Örtliche Zuständigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren um Krankenhausvergütung mit Landesverträgen als Streitgegenstand
Gründe:
Die Beteiligten, eine gesetzliche Krankenkasse und ein Krankenhaus (bzw. dessen Träger), streiten um die Vergütung von Krankenhausleistungen.
Der ursprünglich am Sozialgericht (SG) Hildesheim anhängige Rechtsstreit wurde durch Beschluss vom 23. April 2012 an das SG Hannover verwiesen. Das SG Hannover
hält sich ebenfalls nicht für zuständig und hat den Rechtsstreit gemäß §
58 Abs.
1 Nr.
4 SGG mit Beschluss vom 5. Juni 2012 dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen vorgelegt.
II. Die Anrufung des LSG Niedersachsen-Bremen zur Bestimmung des für den Rechtsstreit örtlich zuständigen SG ist nach §
58 Abs.
1 Nr.
4 SGG zulässig.
Örtlich zuständig für das Hauptsacheverfahren ist das SG Hannover.
In Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen, ist - soweit das Landesrecht nichts Abweichendes
bestimmt - das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.
In Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene betreffen, ist das Sozialgericht zuständig, in dessen
Bezirk die KBV oder die KZBV ihren Sitz hat.
Nach der bisherigen Rechtsauffassung des Senats wäre regelhaft das SG Hannover zuständig gewesen. Der Senat hält an seiner
bisherigen (weiten) Auslegung des §
57a SGG (vgl. u.a.: Beschluss vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 79/08 KR -, veröffentlicht in juris) jedoch nicht mehr fest. Er schließt sich aus Gründen der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit
und des Rechtsfriedens der (engen) Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG) in dessen Beschluss vom 5. Januar 2012 - B 12 SF 4/11 S (obiter dictum) - an. Darin hat das BSG ausgeführt, §
57a Abs.
4 SGG sei dahingehend auszulegen, dass eine zentrale örtliche Zuständigkeit desjenigen SG, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat bzw. - für die Bundesebene - des SG Berlin, ausschließlich für solche
Angelegenheiten bestehe, die Entscheidungen bzw. Verträge als solche bzw. deren Auslegung unmittelbar betreffen. Entsprechendes
gilt auch für die Landesverträge nach §
57a Abs.
3 SGG (ebenso die Rspr. der Landessozialgerichte in - soweit ersichtlich - allen anderen Bundesländern, siehe etwa: LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 28. Juli 2011 - L 1 SV 1905/11 -; LSG Sachsen, Beschluss vom 13. Oktober 2008 - L 1 B 614/08 KR-ER -; Zitierung jeweils nach juris; siehe zuletzt auch die zusammenfassende Darstellung von Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit
nach §
57 a Abs.
3 und
4 SGG - zugleich Besprechung von BSG, Beschluss vom 4.1.2012 - B 12 SF 4/11 S, in SGb 06/12, S. 317).
Auch der 1. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat seine bisherige anderslautende Auffassung aufgegeben und sich dem BSG angeschlossen.
Im vorliegenden Fall sind die Landes- bzw. Bundesverträge bzw. deren Auslegung selbst nicht unmittelbar im Streit. Sie haben
für den geltend gemachten Anspruch lediglich mittelbar Bedeutung. Daher ist die Zuständigkeit des SG Hannover nicht gegeben.
Der Rechtsstreit ist deshalb grundsätzlich zu Unrecht an das SG Hannover verwiesen worden.
Gleichwohl ist wegen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses das SG Hannover als das zuständige Gericht zu bestimmen.
Auch im Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach §
58 Abs.
1 Nr.
4 SGG ist grundsätzlich die Bindungswirkung des zuerst ergangenen Verweisungsbeschlusses zu beachten, §
98 SGG i.V.m. §
17a Abs.
2 Satz 3
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) in entsprechender Anwendung. Die Bindungswirkung sichert den Anspruch der Rechtsuchenden auf effektiven Rechtsschutz und
soll insbesondere Kettenverweisungen verhindern. Nach diesem Grundsatz ist daher in aller Regel dasjenige Gericht als das
örtlich zuständige Gericht zu bestimmen, an welches zuerst verwiesen wurde. Eine davon abweichende Zuständigkeitsbestimmung
darf nur im Ausnahmefall erfolgen, und zwar dann, wenn die Voraussetzungen des §
58 Abs.
1 Nr.
1 SGG vorliegen oder wenn sich der Verweisungsbeschluss als grob verfahrensfehlerhaft darstellt. Diese Ausnahmefälle liegen hier
nicht vor.
Die Bindungswirkung kann zudem dann durchbrochen werden, wenn der Verweisungsbeschluss auf einem willkürlichen Verhalten beruht.
Dabei ist Willkür anzunehmen, wenn die Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, so dass sich
der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) verletzt (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Januar 2012 - B 12 SF 4/11 S -, Rn. 6 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. Januar 2009 - L 1 B 73/08 KR -). Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss an das SG Hannover nicht willkürlich. Denn die dem Verweisungsbeschluss
zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen konnten sich - jedenfalls zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses - noch auf diejenige
Auffassung stützen, die bisher von den für das gesetzliche Krankenversicherungsrecht zuständigen beiden Senaten des LSG Niedersachsen-Bremen
vertreten wurde.
Der Bindungswirkung steht auch nicht der Grundsatz der "perpetuatio fori" entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich
nach Rechtshängigkeit des Verfahrens die gesetzliche Zuständigkeitsregelung geändert hätte (vgl. etwa: LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 6. Januar 2009 - L 1 B 53/08 KR -). Eine solche gesetzliche Änderung der Zuständigkeitsregelung hat während der Anhängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits
jedoch nicht stattgefunden. Die letzte Änderung des hier maßgeblichen §
57a Abs.
3 SGG trat bereits zum 1. April 2008 durch das Sozialgerichts-Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz in Kraft. Der vorliegende Rechtsstreit wurde später rechtshängig. Auch eine Änderung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zu §
57a Abs.
3 SGG, sofern man eine solche überhaupt für ausreichend erachten würde, ist nicht eingetreten. Vielmehr hat das BSG in dem oben zitierten Beschluss gerade an seiner bereits früher geäußerten Auffassung festgehalten.
Eine Kostenentscheidung ist für das Verfahren nach §
58 SGG nicht zu treffen, da es sich um einen Zwischenstreit handelt (siehe etwa: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 11. Dezember
2008 - L 4 B 79/08 KR - sowie vom 5. Januar 2009 - L 1 B 73/08 KR -, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Diese Entscheidung ist nach §
177 SGG unanfechtbar.