Fachinformation zu verwenden. Inhaltlich stimmte aber schon damals die Fachinformation
eines Arzneimittels mit dessen SPC überein.
(2) Dass die MS zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnungen zu den im zweiten einleitenden Absatz erwähnten Krankheitsbildern,
die durch einen immunologischen Pathomechanismus induziert sind, gezählt wurde, ist - entgegen der Auffassung des Klägers
- nicht nachgewiesen.
In der medizinischen Wissenschaft wird die MS beschrieben als "erworbene demyelinisierende Erkrankung des Zentralnervensystems
(ZNS)" (Mauch, in: Rauschelbach/Jochheim/Widder [Hrgb.] Das neurologische Gutachten, 4.A. [2000], S. 263), "primär entzündliche
Erkrankung des ZNS mit herdförmiger Entmarkung" (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260.A., S. 1188) bzw. "vorwiegend in
Schüben und Remissionen verlaufende Erkrankung der weißen Substanz des zentralen Nervensystems" (Poser, in: Suchwirth/Kunze/Krasney
[Hrgb.] Neurologische Begutachtung, 3.A. [2000], S. 354). Die Ursache(n) der MS sind wissenschaftlich noch nicht gesichert.
Sie zählt nach der o.g. Stellungnahme des PEI "sehr wahrscheinlich zu den Autoimmunerkrankungen, die durch einen immunologischen
Pathomechanismus, T-Zell- sowie antikörpervermittelte Schädigung der Myelinscheiden im Zentralnervensystem" entstehe. Nach
anderen Äußerungen in der medizinischen Literatur ist sie "eine immunvermittelte chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems
(Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Leitlinine zur Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose, veröffentlicht unter
www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08kap_034.pdf, recherchiert am 8. April 2009) bzw. wahrscheinlich eine
Autoimmunkrankheit gegen Markscheidenantigene (Pschyrembel aaO.). Nach weiteren Quellen ist die Hypothese einer Autoimmungenese
allgemein akzeptiert (Mauch aaO.) bzw. steht diese Hypothese neben der Vermutung, ein sog. slow virus sei ursächlich, im Zentrum
des Interesses (Poser aaO.). Einen Nachweis für einen immunologischen Pathomechanismus als Ursache der MS gab es demzufolge
im Jahre 1999 nicht.
(3) Die Beweislast dafür, dass die Ursachen der MS nicht im Sinne eines Nachweises feststehen und somit offen bleibt, ob die
MS den durch einen immunologischen Pathomechanismus induzierten Krankheitsbildern zuzuordnen ist, trägt der Kläger.
(a) Zwar gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz, dass jeder Beteiligte im Rahmen des anzuwendenden materiellen
Rechts die objektive Beweislast für diejenigen Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Leitherer,
in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
Sozialgerichtsgesetz, 9.A., §
103 Rd. 19a m.w.N.). Allerdings werden in der Rechtsprechung im Hinblick auf die Besonderheiten des Fachrechts Ausnahmen von
diesem Grundsatz zugelassen (hierzu zusammenfassend und kritisch: Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, 17. Ergänzungslieferung 2008, §
108 Rd. 114ff, Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow
Verwaltungsgerichtsordnung, 2.A., §
108 Rd. 103ff, jeweils m.w.N.).
(b) Als solche Besonderheit kommt im vorliegenden Fall die Kongruenz von Leistungsrecht und Leistungserbringerrecht (BSG,
ständige Rechtsprechung seit BSGE 78, 70) zum Tragen. Widersprüchliche Ergebnisse für das Verhältnis Versicherter - Krankenkasse einerseits und Leistungserbringer
- Krankenkasse andererseits sind auszuschließen. Kann somit ein Versicherter von seiner Krankenkasse die Versorgung mit einem
bestimmten Arzneimittel beanspruchen, bleibt ein Regressanspruch gegen einen Vertragsarzt von vornherein außer Betracht. Besteht
im umgekehrten Fall ein Anspruch des Versicherten nicht, ist diese Frage zugleich auch für das Regressverfahren gegen den
Vertragsarzt geklärt.
Bei der Verordnung zugelassener Arzneimittel zur Behandlung von Erkrankungen unklarer Genese liegt die Beweislast demzufolge
beim Vertragsarzt, wie folgender Vergleich ergibt: Hätte der Kläger - entsprechend der vom BSG in seinem Beschluss vom 31.
Mai 2006 (Az.: B 6 KA 53/05 B, veröffentlicht in Juris) vorgeschlagenen alternativen Vorgehensweise - der Versicherten ein Privatrezept ausgestellt, unter
dessen Vorlage die Versicherte einen Leistungsanspruch auf Versorgung mit Alphaglobin bei der Beklagten geltend gemacht hätte,
hätte sich die Unsicherheit über die Frage, ob MS ein durch einen immunologischen Pathomechanismus induziertes Krankheitsbild
darstellt, nach der o.g. Grundregel der objektiven Beweislast zum Nachteil der Versicherten ausgewirkt. Denn zu ihren Ungunsten
müsste in diesem Falle davon ausgegangen werden, dass ein auf den zugelassenen Anwendungsbereich von Alphaglobin gestützter
Leistungsanspruch wegen der wissenschaftlich nicht gesicherten Ursachen der MS nicht bestünde. Dann aber kann wegen der o.g.
Kongruenz eine Beweislastentscheidung im Regressverfahren nicht zum gegenteiligen Ergebnis führen.
Eine weitere Überlegung bestätigt dieses Resultat. Denn es würde zu kuriosen Ergebnissen führen, obläge entsprechend der o.g.
Grundregel den Prüfgremien die Beweislast für die Frage, ob eine zulassungskonforme Arzneimittelverordnung vorliegt: Je geringer
die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ursachen einer Krankheit wären, desto mehr Arzneimittel könnte ein Vertragsarzt
zu deren Behandlung verordnen. Dies wäre mit einem der Kontrolle von Sicherheit und Qualität verpflichteten Arzneimittelrecht,
das in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll, unvereinbar.
(c) Dem vom Senat gefundenen Ergebnis steht die Rechtsprechung des BSG zur Verteilung der Beweislast bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen
nicht entgegen. Zwar fehlt für die Festsetzung eines Arzneikostenregresses im Rahmen einer Richtgrößenprüfung die entscheidende
Grundlage, wenn nicht ausräumbare Zweifel verbleiben, ob die von Krankenkassen oder Prüfgremien einem Arzt zugeordneten Verordnungskosten
von diesem tatsächlich in einem zum Regress berechtigenden Umfang veranlasst wurden (BSG, Urteil vom 2. November 2005, Az.:
B 6 KA 63/04 R = BSGE 95, 199 m.w.N.). Diese Verteilung der Beweislast ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen. Denn während in dem vom
BSG entschiedenen Fall offen bleibt, ob die zu einem Schaden der Krankenkassen führenden Verordnungen gerade von dem mit einem
Regressverfahren belasteten Vertragsarzt herrühren, steht dies im vorliegenden Fall außer Frage.
(4) Für das Vorliegen einer der anderen von der Zulassung umfassten Indikationen fehlen jegliche Anhaltspunkte.
bb.) Aber auch unter dem Gesichtspunkt eines zulassungsüberschreitenden Einsatzes (Off-label-use) bestand keine Leistungspflicht
der Beklagten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet
verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung
einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
keine andere Therapie verfügbar ist, und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden
Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zweifellos handelte es sich in den streitgegenständlichen
Behandlungsfällen um schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankungen. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit in diesem Krankheitsstadium
eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, dass mit der Verabreichung von Immunglobulin ein Behandlungserfolg hätte erzielt
werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das bzw. die Arzneimittel für die
betreffende Indikation zugelassen werden könnten. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung
bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo)
veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens
gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet
zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen
voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG aaO.).
Diese Voraussetzungen lagen und liegen bezüglich der Verordnung von Immunglobulinen für die Behandlung der (schubförmig verlaufenden)
MS bis heute nicht vor (BSG, Urteile vom 28. Februar 2008, Az.: B 1 KR 15/07 R, und vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Februar 2008, Az.: L 4 KR 2153/06; Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 2. April 2003, Az.: L 9 KR 70/00, veröffentlicht jeweils in Juris). Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 19. März 2002 (aaO.) darauf abgestellt, dass
nach den vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten Ergebnissen eines internationalen Symposiums im November 2001
für die primär chronisch-progrediente und die sekundär-progressive Multiple Sklerose kein wissenschaftlicher Konsens über
den Nutzen einer Behandlung mit Immunglobulinen bestand. Daran hat sich im Ergebnis bis heute nichts geändert. Nach einer
zuletzt am 2. Juni 2008 aktualisierten Veröffentlichung des PEI (www.pei.de/cln_151/nn_154580/DE/infos/fachkreise/am-infos-ablage/infos/2005-10-21-ms-ig.html?__nnn=true;
recherchiert am 21. April 2009) kann die Wirkung intravenös zu verabreichenden Immunglobuline bei schubförmiger MS derzeit
weder bestätigt noch widerlegt werden. Es gibt zwar nach der Datenlage Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit von Immunglobulinen
zur Behandlung der schubförmig verlaufende MS, allerdings fehlt bisher eine kontrollierte, adäquat durchgeführte Phase III-Studie,
auf die die begründete Aussicht auf einen wirksamen Einsatz dieser Medikamentengruppe gestützt werden könnte. Es sind auch
keine Forschungsergebnisse ersichtlich, die eine Zulassung des Präparats zur Behandlung der sekundär-chronischen oder der
schubförmigen MS erwarten ließen. Damit ist auszuschließen, dass derzeit außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens
Erkenntnisse vorliegen, die denjenigen einer Phase III-Studie gleichstehen.
Im Übrigen hätten die anspruchsauslösenden positiven Erkenntnisse zu einem mutmaßlichen Behandlungserfolg bereits zum Zeitpunkt
der Behandlung der Klägerin, also im Jahre 1999, vorliegen müssen (BSG, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R, veröffentlicht in Juris). Umso mehr kann der Senat sich daher bei seiner Entscheidung auf das oben genannte Urteil des BSG
vom 19. März 2002 stützen, in dem die Datenlage besonders auch des Jahres 2001 erörtert und für nicht ausreichend befunden
wurde.
cc.) Für die Zeit vor Erlass des Urteils des BSG vom 19. März 2002 (Off-label-use) ergab sich die Leistungspflicht der Beigeladenen
zu 2) für die zulassungsüberschreitende Anwendung von Alphaglobin und somit die Verordnungsfähigkeit dieses Arzneimittels
auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten. Soweit der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 30. September 1999 (BSGE
85, 36 - SKAT -) die Rechtsauffassung vertritt, bis zur Veröffentlichung seiner Entscheidung habe man wegen des Urteils des 1. Senats
des BSG vom 5. Juli 1995 (BSGE 76, 194 - Remedacen -) darauf vertrauen dürfen, dass auch indikationsfremde Arzneimittelverordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
zulässig seien, teilt der Senat diesen Standpunkt nicht. In dem vom 1. Senat des BSG entschiedenen Fall machte eine heroinabhängige
Versicherte einen Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte, ihr im Zeitraum Oktober 1989 bis April 1990 ärztliche verordnete
Remedacen-Kapseln geltend. Fraglich war insbesondere, ob dieses Arzneimittel ungeachtet der in der Zulassung genannten Indikationen
schon vor In-Kraft-Treten der Richtlinien des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen zur Methadon-Substitutionsbehandlung
am 1. Oktober 1991 zur Drogensubstitution eingesetzt werden durfte. Zwar findet sich in der Entscheidung des 1. Senats die
Formulierung, es spiele "rechtlich keine Rolle, dass Remedacen für die Anwendung bei akutem oder chronischem Reizhusten zugelassen
worden ist und nicht als Substitutionsmittel bei Drogenabhängigkeit". Nicht zuletzt wegen der vom 1. Senat des BSG hierzu
verfassten Leitsätze, welche nur die Themen "Drogensubstitution" und "neue Behandlungsmethoden" erwähnen, konnte dieser Entscheidung
nach Auffassung des Senats jedoch nicht die allgemeine Aussage entnommen werden, die zulassungsüberschreitende Anwendung von
Arzneimitteln sei in jeder Hinsicht erlaubt. Denn der 1. Senat des BSG hat auch in diesem Fall die Leistungspflicht der Krankenkassen
für eine Behandlungsmethode, die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht empfohlen worden war, davon abhängig
gemacht, dass sich die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode aufgrund wissenschaftlich geführter Statistiken in einer für
die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen nachweisen ließ und gegen die Qualität der Methode - auch
unter Berücksichtigung eventueller Nebenwirkungen - keine durchgreifenden Bedenken bestanden (Leitsatz 2 der Entscheidung
des 1. Senats). Der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln war danach auch nach der Entscheidung des 1. Senats
des BSG nicht einschränkungslos zulässig, sondern von Voraussetzungen abhängig, aus denen das BSG später die nunmehr maßgeblichen
Voraussetzungen des Off-label-use entwickelt hat und die diesen im Kern entsprechen.
dd.) Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) ergibt sich auch nicht aus Verfassungsrecht.
(1) Aus Art.
2 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folgt regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der
Krankenbehandlung. Es bedarf allerdings einer besonderen Rechtfertigung, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung
einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung durch gesetzliche
Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden. Darüber hinaus sind auch die Grundrechte
auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art.
2 Abs.
2 Satz 1
GG zu beachten. Diese Grundsätze können in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung
der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Übernimmt der Staat mit dem System der gesetzlichen
Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten, so gehört die Vorsorge in Fällen
einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung unter den genannten Voraussetzungen zum Kernbereich der Leistungspflicht
und der von Art.
2 Abs.
2 Satz 1
GG geforderten Mindestversorgung (BVerfGE 115, 25). Zugleich ist es dem Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse
der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit
ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren
diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden auf eine fachlich-medizinisch
zuverlässige Grundlage zu stellen. Konkret in Bezug auf Arzneimitteltherapien hat das BVerfG bereits früher auf das in §
12 Abs.
1 SGB V enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot hingewiesen, welches die finanziellen Grenzen markiert, die der Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung von der Belastbarkeit der Beitragszahler und der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gezogen
werden. Danach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung
im Sinne von §
12 Abs.
1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und deshalb verneint wird, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht
zugelassen ist (BVerfG, NJW 1997, 3085). Denn das Arzneimittelrecht schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen
Arzneimittels mit ein (§ 1 AMG). Daher ist die Rechtsprechung des BSG zum Off-label-use aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Auch bei
einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage - welche bei der Versicherten im Jahre 1999 noch nicht
vorlag - liegt somit kein Verfassungsverstoß vor, wenn die Leistungspflicht einer Krankenkasse im Rahmen der zulassungsüberschreitenden
Anwendung eines Arzneimittels - wie hier - mit der Begründung verneint wird, nach den vorliegenden Erkenntnissen lägen keine
wissenschaftlichen Forschungsergebnisse vor, aus denen sich hinreichende Erfolgsaussichten für den begehrten Off-label-use
ableiten ließen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2008, Az.: 1 BvR 1665/07, veröffentlicht in Juris, zum Einsatz eines Immunglobulins bei schubförmig verlaufender MS).
(2) Auch die Wertungen des Art.
6 Abs.
4 GG führen zu keinem anderen Resultat. Nach Art.
6 Abs.
4 GG hat jede werdende Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft. Der Schutz des Art.
6 Abs.
4 GG erfasst Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Neben dem verbindlichen Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber, der vor allem
die Gewährung einer Schonzeit vor und nach der Geburt fordert (vgl. z.B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth,
GG, 9. Aufl. 2007, Art.
6 Rd. 50), ist die Verfassungsnorm Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung, die für den gesamten Bereich des
öffentlichen und privaten Rechts verbindlich ist (BVerfGE 32, 273; 47, 1; 52, 357; BVerfG, NJW 2005, 2382, m.w.N.) . Auch unter Berücksichtigung dieser Wertentscheidung kann der Wunsch der Versicherten nach einer erneuten Schwangerschaft
der o.g. notstandsähnlichen Situation Schwerstkranker nicht gleichgestellt werden. Eine Gleichstellung hätte nämlich zur Folge,
dass Alphaglobin für die Indikation MS ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität eingesetzt
werden könnte. Das geschilderte Interesse der Versicherten muss insoweit hinter dem Anliegen des Gesetzes an einem wirksamen
Patientenschutz vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit zurücktreten. Besonderes Gewicht hat dabei der
Umstand, dass es vorliegend nicht nur um Gesundheitsrisiken für die Versicherte selbst geht, sondern während der Schwangerschaft
und Stillzeit auch um Gesundheitsrisiken für ihr Kind. Aus diesem Grund kommt es auch nicht auf die vom Kläger aufgestellte
Behauptung an, bei schubförmig verlaufender MS sei wegen des damit verbundenen Frauenanteils mit Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft
mangels einer hinreichenden Zahl an Probandinnen keine Phase-III-Studie durchführbar.
ee.) Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist schließlich auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Beigeladenen zu 2) im Falle rechtmäßigen
Alternativverhaltens u.U. höhere Kosten (z.B. durch dann erforderlich Krankenhausbehandlung) entstanden wären. Schadensmindernde
Vorteile muss sich der Geschädigte bei der Ermittlung des eingetretenen Vermögensschadens grundsätzlich nur entgegenhalten
lassen, wenn die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht (normativer Schadensbegriff; vgl. Münchener Kommentar
zum Bürgerlichen Gesetzbuch (MüKo)/Oetker § 249 Rd. 228 m.w.N.). Ob das der Fall ist, ist unter Berücksichtigung rechtlicher
Wertungen außerhalb des Schadenersatzrechts zu bestimmen. Maßgeblich ist hierbei, dass die für die Ausübung der kassenärztlichen
Tätigkeit maßgebenden Rechtsvorschriften (auch) dazu bestimmt sind, die Funktionsfähigkeit des kassenärztlichen Systems als
Ganzes zu sichern, und dass dieser Zweck nicht durch die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze unterlaufen werden
darf. Diese Rechtsprechung ist auf Fälle des Schadenersatzes wegen unrechtmäßig veranlasster Leistungen zu übertragen. Eine
andere Bewertung würde es z.B. ermöglichen, dass nicht zugelassene Ärzte Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen
veranlassen, ohne hierzu berechtigt und ohne an die für zugelassene Kassenärzte geltenden gesetzlichen und vertraglichen Einschränkungen
gebunden zu sein (BSG Urteil vom 21. Juni 1995, Az.: 6 RKa 60/94, SozR 3-2500 § 95 Nr. 5; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: L 4 KA 14/04, veröffentlicht in Juris). Der Festsetzung eines Schadens kann deshalb der Einwand ersparter Aufwendungen im Ergebnis nicht
entgegengehalten werden.
c.) Der streitgegenständliche Regressanspruch setzt kein Verschulden des Klägers voraus. Ein Verschulden als Tatbestandsmerkmal
verlangen zum einen weder § 14 PV - außer wenn man ein Verschuldenserfordernis dem Begriff der Außerachtlassung der der nach
den Umständen erforderlichen Sorgfalt immanent -, noch die den Begriff des sonstigen Schadens im Zusammenhang mit der Verordnung
nicht verordnungsfähiger Arzneimittel erwähnenden § 48 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 44 Abs. 1 EKV-Ä. Zum anderen aber - und dies ist
entscheidend - kommt es für die Festsetzung eines Regresses wegen Verstößen gegen die AMR bzw. wegen der Verordnung nicht
verordnungsfähiger Arzneimittel nach der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 30. Mai 2006, Az.: B 6 KA 14/06 B, veröffentlicht in Juris; Urteil vom 20. Oktober 2004, Az.: B 6 KA 65/03 R, SozR-4-2500 § 106 Nr. 7; Urteil vom 28. April 2004, Az.: B 6 KA 24/03 R, USK 2004-129; Urteil vom 21. Mai 2003, Az.: B 6 KA 32/02 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 1; vgl. auch Wenner Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, S. 319) auf ein Verschulden des
Arztes nicht an.
Dies entspricht dem hohen Stellenwert, der dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung
im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zukommt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des §
12 Abs.
1 Satz 2
SGB V hat eine wichtige Ausprägung durch die Regelungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfung in §
106 Abs.
1 SGB V erfahren. Diese verpflichten die Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung.
Schon das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) hat die Notwendigkeit wirtschaftlicher Leistungserbringung
für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der GKV hervorgehoben und eine strikte Verpflichtung der Überwachung der
Wirtschaftlichkeit der Behandlung durch die (zahn)ärztlichen Leistungserbringer normiert; diese hat der Gesetzgeber in der
Folgezeit mit Änderungen des §
106 SGB V durch das GSG von 1992 und durch das Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2626) fortgeschrieben. Den hohen Rang der
Wirtschaftlichkeitsprüfung hat der Gesetzgeber mit verschiedenen Regelungen deutlich gemacht. Er hat dem in §
12 Abs.
1 SGB V normierten Gebot, dass die Leistungserbringer unwirtschaftliche Leistungen nicht bewirken dürfen, zusätzlich durch § 2 Abs.
1 Satz 3, §
70 Abs.
1 Satz 2, §
72 Abs.
2, §
75 Abs.
1 SGB V Ausdruck verliehen (BSG Urteile vom 21. Mai 2003, Az. B 6 KA 32/02 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 1, und vom 28. April 2004, Az.: B 6 KA 24/03 R, USK 2004-129, jeweils m.w.N.)
Im Übrigen sind Regresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel auch ihrem Gegenstand nach von Schadensregressen
anderer Art zu unterscheiden. Bei Verordnungsregressen besteht der zu ersetzende Schaden der Krankenkasse darin, dass sie
an Apotheken Geldbeträge für Arzneien gezahlt hat, welche dem Versicherten gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung
ausgehändigt wurden und aushändigt werden durften. Der typische Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens ist hingegen
dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes (z.B. ein Behandlungsfehler oder eine falsche Bescheinigung) Folgekosten
der Kasse ausgelöst hat (z.B. aufwändige Nachbehandlungen, Leistungen wegen Mutterschaft). Der hier zu ersetzende Schaden
ist der Struktur nach einem Mangelfolgeschaden nach bürgerlichem Recht vergleichbar. Der "Schaden", der durch einen Verordnungsregress
auszugleichen ist, entspricht dagegen demjenigen, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise i.S.v. §
106 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB V verursacht wird. Der Unterschied besteht allein darin, dass ein Regress wegen unzulässiger Verordnungen an einzelne Verordnungen
des Arztes gegenüber bestimmten Patienten und nicht an sein Verordnungsverhalten in einem bestimmten Zeitraum insgesamt anknüpft.
d.) Auch sonstige Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes oder der Grundsatz von Treu und Glauben stehen - entgegen der klägerischen
Auffassung - der Festsetzung eines Regresses im vorliegenden Fall nicht entgegen.
Vertrauensschutz setzt einen gegenüber dem betroffenen Arzt gesetzten besonderen Vertrauenstatbestand voraus (Engelhard, aaO.,
Rd. 356). Hinsichtlich der rückwirkenden Korrektur von Honorarbescheiden hat das BSG in der bloßen Duldung einer objektiv
fehlerhaften Abrechnungspraxis durch eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung keinen Vertrauenstatbestand gesehen (BSG SozR
4-2500 § 106a Nr. 1; s. auch SozR 4-2500 § 95 Nr. 8). Selbst wenn in der Vergangenheit entsprechende Verordnungen des Arzneimittels
Polyglobin für die Versicherte unbeanstandet geblieben wären, wäre dies nach diesen Maßstäben unbeachtlich.
Auch eine möglicherweise unklare Rechtslage wäre nicht geeignet, Vertrauensschutz zugunsten des verordnenden Arztes zu begründen,
da sie ihm nicht die Gewissheit von der Rechtmäßigkeit seines Handelns vermitteln kann. Er kann in dieser Situation allenfalls
hoffen, dass sich die von ihm vertretene Ansicht als die zutreffende erweisen wird. Der Kläger hatte aber ebenso in Erwägung
zu ziehen, dass sich die andere Ansicht durchsetzen könnte und sich seine Verordnung als unzulässig erweisen werde. Bei unklarer
Rechtslage hat jeder Vertragsarzt die Möglichkeit, das Präparat auf Privatrezept zu verordnen und so den Kostenträger in die
Lage zu versetzen, eine Entscheidung über seine Leistungspflicht zu treffen (vgl. zu dieser Vorgehensweise: BSG, Beschluss
vom 31. Mai 2006, aaO.). Dem steht § 29 Abs. 1 Satz 2 BMV-Ä bzw. § 15 Abs. 1 Satz 2 EKV-Ä - nach diesen Vorschriften ist die
Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Krankenkasse unzulässig - nicht entgegen. Denn diese Vorschriften betreffen
offensichtlich nur vertragsärztliche Arzneimittelverordnungen, wie sich insbesondere aus § 29 Abs. 9 bis 11 BMV-Ä bzw. § 15
Abs. 8 bis 10 EKV-Ä ergibt.
Bei einer vertragsärztlichen Verordnung hat die Krankenkasse in jedem Fall gegenüber dem Versicherten die Kosten zu übernehmen;
sie hat in diesem Fall nur die Möglichkeit, ihre fehlende Leistungspflicht im Wege des Regresses gegenüber dem Arzt geltend
zu machen. Der Arzt übernimmt daher mit einer vertragsärztlichen Versorgung die Verantwortung dafür, dass das Arzneimittel
zum Leistungsspektrum der GKV zählt. Wenn sich der Kläger dafür entschieden hat, die Verordnungen zu Lasten der Beigeladenen
zu 2) vorzunehmen, so hat er auch für diese objektiv fehlerhaften Verordnungen einzustehen.
Die Revision wurde grundlegender Bedeutung und wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG).