Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen
für das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Die Klägerin ist 1968 geboren und arbeitete etwa 20 Jahre als Krankenschwester. Seit 2012 ist sie arbeitsunfähig geschrieben.
Ein Rechtsstreit, in dem sie die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erreichen wollte (S 33 R 1402/15 - L 3 R 20/18), endete durch Rücknahme der Berufung durch die Klägerin, nachdem sie auf das Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
hingewiesen worden war.
Die Beklagte stellte zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2010 einen GdB von 40 fest. Hierbei berücksichtigte sie
eine Funktionsstörung des rechten Schultergelenks mit einem Teil-GdB von 30, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule mit einem
Teil-GdB von 20 und ein hyperreagibles Bronchialsystem mit einem Teil-GdB von 10.
Am 5. Januar 2012 stellte die Klägerin einen Neufeststellungsantrag bezüglich der Höhe des GdB und begründete diesen damit,
dass sich die Funktionsstörungen der Schultergelenke und das allergische Asthma verschlimmert hätten und ein Meniskusschaden
rechts hinzugekommen sei. Merkzeichen beantragte sie nicht. Die Beklagte lehnte den Antrag nach Einholung von Befundberichten
der behandelnden Ärzte mit Bescheid vom 18. April 2012 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid
vom 27. Juli 2012 zurück. Zwar sei von einem Knieschaden rechts mit einer Bewegungseinschränkung stärkeren Grades auszugehen,
der mit einem GdB von 30 zu bewerten sei. Gleichzeitig sei jedoch der GdB für die Funktionsstörung der Schultergelenke auf
10 herabzusetzen, sodass der Gesamt-GdB unverändert sei.
Mit ihrer am 16. August 2012 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Feststellung eines GdB von 50 beantragt, da sich
ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert habe.
Nachdem das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt hatte, hat die Beklagte mitgeteilt, dass durch das
Hinzutreten weiterer Gesundheitsstörungen (psychische Störung, Migräne) sowie durch die Zunahme der Beschwerden in den Schultergelenken
eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Sie hat sodann mit Neufeststellungsbescheid vom 4. September 2014 ab dem 5. Juli
2013 einen GdB von 50 für eine Funktionsstörung beider Schultergelenke (Teil-GdB 30), einen Kniegelenksverschleiß rechts (Teil-GdB
30), eine psychische Störung (Teil-GdB 20), eine Funktionsstörung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), eine Migräne (Teil-GdB 10)
sowie ein hyperreagibles Bronchialsystem (Teil-GdB 10) anerkannt. Mit weiterem Neufeststellungsbescheid vom 27. Oktober 2014
hat die Beklagte ab dem 19. April 2013 einen (höheren) Teil-GdB von 40 für den Kniegelenksverschleiß rechts und somit einen
Gesamt-GdB von 60 festgestellt.
Daraufhin hat die Klägerin geltend gemacht, dass ein GdB von 70 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für
das Merkzeichen G festzustellen seien. Das Sozialgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 16. April 2015 darauf hingewiesen,
dass das Merkzeichen G nicht Klagegegenstand sei. Die Beklagte hat sich dieser Auffassung in einem Schriftsatz vom 23. April
2015 angeschlossen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat demgegenüber vorgetragen, dass sich die Beklagte in ihrer gutachterlichen
Stellungnahme vom 19. Oktober 2014 zur Frage der Zuerkennung des Merkzeichens G geäußert habe; dieses sei dadurch Klagegegenstand
geworden.
Das Sozialgericht hat sodann ein orthopädisches Gutachten der Fachärztin für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie, Sozialmedizin
und Sportmedizin Dr. S. eingeholt. Diese hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin unter dem 1. Februar 2016 ausgeführt,
dass in ihren gesundheitlichen Verhältnissen gegenüber den Befunden, die dem Bescheid vom 2. Juli 2010 zugrunde lagen, eine
wesentliche Änderung eingetreten sei. Insgesamt ergebe sich ab dem 5. Januar 2012 ein GdB von 40 und ab Juli 2013, dem Zeitpunkt
der Funktionsstörung auch des linken Schultergelenkes, ein Gesamt-GdB von 50. Hierbei sei für die Bewegungseinschränkung beider
Schultergelenke ein Teil-GdB von 20 und für die Kniegelenke ein Teil-GdB von 30 anzunehmen. Die psychische Störung in Form
einer Angststörung sei als leichte psychische Störung mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen. Das Asthma bronchiale
sowie die Schäden der Halswirbelsäule seien unverändert mit einem Teil-GdB von 10 bzw. 20 zu bewerten. Für die Migräne komme
kein höherer GdB als 10 in Betracht. Hinsichtlich des Merkzeichens G sei allein die Funktionsstörung des rechten Kniegelenkes
zu berücksichtigen, denn die belastungsabhängige Beschwerdesymptomatik beim Abrollen des rechten Fußes sei durch eine Einlagenversorgung
mit Fersenpolsterung ausgeglichen. Ein GdB von 50 für die unteren Gliedmaßen und/oder die Lendenwirbelsäule liege damit nicht
vor, so dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht gegeben seien.
Die Klägerin hat erklärt, mit dem Gutachten von Dr. S. nicht einverstanden zu sein und sich hierfür auf ein von ihr eingereichtes
"Freies orthopädisches Gutachten" des Facharztes für Orthopädie Dr. N. vom 28. Mai 2015 berufen. Dieser hat ausgeführt, im
Vordergrund bestünden bei der Klägerin die Schmerzen und Funktionsstörungen der Halswirbelsäule sowie beider Schultergelenke
und des rechten Kniegelenks. Alle übrigen Beschwerden seien nachrangiger Natur. Die Beschwerdesymptomatik der Halswirbelsäule
sei bedingt durch die radiologisch nachgewiesenen beginnenden degenerativen Bandscheibenveränderungen im mittleren Drittel
bei kernspintomografisch gesichertem Nukleusprolaps C5/6. Dabei sei die funktionelle Gesamtbeweglichkeit gegenüber einer gleichaltrigen
Patientin herabgesetzt, eine radikuläre Reizsymptomatik bestehe derzeit jedoch nicht. Im Bereich der Schultergelenke bestünden
druckschmerzhafte Rotatorenmanschettenansätze mit endgradigen Schmerzen bei Elevation und Abduktion, die Schultergelenkgesamtfunktion
sei dabei beidseits erheblich eingeschränkt. Die Funktion des rechten Kniegelenks sei erheblich gestört. Das chronifizierte
Schmerzsyndrom und die daraus resultierende medikamentöse Begleitbehandlung verminderten das Leistungsvermögen zusätzlich.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. November 2016 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es
darauf hingewiesen, dass Streitgegenstand allein die Höhe des GdB sei, da die Klägerin die Feststellung des Merkzeichens G
nicht beantragt und die Beklagte auch keine entsprechende Prüfung von Amts wegen vorgenommen habe. Das Merkzeichen sei auch
nicht im Wege der Klagänderung zum Streitgegenstand geworden, denn diese sei weder sachdienlich noch habe die Beklagte eingewilligt.
Hinsichtlich der Höhe des GdB sei die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet, denn die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Feststellung eines höheren GdB als 60, wie sich nachvollziehbar aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. S. ergebe.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 24. November 2016 zugestellten Gerichtsbescheid am 23. Dezember 2016 Berufung eingelegt.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass ihr ein GdB von mindestens 70 sowie das Merkzeichen G zustehe. Sie könne nicht lange
gehen und sei nicht in der Lage, zu knien, sich zu bücken oder sich zu beugen. Rennen könne sie schon gar nicht. Der rechte
Arm könne nicht über den Kopf geführt werden. Das Merkzeichen G sei Gegenstand des Verfahrens geworden, da die Beklagte sich
in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 19. Oktober 2014 hierzu geäußert und auch Dr. S. sich in ihrem Gutachten damit
befasst habe.
Das Berufungsgericht hat aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt und den Entlassungsbericht
der Kliniken vom 8. April 2019 angefordert. Aus diesem ergibt sich, dass die Klägerin in der dortigen Abteilung für Psychosomatik/Psychotherapie
vom 15. Februar bis 5. April 2019 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme absolviert hat, aus der sie arbeitsunfähig entlassen
wurde. Als Diagnosen wurden eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine chronische Schmerzstörung
mit somatischen und psychischen Faktoren, der Verdacht auf kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen sowie ein leichtes
obstruktives Schlafapnoe-Syndrom ohne CPAP (Atemmaske) in der Eigenanamnese benannt.
Das Berufungsgericht hat sodann den Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie, Rheumatologie und Psychotherapie Dr. H. mit
der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29. April 2020 nach ambulanter Untersuchung
der Klägerin ausgeführt, dass an der unteren Halswirbelsäule der Klägerin Bandscheibentexturschäden erkennbar seien. Im medizinischen
Berichtswesen sei aber nicht erkennbar, dass es in diesem Wirbelsäulenabschnitt zuletzt wenigstens einigermaßen häufig zu
wiederkehrenden und dann über längere Zeit anhaltenden, schmerzhaften Funktionsstörungen gekommen wäre. Die anlässlich der
Begutachtung vermittelte Bewegungseinschränkung dieses Wirbelsäulenabschnitts lasse sich ebenso wenig organisch begründen
wie der in Zusammenhang damit angegebene Funktionsschmerz. Weder bestünden lokale Muskelspannungsstörungen noch lägen neuroorthopädische
Unregelmäßigkeiten im Bereich der oberen Gliedmaßen vor. Die Lendenwirbelsäulenverhältnisse der Klägerin seien organisch gesehen
vollkommen normal. Die bildgebend erkennbaren Formveränderungen seien altersentsprechend und lösten keine Beschwerden aus.
Insofern seien funktionell bedeutsame Wirbelsäulenschäden, wie sie in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen beschrieben
würden, nicht zu belegen. Auch die von Dr. S. beschriebenen Verhältnisse rechtfertigten den von ihr ins Auge gefassten Wirbelsäulen-GdB
von 20 tatsächlich nicht. Die von der Klägerin geltend gemachten Rückenschmerzen seien stattdessen im Zusammenhang mit einer
chronischen Schmerzwahrnehmungs- bzw. -verarbeitungsstörung zu sehen. Dementsprechend sei auch das Medikamenteneinnahmeverhalten
der Klägerin nicht befundangemessen. Gleichwohl weise es darauf hin, dass sie tatsächlich Schmerzen wahrnehme, für die sie
freilich vornehmlich körperliche Ursachen sehe und eine seelische Gesundheitsstörung dagegen nicht für wesentlich halte. Die
Versorgungsmedizinischen Grundsätze zählten "ausgeprägtere somatoforme Störungen" zu den stärker behindernden Störungen, die
einen GdB von 30 bis 40 rechtfertigen würden. Vorliegend seien durchaus erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten zu erkennen,
unter anderem ein Verlust des Arbeitsplatzes, sodass diesbezüglich ein Teil-GdB von 40 angemessen sei. Eine nahezu ständige
Bewegungseinschränkung der Schultergelenke, die einen GdB von wenigstens 10 rechtfertigen würde, sei nicht zu begründen. Die
von der Klägerin vermittelte Bewegungsbeeinträchtigung beider Hüftgelenke sei nicht plausibel. An ihrem rechten Kniegelenk
zeige sich ein sogenanntes Migratorisches Knochenödem. Ein wirklich schwerwiegender Verschleiß bestehe hier - entgegen verschiedener
Aussagen in der Akte - aber nicht. Der vor vielen Jahren stattgehabte Innenmeniskus-Teilverlust sei funktionell unbedeutend.
Das Knochenödem bereite keineswegs dauerhaft maßgebliche Beschwerden, zumal vorliegend eine Aktivierung im Rahmen einer erst
kürzlich erfolgten Skelettszintigraphie habe ausgeschlossen werden können. Die von der Klägerin dargebotene Bewegungsbeeinträchtigung
sei demnach mit objektiven organischen Befundtatsachen nicht zu erklären, gleichwohl aber von Dauer. Eine Verschmächtigung
des Muskelmantels an ihrem rechten Oberschenkel sei ein Beleg für eine körperlich nicht zu begründende, dauerhafte Schonung
der betroffenen Gliedmaße. Deren Minderbelastung sowie die Bewegungsbeeinträchtigung des gleichseitigen Kniegelenks seien
Ausdruck ihrer Schmerzwahrnehmungs- bzw. -verarbeitungsstörung und nicht das Ergebnis eines schwerwiegenden organischen Leidens.
Teilhabeeinschränkungen wegen rein körperlich bedingter rückfälliger, lokaler Schmerzzustände seien vorliegend in Analogie
zu den Verhältnissen bei einer gelegentlichen Kniescheibenverrenkung mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Bei der Klägerin
sei weiter eine Außenbandlockerung am rechten oberen Sprunggelenk festzustellen, die keine Bewegungsbeeinträchtigung bedinge.
Ein Teil-GdB von 10 werde hierdurch nicht erreicht. Der außerdem bestehende Fersensporn rechtfertige ebenfalls keinen Teil-GdB.
Zum einen sei dieser gut behandelbar, insbesondere orthopädieschuhtechnisch, zum anderen bereite er keine dauerhaften Beschwerden.
Die von der Klägerin in diesem Bereich geltend gemachten Schmerzen seien daher nicht plausibel, zumal die aktuelle Szintigraphie
auch im Anheftungsbereich der dort ansetzenden Sehnen keinerlei Unregelmäßigkeiten zeige. Die seelische Gesundheitsstörung
der Klägerin habe sich in der Zwischenzeit erkennbar verschlimmert. Insofern überzeuge der Vorschlag von Dr. S., rückwirkend
eine Verschlimmerung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse ab Juli 2013 anzunehmen. Zusammengefasst lägen als Behinderungen
eine Funktionsstörung des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) sowie eine chronische Schmerzwahrnehmungs- bzw. -verarbeitungsstörung
(Teil-GdB 40) vor. Hieraus sei der fachgebietsspezifische GdB mit 40 zu veranschlagen. Aus den Akten ergebe sich auf nicht-orthopädischem
Gebiet außerdem eine Migräne (Teil-GdB 10) sowie eine Atemfunktionsstörung (Teil-GdB 10), sodass ein Gesamt-GdB von 50 festzustellen
sei. Die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen G seien nicht zu erkennen.
Die Klägerin hat hiergegen eingewandt, das Gutachten sei nicht nachvollziehbar. Alle behandelnden Ärzte hätten ihre Beschwerden
und Beeinträchtigungen bestätigt. Diese seien daher als Zeugen zu vernehmen. Es könne nicht richtig sein, dass in Sozialgerichtsprozessen
regelmäßig ausschließlich auf die Gutachten abgestellt werde, die nach einer Untersuchung von einer halben Stunde erstellt
würden, während die Aussagen der behandelnden Ärzte völlig unberücksichtigt blieben. Sie sei wegen ihres Fersensporns seit
längerer Zeit in Behandlung, auch die Einlagen hätten keine Besserung gebracht. Sie müsse starke Schmerzmedikamente einnehmen,
um überhaupt ein paar Schritte gehen zu können. Vor dem Untersuchungstermin habe sie sie rechtzeitig abgesetzt, da sie anderenfalls
aufgrund der durch die Medikamente hervorgerufenen Müdigkeit den Termin kaum hätte wahrnehmen können.
Die Beklagte hält auch nach dem Gutachten von Dr. H. an ihren bisherigen Feststellungen fest und trägt unter Bezugnahme auf
eine gutachterliche Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes vom 7. Juli 2010 vor, dass aufgrund der vorliegenden Untersuchungsbefunde
weder eine wesentliche Funktionsverbesserung der orthopädischen Erkrankungen noch eine wesentliche Verschlimmerung der bereits
anerkannten chronischen Schmerzwahrnehmungs- und -verarbeitungsstörung belegt sei. Überschneidungen der Funktionsbeeinträchtigungen
durch die somatischen und psychischen Beeinträchtigungen seien bereits in den vorherigen gutachterlichen Stellungnahmen berücksichtigt
worden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) ist unbegründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, ist die Klage in Bezug auf das Merkzeichen G bereits unzulässig, denn es
fehlt insoweit an dem erforderlichen Verwaltungs- und Vorverfahren (§
78 SGG). Die Klägerin hat mit ihrem Neufeststellungsantrag vom 5. Januar 2012 das Merkzeichen nicht beantragt und - folgerichtig
- enthalten weder der Bescheid vom 18. April 2012 noch der Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2012 oder die im Laufe des Verfahrens
ergangenen Neufeststellungsbescheide vom 4. September 2014 und 27. Oktober 2014 Feststellungen zu dessen Vorliegen. Das Merkzeichen
G ist auch nicht im Wege der Klageänderung gemäß §
99 Abs.
1 SGG Streitgegenstand geworden. Eine ausdrückliche Einwilligung der Beklagten in eine derartige Klageänderung liegt nicht vor.
Diese hat sich auch nicht, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf
die abgeänderte Klage eingelassen (§
99 Abs.
2 SGG), sondern der Klageänderung mit Schriftsatz vom 23. April 2015 sogar ausdrücklich widersprochen. Eine abweichende Beurteilung
folgt nicht daraus, dass die von der Beklagten eingereichte gutachtliche Stellungnahme vom 19. Oktober 2014 die Aussage enthält,
eine Zuerkennung des Merkzeichens G könne nicht empfohlen werden. Hierbei handelt es sich lediglich um die fachliche Stellungnahme
des beratenden Arztes, nicht um eine prozessuale Erklärung der Beklagten. Eine Klageänderung im Sinne der Einbeziehung des
Merkzeichens G wäre auch nicht sachdienlich, da die geänderte Klage mangels eines durchgeführten Antrags- und Vorverfahrens
(§
78 SGG) unzulässig wäre. Sie ist schließlich auch nicht dadurch erfolgt, dass die vom Sozialgericht beauftragte Sachverständige
Dr. S. entsprechend der Beweisanordnung auch zu den Voraussetzungen des Merkzeichens G Stellung genommen hat. Die Sachverständige
ist keine Verfahrensbeteiligte und kann eine Änderung des Streitgegenstandes daher nicht bewirken. Aus der über das Klageziel
hinausgehenden Beweisanordnung lässt sich auch nicht ableiten, dass das Sozialgericht damit die Klageänderung stillschweigend
und damit bindend für die Rechtsmittelinstanz (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R) für sachdienlich anerkannt hätte. Dem steht schon entgegen, dass das Sozialgericht bereits mit Schreiben vom 16. April
2015 darauf hingewiesen hatte, dass das Merkzeichen G nicht Klagegegenstand sei.
Soweit die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB beantragt, ist die Klage zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen
Bescheide sind rechtmäßig, denn die Voraussetzungen eines GdB von mehr als 60 konnten auch im Berufungsverfahren nicht festgestellt
werden. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, ihren Bescheid vom 2. Juli 2010 über die mit den Neufeststellungsbescheiden
vom 4. September 2014 und 27. Oktober 2014 hinaus erfolgten Erhöhungen des GdB weiter abzuändern.
Grundlage für die beanspruchte teilweise Aufhebung des Bescheides vom 2. Juli 2010 bzw. der im Laufe des Rechtsstreits ergangenen
Neufeststellungsbescheide ist § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Von einer
solchen Änderung wäre vorliegend bei einer Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin auszugehen, wenn aus dieser
die Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt (vgl. BSG, Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - Juris). Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten
des Betroffenen erfolgt. Zwar ist in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit Erlass des Bescheides vom 2. Juli
2010 eine wesentliche Änderung eingetreten, diese hat die Beklagte jedoch im Ergebnis (mindestens) ausreichend berücksichtigt.
Nach §
152 Abs.
1 und
3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung (davor: §
69 Abs.
1 und
3 SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden - in Hamburg die Beklagte - auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und
den GdB in einem besonderen Verfahren fest (§
152 Abs.
1 Satz 1
SGB IX). Als GdB werden dabei die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt
(§
152 Abs.
1 Satz 5
SGB IX). Für die Bewertung des GdB gelten gemäß § 241 Abs. 5
SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend, denn eine Verordnung nach §
153 Abs.
2 SGB IX ist bislang nicht erlassen worden. Damit sind die "Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes" (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) und insbesondere die als Anlage zu § 2 VersMedV erlassenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" weiterhin entsprechend heranzuziehen.
Nach Maßgabe dieser Vorschriften kann ein GdB von mindestens 70 nicht festgestellt werden. Der Sachverständige Dr. H. hat
in seinem Gutachten vom 29. April 2020 herausgearbeitet, dass der Schwerpunkt der gesundheitlichen Störungen bei der Klägerin
in einer chronischen Schmerzwahrnehmungs- und -verarbeitungsstörung zu sehen ist. Er hat hierzu ausgeführt, dass die von der
Klägerin angegebenen Schmerzen einem Gesamtstadium III des Mainzer Stadienmodells nach Gerbershagen und damit dem höchsten
Chronifizierungsgrad des Schmerzes entsprächen. Die von ihm erhobenen Befunde am Bewegungsapparat vermochten die geklagten
Schmerzen jedoch objektiv nicht zu begründen. So hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die anlässlich der Begutachtung
vermittelte Bewegungseinschränkung der unteren Halswirbelsäule ebenso wenig organisch begründen lasse wie der im Zusammenhang
damit angegebene Funktionsschmerz. Der Sachverständige hat auch die Lendenwirbelsäulenverhältnisse der Klägerin als vollkommen
normal und altersentsprechend beschrieben. Auch die geklagten Bewegungsbeeinträchtigungen beider Hüftgelenke, des rechten
Kniegelenks und der Schultergelenke sind nach den Ausführungen von Dr. H. mit objektiven organischen Befundtatsachen nicht
zu erklären. Gleichwohl hatte der Sachverständige keinerlei Zweifel daran, dass die Klägerin die geschilderten Schmerzen tatsächlich
wahrnimmt und entsprechenden Leidensdruck hat. Hierfür spricht, worauf er ausdrücklich hingewiesen hat, auch das - gemessen
an den somatischen Befunden - nicht angemessene Medikamenteneinnahmeverhalten der Klägerin (sie nahm im Untersuchungszeitpunkt
die Schmerzmedikamente Novaminsulfon 500 mg 3x täglich, Ibuhexal 600 mg 1x täglich sowie Tilidin Comp 50 mg 2x täglich ein;
im Entlassungsbericht der Kliniken wird sogar ein Tilidin-Missbrauch beschrieben) sowie die tatsächlich bestehende Verschmächtigung
des Muskelmantels an ihrem rechten Oberschenkel, die ein Beleg für eine - wenn auch körperlich nicht zu begründende - dauerhafte
Schonung der betroffenen Gliedmaße sei. Der erkennende Senat schließt sich den ausführlich begründeten und nachvollziehbaren
Feststellungen von Dr. H. an, der die vorliegenden Befundberichte und medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzte ausgewertet
und gewürdigt hat. Das Vorliegen einer durchaus gravierenden chronischen Schmerzerkrankung der Klägerin wird zudem durch den
Entlassungsbericht der Kliniken vom 8. April 2019 bestätigt und wurde auch schon in dem "Freien Gutachten" von Dr. N. vom
28. Mai 2015 beschrieben.
Für die bei der Klägerin bestehende chronische Schmerzwahrnehmungs- bzw. -verarbeitungsstörung ist ein Teil-GdB von 40 angemessen.
Nach Teil B. Ziffer 3.7 VersMedV zählen ausgeprägtere somatoforme Störungen zu den stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis-
und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdB von 30-40 rechtfertigen. Dr. H. hat darauf hingewiesen, dass vorliegend durchaus erhebliche
soziale Anpassungsschwierigkeiten, unter anderem ein Verlust des Arbeitsplatzes, zu erkennen seien, sodass ein GdB an der
oberen Grenze des Rahmens gerechtfertigt ist. Ein Teil-GdB von mindestens 50 würde demgegenüber das Vorliegen einer schweren
Störung (z.B. einer schweren Zwangserkrankung) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten erfordern. Mittelgradige
soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben beruflich sich auswirkenden psychischen Veränderungen auch erhebliche familiäre
Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Anmerkung zu Teil B. Ziff. 3.6 VersMedV). Hierfür finden sich jedoch keine Anhaltspunkte. Auch in dem Entlassungsbericht der Kliniken gibt es hierauf keine Hinweise,
vielmehr wird dort beschrieben, dass die Klägerin regelmäßig und engagiert an den Behandlungsbausteinen teilnahm und positive
und haltende Kontakte zu ihren Mitpatienten aufbauen konnte. Des Weiteren geht aus dem Befundbericht der Schmerztherapeuten
Dres. J. vom 9. September 2019 hervor, dass die Klägerin seit 30 Jahren glücklich verheiratet sei, was ebenfalls gegen das
Vorliegen erheblicher familiärer Probleme spricht. Schließlich ergeben sich auch aus dem Befundbericht des Facharztes für
Psychiatrie und Neurologie Dr. K. vom 10. November 2019 keine Anhaltspunkte für mindestens mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten.
Bei der Klägerin liegt außerdem eine Funktionsstörung des rechten Kniegelenks in Form eines sogenannten Migratorischen Knochenödems
vor, die jedoch lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten ist. Dr. H. hat dargelegt, dass eine solche Gesundheitsstörung
keineswegs dauerhaft Beschwerden bereite, zumal vorliegend eine Aktivierung durch eine durchgeführte Skelettszintigraphie
habe ausgeschlossen werden können. Es ist daher angemessen, diese Gesundheitsstörung entsprechend dem Vorschlag von Dr. H.
analog zu einer habituellen Knieschiebenverrenkung mit nur seltener Ausrenkung (in Abständen von einem Jahr und mehr) zu beurteilen,
für die nach Teil B Ziffer 18.14 VersMedV ein GdB von 0-10 vorgesehen ist. Dass entsprechende lokale Schmerzzustände häufiger auftreten und somit ein Teil-GdB von
20 gerechtfertigt sein könnte, ist nicht belegt. Eine gar dauerhafte Bewegungsbeeinträchtigung ist, worauf Dr. H. ausdrücklich
hingewiesen hat, mit dem objektiven Befund nicht in Einklang zu bringen. Soweit Dr. S. in ihrem Gutachten vom 1. Februar 2016
demgegenüber einen Teil-GdB von 30 für die Funktionsstörung des rechten Kniegelenks angenommen hat, erscheint dies nicht nachvollziehbar,
denn auch sie hat festgestellt, dass sich im Röntgenbild beider Kniegelenke altersgemäße Befunde mit nur ganz diskreter Auflockerung
der Knochenfeinstruktur und des Kalksalzgehaltes des rechten Kniegelenks gezeigt hätten und auch kernspintomographisch nur
geringe Knorpelunregelmäßigkeiten gefunden worden seien. Soweit sich die Streckung/Beugung der Kniegelenke bei Dr. H. sogar
schlechter dargestellt hat als bei Dr. S., sagt dies nichts über das Ausmaß der somatisch bedingten Einschränkung der Kniefunktion
aus, denn auch Dr. H. stellt die wahrgenommenen Schmerzen nicht infrage, er sieht jedoch insoweit die Schmerzerkrankung als
ursächlich an.
Aus dem Gutachten von Dr. H. ergeben sich hinsichtlich des Stütz- und Bewegungsapparates folgende weitere Diagnosen: Texturstörung
zweier Halsbandscheiben, flankiert von knöchernen Formveränderungen, dem Lebensalter nur gering vorauseilend; Altersentsprechende
Formveränderung der Lendenwirbelkörper; Kalkeinlagerung in die rechte Oberarmdrehmanschette, operativ behandelt; Verkalkung
der linken Oberarmdrehmanschette, Narbe an der linken Schulterrückseite; Außenbandlockerung am rechten oberen Sprunggelenk;
Beidseitiger hinterer Fersensporn. Aus diesen Gesundheitsstörungen folgen jedoch nach den nachvollziehbaren Ausführungen von
Dr. H. keine Funktionseinschränkungen, die einen Teil-GdB von mindestens 10 rechtfertigen würden. Vielmehr handelt es sich
insoweit nur um allenfalls geringfügige Abweichungen vom altersentsprechenden Normalbefund.
Selbst wenn man hinsichtlich des Wirbelsäulenschadens geringe funktionelle Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende
Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome)
annehmen würde, führte dies lediglich zu einem Teil-GdB von 10, der sich auf den Gesamt-GdB nicht erhöhend auswirken würde.
Ein GdB von 20 würde demgegenüber mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig
rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage
andauernde Wirbelsäulensyndrome) voraussetzen, wofür es nach den Feststellungen von Dr. H. in den medizinischen Unterlagen
keine Nachweise gibt. Auch Dr. S. hat in ihrem Gutachten dargelegt, dass neuromuskuläre Reiz- oder Ausfallerscheinungen weder
dokumentiert noch bei ihrer Untersuchung nachweisbar gewesen seien. Lediglich bei der Rückneigung sei eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung
aufgefallen bei ansonsten altersgemäßer Beweglichkeit ohne Verspannung der Schulternackenmuskulatur. Dr. H. hat insofern nachvollziehbar
darauf hingewiesen, dass die von Dr. S. beschriebenen Verhältnisse den von ihr ins Auge gefassten Wirbelsäulen-GdB von 20
nicht rechtfertigen könnten.
Die Kalkeinlagerungen in eine Oberarmdrehmanschette führen laut Dr. H. keineswegs dauerhaft zu lokalen Reizerscheinungen oder
Bewegungsbeeinträchtigungen. Eine nahezu ständige Bewegungseinschränkung der Schultergelenke, die gemäß Teil B. Ziffer 18.13
VersMedV einen GdB von mindestens 10 rechtfertigen würden, ist daher nicht zu begründen. Soweit Dr. S. insoweit von einem Teil-GdB
von 20 ausgegangen ist, ist dem entgegenzuhalten, dass sie selbst auf einen röntgenmorphologisch weitgehend altersunauffälligen
Befund hingewiesen und eine Überlagerung der somatischen Beschwerden durch eine somatoforme Schmerzstörung vermutet hat.
Selbst bei einer mittelgradigen Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks ist in Teil B. Ziffer 18.14 VersMedV lediglich ein GdB von 10 vorgesehen. Eine Bewegungsbeeinträchtigung liegt jedoch bei der Klägerin nicht vor. Vielmehr hat
Dr. H. insoweit altersentsprechende und seitengleiche Funktionsverhältnisse festgestellt.
Bei dem Fersensporn handelt es sich um eine behandelbare Unregelmäßigkeit ohne dauerhafte Beschwerden. Soweit die Klägerin
vorträgt, sie könne trotz bereits länger andauernder Behandlung allenfalls ein paar Schritte gehen, ist dies vor dem Hintergrund
ihrer bestehenden Schmerzerkrankung zu sehen.
Bei der Klägerin liegt außerdem eine Migräne vor, die von der Beklagten zu Recht als leichtgradig und daher mit einem Teil-GdB
von 10 bewertet worden ist. Nach Teil B. Ziffer 2.3 ist ein GdB von mindestens 20 nur für eine mittelgradige Verlaufsform
mit Anfällen, die häufiger als einmal monatlich auftreten und jeweils einen oder mehrere Tage anhalten, zu vergeben. Zwar
hat die Klägerin ausweislich des Entlassungsberichts der Kliniken dort wöchentliche Migräneattacken angegeben, einen Nachweis
hierfür gibt es jedoch nicht. Vielmehr gehen aus dem Befundbericht von Dr. K. lediglich monatliche Migräneanfälle hervor.
Regelmäßige Aufzeichnungen in der Art eines Migräneprotokolls liegen nicht vor.
Schließlich besteht bei der Klägerin eine Atemfunktionssstörung (Asthma bronchiale), welche von der Beklagten ebenfalls zu
Recht mit einem GdB von 10 bewertet worden ist. Aus dem Befundbericht des Pneumologen Dr. A. vom 12. September 2019 gehen
nur allenfalls geringe zylindrische Bronchiektasen (Ausweitung der Bronchien) und kein sicher pathologischer Befund der Lungenfunktion
hervor. Die Sauerstoffsättigung lag bei 98 %. Für ein Schlafapnoe-Syndrom gibt es jedenfalls bisher keinen Nachweis. Nach
Teil B. Ziffer 8.5 VersMedV (Bronchialasthma ohne Einschränkung der Lungenfunktion) ist für eine Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder
leichten Anfällen ein GdB von 0-20 vorgesehen. Mangels näherer Anhaltspunkte ist ein GdB von mehr als 10 nicht zu begründen.
Ein höherer Gesamt-GdB als 60 ist hiernach nicht zu rechtfertigen. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen
dürfen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet.
Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer
wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten
Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch
das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder
mehr Punkte hinzuzufügen, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche
leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung,
auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen
mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen
(Teil A. Ziffer 3. VersMedV).
Vorliegend ist der höchste Einzel-GdB von 40 für die psychische Störung in Form einer chronische Schmerzwahrnehmungs- bzw.
-verarbeitungsstörung zu vergeben. Daneben bestehen nur noch leichte Gesundheitsstörungen (Funktionsstörung rechtes Kniegelenk,
Migräne, Atemfunktionsstörung), für die jeweils ein Einzel-GdB von 10 anzuerkennen ist. Ein höherer GdB als 60, der bereits
festgestellt worden ist, kommt damit keinesfalls in Betracht. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein höherer
GdB als 40 schon für die Zeit vor dem 19. April 2013 gerechtfertigt wäre.
Eine für die Klägerin günstigere Betrachtung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. S., denn
sie ist in ihrer Bewertung ebenso wie Dr. H. nur zu einem Gesamt-GdB von 50 gelangt. Beide Sachverständige haben damit das
Gesamtausmaß der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen gleich eingeschätzt und sind sich einig darin, dass ursächlich hierfür
eine Wechselwirkung zwischen somatischen und psychischen Faktoren ist. Lediglich die jeweiligen Anteile werden von den Sachverständigen
unterschiedlich bewertet. Maßgebend für die Feststellung des GdB ist jedoch das Ausmaß der vorliegenden Funktionseinschränkungen
und nicht ihre Ursachen.
Schließlich trifft es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu, dass die Aussagen ihrer behandelnden Ärzte nicht berücksichtigt
worden seien. Von diesen wurden vielmehr Befundberichte angefordert, die von den gerichtlich bestellten Sachverständigen ausgewertet
und gewürdigt wurden. In den Befundberichten, bei denen es sich um schriftliche Aussagen der Ärzte als sachverständige Zeugen
handelt (§
118 Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §§
377 Abs.
3 S. 1, 414
ZPO), werden im Wesentlichen die vom Patienten angegebenen Beschwerden, die vom Arzt erhobenen Befunde sowie die Diagnosen mitgeteilt.
Zu den hieraus resultierenden Funktionseinschränkungen und ihrer Bewertung nach dem Schwerbehindertenrecht enthalten sie regelmäßig
keine Angaben, denn dies gehört nicht zu den Aufgaben des behandelnden Arztes. Die Auswertung und die kritische Würdigung
der Befundberichte sowie der angegebenen Beschwerden ist vielmehr Aufgabe des gerichtlich bestellten Sachverständigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.