Anerkennung einer Impfung als Arbeitsunfall
Impfung gegen Schweinegrippe mit dem Impfstoff Pandemrix
Vom Arbeitgeber empfohlene Impfung
Impfung kein Unfallereignis
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Impfung als Arbeitsunfall.
Die 1990 geborene Klägerin absolvierte seit August 2008 eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten in der Internistischen
Praxisgemeinschaft Dres. C., D. und E. in C-Stadt. Auf Empfehlung des Arbeitgebers wurde sie am 9. November 2009 am Arbeitsplatz
mit dem Impfstoff Pandemrix gegen die Schweinegrippe geimpft.
Der Internist Dr. E. erstattete mit einem Schreiben vom 11. August 2011 eine Unfallmeldung bei der Beklagten. In einem beigefügten
Schreiben vom 29. Juli 2011 gab er an, die Klägerin sei bis zur Impfung völlig gesund gewesen und sportlich sehr aktiv. Es
hätten keinerlei Vorerkrankungen bestanden. Einen Tag nach der Impfung, am 10. November 2009, sei es bei der Klägerin zu Unwohlsein
und einer Sinustachykardie gekommen. Am 1. Dezember 2009 sei eine Ergometrie durchgeführt worden, hier sei die Klägerin mit
175 Watt bereits ausgelastet gewesen, bei raschem Frequenzanstieg, jedoch ohne EKG-Veränderungen. Eine am 3. Dezember 2009
erfolgte Echokardiographie habe eine diskret reduzierte Pumpfunktion und Zeichen der diastolischen Herzinsuffizienz bei unauffälligem
Klappenstatus gezeigt. Bei Verdacht auf Myokarditis sei eine Therapie mit Beta-Blocker eingeleitet worden und zur körperlichen
Schonung geraten worden. Am 14. Januar 2010 sei die Klägerin bereits mit 150 Watt ergometrisch ausbelastet und in ihrer Leistungsfähigkeit
eingeschränkt gewesen. In der Kontrolle am 28. April 2010 im Ambulanten Herzzentrum sei die Klägerin dann beschwerdefrei gewesen,
so dass die Therapie beendet worden sei. Seit Anfang 2011 klage die Klägerin nun erneut über rasche Ermüdbarkeit und Herzpalpitationen
bei sportlicher Aktivität. In der durchgeführten Kontrolle mittels Echokardiographie und Kardio-MRT habe sich wieder eine
lokale Myokarditis gezeigt, so dass am 25. Juni 2011 erneut eine Therapie eingeleitet worden sei.
Die Beklagte zog Unterlagen des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales bei, bei dem die Klägerin mit Schreiben vom 11.
August 2011 ebenfalls einen Impfschaden geltend gemacht hatte. Dieses hatte beim Hersteller des Impfstoffes ermittelt. Der
Hersteller übersandte mit Schreiben vom 9. September 2011 die Fachinformation des Impfstoffs Pandemrix und führte aus, die
Information reflektiere den aktuellen Kenntnisstand zum Produkt. Das Versorgungsamt übersandte dem Paul-Ehrlich-Institut die
ihm vorliegenden Informationen und bat um Angabe, wie der Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Impfung und der aufgetretenen
Myokarditis von dort beurteilt werde. Das Paul-Ehrlich-Institut teilte mit Schreiben vom 23. September 2011 mit, aufgrund
der vorliegenden Informationen, des Beginns der Beschwerden bereits einen Tag nach der Impfung sowie des erneuten Auftretens
einer Myokarditis über ein Jahr nach der Pandemrix-Impfung werde der kausale Zusammenhang als unwahrscheinlich angesehen.
Dem Paul-Ehrlich-Institut lägen insgesamt 14 Fälle von Myokarditis, Perikarditis und Perimyokarditis nach Pandemrix-Impfung
vor. Das Alter der betroffenen Patienten betrage 17 - 66 Jahre. Eine (Peri-)Myokarditis sei ein Sammelbegriff für entzündliche
Herzmuskel- und Herzbeutelerkrankungen unterschiedlicher Ätiologie. In über 50 % der Fälle werde kein auslösendes Agens gefunden.
Das klinische Bild sei vielfältig von asymptomatisch über Thorax-Schmerz, Herzinsuffizienz oder Rhythmusstörungen bis zum
fulminanten kardiogenen Schock. Die Diagnose einer (Peri-)Myokarditis basiere auf der Gesamtbeurteilung von Anamnese und klinischen
Befunden. Häufigste Ursache der (Peri-) Myokarditis sei eine Virusinfektion (Coxsackie-Viren, Enteroviren, u. a.). Ohne Infektion
könne eine (Peri-)Myokarditis im Rahmen von entzündlich-rheumatischen und immunologischen Erkrankungen, zum Beispiel bei Kollagenosen
auftreten, aber auch selten toxisch bedingt sein. Darüber hinaus gebe es isolierte Autoimmun-(Peri-)Myokarditiden ohne zugrundeliegende
andere Erkrankungen. Die Hintergrundinzidenz der (Peri-)Myokarditis sei unbekannt, auch aufgrund des vielfältigen klinischen
Bildes und der schwierigen Diagnosesicherung. In den USA würde die Inzidenz auf 1-10/100.000 Einwohner pro Jahr geschätzt.
Es werde angenommen, dass 1-5 % der Patienten mit einem viralen Infekt eine myokardiale Beteiligung haben. Aufgrund dieser
anzunehmenden Hintergrundinzidenz wäre in der mit pandemischem Impfstoff geimpften Bevölkerungsgruppe eine Inzidenz von mehr
als 50 Fällen in den ersten vier Wochen nach der Impfung zu erwarten. In den meisten dem Institut gemeldeten Fällen sei nur
eine spärliche Diagnostik übermittelt worden, somit lasse sich auch eine infektiöse Genese nicht mit Sicherheit ausschließen.
Nur in einem Fall liege das Ergebnis der Myokardbiopsie vor, welches unauffällig gewesen sei. In der Literatur gebe es Einzelfallbeschreibungen
von (Peri-)Myokarditis nach Impfungen, besonders nach der inzwischen nicht mehr durchgeführten Pockenimpfung. Vereinzelt würden
(Peri-)Myokarditiden auch nach aktivierten Impfstoffen, zum Beispiel Influenza, Tetanus-Diphterie-Polio-Impfung oder Hepatitis
B-Impfung beschrieben, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang belegt sei. Es werde diskutiert, ob ggf. eine Hypersensitivitätsreaktion
(Immunkomplex-vermittelte Reaktion) die (Peri-)Myokarditis nach Impfungen auslösen könnte.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes ein. Dieser teilte am 20. November 2011 mit, die Anerkennung
einer BK Nr. 3101 könne nicht empfohlen werden, da laut fachgutachterlicher Stellungnahme ein kausaler Zusammenhang zwischen
Impfung und Erkrankungen nicht gegeben sei.
Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales teilte am 10. Januar 2013 mit, den Antrag nach dem Infektionsschutzgesetz abgelehnt zu haben, da nach der beigefügten Versorgungsfachärztlichen Stellungnahme kein ursächlicher Zusammenhang bestehe,
jedenfalls nicht mit der dafür erforderlichen Wahrscheinlichkeit. Der Internist F. führte in dieser Stellungnahme unter dem
16. November 2011 aus, im Fall der Klägerin könne kein Kausalzusammenhang angenommen werden. Zum einen würden kardiale Erscheinungen
als Folge dieser Impfung vom Hersteller nicht angegeben, zum anderen würden derartige Folgeerkrankungen auch vom Paul-Ehrlich-Institut
nicht bestätigt. Überdies sei der kurze Zeitraum zwischen Impfung und Erstsymptomen ohne Nachweis anderweitiger Erscheinungen
wie Lokalreaktionen oder gar den vom Hersteller als häufig genannten Allgemeinsymptomen nicht beschrieben, sodass aufgrund
der Kürze des Zeitraumes auch aus seiner Sicht ein Kausalzusammenhang als nicht wahrscheinlich angesehen werden müsse.
Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin durch Bescheid vom 8. Februar 2012 mit, die Impfung vom 9. November 2009 stelle
keinen Arbeitsunfall dar. Zur Begründung verwies sie auf die Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts vom 23. September 2011.
Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2012 zurück.
Die Kläger hat gegen den ihr am 2. Oktober 2012 zugestellten Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht Kassel am 31. Oktober
2012 Klage erhoben.
Bereits am 22. Juni 2012 hatte die Klägerin gegen das Versorgungsamt eine unter dem Aktenzeichen S 6 VE 17/12 geführte Klage
beim Sozialgericht Kassel anhängig gemacht. In diesem Verfahren hat das Gericht ein Gutachten bei dem Arzt für Innere Medizin
und Klinische Pharmakologie Prof. Dr. G., Krankenhaus Balserische Stiftung in Gießen, eingeholt. In seinem Gutachten vom 18.
April 2013 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, aufgrund der Literaturrecherchen und nach Auswertung der UAW-Datenbank
des Paul-Ehrlich-Instituts könne angesichts der anzunehmenden Hintergrundinzidenz der (Peri-) Myokarditis nur gesagt werden,
dass eine myokardiale Beteiligung mit dem pandemischen Impfstoff Pandemrix nur im Sinne eines zeitlichen Zusammenhangs bestehe.
Ein kausaler Zusammenhang der Myokarditis bei der Klägerin mit der Pandemrix-Impfung sei somit nicht nachweisbar.
Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, zur Klärung der Ursachen der Myokarditis habe sie sich zwischenzeitlich im Charité-Zentrum
für Herz-, Kreislauf- und Gefäßmedizin vorgestellt. Dort sei festgestellt worden, dass sie eine genetische Besonderheit aufweise,
nämlich eine genetische Veranlagung von humanem Herpesvirus Typ 6A (HHV 6A). Durch die Pandemrix-Impfung sei der HHV Typ 6A
aktiviert worden, so dass dieser die Myokarditis habe auslösen können. Die Klägerin reichte einen Bericht der Charité vom
4. April 2013, einen Bericht der Kardiologischen Praxis G-Stadt vom 10. Juli 2013 und des Ambulanten Herzzentrums B-Stadt
vom 2. Mai 2013 zu den Akten.
Die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat daraufhin Prof. Dr. G. um eine ergänzende Stellungnahme gebeten. In seiner Stellungnahme
vom 26. August 2013 hat Prof. Dr. G. ausgeführt:
"Angesichts der vorliegenden molekularbiologischen Untersuchungsbefunde bei der Klägerin mit einer hohen systemischen Viruslast
kann mit Sicherheit von dem Vorliegen einer HHV6-typischen genomischen Integration (ciHHVB-Infektion) ausgegangen werden.
Zum Zeitpunkt der Myokardbiopsie am 20. März 2013 lag bei den erhöhten mRNA-Kopien außerdem eine systemische und/oder myokardiale
HHV6-B-Reaktivierung vor. Bei der Kontrolle am 23. April 2013 lag die systemische HHV6-Reaktivierung nicht mehr vor. Die rezidivierende
Aktivierung der jetzt bei der Klägerin nachgewiesenen systemischen und kardialen HHV6 Typ B-Infektion bei chromosomaler Integration
des Virusgenoms (ciHHV6) ist als die wahrscheinliche Ursache ihrer chronischen Perimyokarditis anzusehen. Ein ursächlicher
Zusammenhang der bei der Klägerin vorbestehenden ciHHV6-Infektion mit der im Dezember 2009 begonnenen Myokarditis kann angenommen
werden. Aufgrund der aktenmäßig dokumentierten Befunde kann davon ausgegangen werden, dass die Myokarditis der Klägerin Anfang
Dezember 2009 begonnen hatte und dass spätestens 2011 dann von dem Vorliegen einer chronischen Myokarditis im Sinne einer
chronischen Perimyokarditis ausgegangen werden musste. Ein zeitlicher Zusammenhang der Anfang Dezember 2009 begonnenen Myokarditis
mit der Pandemrix-Impfung bei der Klägerin am 9. November 2009 ist gegeben. Die Reaktivierung der persistierenden systemischen
HHV6-Infektion kann nach dem derzeit vorliegenden Wissensstand durch Infektionen, immunsupressive Medikamente oder bei Autoimmunerkrankungen
auftreten. Von daher kann auch eine Reaktivierung der latenten HHV6-Infektion durch das Pandemrix als mögliche Ursache erwogen
werden. Bei insgesamt 21 Millionen Pandemrix-Dosen in Deutschland im IV. Quartal 2009 hätten aber bei einer spontanen Myokarditishäufigkeit
von 1 - 10 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr mehr als spontan zu erwartenden 50 - 500 Myokarditisfälle auftreten müssen.
Bei nur 25 dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Verdachtsfällen einer Pandemrix-bedingten (Peri-) Myokarditis lag die Häufigkeit
nicht über der Zahl, der spontan zu erwartenden 50 - 500 Myokarditisfälle. Auch bei Berücksichtigung einer niedrigen Melderate
von nur 10 Prozent in dem Spontanerfassungssystem kann nicht von einer Häufung durch eine Pandemrix-bedingte Myokarditis ausgegangen
werden. Eine Pandemrix-induzierte Myokarditis ist auch in der Literatur - soweit dem Gutachter bekannt - bisher nicht dokumentiert
worden. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass aufgrund der Literaturrecherchen und der Auswertung der UAW-Datenbank
des Paul-Ehrlich-Instituts sowie angesichts der Hintergrundinzidenz der Myokarditis eine myokardiale Beteiligung mit dem pandemischen
Impfstoff Pandemrix nur im Sinne eines zeitlichen Zusammenhangs besteht. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Myokarditis
bei der Klägerin mit der Pandemrix-Impfung ist auch bei Berücksichtigung der HHV6-bedingten (Peri-)Myokarditis auf dem Boden
einer ciHHV6-Reaktivierung nicht nachweisbar. Wegen der fehlenden Häufung von Myokarditisfällen in Verbindung mit der Pandemrix-Impfung
kann ein kausaler Zusammenhang der Reaktivierung der ciHHV6-Infektion mit daraus resultierender (Peri-)Myokarditis mit der
Pandemrix-Impfung bei der Klägerin nicht angenommen werden. Eine Häufung von Pandemrix-assoziierten Myokarditisfällen ist
bisher nicht nachgewiesen worden. Auch in dem Arztbrief des Charitè-Zentrums für Herz-, Kreislauf- und Gefäßmedizin vom 4.
April 2013 und dem Befundbericht des Instituts Kardiale Diagnostik und Therapie vom 23. April 2013 wird an keiner Stelle darauf
hingewiesen, dass eine Ursächlichkeit der Impfung mit dem eingetretenen Gesundheitsschaden vorliege. Lediglich in der Stellungnahme
der Fachärztin für Innere Medizin, Kardiologie, Diabetologie und Intensivmedizin Dr. H., Ambulantes Herzzentrum B-Stadt, vom
10. Juli 2013 wird von dem "Verdacht auf Induktion einer Myokarditis auf dem Boden einer HHV6-Infektion nach Impfung 2009"
gesprochen. Bei der Patientin sei es nach der Impfung gegen die Schweinegrippe mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einer Induktion
bzw. starken "Aktivierung" des HHV6 Typ B gekommen. Das Zeitfenster von ca. 3 Wochen spreche für diese These. Ein zeitlicher
Zusammenhang der Pandemrix-Impfung mit der aufgetretenen Myokarditis infolge einer ciHHV6-Reaktivierung ist zweifellos belegt.
Ein kausaler Zusammenhang kann nicht angenommen werden, da bei insgesamt 21 Millionen Pandemrix-Personen im IV Quartal 2009
deutlich mehr als die spontan zu erwartenden 50 - 500 Myokarditisfälle vorgelegen hätten müssen."
Die Klägerin hat zu den von dem Sozialgericht beigezogenen Gutachten vorgetragen: Der Sachverständige Prof. Dr. G. habe lediglich
statistische Gründe für seine Schlussfolgerung herangezogen. Zu bestreiten sei, dass sämtliche Impfzwischenfälle an das Paul-Ehrlich-Institut
gemeldet worden seien. Bestritten werde, dass der Sachverständige ausreichende Gelegenheit gehabt habe, sämtliche Entscheidungsgrundlagen
zur Kenntnis zu nehmen, dass sämtliche Meldungen über Impfzwischenfälle öffentlich zugänglich gemacht werden. Der Pandemrix-Impfstoff
sei freigegeben worden, obwohl er nicht in den üblichen Studien getestet worden sei. Es seien daher nicht sämtliche Wirkungen
des Impfstoffs bekannt geworden, bevor dieser umfassend angewandt worden sei. Dies gelte umso mehr als dieser Wirkstoff sogenannte
Adjuvantien, also so genannte Wirkverstärker, enthalte. Gerade diese Wirkverstärker machten diesen Impfstoff in Fachkreisen
hochgradig umstritten. Gerade wegen des Fehlens von Studien im Zulassungsverfahren könnten statistische Erwägungen vorliegend
nicht greifen. Bei einem neuen, nur teilweise geprüften Impfstoff, welcher zusätzlich Adjuvantien enthalte, deren Wirkung
und Wechselwirkung unbekannt sei, sei der Zugriff auf statistische Daten unzulässig. Ferner berücksichtige der Sachverständige
nicht die Erkenntnisse, die sich aus der lückenlos vorliegenden Dokumentation der gesundheitlichen Entwicklung der Klägerin
ergeben.
Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 14. Mai 2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das
Gericht sei nicht überzeugt, dass die krankhafte Veranlagung hinreichend wahrscheinlich durch die angeschuldigte Pandemrix-Impfung
aktiviert worden sei. Dabei gehe das Gericht durchaus davon aus, dass das ciHHV6 durch Pandemrix - ebenso wie durch Infektionen,
immunsupressive Medikamente oder bei Autoimmunerkrankungen - möglicherweise aktiviert werden könne. Die reine Möglichkeit
eines Zusammenhangs genüge jedoch nicht, sondern dieser müsse hinreichend wahrscheinlich sein. Für das Gericht sei aber nicht
hinreichend wahrscheinlich, dass die Impfung tatsächlich irgendeine Ursache für die Myokarditis gesetzt habe, geschweige denn,
dass diese eine rechtlich wesentliche Ursache darstelle. Die reine zeitliche Nähe genüge nicht. Die Klägerin selbst habe keinerlei
wissenschaftliche Belege für ihre These angeboten. Die mit keinerlei wissenschaftlicher Begründung versehenen Meinungsäußerungen
ihrer behandelnden Ärzte genügten nicht, um einen Zusammenhang zwischen Impfung und Myokarditis hinreichend wahrscheinlich
zu machen. Vielmehr sprächen die Datenbestände des Paul-Ehrlich-Instituts sowie die Auswertungen der Daten und der Literatur
durch Prof. Dr. G. in seinem Gutachten samt ergänzender Stellungnahme, eingeholt im Verfahren der Klägerin vor dem Sozialgericht
Kassel S 6 VE 17/12 gegen das Versorgungsamt wegen derselben Anschuldigung und gemäß §
202 SGG i.V.m. §
411a Zivilprozessordnung in das vorliegende Verfahren eingeführt, gegen einen Kausalzusammenhang.
Die Klägerin hat gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 15. Mai 2014 zugegangenen Gerichtsbescheid am 11. Juni 2014 beim
Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie ist der Auffassung,
bei der hier vorliegenden Sachlage müssten die Beweisanforderungen reduziert werden, es sei von einer Beweislastumkehr auszugehen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 14. Mai 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2012 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2012 aufzuheben und die Impfung gegen die Schweinegrippe vom 9. November 2009 mit
dem Impfstoff Pandemrix und einer Myokarditis als Gesundheitsschaden als Arbeitsunfall festzustellen,
hilfsweise ein Sachverständigengutachten zum aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse im Hinblick auf Myokarditiden
als Reaktion auf die Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 20. März 2017 ein in dem unter dem Aktenzeichen S 6 VE 17/12 vor dem Sozialgericht Kassel
geführten Verfahren gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - eingeholtes Gutachten des Dr. J. vom 13. Dezember 2015 zu den Akten gereicht. Darin hat der Sachverständige ausgeführt:
Der Pandemriximpfstoff enthalte Adjuvantien (Zusatzstoffe) wie auch andere inaktive Impfstoffe. Die Adjuvantien seien zur
Erreichung eines protektiven Antikörperspiegels notwendig. Bei Impfungen mit Lebendimpfstoffen werde das für die Immunreaktion
erforderliche entzündliche Umfeld durch die Auseinandersetzung mit den Impfviren geschaffen. Bei inaktivierten Impfstoffen
(Grippe) müssten hierfür Substanzen beigefügt werden. Solche Adjuvantien seien in der Regel Aluminiumverbindungen oder basierten
auf Öl-Wasser-Emulsionen. Immer klarer werde die entscheidende Rolle, die Adjuvantien in Impfstoffen für die Entstehung schwerer
Impfreaktionen spielten. Im Jahr 2010 sei das sogenannte ASIA-Syndrom (Autoimmune Sydrome induced by Adjuvants) von einer
Arbeitsgruppe um Prof. Schoenfeld, Universität Tel Aviv, entdeckt worden. Es seien Erkenntnisse zu den Krankheitsbildern der
makrophagischen Myofaszitis (= erworbene entzündliche Muskelläsion; betroffen ist der Impfmuskel), des so genannten Golfkriegs-Syndroms
und der Silikonose gewonnen worden. Es habe sich herausgestellt, dass zunächst rätselhaft erscheinende Erkrankungen über einen
gemeinsamen Nenner, die Exposition der Betroffenen mit immunologisch wirksamen Substanzen, den Adjuvantien, verfügten. Die
überwiegende Mehrzahl der Daten zu Adjuvants-vermittelten unerwünschten Wirkungen gebe es zu den Aluminiumsalzen, da diese
in den meisten für Menschen zugelassenen Impfstoffen enthalten seien. Pandemrix enthalte das Adjuvans AS03 und das quecksilberhaltige
Konservierungsmittel Thiomersal. Thiomersal sei wegen seiner Toxizität und der pathologischen immunologischen Wirkungen weitgehend
verschwunden gewesen. Es sei nachgewiesen, dass Schwermetalle wie Quecksilber oder Gold eine Störung des Immunsystems im Sinne
von Autoimmunreaktionen auslösen könnten. Das Adjuvans AS03 gehöre zu der Gruppe der Emulsionen. Es sei bisher ausschließlich
als Wirkverstärker in Pandemrix eingesetzt worden. Pandemrix enthalte somit zwei Komponenten, die im Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen
stünden. Für andere aktivierte Impfstoffe, die als Adjuvans Aluminiumverbindungen enthalten, seien in der wissenschaftlichen
Literatur Fälle von postvakzinalen Myokarditiden beschrieben worden. Da AS03 bislang nur im Impfstoff Pandemrix verwendet
worden sei, sei der Kenntnisstand über seltene unerwünschte Wirkungen limitiert. In Schweden und Finnland seien nach der Impfung
gegen die Schweinegrippe Fälle schon Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-16 Jahren gemeldet worden. Die
Verbindung zwischen Pandemrix und der Narkolepsie/Kataplexie bei Kindern und Jugendlichen sei bestätigt. Die Schweizer Arzneimittelbehörde
Swiss Medic habe am 30. November 2009 die Aufnahme eines Warnhinweises in die Fachinformation von Pandemrix betreffend vorbestehenden,
schwerwiegenden Autoimmunerkrankungen verfügt und ausgeführt: "Es gibt keine Studien mit Pandemrix bei Patienten, die an manifesten
Autoimmunerkrankungen leiden. Bei Patienten mit akuten, schwerwiegenden Autoimmunerkrankungen wird die Impfung mit Pandemrix
nicht empfohlen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es durch das Adjuvans AS03 zu einer Verstärkung der Autoimmunerkrankung
kommen kann." Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) könnten in zwei Klassen eingeteilt werden. So genannte Typ-A-Reaktionen
zeichneten sich durch eine Verstärkung der erwünschten Wirkung aus, seien somit vorhersehbar und dosisabhängig. Solche UAW
seien häufig, würden durch die klinischen Studien vor der Marktzulassung meist erfasst und in den Packungsbeilagen beschrieben.
Der Schweregrad sei in der Regel niedrig und der kausale Zusammenhang zwischen Medikament und UAW pathophysiologisch erklärbar.
Die Häufigkeit solcher Reaktionen könne in klinischen Studien erfasst und in den Fach- und Gebrauchsinformationen der Produkte
benannt werden. So genannte Typ B-Reaktionen seien von gänzlich unerwartetem Charakter, dosisunabhängig, selten, aber oft
schwer verlaufend und eventuell auch mit persistierenden Schäden oder letalem Ausgang verbunden. Zu diesen Typ B-Reaktionen
gehörten die meisten schweren Schädigungen. Solche unerwünschten Reaktionen seien unabhängig von einer speziellen Disposition
des Impflings und träten so selten auf, dass sie in kontrollierten klinischen Studien nicht zu erfassen seien. Daher sei es
für die kontinuierliche Überwachung der Impfstoffe hinsichtlich seltener, schwerer Komplikationen notwendig, dass die impfenden
Ärzte alle im zeitlichen Zusammenhang zu einer Impfung auftretenden schweren Erkrankungen, die nicht sicher eine andere Ursache
haben, der zuständigen Behörde melden. Eine gesetzliche Meldefrist gebe es ab dem Jahr 2001. Allerdings sei davon auszugehen,
dass schätzungsweise nur max. 5 % der tatsächlich auftretenden unerwünschten Ereignisse tatsächlich gemeldet würden. Im Paul-Ehrlich-Institut
werde seit Jahren eine genaue Analyse jedes gemeldeten Verdachtsfalles erstellt und die Ergebnisse in einer Datenbank gespeichert.
Auf diesen Daten basiere die kontinuierliche Risikoüberwachung der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe. In dieser Datenbank
fänden sich auch UAW-Verdachtsfälle von Peri-Myokarditis nach Impfungen mit Pandemrix. Es fehle jedoch eine weitergehende
Untersuchung der Fallberichte mit Einholung von so genannten Follow-up Informationen von den meldenden Ärzten. Im Falle der
Klägerin habe zwischen der Diagnose der Myokarditis ein plausibles Zeitintervall von 3 Wochen bestanden. Was initial als Pathomechanismus
für den ersten Schub der Myokarditis bei der Klägerin verantwortlich gewesen sei, könne abschließend nicht mehr geklärt werden.
Ob durch die Impfung eine Aktivierung der latenten ciHHV6-Infektion ausgelöst worden sei oder ob zunächst einer autoimmune
Peri-Myokarditis im Sinne eines impfstoffvermittelten ASIA-Syndroms vorgelegen habe, bleibe unklar. Die Diagnose der ciHHV6-Infektion
sei erst nach der Myokardbiopsie 2013 gestellt worden. Die aufgetretene Reaktion sei pathophysiologisch durch die AS03-adjuvantierte
und mit Thiomersal konservierte Impfung erklärbar, auch wenn die molekularen Mechanismen noch nicht bis ins Detail verstanden
seien. Zum Zeitpunkt der Impfung mit Pandemrix sei die Klägerin völlig gesund und leistungsfähig gewesen. Die ciHHV6-Infektion
sei bei ihr wie bei den meisten Betroffenen klinisch nicht auffällig gewesen. Faktoren, die in immunologische Abläufe eingreifen
und für eine Aktivierung der latenten Infektion hätten sorgen können, lägen außer der Pandemrix-Impfung nicht vor. Bei der
Klägerin liege nach den WHO-Kriterien mit Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang vor. Denn es bestehe erstens ein plausibles
zeitliches Intervall, zweitens die Bekanntheit der unerwünschten Reaktion aus der Spontanerfassung, drittens die plausible
Hypothese zur Pathophysiologie (für das ASIA-Syndrom) und viertens der differenzialdiagnostische Ausschluss anderer Ursachen.
Bei der Klägerin habe im Sinne einer Disposition eine latente Infektion mit ciHHV6 vorgelegen. Durch die Impfung sei es möglicherweise
zu einer Aktivierung der latenten Infektion gekommen, wobei die ciHHV6-Infektion erst 2013 festgestellt worden sei und initial
auch ein autoimmunes Krankheitsbild vorgelegen haben könne. Eine ciHHV6-Aktivierung sei auch auf dem Boden einer solchen Autoimmunerkrankung
möglich.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Denn die am 9. November 2009 erfolgte Impfung gegen
die Schweinegrippe mit dem Impfstoff Pandemrix kann nicht als Arbeitsunfall festgestellt werden.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit
(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden
oder zum Tod führen.
Die rechtserheblichen Tatsachen wie die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, das Unfallereignis
und der Gesundheitserstschaden sowie die als Arbeitsunfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsschäden müssen im Vollbeweis,
d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen
den einzelnen rechtserheblichen Tatsachen genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass beim vernünftigen
Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung
gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77, BSGE 45, 285, 286). Zu verlangen ist ein deutliches Überwiegen an Gründen, wobei "deutlich" mehr als nur ganz geringfügig bedeutet. Die
bloße Möglichkeit genügt nicht (vgl. auch Keller in: Meyer-Ladewig, 12. Auflage, § 128 Rdnr. 3c m.w.N.).
Kann eine Tatsache nicht festgestellt werden, so trägt derjenige dafür die Beweislast, der sich auf diese Tatsache zur Begründung
seines geltend gemachten Anspruchs stützen will (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 103 Rdnr. 19a). Beweisschwierigkeiten
führen nicht zur Umkehr der Beweislast. Bei einem Beweisnotstand, auch wenn er auf einer fehlerhaften Beweiserhebung oder
sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Unerweislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil
gereicht, tritt keine Umkehr der Beweislast ein. Die Tatsachengerichte sind in einem solchen Fall berechtigt, im Rahmen der
vielfältigen Möglichkeiten der Beweiswürdigung an den Beweis der Tatsachen, auf die sich der Beweisnotstand bezieht, weniger
hohe Anforderungen zu stellen (BSG, Urteil vom 27. Mai 1997 - 2 RU 38/96 - in SozR 3-1500 § 128 Nr. 11). Bei besonderen Beweisschwierigkeiten dürfen geringere Anforderungen an den Beweis der betreffenden
Tatsache gestellt werden als sonst, ohne dass das jeweils maßgebende Beweismaß als solches reduziert ist (vgl. Keller in:
Meyer-Ladewig, a.a.O, § 128 Rdnr. 3e).
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass es sich bei der durch den Arbeitgeber empfohlenen Impfung gegen die sogenannte
Schweinegrippe mit dem Impfstoff Pandemrix um eine versicherte Tätigkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt
hat. Die Impfung als solche ist der versicherten Tätigkeit zuzurechnen und stellt kein Unfallereignis dar, d.h. ein von außen
auf den Körper einwirkendes Ereignis. Bei der Impfung handelte es sich nicht um eine unfreiwillige Einwirkung, die dem Begriff
des Unfalls immanent ist, sondern um ein Ereignis, das planmäßig und willentlich herbeigeführt wurde (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 10 und BSG Urteil vom 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R - juris). Auch die auf die Impfung folgende Immunreaktion des Körpers stellt als erwünschte Wirkung kein Unfallereignis dar.
Die mit der Immunreaktion unter Umständen verbundene, zu erwartende normale und übliche Reaktion in Form einer kurzzeitigen
lokalen Reaktion oder leichten allgemeinen Reaktion in Form einer erhöhten Temperatur oder grippeähnlichen Beschwerden stellt
folglich auch keinen Gesundheitserstschaden infolge eines Unfallereignisses dar. Dass im Falle der Klägerin infolge der Impfung
ein von Dr. J. als Typ B-Reaktion beschriebenes, unerwünschtes und unerwartetes Unfallereignis stattgefunden hat, das die
Myokarditis der Klägerin verursacht hat, kann nicht nachgewiesen werden. Denn es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen werden, dass die bei der Klägerin latent vorhandene HHV6-Infektion durch den Impfstoff Pandemrix reaktiviert
und dadurch die bei der Klägerin festgestellte Myokarditis verursacht wurde.
Prof. Dr. G. hat dargelegt, dass die entzündliche Erkrankung des Herzmuskels (Myokarditis) durch Infektionserreger, zahlreiche
Medikamente und toxische Substanzen oder im Rahmen von Autoimmunerkrankungen auftreten kann. Als häufigste Auslöser von Myokarditis
gelten mittlerweile virale Infektionen. Die häufigsten kardiotropen Viruserreger sind Parvovirus B19, HHV6 und die Kombination
Parvovirus B19 und HHV6. HHV6 zählt zu den Herpesviren. Es ist ein ubiquitär verbreitetes Virus, das meist im Säuglings- oder
Kleinkindalter durch Tröpfcheninfektion aquiriert wird und häufig inapparent bzw. ohne wesentliche Symptome verläuft. Die
symptomatische Infektion äußert sich meist als 3-Tage-Fieber. Im Erwachsenenalter sind mindestens 90 % der Bevölkerung seropositiv,
d.h. sie sind latent mit dem Virus infiziert. Die Viruspersistenz verursacht bei immunkompetenten Personen in der Regel keine
Probleme. Die HHV6-Infektion persistiert bei Erwachsenen meist lebenslang, so dass es nicht zu Neuinfektionen kommt. Bei Immunsuppression
kann es zu reaktivierten Virusinfektionen kommen. Der Einbau des kompletten HHV6-Genoms in ein Wirtzell-Chromosom wird als
chromosomal integriertes HHV6 (ciHHV6) bezeichnet. Da HHV6 in das Keimzellen-Genom integriert ist, liegt es in jeder Körperzelle
vor und wird bei jeder Zellteilung auf die Tochterzelle vererbt. Nach den Vererbungsregeln wird es mit einer Häufigkeit von
50 % auf die Kinder vererbt. Die Prävalenz der ciHHV6 liegt bei etwa 0,8 % der Bevölkerung, so dass von 1 Million Einwohner
ca. 8.000 Menschen ciHHV-positiv sind. Personen mit ciHHV6 sind gewöhnlich asymptomatisch, und das integrierte Virus wird
in den meisten Fällen als latent angesehen. Es kann jedoch unter bestimmten Bedingungen reaktiviert werden, zum Beispiel durch
Infektionen, immunsupressive Medikamente oder bei Autoimmunerkrankungen. Akute und chronische HHV6-assoziierte Myokarditisfälle
bei immunkompetenten Patienten sind laut Prof. Dr. G. mehrfach beschrieben worden. Auch die ciHHV6 werden als mögliche Ursache
der Myokarditiserkrankungen angesehen. Bei der Klägerin kann, so Prof. Dr. G., aufgrund der molekularbiologischen Untersuchungsbefunde
mit Sicherheit von dem Vorliegen einer HHV6-typischen genomischen Integration (ciHHVB-Infektion) ausgegangen werden. Die rezidivierende
Aktivierung der bei der Klägerin nachgewiesenen systemischen und kardialen HHV6 Typ B-Infektion bei chromosomaler Integration
des Virusgenoms ist nach Auskunft des Prof. Dr. G. als die wahrscheinliche Ursache der chronischen Perimykarditis anzusehen.
Nach Ansicht des Prof. Dr. G. kann auch eine Reaktivierung der latenten HHV6-Infektion durch das Pandemrix als mögliche Ursache
für die Myokarditis der Klägerin erwogen werden. Prof. Dr. G. datiert den Beginn der Myokarditis auf Anfang Dezember 2009,
etwa drei Wochen nach der Pandemrix-Impfung. Die bei der Klägerin am 10. November 2009 aufgetretenen Symptome bewertet er
als eine übliche Impfreaktion, weil es nach der Impfung zu grippeähnlichen Beschwerden mit einer Tachikardie kommen kann.
Weil er den Beginn der Myokarditis auf Anfang Dezember 2009 datiert, ist seines Erachtens ein zeitlicher Zusammenhang zwischen
der Pandemrix-Impfung und der bei der Klägerin aufgetretenen Myokarditis gegeben. Das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs
allein reicht jedoch nicht aus, um die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu begründen. Denn gegen den Kausalzusammenhang
spricht, dass es nach der Impfung gegen die Schweinegrippe im IV. Quartal 2009 im Bundesgebiet nicht zu einem gehäuften Auftreten
von Myokarditis-Erkrankungen gekommen ist und sich auch in der medizinischen Fachliteratur keine Hinweise auf ein Auftreten
von Myokarditis-Erkrankungen nach einer Impfung mit Pandemrix finden.
Die Argumente der Klägerin und das von ihr vorgelegte Gutachten des Dr. J. führen zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhalts.
Denn Prof. Dr. G. hat seine Beurteilung nicht aufgrund der vor der Freigabe des Impfstoffs bekannten Daten vorgenommen, er
hat seine Beurteilung ausschließlich auf die Daten gestützt, die nach der millionenfachen Impfung mit Pandemrix gesammelt
worden sind. Da Prof. Dr. G. auch berücksichtigt hat, dass die mit dem Spontanerfassungssystems im Paul-Ehrlich-Institut erzielten
Melderaten niedrig sind und nach Erhebungen in mehreren europäischen Ländern auch für schwere Nebenwirkungen die Melderaten
nur bei 5 - 10 % liegen, sind seine Schlussfolgerungen nicht zu beanstanden. Denn er hat dargelegt, dass aufgrund dieses Umstandes
für die Impfkomplikation Myokarditis, Perikarditis bzw. Perimyokarditis mit einer Zahl von 250 - 500 Verdachtsfällen im IV.
Quartal bzw. 1.000 - 2.000 Fälle pro Jahr nach der Pandemrix-Impfung ausgegangen werden muss. Auch in diesem Fall wären die
zu erwartenden Zahlen von Spontanerkrankungen von 200 - 2.000 Fällen pro Jahr nicht überschritten worden. Von einer Pandemrix-bedingten
Myokarditishäufung kann folglich auch in diesem Fall nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus sind für den Senat keine Umstände
ersichtlich, die zu Gunsten der Klägerin als Beweiserleichterung berücksichtigt werden könnten. Der Umstand, dass hinsichtlich
der beim Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Fälle von Peri-/Myokarditis keine weitergehende Untersuchung der Fallberichte mit
Einholung von so genannten Follow-up-Informationen von den meldenden Ärzten erfolgt ist "was nach Auffassung des Dr. J. für
eine fundiertere Risikoabschätzung erforderlich gewesen wäre", kann nicht - wie bereits dargelegt - zu einer Beweislastumkehr
oder gar einer Unterstellung des Kausalzusammenhangs führen.
Die von Dr. J. dargelegten Hinweise auf einen Kausalzusammenhang zwischen den als Adjuvantien verwendeten Aluminiumverbindungen
und dem Entstehen autoimmuner Syndrome können allenfalls belegen, dass es durch den Einsatz von Adjuvantien in Impfstoffen
möglicherweise zu einer Autoimmunreaktion kommen kann. Sie können den hier streitigen Kausalzusammenhang jedoch nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit beweisen. Auch wenn in Bezug auf die nach der Pandemrix-Impfung bei Kindern und Jugendlichen
aufgetretene Narkolepsie der Kausalzusammenhang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist, und der Nachweis erbracht
wäre, dass auch die in Pandemrix enthaltenen Adjuvantien geeignet sind Autoimmunreaktionen auszulösen, die eine Narkolepsie
zur Folge haben, können diese Erkenntnisse nicht analog auf den Fall der Klägerin übertragen werden. Denn konkrete Hinweise
auf einen Kausalzusammenhang zwischen der Verabreichung des Pandemrix-Impfstoffes, das heißt den darin enthaltenen Adjuvantien
und dem Auftreten einer Myokarditis, konnte auch Dr. J. aufgrund der durchgeführten Literaturrecherchen nicht finden. Der
Kausalzusammenhang kann deshalb auch nach den von Dr. J. vorgetragenen Argumenten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
bejaht werden. Dies räumt auch Dr. J. bei Beantwortung der Beweisfragen ein, indem er ausführt, dass es bei der Klägerin durch
die Impfung "möglicherweise" zu einer Aktivierung der latenten ciHHV6-Infektion gekommen ist.
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag der Klägerin musste der Senat nicht nachgehen. Denn bei dem Begehren
der Klägerin, "ein Sachverständigengutachten zum aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse im Hinblick auf Myokarditiden
als Reaktion auf die Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix einzuholen", handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag. Der
Antrag zielt auf die Ausforschung von Tatsachen oder die Erschließung von Erkenntnisquellen, die es vielleicht erst ermöglichen,
bestimmte Tatsachen zu behaupten und sodann unter Beweis zu stellen. Dieser Beweisantritt ist unzulässig, weil er nicht dem
Beweis unmittelbar oder mittelbar vom Beweisführer vorgetragener Tatsachen dient (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 2017 - B 5 R 308/16 B - und Urteil vom 5. Februar 2009 - B 13 RS 85/08 B - juris). Tatsächliche Anhaltspunkte, dass es seit der Gutachtenerstellung durch Dr. J. im Dezember 2015 neue Erkenntnisse
im Hinblick auf Myokarditiden als Reaktion auf die Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix gibt, sind nicht ersichtlich und konnten
von der Klägerin auch nicht benannt werden. Der Impfstoff Pandemrix wurde lediglich im Jahr 2009 gegen die Schweinegrippe
eingesetzt. Seit dem Jahr 2010 wurde das Immunisierungsserum gegen die Schweinegrippe in den Impfstoff gegen die saisonale
Influenza eingegliedert (www.pei.de/DE/infos/presse/pressemitteilungen/archiv-pressemitteilungen/2010/07-unberechenbare-grippe-zeit-influenza-schutzimpfung.html).
Da zudem das Adjuvans AS03 bislang nur im Impfstoff Pandemrix verwendet wurde, ist nach Aussage des Dr. J. der Kenntnisstand
über seltene schwere unerwünschte Wirkungen limitiert. Dass es im Jahr 2016 oder 2017 noch Erkenntnisse zum Auftreten von
Myokarditiden als Reaktion auf die im Jahr 2009 erfolgte Impfung mit Pandemrix gegeben hat, kann folglich nicht ohne konkrete
Anhaltspunkte erwartet oder gar unterstellt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus §
160 SGG.