Zulässigkeit der rückwirkenden Beitragserhebung in der Folge der Entscheidung des BAG über die Tariffähigkeit der CZGP
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 28. November 2011.
Die Antragstellerin betreibt seit Jahren ein Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. In den Arbeitsverträgen mit
den bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmern wird für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2009 auf
die Tarifverträge der Zeitarbeit, geschlossen zwischen der Tarifgemeinschaft XY. (XY.) und dem Arbeitgeberverband mittelständischer
Personaldienstleister, in seiner jeweiligen Fassung verwiesen. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütung zahlte die Antragstellerin
die Sozialversicherungsbeiträge.
Nach Betriebsprüfung am 22. Oktober 2009 - Prüfzeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 - erhob die Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 27. Oktober 2009 gegenüber der Antragstellerin eine Nachforderung in Höhe von 487,23 EUR im Hinblick auf geringfügige
Beschäftigung von Studenten. Mit Änderungsbescheid vom 26. November 2009 reduzierte sie den Betrag auf 300,08 EUR.
Nach erneuter Betriebsprüfung in der Zeit vom 22. bis 24. August 2011 - Prüfzeitraum 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2009
- erhob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28. November 2011 eine Nachforderung in Höhe von 11.850,14 EUR. Die XY. sei nicht
tariffähig. Damit sei §
10 Abs.
4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (
AÜG) anzuwenden, so dass die von der Antragstellerin entliehenen Arbeitnehmer den Lohn beanspruchen könnten, der im Betrieb des
Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Entsprechend seien auch höhere Sozialversicherungsbeiträge
zu erheben. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 Widerspruch.
Am 14. Januar 2012 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht Darmstadt beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
anzuordnen.
Mit Beschluss vom 27. Februar 2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Aufgrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
vom 14. Dezember 2010 stehe fest, dass die XY. weder eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung noch eine tariffähige Spitzenorganisation
darstelle. Hinsichtlich der Rückwirkung für die Vergangenheit liege zwar noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor.
Es sprächen jedoch mehr Gesichtspunkte für die Annahme einer Rückwirkung, da die fehlende Tariffähigkeit der XY. auf Satzungsmängeln
beruhe, die seit dem 5. Dezember 2005 bestünden. Der Geltendmachung der Beiträge stehe auch nicht der verfassungsrechtliche
Grundsatz des Verbots einer Rückwirkung entgegen. Denn anders als der Gesetzgeber erlasse das Gericht keine Gesetze, sondern
wendet diese an. Zwar möge die Fallkonstellation, über welche das Bundesarbeitsgericht entschieden habe, neu gewesen sein.
Bundesgerichte hätten jedoch immer "ein erstes Mal" zu entscheiden, wie Normen auszulegen seien. Die nachgeforderten Beiträge
seien auch nicht verjährt. Spätestens seit der Entscheidung des Arbeitsgerichts BA. vom 1. April 2009 habe die Antragstellerin
einkalkulieren müssen, dass die von ihr verwendeten Tarifverträge unwirksam seien. Sie habe daher ihre Beitragspflicht für
möglich halten müssen. Zumindest von einem bedingten Vorsatz der Antragstellerin sei auszugehen. Auch ein Verstoß gegen Verfahrensrecht
liege nicht vor. Insbesondere habe die Antragsgegnerin nicht die Voraussetzungen von § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) beachten müssen. Denn ein Beitragsnachforderungsbescheid sei kein begünstigender Verwaltungsakt. Vielmehr habe ein Bescheid,
mit welchem Beiträge nachgefordert werden, bereits nach seinem Tenor ausschließlich belastenden Charakter. Schließlich sei
nicht erkennbar, mit welchen unumkehrbaren Nachteilen die Antragstellerin zu rechnen hätte, wenn die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid nicht angeordnet würde. In Anbetracht der Höhe der Forderungen seien gravierende
wirtschaftliche Folgen aufgrund der sofortigen Beitragsentrichtung für den Betrieb der Antragstellerin auch nur schwer vorstellbar.
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 1. März 2012 zugestellten Beschluss am 6. März 2012 vor dem Hessischen Landessozialgericht
Beschwerde eingelegt und vorgetragen, dass über die Tarifunfähigkeit der XY. für die Vergangenheit noch nicht rechtskräftig
entschieden worden sei. Zudem gelte das Rückwirkungsverbot auch für die Rechtsprechung, jedenfalls dann, wenn höchstrichterliche
Rechtsprechung über die Auslegung von Gesetzen hinausgehe und neue Rechtssätze mit Rechtsfolgenwirkung für die Vergangenheit
schaffe. Die Begründung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sei für alle Beteiligten völlig überraschend gewesen. So
habe das Gericht ein neues Tatbestandsmerkmal zur Voraussetzung der Tariffähigkeit erhoben, nämlich die vollständige Vermittlung
von Tariffähigkeit von den Mitgliedsgewerkschaften auf die Spitzenorganisation. Schließlich seien die Beitragsansprüche für
die Jahre 2005 und 2006 bereits verjährt. Bedingter Vorsatz könne erst nach einem gewissen Zeitraum nach der Entscheidung
des Bundesarbeitsgerichts angenommen werden. Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen § 45 SGB X vor.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Februar 2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
vom 20. Dezember 2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. November 2011 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch auf die in der Vergangenheit geschlossenen
Tarifverträge der Zeitarbeit wirke. Denn es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die XY. in der Vergangenheit tariffähig gewesen
sein könne. Zudem gelte im Beitragsrecht der Sozialversicherung das Entstehungsprinzip. Beitragsansprüche der Versicherungsträger
entstünden damit, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Bemessungsgrundlage sei nicht das tatsächlich gezahlte,
sondern das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes habe bedingter
Vorsatz i.S.d. §
25 Abs.
1 S. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) vorgelegen, so dass die Beitragsansprüche nicht verjährt seien. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts habe erhebliche
Öffentlichkeitswirksamkeit entfaltet und sei breit publiziert worden. Dies gelte auch für die Beschlüsse der Vorinstanzen.
Eine unbillige Härte i.S.d. §
86a Abs.
3 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) liege nicht vor. Eventuelle Liquiditätsprobleme stellten für sich genommen keine Härte dar, da die Beitragspflicht jeden
unabhängig von seiner Einkommens- und Vermögenssituation treffe. Über eine Stundung der Beitragsforderung gemäß §
46 SGB IV entschieden die Krankenkassen als Einzugsstellen. Anders als in dem mit Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. November
1980 (12 RK 59/79) entschiedenen Verfahren habe sich vorliegend nicht die maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung geändert.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug
genommen.
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom
20. Dezember 2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. November 2011 anzuordnen.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben,
diese ganz oder teilweise anordnen. Nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG entfällt bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten
einschließlich der Säumniszuschläge die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage.
Das Gericht entscheidet über den Antrag in diesen Fällen nach summarischer Prüfung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen
nach den Maßstäben des §
86a Abs.
3 S. 2
SGG. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes
bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche
Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen,
wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Dafür spricht, dass durch
§
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert worden ist, um die notwendigen Einnahmen der
öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn
die Vollziehung bereits dann ausgesetzt würde, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg
(Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage, §
86a Rdnr. 27a mwN). Eine unbillige Härte liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über
die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wieder gutgemacht werden können (Keller, aaO., § 86a Rdnr. 27b
mwN).
Rechtsgrundlage des Beitragsbescheides ist § 28p Abs. 1
SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten
nach dem
SGB IV erfüllen und erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in den einzelnen
Sozialversicherungszweigen.
Für die Beiträge abhängig Beschäftigter ist in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung jeweils das Arbeitsentgelt
des Beschäftigten Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Beiträge (§
226 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V), §
57 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) i. V. m. §
226 Abs.
1 Nr.
1 SGB V, §
162 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI), §
342 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III)). Als Arbeitsentgelt gelten nach §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang
mit ihr erzielt werden. Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines
Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§
22 Abs.
1 Satz 1
SGB IV). Daher ist die Bemessungsgrundlage für den Beitragsanspruch nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sondern das
von ihm geschuldete Arbeitsentgelt, unabhängig von seiner arbeitsrechtlichen Durchsetzbarkeit oder Durchsetzung.
Nach §
10 Abs.
4 AÜG ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers
für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts
zu gewähren. Soweit ein auf das Arbeitsverhältnis anzuwendender Tarifvertrag abweichende Regelungen trifft (§
3 Abs.
1 Nr.
3, §
9 Nr.
2 AÜG), hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren. Im Falle
der Unwirksamkeit der Vereinbarung zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach §
9 Nr. 2
AÜG hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers
geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheids.
Der Bescheid ist nicht wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig, da entgegen der Auffassung der Antragstellerin § 45 SGB X nicht anzuwenden ist. Die Antragsgegnerin hat mit dem angegriffenen Bescheid keinen anderen Bescheid aufgehoben. Zwar hat
die Antragsgegnerin bereits für einen Zeitraum, den zum Teil auch der streitgegenständliche Bescheid betrifft, einen Nachforderungsbescheid
(Bescheid vom 27. Oktober 2009, geändert durch Bescheid vom 26. November 2009) gegenüber der Antragstellerin erlassen, der
Bestandkraft erlangt hat. Mit diesem Bescheid hat sie jedoch nicht abschließend über die Beitragspflicht der Antragsstellerin
entschieden. Vielmehr hat sie aufgrund einer "stichprobenweise durchgeführten Prüfung" Feststellungen zur Beitragspflicht
wegen geringfügiger Beschäftigung getroffen. Die Anwendbarkeit der von der XY. abgeschlossenen Tarifverträge und damit die
tarifvertragliche Entgelthöhe als Beitragsbemessungsgrundlage hat die Antragsgegnerin weder bei der Betriebsprüfung am 22.
Oktober 2009 überprüft noch hat sie mit Bescheid vom 27. Oktober 2009 (geändert durch Bescheid vom 26. November 2009) insoweit
Feststellungen getroffen. Zu einer vollständigen und abschließenden Prüfung ist die Prüfbehörde auch nicht verpflichtet (vgl.
BSG, Urteil vom 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R). Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den
Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle
verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von
Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über eine Kontrollfunktion hinausgehende
Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu
schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen. Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu (BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 10/02 R). Gleiches gilt für die Beitragsbescheide. Daher lässt sich weder den Bescheiden noch den Prüfberichten entnehmen, dass der
Arbeitgeber im Prüfzeitraum in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht beanstandungsfrei abgerechnet hat. Die Rücknahme eines
vorangegangenen Bescheides ist deshalb nicht erforderlich (vgl. Diepenbrock, jurisPR-ArbR 14/2012, Anm. 6; a.A. SG Dortmund,
Beschluss vom 23. Januar 2012 - S 25 R 2507/11 ER). Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn die Bescheide jeweils die gleichen Sach- und Rechtsfragen betreffen (vgl. insoweit
Bayerisches LSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - L 5 R 752/08 - zur wiederholten Beitragsnachforderung wegen Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen; diese Differenzierung nach
der konkret geprüften Fragestellung nimmt wohl auch das BSG vor, vgl. Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 10/02 R), kann hier dahinstehen. Damit bestand für die Antragsgegnerin kein Anlass zur Rücknahme dieses Beitragsbescheides gemäß
§ 45 SGB X.
Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht auch nicht entgegen, dass bislang noch nicht rechtskräftig über die Tariffähigkeit
der XY. entschieden worden ist. Denn - wie vom Sozialgericht zutreffend angeführt - ist nicht erkennbar, weshalb die vom Bundesarbeitsgericht
im Beschluss vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10) aufgeführten Argumente gegen die Tariffähigkeit für die Zeit vor dieser Entscheidung nicht gelten sollten. Mit Beschluss
vom 9. Januar 2012 (24 TaBV 1285/11 - Beschwerde eingelegt - 1 ABN 27/12) hat das Landesarbeitsgericht BA.-BX. dementsprechend das Urteil des Arbeitsgerichtes BA. bestätigt, wonach die XY.
auch am 29. November 2004, 19. Juni 2006 und am 9. Juli 2008 nicht tariffähig war. Dabei hat das Landesarbeitsgericht seine
Entscheidung auf die vom Bundesarbeitsgericht in seinem o. g. Beschluss aufgestellten Grundsätze gestützt. Das gleiche Landesarbeitsgericht
hat mit Urteil vom 20. September 2011 (7 Sa 1318/11) festgestellt, dass sämtliche im zeitlichen Geltungsbereich der für unwirksam erachteten Verbandssatzung abgeschlossenen
Tarifverträge unwirksam sind, weil die für die Tariffähigkeit maßgeblichen Passagen der Satzung der XY., die im Tatbestand
der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zitiert wurden, seit dem 5. Dezember 2005 durch die nachfolgenden Satzungsänderungen
unberührt geblieben sind (Revision anhängig - 5 AZR 954/11).
Im Rahmen der summarischen Prüfung kann daher davon ausgegangen werden, dass der von der Antragstellerin verwandte Tarifvertrag
nichtig ist.
Der Beitragsnachforderung stehen auch keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen.
Hat ein Arbeitgeber aufgrund einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung Beiträge für bestimmte Arbeitnehmerbezüge
abzuführen, die nach der bisherigen Rechtsprechung beitragsfrei waren, so ist die geänderte Rechtsprechung aus Gründen des
Vertrauensschutzes für den Arbeitgeber grundsätzlich nicht rückwirkend anzuwenden (BSG, Urteil vom 18. November 1980 - 12 RK 59/79). Dieser Grundsatz ist auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und damit den hier vorliegenden Fall nicht anzuwenden.
Eine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung zum Beitragsrecht liegt nicht vor. Ob mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
eine Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Tariffähigkeit von Vereinigungen erfolgt ist, ist zu bezweifeln. Die
XY. ist zuvor vom Bundesarbeitsgericht nicht als tariffähig beurteilt worden. Zudem wird der gute Glaube in die Tariffähigkeit
einer Vereinigung nicht geschützt (BAG, Urteil vom 15. November 2006 - 10 AZR 665/05 - mwN). Darüber hinaus hat eine gerichtliche Entscheidung zur Tariffähigkeit nur deklaratorische Wirkung.
Schließlich steht der nachträglichen Beitragserhebung auch nicht das Rechtsinstitut der Verwirkung entgegen. Dieses Rechtsinstitut
ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§
242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für zurückliegende
Zeiten anerkannt. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung jedoch voraus, dass der Berechtigte die
Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach
den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach
Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden "besonderen
Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf
vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich
darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen
und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer
Nachteil entstehen würde (BSG, Urteil vom 30. November 1978 - 12 RK 6/76 - mwN). Denn es fehlt bereits an einem Verwirkungsverhalten der Antragsgegnerin.
Die geltend gemachten Beitragsansprüche sind auch nicht verjährt. Gemäß §
25 Abs.
1 S. 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Nach S.
2 dieser Vorschrift verjähren Beiträge in 30 Jahren, wenn sie vorsätzlich vorenthalten worden sind. Dies gilt auch dann, wenn
der Vorsatz zu ihrer Vorenthaltung bei Fälligkeit der Beiträge noch nicht vorlag, er aber noch vor Ablauf der vierjährigen
Verjährungsfrist eingetreten ist (BSG, Urteil vom 30. März 2000 - B 12 KR 14/99). Zudem reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten
hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat
(BSG, Urteil vom 30. März 2000 - B 12 KR 14/99). Spätestens mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die umfangreich publiziert
worden ist, musste die Antragstellerin davon ausgehen, dass die von der XY. abgeschlossenen Tarifverträge keine Geltung haben,
die bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern höhere Lohnansprüche haben und dementsprechend höhere Sozialversicherungsbeiträge
zu leisten sind.
Da der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich rechtswidrig ist und Gründe, die eine unbillige Härte begründen könnten,
weder vorgetragen noch ersichtlich sind, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs.
1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Der mit dem Bescheid geforderte Betrag in Höhe von 11.850,14 EUR war zur Grundlage der Wertfestsetzung zu machen. Im Hinblick
auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung war dieser Betrag auf ein Viertel zu reduzieren (Streitwertkatalog für die
Sozialgerichtsbarkeit).
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.