SGB-II-Leistungen
Kosten der Unterkunft und Heizung
Einstweiliger Rechtsschutz
Drohende Obdachlosigkeit
Wertende Betrachtung
1. Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Abwendung wesentlicher Nachteile zulässig: In Verfahren des Eilrechtsschutzes ist insoweit
zu den Kosten der Unterkunft auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen.
2. Relevante Nachteile können hierbei nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen; § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gibt vielmehr die Übernahme der "angemessenen" Kosten vor und dient im Zusammenwirken mit anderen Leistungen dazu, über die
Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherzustellen.
3. Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten.
4. Daher ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung
zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade
der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte.
Gründe
I.
Mit Schriftsatz vom 22.04.2017 haben die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller unter ausdrücklicher Nennung allein der
Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren
gestellt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig antragsgemäß
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Auch im weiteren sozialgerichtlichen Verfahren wurde rechtsanwaltlich ausdrücklich allein zu Ansprüchen der
Antragsteller zu 1) und 2) vorgetragen. Diese leben in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer am 00.00.2010 geborenen Tochter und ihrem
am 00.00.2017 geborenen Sohn.
Mit Beschluss vom 29.06.2017 hat das Sozialgericht Düsseldorf (SG) den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den auch in diesem Beschluss allein genannten Antragstellern
zu 1) und 2) vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 27.04.2017 bis zum 30.09.2017, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss eines noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahrens
in Höhe des Regelbedarfs gemäß § 20 SGB II zu gewähren. Für die minderjährigen Kinder, die mit den Antragstellern in einer Bedarfsgemeinschaft lebten (§ 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2 SGB II), sei von den anwaltlich vertretenen Antragstellern kein Antrag gestellt worden, so dass über Leistungen für die Kinder in
diesem einstweiligen Anordnungsverfahren nicht entschieden werden könne. Im Hinblick auf die im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens
außerdem geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) hat das SG einen Anordnungsgrund für nicht glaubhaft gemacht angesehen, weil zwar Mietrückstände belegt seien, eine fristlose Kündigung
der Mietwohnung aber offenbar noch nicht vorliege. Ein Anordnungsgrund bezogen auf die KdU liege aber in der Regel erst dann
vor, wenn die Wohnung aufgrund von Mietrückständen fristlos gekündigt worden und eine Räumungsklage anhängig sei.
Gegen den den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 05.07.2017 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 12.07.2017
eingelegte Beschwerde mit dem weiteren Antrag, den Antragstellern Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
Nicht beanstandet werde, dass das SG den Antragsgegner nicht verpflichtet hat, Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen. Der Antragsteller zu 2) gehe seit
dem 07.07.2017 einer Vollzeitbeschäftigung nach, sodass die Miete laufend bezahlt werde und die Rückstände in Raten abgetragen
würden.
Beanstandet werde aber, dass das SG nicht über Leistungen für die Kinder der Antragsteller entschieden habe. Denn der einstweilige Rechtsschutzantrag sei so
auszulegen, dass der Lebensunterhalt der gesamten Bedarfsgemeinschaft gesichert werden solle mit der Folge, dass auch den
Kindern Leistungen zugesprochen werden müssten.
Der Antragsgegner trägt vor, er gewähre gemäß dem sozialgerichtlichen Beschluss nur den Antragstellern E H und Q M C die Regelleistungen
gemäß § 20 SGB II. Für die in der Bedarfsgemeinschaft lebende Tochter und den in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn sei kein Antrag auf
Gewährung von Leistungen im vorläufigen Rechtsschutz gestellt worden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Antragsteller bereits nicht dagegen, dass das SG einen Anordnungsgrund bezogen auf die Kosten der Unterkunft verneint und den einstweiligen Rechtsschutzantrag deswegen insoweit
abgelehnt hat.
Überdies ergibt sich aus der Beschwerdebegründung der Antragsteller auch gerade keine für die Annahme eines Anordnungsgrundes
erforderliche Gefährdung der Unterkunft der Antragsteller.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Abwendung wesentlicher Nachteile zulässig. In Verfahren des Eilrechtsschutzes ist insoweit
zu den Kosten der Unterkunft auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Relevante Nachteile können hierbei nicht nur in einer
Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gibt vielmehr die Übernahme der "angemessenen" Kosten vor und dient im Zusammenwirken mit anderen Leistungen dazu, über die
Verhinderung der bloßen Obdachlosigkeit hinaus das Existenzminimum sicherzustellen (vgl. BVerfGE 125, 175 (228)). Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten (vgl. in
diesem Zusammenhang BSG, Urteil vom 7. November 2006, R 7b AS 18/06 R, Rn. 21 - zit. nach [...] -). Daher ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen
der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger
Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte (BVerfG, Beschluss vom 01.08.2017, 1 BvR 1910/12, S. 4 f.).
Ein solcher Wohnungsverlust droht aber gerade nicht. Vielmehr geht nach eigenem Vortrag der Antragsteller zu 2) seit dem 07.07.2017
einer Vollzeitbeschäftigung nach, sodass die Miete laufend bezahlt wird und die Mietrückstände in Raten abgetragen würden.
2. Entgegen der Auffassung der Antragsteller hat das SG mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht nicht auch über die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die in Bedarfsgemeinschaft mit den Antragstellern lebenden Kinder entschieden. Denn die rechtsanwaltlich vertretenen
Antragsteller haben insoweit vor dem SG bereits keinen Antrag gestellt, über den dieses im einstweiligen Anordnungsverfahren hätte entscheiden können. Der Ausspruch
des SG verstößt deshalb gerade nicht gegen §
123 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Danach entscheidet das Gericht über die von den Antragstellern erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden
zu sein. Bei einem von einem Rechtsanwalt oder einem anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten gestellten Antrag ist
in der Regel anzunehmen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
30.11.2015, L 19 AS 1713/15 B ER, Rn. 18 - zitiert nach [...] - unter Hinweis auf BSG, Beschluss vom 05.06.2014, B 10 ÜG 29/13 B).
Die Kinder der Antragsteller sind nicht Beteiligte des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung
betreffend Leistungen nach dem SGB II ist ausschließlich von den anwaltlich vertretenen Antragstellern gestellt worden. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut
der Antragsschrift und dem Charakter der Leistungsansprüche nach dem SGB II als Individualansprüche eines jeden einzelnen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 23.05.2013, B 4 AS 67/12 R) ist die rechtsanwaltlich verfasste Antragsschrift auch nicht im Wege des Meistbegünstigungsgrundsatzes dahingehend auslegbar,
dass neben den Antragstellern auch deren Kinder einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt hätten (vgl. dazu Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rn. 18). Die Regelung des § 38 Abs. 1 SGB II (Bevollmächtigungsvermutung) erfasst ausschließlich das Verwaltungsverfahren, nicht dagegen das gerichtliche Verfahren (BSG, Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 54/08 R, und Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
4. Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war mangels hinreichender Erfolgsaussicht gemäß §§ 73a
SGG, 114
Zivilprozessordnung (
ZPO) nicht zu bewilligen.
5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).