Zulässigkeit einer Abschmelzung gemäß § 48 Abs. 3 SGB X bei Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nach einem Vergleich über einen Verletztenrentenanspruch
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die der Klägerin und Berufungsklägerin von der Beklagten und Berufungsbeklagten gewährte
Verletztenrente von weiteren Rentenanpassungen auszunehmen ist.
Die am 01. Januar 1956 geborene Berufungsklägerin ist Sozialpädagogin und war beim Heilpädagogium C. in D. in E. -F. beschäftigt.
Am 26. November 1991 erlitt sie auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle einen Autounfall, als sie infolge von Glatteis mit ihrem
Pkw ins Schleudern geriet und gegen mehrere Bäume prallte. Dieses Unfallereignis erkannte die Berufungsbeklagte als Arbeitsunfall
an.
Mit Bescheid vom 09. September 1992 gewährte die Berufungsbeklagte der Berufungsklägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls
für den Zeitraum vom 15. Juni 1992 bis 31. Dezember 1992 eine Verletztenrente mit einer Gesamtvergütung nach einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 2.687,90 DM (rund 1.374,30 Euro).
Mit Bescheid vom 24. Mai 1993 lehnte die Berufungsbeklagte die weitere Gewährung einer Verletztenrente ab und führte zur Begründung
aus, dass der Arbeitsunfall eine MdE in rentenberechtigendem Grade nach Ablauf des Zeitraums, für den die Gesamtvergütung
bestimmt gewesen war, nicht hinterlassen habe.
Dagegen legte die Berufungsklägerin am 28. Mai 1993 Widerspruch ein.
Im Widerspruchsverfahren holte die Berufungsbeklagte ein fachorthopädisch/algesiologisches Gutachten des Dr. G. vom 17. Januar
1994 ein. Dieser kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich bei der Berufungsklägerin ein somatoformes Schmerzsyndrom entwickelt
habe und schlug zur Bewertung der Unfallfolgen eine MdE von 20 vom Hundert (v.H.) ab dem 01. Januar 1993 für ein Jahr ab dem
Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens vor. Danach sei in Anbetracht der nach entsprechender Behandlung der Berufungsklägerin
zu erwartenden Besserungstendenzen eine Nachbegutachtung vor einer eventuellen Weitergewährung erforderlich.
Mit Schreiben vom 26. Januar 1994 teilte die Berufungsbeklagte der Berufungsklägerin mit, dass sie beabsichtige, dem Rentenausschuss
die Gewährung einer Rente nach einer MdE von 20 v.H. ab dem 01. Januar 1993 vorzuschlagen. In einem Jahr solle eine Nachuntersuchung
erfolgen zur Überprüfung, ob noch eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß vorliege. Die Berufungsklägerin wurde aufgefordert
mitzuteilen, ob sie unter diesen Bedingungen ihren Widerspruch zurücknehmen.
Mit Schreiben vom 21. März 1994 lehnte die Berufungsklägerin die Gewährung einer Rente nach einer MdE von 20 v.H. ab, hielt
eine MdE von 60 v.H. für angemessen und bat um Erteilung eines Widerspruchsbescheides.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 1994 wies die Berufungsbeklagte den Widerspruch der Berufungsklägerin gegen den Bescheid
vom 24. Mai 1993 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass eine MdE in rentenberechtigendem Grade nicht gegeben sei und
damit nach Gewährung der Gesamtvergütung keine Verletztenrente gewährt werden könne.
Dagegen erhob die Berufungsklägerin am 18. August 1994 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Mainz. Das SG holte aufgrund des Beweisbeschlusses vom 13. September 1995 ein orthopädisches Sachverständigengutachten nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) des Prof. Dr. H. vom 07. Februar 1996 ein, der bei der Berufungsklägerin die MdE ab 1993 mit 20 v.H. bewertete.
Mit Schriftsatz vom 08. März 1996 teilte die Berufungsklägerin daraufhin mit, dass das Gutachten des Prof. Dr. Rompe vom 07.
Februar 1996 den Vergleichsvorschlag (aus dem Widerspruchsverfahren) bestätige. Ein darüber hinausgehendes Angebot könne nicht
gemacht werden.
Mit Schriftsatz vom 29. März 1996, bei der Berufungsbeklagten am 01. April 1996 eingegangen, teilte die Berufungsklägerin
mit, dass sie den Vergleichsvorschlag der Berufungsbeklagten zur Zahlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente (gemeint wohl: Verletztenrente)
ab dem 01. Januar 1993 mit einer MdE von 20 v.H. annehme.
Mit Bescheid vom 22. April 1996 führte die Berufungsbeklagte den Vergleich vom 01. April 1996 aus und gewährte der Berufungsklägerin
einen Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 01. Januar 1993 bis 30. Mai 1996 in Höhe von insgesamt 17.866,20 DM (rund 9134.84
Euro) und ab dem 01. Juni 1996 eine monatliche Verletztenrente in Höhe von 445,10 DM (rund: 227, 58 Euro).
Mit Bescheid vom 21. Juli 2005 lehnte die Berufungsbeklagte den Antrag der Berufungsklägerin auf Gewährung einer höheren Verletztenrente
im Rahmen eines Neufeststellungsverfahrens nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Berufungsbeklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2006 zurück. Dagegen
hat die Berufungsklägerin am 14. November 2006 Klage vor dem SG Braunschweig erhoben (Az.: S 14 U 157/06).
Mit Bescheid vom 08. Dezember 2005 nahm die Berufungsbeklagte die der Berufungsklägerin bislang gewährte Verletztenrente von
weiteren Rentenanpassungen gemäß §
95 des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII) ab dem 01. Juli 2006 aus. Zur Begründung führte sie aus, dass die Verletztenrente aufgrund des Vergleichs vom 01. April
1996 mit Verwaltungsakt vom 22. April 1996 festgestellt worden sei. Dieser Verwaltungsakt sei rechtswidrig, weil zu Unrecht
nicht unfallbedingte Beschwerden als Unfallfolgen anerkannt worden seien. Durch die tatsächlichen Folgen des Arbeitsunfalls
vom 26. November 1991 sei die Erwerbsfähigkeit der Berufungsklägerin nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert. Mit dem
Bescheid vom 22. April 1996 sei als Unfallfolge unter anderem ein knöchern, unter leichter Formveränderung verheilter Bruch
des siebten Brustwirbelkörpers (BWK) sowie ein somatoformes Schmerzsyndrom anerkannt worden. Nach den Gutachten des Dr. Dr.
I. vom 13. Februar 2005 nebst ergänzender Stellungnahme vom 19. April 2005 und des Dr. J. vom 12. Februar 2005 sei die somatoforme
Schmerzstörung jedoch nicht Folge des BWK-Bruchs, zumal die Beschwerden bereits vor dem Unfall bestanden hätten.
Auch hiergegen legte die Berufungsklägerin am 06. Januar 2006 Widerspruch ein, den die Berufungsbeklagte unter Wiederholung
und Vertiefung ihrer Ausführungen im Ausgangsbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2006 zurückwies.
Dagegen hat die Berufungsklägerin am 14. November 2006 ebenfalls Klage zum SG Braunschweig erhoben (Az.: S 14 U 158/06).
Das SG hat mit Beschluss vom 19. Februar 2008 die Verfahren S 14 U 157/06 und S 14 U 158/06 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und den Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 14 U 157/06 fortgeführt.
Das SG hat im Übrigen Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie K. vom 21. Mai
2006. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das somatoforme Schmerzsyndrom keine Folge des Arbeitsunfalls sei. Eine MdE
auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehe nicht.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Berufungsklägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 04. Mai 2009 die
Klage gegen den Bescheid vom 21. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2006, welche gerichtet
war gegen die Ablehnung ihres Neufeststellungsantrages und die Ablehnung einer höheren Verletztenrente (Klageverfahren zum
Az.: S 14 U 157/06 vor der Verbindung) zurückgenommen.
Mit Urteil vom 04. Mai 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Berufungsbeklagte die Berufungsklägerin nach § 48 Abs. 3 Satz 2, § 45 SGB X in Verbindung mit §
95 SGB VII von weiteren Rentenanpassungen habe ausnehmen dürfen. Die Feststellung im Verwaltungsakt vom 22. April 1996, wonach die somatoforme
Schmerzstörung Unfallfolge sei, sei rechtswidrig. Die MdE betrage auf unfallchirurgischem Fachgebiet maximal 10 v.H. Wegen
des fehlenden ursächlichen Zusammenhangs seien Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bei der Bemessung
der MdE nicht zu berücksichtigen. Bei dieser Sachlage - bestandskräftig festgestellte MdE in Höhe von 20 v.H., tatsächliche
MdE maximal 10 v.H. bei schutzwürdigem Vertrauenstatbestand zugunsten der Berufungsklägerin - sei der Anwendungsbereich des
§ 48 Abs. 3 Satz 2 SGB X eröffnet. Die Berufungsklägerin habe Vertrauensschutz in die Gewährung einer Rentenleistung in der zuletzt bestandskräftig
bewilligten Höhe. Leistungen darüber hinaus könne sie nicht mehr beanspruchen.
Gegen das ihr am 20. Mai 2009 zugestellte Urteil des SG hat die Berufungsklägerin am 12. Juni 2009 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt.
Die Berufungsklägerin trägt vor, es sei unzutreffend, dass die Berufungsbeklagte seinerzeit im Vergleichswege überhaupt eine
somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge anerkannt habe. Die Gutachten von Dr. L. und Dr. M. -N. bestätigten eine MdE in
Höhe von 20 v.H. allein für die organisch fassbaren Unfallfolgen unter Einbeziehung der damit verbundenen Schmerzen. Es sei
im Übrigen nicht klar, welche Unfallfolgen die Berufungsbeklagte überhaupt ihrem Vergleichsangebot zugrunde gelegt habe.
Die Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 04. Mai 2009 und den Bescheid der Berufungsbeklagten vom 08. Dezember 2005
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2006 aufzuheben.
Die Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufungsbeklagte bezieht sich auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und tritt der erstinstanzlichen Entscheidung
bei. Ergänzend trägt sie vor, dass das Gutachten des Dr. L. vom 17. Januar 1994 Grundlage des Vergleichsangebotes vom 26.
Januar 1994 gewesen sei, welches die Berufungsklägerin zunächst abgelehnt und dann nach Wiederholung dieses Vergleichsangebotes
im Klageverfahren vor dem SG Mainz schließlich angenommen habe. Auch das Gutachten von Dr. M. -N. sei Grundlage des Vergleichsangebots
gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze,
die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges sowie die jeweiligen Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen.
Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Das SG hat die Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 08. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26. Oktober 2006 ist rechtswidrig und beschwert die Berufungsklägerin bzw. verletzt sie in ihren Rechten.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X sind entgegen der Auffassung des SG und der Berufungsbeklagten nicht erfüllt.
Nach § 48 Abs. 3 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine Änderung nach § 48 Abs. 1 oder 2 SGB X zugunsten des Betroffenen eingetreten ist (hier die nach §
95 SGB VII jährlich erfolgende Anpassung der Verletztenrente), die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie
er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt.
Die Regelung bezweckt einen Ausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse des Begünstigten und dem Interesse der Allgemeinheit
an der Durchsetzung der materiell-rechtlich zutreffenden Rechtslage. Danach bleibt zwar der Bestandsschutz nach § 45 erhalten,
jedoch wird der Begünstigte von zu seinen Gunsten eintretenden Änderungen solange ausgespart, bis die Begünstigung von der
materiellen Rechtslage (wieder) gedeckt ist. Dadurch wird der zu Unrecht gewährte Vorteil im Laufe der Zeit "abgeschmolzen".
§ 48 Abs. 3 SGB X stellt danach eine zwingende Ausnahme von der nach § 48 Abs. 1 und 2 an sich gebotenen Anpassung an zu Gunsten des Begünstigten eintretende Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnisse dar; eine Ermessensentscheidung findet insofern nicht statt. Diese Wirkungen treten ein, sobald die Verwaltung
durch gesonderten Verwaltungsakt die Aussparung künftiger Änderungen wegen Rechtswidrigkeit des zu Grunde liegenden Bescheids
verfügt hat (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 48 Rn. 29). Ergibt sich die rechtswidrige Begünstigung aus einem Verwaltungsakt, der ein Urteil oder einen Vergleich ausführt,
ist eine Aussparung ausgeschlossen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 24. März 1987 - 4b RV 39/85; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Februar 1988 - L 7 U 2278/86; Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialrecht, 72. Ergänzungslieferung 2012, § 48 SGB X, Rn. 62; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Auflage 2011, § 48 Rn. 95; Heße in: BeckOK-SGB X, Stand: 01. März 2012, § 48 Rn. 41).
Unter Beachtung dieser Maßgaben liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X vorliegend nicht vor.
Die Berufungsbeklagte hat mit dem Bescheid vom 22. April 1996 den Vergleich vom 01. April 1996 ausgeführt. Aufgrund dieses
Vergleichs vom 01. April 1996 ist ihr eine Abschmelzung der der Berufungsklägerin gewährten Verletztenrente nach § 48 Abs. 3 SGB X i.V.m. §
95 SGB VII verwehrt, denn die Berufungsbeklagte hat sich durch den zulässigerweise geschlossenen Vergleich vom 01. April 1996 dazu verpflichtet,
bei der Verletztenrente der Berufungsklägerin eine MdE von 20 v.H. zugrunde zu legen. Es handelt sich bei der MdE um einen
Faktor für die Berechnung der Verletztenrente, die - selbst wenn die Beteiligten in dem Vergleich von einer zu hohen MdE ausgegangen
sein sollten - nachträglich nicht mehr abgeschmolzen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 24. März 1987 - 4b RV 39/85; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Februar 1988 - L 7 U 2278/86).
Der Ausführungsbescheid vom 22. April 1996 ist entgegen der Auffassung des SG und der Berufungsbeklagten nicht rechtswidrig. Denn damit hat die Berufungsbeklagte (nur) den Vergleich vom 01. April 1996
ausgeführt, der seinerseits wirksam ist.
Der zwischen den Beteiligten am 01. April 1996 geschlossene Vergleich ist ein außergerichtlicher Vergleich im Sinne des §
54 SGB X und damit ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Der zwischen den Beteiligten geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag ist
nicht nichtig im Sinne des § 58 SGB X. Er ist - unabhängig von der (Nicht-)Einhaltung der Anfechtungsfrist - auch nicht anfechtbar nach § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. den §§
116 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB). Denn die Irrtumsanfechtung ist insoweit ausgeschlossen, als der Irrtum diejenigen ungewissen rechtlichen oder tatsächlichen
Fragen betrifft, die durch den Vergleich abschließend geklärt werden sollten (Diering in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Auflage 2011, § 54 Rn. 23). So liegt der Fall auch hier: Die Beteiligten schlossen den Vergleich gerade deswegen, um den zwischen ihnen bestehenden
(gerichtlichen) Streit, ob bei der Berufungsklägerin eine somatoforme Schmerzstörung und damit eine MdE von 20 v.H. tatsächlich
vorliegt, zu klären. Aus diesem Grund scheidet auch eine Unwirksamkeit des Vergleichs nach § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. §
779 BGB aus. Denn dies setzt voraus, dass sich später der als unrichtig erweisende Sachverhalt derjenige sein muss, der von den Vertragsparteien
als unstreitige Grundlage betrachtet wurde. Erweist sich hingegen der Sachverhalt, der von den Parteien zunächst als ungewiss
angesehen wurde und dessen Ungewissheit durch den Vergleich gerade beseitigt werden sollte, später als unrichtig, so bleibt
dies für die Wirksamkeit des Vergleiches ohne Bedeutung, denn die Beseitigung dieser Ungewissheit ist ihrerseits ja gerade
eine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Vergleichsvertrag (vgl. Diering in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Auflage 2011, § 54 Rn. 19).
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für eine Anpassung oder Kündigung des Vergleichsvertrages vom 01. April 1996 gemäß
§ 59 Abs. 1 SGB X nicht vor, ohne dass es hier auf die Frage ankäme, ob die Berufungsbeklagte durch die angefochtenen Bescheide den Vergleich
zumindest konkludent gekündigt oder ein Anpassungsverlangen geäußert hat. Denn neben der Wesentlichkeit der Änderung setzt
dies voraus, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist oder
die Behörde schwere Nachteile für das Gemeinwohl verhüten oder beseitigen will. Wegen der Durchbrechung des Grundsatzes der
Vertragstreue kann von einer Unzumutbarkeit nur dann ausgegangen werden, wenn die Durchbrechung eben dieses Grundsatzes notwendig
ist, um untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechterdings unvereinbare Ergebnisse im öffentlichen Interesse zu vermeiden
(vgl. Krasney in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 72. Ergänzungslieferung 2012, § 59 Rn. 10; Diering in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Auflage 2011, § 54 Rn. 8 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, die bloße (mögliche) Rechtswidrigkeit des Vergleichs
oder des Ausführungsbescheides vom 22. April 1996 führt nicht zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechterdings
unvereinbaren Ergebnis. Vielmehr haben die Beteiligten durch den Vergleichsabschluss ihren Streit über die bei der Berufungsklägerin
bestehende Höhe der MdE und das "Ob" und die Höhe der Gewährung einer Verletztenrente beigelegt; dies war gerade Grundlage
des Vergleichsschlusses, so dass das Festhalten der Berufungsbeklagten an dem Vergleich nicht unbillig und schon gar nicht
untragbar und mit Recht und Gerechtigkeit schlechterdings unvereinbar ist. Schwere Nachteile sind durch den Vergleich und
die fortlaufende Anpassung der Verletztenrente gemäß §
95 SGB VII ebenfalls nicht zu befürchten.
Erweist sich aber der Vergleich vom 01. April 1996 als wirksam, kann der Bescheid vom 22. April 1996, der (nur) diesen Vergleich
ausführt, grundsätzlich nicht rechtswidrig im Sinne des § 49 SGB X bzw. § 48 Abs. 3 SGB X sein. Andernfalls würden auch die strengen Voraussetzungen, die an die Nichtigkeit, Unwirksamkeit, Anfechtung, Kündigung
oder Anpassung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages bzw. außergerichtlichen Vergleichs gestellt werden, durch § 48 Abs. 3 SGB X ausgehebelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war gemäß §
160 Abs.
2 SGG nicht zuzulassen.