Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren im Rechtsstreit um Regelleistungen nach dem SGB XII
Keine Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung
Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für das Jahr 2018
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers mit dem - sinngemäßen - Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Juni 2019 aufzuheben und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für den ersten
Rechtszug ab Antragstellung ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A Stadt, zu bewilligen,
ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zulässig, insbesondere ist sie am Maßstab von §
172 Abs.
3 Nr.
1 i.V.m. §
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Zwar geht das Sozialgericht zutreffend davon aus, dass sich die Beschwer bezüglich des Bescheides vom 16. April
2018 in der Bewilligung für den Monat April 2018 erschöpft. Offen bleiben kann, ob sich dies aus dem Bescheid selbst ergibt.
Jedenfalls folgt dies aus dem Bescheid vom 28. Mai 2018, der eine (Neu-)Regelung der Leistungen für bzw. ab Mai 2018 darstellt.
Allerdings enthält der Widerspruchsbescheid auch die Ablehnung eines Überprüfungsantrages nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Die Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 8. Mai 2018, die einen Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 16.
April 2018 enthielten, wurden von der Beklagten dahingehend ausgelegt, dass in ihnen auch ein Überprüfungsbegehren nach §
44 SGB X aller Bescheide seit 1. Januar 2017 gesehen wurde. Diese Auslegung ist nicht zwingend, aber konsequent, da der Bevollmächtigte
auf aus seiner Sicht fehlerhafte Regelsatzerhöhung seit 1. Januar 2017 rügte. Zudem wies der Klägerbevollmächtigte in der
Klagebegründung darauf hin, dass der Kläger "ergänzend zum Vortrag im Widerspruchsverfahren" eine Überprüfung gewünscht habe.
Da der Widerspruchsbescheid als Ganzes angegriffen wird, ist diese Beschwer ebenfalls zu berücksichtigen. Die Beschwer liegt
mithin in der Summe der geltend gemachten Regelleistungsdifferenz für 16 Monate. Der Kläger nahm zur Begründung seines Antrages
im Verwaltungsverfahren Bezug auf diverse Internetquellen zur Regelleistungsberechnung, u.a. auf die Berechnung des Paritätischen
Gesamtverbandes, der zu einer Regelleistung von 520 EUR gelangt und auf die Berechnung von C., der zu einer Regelleistung
von 575 EUR gelangt. Zwar ist insbesondere die letztgenannte Berechnung aus mehreren Gründen angreifbar, die Bezugnahme auf
sie kann aber nicht in der Weise als missbräuchlich angesehen werden, dass sie nur zu dem Zweck erfolgt ist, die Beschwer
nach oben zu treiben. Daher ist die Beschwer mit mindestens (575-409)*12 + (575-416)*4 = 2628 EUR zu beziffern.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der angegriffene sozialgerichtliche Beschluss ist im Ergebnis nicht zu beanstanden,
denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht liegen nicht
vor.
Gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 S. 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) ist einem Beteiligten auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Der Maßstab für die insoweit
geforderten Erfolgsaussichten ist im Licht der grundrechtlich garantierten Rechtsschutzgleichheit zu bestimmen. Sie folgt
aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art.
3 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz aus Art.
20 Abs.
3 GG. Gefordert ist hiernach eine Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines Unbemittelten mit denen eines Bemittelten, der
seine Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägt. Hinreichende Erfolgsaussichten in diesem
Sinne liegen vor, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch die
Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes jedenfalls unter Zuhilfenahme aller verfahrensrechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfe
gegen instanzgerichtliche Entscheidungen durchzusetzen (BVerfGE 81, 347 (357); stRspr).
Die Klage bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Hinsichtlich der Ablehnung des Überprüfungsantrages ist die Klage bereits unzulässig, da es an der Durchführung des Vorverfahrens
fehlt (§
78 SGG). Nur hinsichtlich der Ablehnung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 16. April 2018 handelt es sich um einen Widerspruchsbescheid.
Die Ablehnung des Überprüfungsantrages ist ein Erstbescheid, gegen den der Widerspruch gegeben ist.
Auch die gegen den Bescheid vom 16. April 2018 gerichtete Klage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie das Sozialgericht
zutreffend ausgeführt hat.
Die Regelbedarfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für das Jahr 2018 stehen auf der Basis des aktuellen Kenntnisstandes des Senats in Auseinandersetzung mit den vom Kläger
angeführten Argumenten mit den Anforderungen aus Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG in Einklang.
Der Senat verweist insoweit zunächst auf seinen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Beklagten bekannten Beschluss
vom 9. Oktober 2017 - L 4 SO 166/17 B. Er hat dort hinsichtlich der Regelleistungen ab Januar 2017 ausgeführt, dass es insbesondere
"entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verfassungswidrig [ist], bestimmte Ausgabepositionen des EVS bei der Regelsatzermittlung
herauszurechnen. Wie in dem erstinstanzlichen Beschluss bereits zutreffend ausgeführt wurde, hat das Bundesverfassungsgericht
in seiner Entscheidung vom 23. Juli 2014 ein solches Vorgehen vielmehr gerade als grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig
angesehen (BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 1 BvL 10/12 -, juris Rn. 109). Dass sich die vom Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss angesprochenen möglichen zukünftigen Gefahren
(Unterdeckung konkreter Bedarfe, besondere Preisentwicklung) für 2017 tatsächlich verwirklicht haben könnten, ist, auch angesichts
des Umfangs der Regelsatzerhöhungen und der bisherigen Inflationsraten, weder ersichtlich noch vom Antragsteller dargelegt
worden."
Der Vortrag des Klägers, der mit dem Vortrag im zitierten Verfahren in weiten Teilen übereinstimmt, gibt keinen Anlass, von
der Rechtsauffassung des Senats abzuweichen.
Insbesondere ist der Senat nach wie vor der Überzeugung, dass die Regelbedarfsermittlungen für 2017 wie 2018 jedenfalls in
ihrer abstrakten Konstruktion verfassungskonform sind. Sie folgen denselben Grundsätzen, die dem RBEG 2011 zugrunde gelegen
haben, das bereits Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung war (s.o. BVerfGE 137, 34). Konkrete Anhaltspunkte für eine evidente Unterdeckung des Existenzminimums liegen weiterhin nicht vor.
Auch soweit das Bundesverfassungsgericht zukunftsgerichtete Anforderungen an das RBEG 2017 gestellt hat, unterliegen die Regelsätze
für 2018 keinen Bedenken:
"a) Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der
Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber
zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden ( ...). Ist eine existenzgefährdende
Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht
auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.
b) Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass der existenznotwendige Mobilitätsbedarf tatsächlich gedeckt werden kann ( ...).
c) Der Gesetzgeber muss die Verteilungsschlüssel anpassen, wenn sich bei einer Bedarfsposition erhebliche Veränderungen zeigen,
die eine Zuordnung von ermittelten Verbrauchsausgaben der Familienhaushalte mit dem bisherigen Verteilungsschlüssel an einzelne
Mitglieder des Haushalts offensichtlich unrealistisch werden lassen ( ...).
d) Der Gesetzgeber hat in dem von ihm gewählten Modell sicherzustellen, dass Unterdeckungen, die aufgrund des statistisch
ermittelten, durch nachträgliche Kürzungen modifizierten monatlichen Pauschalbetrags entstehen, im Wege internen Ausgleichs
oder Ansparens auch tatsächlich gedeckt werden können ( ...). Es liegt im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, dazu einen
hinreichend großen finanziellen Spielraum zu schaffen, einen eigenen Leistungsanspruch auf einen Zuschuss neben dem Regelbedarf
für aus dem Pauschalbetrag offensichtlich nicht zu deckende existentielle Bedarfe vorzusehen oder, soweit es sich um öffentliche
Dienstleistungen handelt, die Kosten für diese zu erlassen oder zu stunden." (BVerfGE 137, 34, 101 f. Rn. 144 ff.).
Der Gesetzgeber hat sich diesen Prüfaufträgen gestellt (vgl. BT-Drucksache, 18/9984, S. 23 ff.) und nach dem Kenntnisstand
des Senats auf der Basis des Vortrags des Klägers auch erfüllt (im Ergebnis wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
5. Februar 2018 - L 19 AS 2324/17 B -; Beschluss vom 6. September 2018 - L 7 AS 195/18 NZB -, juris Rn. 6 hinsichtlich 2017).
So ist eine unter a) beschriebene Diskrepanz für das Jahr 2018 weder vorgetragen noch erkennbar. Zum unter b) angesprochenen
Mobilitätsbedarf fehlt jeder individuelle Vortrag des Klägers. Ohne individuellen Vortrag kann auch nicht der Bezugnahme des
Klägers auf die Kritik von Lenze am RBEG 2017 gefolgt werden (insbesondere Lenze in: Bieritz-Harder u.a., LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, Anh. § 28 Rn. 8 ff.). Hier bedürfte es konkreter Darlegungen, dass dem Kläger der interne Ausgleich der Bedarfe aufgrund der vorgenommenen
Abzüge nicht gelingt (vgl. BVerfG a.a.O. unter d). Dies gilt auch hinsichtlich der Kritik an der Berücksichtigung des Bedarfs
für langlebige Konsumgüter.
Die Fortschreibung gerade für 2018 unterliegt keinen methodischen Bedenken; soweit solche formuliert werden, wirken sie zugunsten
der Betroffenen (vgl. Schwabe, ZfF 2018, 1).
Der Kläger verkennt letztlich, dass sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung vor dem Hintergrund, dass das
Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 137, 34 das Modell des RBEG 2011 abstrakt gebilligt hat, insbesondere auf die Gefahr einer Unterdeckung in besonderen Situationen
zuspitzt. Hierzu fehlt konkreter Vortrag.
Der Senat überspannt damit auch nicht die Anforderungen an die Gewährung von Prozesskostenhilfe im Hinblick darauf, dass die
bundesverfassungsgerichtliche Klärung einer noch nicht entschiedenen Rechtsfrage durch die Verweigerung von Prozesskostenhilfe
nicht vereitelt werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2013 - 1 BvR 2004/10 -).
Der nicht individualisierte Vortrag des Klägers lässt nämlich nicht erkennen, dass er gerade mit diesem Verfahren beabsichtigt,
eine bundesverfassungsgerichtliche Klärung herbeizuführen. Der fehlende Vortrag dürfte auch der Zulässigkeit einer künftigen
Verfassungsbeschwerde entgegenstehen, worauf der Klägerbevollmächtigte auch hingewiesen worden ist. So fordert der an § 90 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) anknüpfende Grundsatz der Subsidiarität zwar nicht stets, dass ein Beschwerdeführer das fachgerichtliche Verfahren bereits
als "Verfassungsprozess" führt. Etwas anderes gilt aber in Fällen wie hier, in denen ein Begehren nur dann Aussicht auf Erfolg
haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen und ein sie stützender Tatsachenvortrag in das fachgerichtliche Verfahren
eingeführt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2016 - 1 BvR 2836/14 -, juris; BVerfGE 112, 50 (60 ff.)).
Soweit der Klägerbevollmächtigte mit der Beschwerde rügt, das Sozialgericht habe nicht von Amts wegen geprüft, ob die Kosten
der Unterkunft zutreffend ermittelt und Mehrbedarfe zutreffend berücksichtigt worden seien, überspannt er den Amtsermittlungsgrundsatz.
Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass eine "Amtsermittlung ins Blaue" weder vom
SGG noch von Art.
19 Abs.
4 GG gefordert wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§
73a Abs.
1 SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.