Rechtmäßigkeit des Einbehalts von Krankenhausvergütung als Anschubfinanzierung für die integrierte Versorgung in der gesetzlichen
Krankenversicherung; Nachweis des Bestehens von Verträgen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Einbehalts in Höhe von 3.201,50 Euro als Anschubfinanzierung für die
integrierte Versorgung nach §
140 d Abs.
1 SGB V.
Vom 1. April 2005 an kürzte die Beklagte sämtliche Rechnungen für die stationäre Behandlung ihrer Versicherten im von der
Klägerin getragenen Krankenhaus um ein Prozent und berief sich hierfür auf §§
140 a bis d
SGB V und den Abschluss von Verträgen über die integrierte Versorgung ihrer Versicherten. Die Klägerin widersprach den Rechnungskürzungen
und rügte den fehlenden Nachweis von Verträgen über die integrierte Versorgung für die Versorgungsregion der Kassenärztlichen
Vereinigung Berlin.
Mit ihrer am 9. März 2006 erhobenen Klage, erweitert mit Schriftsatz vom 16. August 2006, begehrt die Klägerin die Zahlung
von insgesamt 3.201,50 Euro nebst Zinsen und hat hierfür sämtliche Rechnungen vorgelegt, auf die die Beklagte von April 2005
bis Juli 2006 ein Prozent der Rechnungssumme einbehalten hatte. Außerdem hat sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte
zu einer Rechnungskürzung nach §
140 d SGB V nicht berechtigt sei, so lange die Kürzung nicht für einen mit Berliner Leistungserbringern geschlossenen Integrationsvertrag
erforderlich sei. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen angeführt, nicht nachvollziehen zu können, ob die Beklagte
überhaupt Verträge über eine integrierte Versorgung im Sinne von §
140 a SGB V abgeschlossen habe, denn die Beklagte habe sich zum Inhalt dieser Verträge nicht weiter erklärt und sie auch nicht vorgelegt.
Jedenfalls verbiete sich aber der Einbehalt von den Rechnungen eines Berliner Krankenhauses durch die Allgemeine Ortskrankenkasse
eines anderen Bundeslandes; es fehle an der Übereinstimmung von Mittelherkunft und Mittelverwendung.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat zum Beleg des Bestehens von Verträgen der integrierten Versorgung Meldebestätigungen
der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS) eingereicht, denen jeweils die Vertragsbezeichnung, der Vertragsgegenstand,
Vertragsbeginn und -dauer, das Vergütungsvolumen, die Anzahl der Versicherten, die Vertragspartner, die betroffene Versorgungsregion
(KV Brandenburg bzw. KV Berlin) und die aus dem Vergütungsvolumen abgeleitete Quote, die zur Zahlungskürzung in Ansatz gebracht
wird, zu entnehmen sind. Auf Bl. 148 bis 162 der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen.
Das Sozialgericht Berlin hat der Beklagten unter Hinweis auf die §§
119 und
106a SGG und eine mögliche Präklusion mit Verfügung vom 24. Juni 2008 aufgegeben, die von ihr abgeschlossenen Verträge zur integrierten
Versorgung bis zum 18. Juli 2008 vorzulegen. Die Beklagte ist dem nicht nachgekommen und hat zur Begründung erklärt, sie sei
weder verpflichtet noch berechtigt, die Verträge vorzulegen, denn es handele sich um geschützte Sozialdaten. Auch wettbewerbsrechtliche
Gründe zwängen sie dazu, die Verträge der Klägerin nicht zugänglich zu machen. Mit der Mitteilung der Vertragsinhalte an die
BQS sei sie ihrer Darlegungs- und Beweispflicht nachgekommen.
Mit Urteil vom 30. Oktober 2008 hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte zur Zahlung von 3.201,50 Euro nebst Zinsen verurteilt
und die Klage im Übrigen - im Hinblick auf den Feststellungsantrag - abgewiesen. Letzterer sei unzulässig, weil es an einem
feststellungsfähigen Rechtsverhältnis und an einem Feststellungsinteresse mangele. Der Leistungsantrag sei aber zulässig und
begründet, denn die Klägerin habe Anspruch auf ungekürzte Vergütung. Ob die Beklagte zu dem einprozentigen Einbehalt berechtigt
gewesen sei, sei nicht feststellbar gewesen; dies gehe zu ihren Lasten. Allein anhand der dem Gericht vorliegenden Unterlagen
der BQS lasse sich nicht feststellen, ob die Beklagte Verträge zur integrierten Versorgung im Sinne von §
140 a SGB V abgeschlossen habe. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. Februar 2008 (B 6 KA 27/07 R, "Barmer-Hausarztvertrag") hat das Sozialgericht weiter ausgeführt, dass es dem Gericht ermöglicht werden müsse, abgeschlossene
Verträge auf ihren Inhalt zu überprüfen, denn die Entscheidung des Bundessozialgerichts zeige gerade, dass nicht jeglicher
Vertrag automatisch die Besonderheiten eines Integrationsvertrages im Sinne von §
140 a SGB V aufweise. Die Daten der Registrierungsstelle BQS enthielten lediglich die jeweilige Vertragsüberschrift und eine knappe Mitteilung
über den Vertragsgegenstand sowie Angaben zu den Vertragspartnern, dem Vergütungsvolumen, der Vertragsdauer und zu den Modalitäten
der Vergütungskürzung. Ob die Verträge aber den gesetzlichen Anforderungen im Sinne von §
140 a SGB V genügten, sei nicht feststellbar. Allein aus der Meldung beim BQS folge nicht, dass einem vom Einbehalt nach §
140 d SGB V Betroffenen der Einwand verwehrt sei, es liege kein Vertrag zur integrierten Versorgung vor. Nach den Regeln der Beweislast
gehe die Unaufklärbarkeit zu Lasten der Beklagten. Ob die Beklagte die Vorlage der Verträge zu Recht verweigert habe, sei
unerheblich; hierauf komme es nur an, wenn die Beweislast die Klägerin träfe und die Weigerung der Beklagten, die Verträge
vorzulegen, für die Klägerin eine Rechtsschutzverkürzung zur Folge hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Nicht zu entscheiden
sei damit auch, ob den Vergütungskürzungen gegenüber der in Berlin ansässigen Klägerin entgegenstehe, dass die Beklagte im
Land Berlin keine Verträge im Sinne von §
140 a SGB V abgeschlossen habe.
Gegen das ihr am 5. November 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Dezember 2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung
trägt sie vor, das Sozialgericht habe übersehen, dass Krankenkassen neuerdings im Wettbewerb zu einander stünden. Es dürfe
im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen kommen. Die Verträge könnten
zwar dem Gericht zur Verfügung gestellt werden, dürften aber nicht etwa Gegenstand der Akteneinsicht werden. Das Sozialgericht
habe es ihr nicht hinreichend ermöglicht, sich gegen die Klageforderung zu verteidigen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge
der Beklagten Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber keinen Erfolg, denn zu Recht hat das Sozialgericht dem Leistungsantrag der
Klägerin stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den einbehaltenen Betrag in Höhe von 3.201,50 Euro nebst Zinsen an die
Klägerin zu zahlen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden, vollständigen und überzeugenden
Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil (§
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Hervorzuheben bleibt lediglich:
Die Beklagte hat Einbehalte von dem der Klägerin zustehenden Vergütungsanspruch vorgenommen und war damit nach allgemeinen
Beweisregeln beweispflichtig im Hinblick auf das Vorliegen von Verträgen nach §§
140 a bis c Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (
SGB V) und die Erforderlichkeit des Einbehalts im Sinne von §
140 d Abs.
1 SGB V. Dabei geht der Senat davon aus, dass es in einem ersten Schritt grundsätzlich ausreichend ist, das Bestehen von Verträgen
im Sinne der §§
140 a ff.
SGB V durch Vorlage von Meldebestätigungen der Registrierungsstelle bei der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS)
nachzuweisen (ebenso Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2009, L 1 KR 76/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 51). Die Auskünfte bzw. Bestätigungen dieser nach §
140 d Abs.
5 SGB V eingerichteten Stelle, wie sie auch im vorliegenden Verfahren von der Beklagten vorgelegt worden sind, enthalten Angaben
zu wesentlichen Eckdaten geschlossener und der Registrierungsstelle gemeldeter Verträge und können damit Indizwirkung im Hinblick
auf das Bestehen von Verträgen nach §§
140 a ff.
SGB V entfalten. Dass es sich dabei tatsächlich und im Rechtssinne um Verträge der integrierten Versorgung nach §§
140 a ff.
SGB V handelt, ist damit jedoch nicht dargetan, denn die Registrierungsstelle nimmt nur Meldungen entgegen, ohne diese inhaltlich
zu prüfen.
Im Zweifelsfall unterliegt die Frage, ob ein relevanter Vertrag der intergrierten Versorgung vorliegt, der den Einbehalt von
bis zu einem Prozent der Gesamtvergütung nach §
140 d Abs.
1 Satz 1
SGB V rechtfertigt, der vollen gerichtlichen Kontrolle. Dies zeigt sich auch an den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom
6. Februar 2008 (B 6 KA 5/07 R und B 6 KA 27/07 R), in denen der 6. Senat eine inhaltliche Prüfung der dort umstrittenen Verträge vorgenommen hat und im Hinblick auf den Barmer
Hausarztvertrag zu dem Ergebnis gekommen ist, dass dieser trotz entsprechender Bezeichnung die Voraussetzungen eines Vertrages
der integrierten Versorgung im Sinne von §
140 a Abs.
1 SGB V nicht erfülle; Verträge zur integrierten Versorgung, für deren Anschubfinanzierung die Krankenkassen Gesamtvergütungsanteile
einbehalten dürfen, lägen nicht vor, wenn die Verträge mit ihren integrativen Elementen innerhalb der Regelversorgung blieben
und damit keine Leistungen der Regelversorgung ersetzten. In beiden genannten Entscheidungen lagen dem Bundessozialgericht
die in Frage stehenden Verträge vor und wurden im Hinblick auf ihre "integrativen Elemente" einer genauen rechtlichen Prüfung
anhand der Maßstäbe der §§
140 a ff.
SGB V unterzogen.
Hieraus folgt in einem zweiten Schritt, dass bloße Meldebestätigungen der Registrierungsstelle im Prozess nicht ausreichend
und geschlossene Verträge vollständig vorzulegen sind, wenn das Vorliegen von Verträgen integrierter Versorgung substantiiert
bestritten wird oder sich schon aus den Meldebestätigungen der Registrierungsstelle selbst Zweifel an der rechtlichen Qualität
der Verträge ergeben (ebenso Sächsisches Landessozialgericht, aaO., Rdnr. 52; Leber, GesR 2008, S. 185 [187; "Wer nicht offen
legt, verliert das Verfahren!"]; Hauser, Das Krankenhaus 2009, S. 46; vgl. auch Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Rdnr. 12 zu §
140 d). So liegt es hier. Die von der Beklagten vorgelegten Meldebestätigungen begründen nämlich gravierende Zweifel daran, ob
es sich bei den gemeldeten Verträgen um solche handelt, die den Einbehalt nach §
140 d Abs.
1 Satz 1
SGB V rechtfertigen; zumindest ist die Bewertung aber offen. Zunächst müssen alle Meldebestätigungen außer Betracht bleiben, die
sich auf Verträge beziehen, die Geltung erst nach dem Juli 2006 erlangten, denn der hier streitige Einbehalt bezieht sich
auf die Zeit von April 2005 bis Juli 2006. Soweit die Meldungen den hier relevanten Zeitraum betreffen (insgesamt acht), erschließt
sich ihr notwendiger "integrativer" Charakter aus der schlagwortartigen Angabe des Vertragsgegenstandes und der Vertragspartner
allein nicht, was sich beispielsweise an folgenden Meldedaten zeigt:
- Vereinbarung über die Durchführung von Konsultationssprechstunden sowie Errichtung eines Konsultations- und Schulungszentrums
Diabetes mellitus, fachärztlicher Versorgungsbereich; AOK Brandenburg und e.V.";
- Vertrag über eine integrierte Versorgung in der Behandlung von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom, fachärztlicher Versorgungsbereich;
AOK Brandenburg und A Klinik sowie BKK Landesverband Ost;
- Vertrag zur integrierten Versorgung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz; AOK Brandenburg und -Klinikum- GmbH.
Ob diese Verträge die vom Gesetz gewollte leistungssektorenübergreifende oder interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung
organisieren, ist fraglich; es bleibt offen, ob die Verträge nicht gegebenenfalls im Wesentlichen innerhalb der Regelversorgung
verbleiben und damit die Zielsetzung der integrierten Versorgung verfehlen, Leistungen der Regelversorgung zu ersetzen. Anhaltspunkte
etwa für eine Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung bestehen weder angesichts der Vertragsgegenstände noch
angesichts der Vertragspartner. Ob schließlich eine Alternative zur bisherigen Regelversorgung angeboten wird, erschließt
sich aus den Meldungen ebenso wenig. Es liegt auf der Hand, dass der Senat die rechtliche Qualität der unzweifelhaft geschlossenen
Verträge am Maßstab der §§
140 a ff.
SGB V und der genannten Urteile des Bundessozialgerichts vom 6. Februar 2008 nur hätte bewerten können, wenn die Verträge dem Gericht
vollständig vorgelegen hätten.
Die nach Beweislastgesichtspunkten getroffene Entscheidung des Sozialgerichts ist vor diesem Hintergrund zutreffend. Die Rechtmäßigkeit
des Einbehalts war nicht prüfbar, weil die Beklagte ihrer Pflicht aus §
119 Abs.
1 Satz 1
SGG zur vollständigen Vorlage der fraglichen Verträge nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist es mit der Regelung in §
140 d Abs.
1 Satz1
SGB V nicht vereinbar, wenn eine Krankenkasse - so wie hier - pauschal und ohne nachprüfbaren Hinweis auf Inhalt und finanzielles
Volumen von Integrationsverträgen Bestandteile einer Krankenhausvergütung einbehält und allenfalls auf der Grundlage des §
140 d Abs.
1 Satz 5
SGB V nach drei Jahren zurückerstattet (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 6. Februar 2008, B 6 KA 5/07 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 15). Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Beklagten angeführten Urteil des Sächsischen
Landessozialgerichts vom 24. Juni 2009 (L 1 KR 76/08), denn auch in jenem Verfahren lagen die fraglichen Verträge dem Gericht im Wortlaut vor und wurden einer inhaltlichen Prüfung
unterzogen, die dem Senat im vorliegenden Fall verwehrt ist. Das Sächsische Landessozialgericht hat daneben lediglich betont,
dass ein Nachweis der sachgerechten Verwendung der einbehaltenen Vergütungsanteile aufgrund einzelner Rechnungen nicht verlangt
werden kann.
Die Beklagte hat im Übrigen schon übersehen, dass sie die Verträge entgegen der ausdrücklichen Aufforderung des Sozialgerichts
vom 24. Juni 2008 nur dann hätte zurückhalten dürfen, wenn sie eine Erklärung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde im
Sinne von §
119 Abs.
1 Satz 1
SGG beigebracht hätte. Weil die Beklagte mit ihrer Berufungsbegründung daran festgehalten hat, die Verträge nicht vorlegen zu
wollen, hat sich eine weitere verbindliche Aufforderung des Senats in diese Richtung erübrigt, unabhängig davon, dass der
Senat hätte erwägen können, die Vorlage der Verträge im Berufungsverfahren nach §
157 a Abs.
1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO.
Einen Grund für die Zulassung der Revision hat der Senat in der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gesehen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).