Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs gegen eine Honorarrückforderung in
Höhe von 190.496,26 EUR infolge sachlich-rechnerischer Richtigstellung.
Die 1948 geborene Antragstellerin ist in L als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe niedergelassen und zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Seit dem 1. Januar 2017 ist sie in einer Berufsausübungsgemeinschaft tätig.
Im Anschluss an die Einleitung einer Plausibilitätsprüfung betreffend die von der Antragstellerin abgerechneten Leistungen
weiterführender sonographischer Diagnostik im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge nach Gebührenordnungsposition (GOP) Nr. 01773 Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM), Nr. 01774 EBM und Nr. 01775 EBM hob die Antragsgegnerin die der Antragstellerin
für die Quartale II/2014 bis I/2018 erteilten Honorarbescheide teilweise in Höhe von 190.201,03 EUR auf und forderte die Rückzahlung
dieses Betrages (Bescheid vom 8. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2019).
Zur Begründung bezog sich die Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid im Wesentlichen auf 16 von ihr geprüfte Fälle. In sechs
dieser Fälle seien die genannten GOPen in Ansatz gebracht worden, obwohl zuvor bereits keine Auffälligkeiten festgestellt
worden seien. In den übrigen Fällen liege die nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Gendiagnostikgesetz (GenDG) erforderliche schriftliche Einwilligung in die vorgenommene genetische, regelmäßig auf die Abklärung nicht näher bezeichneter
"Fehlbildungen" gerichtete Untersuchung nicht vor. In einem solchen Fall sei der Leistungsinhalt wegen Verletzung der Dokumentationspflicht
nicht vollständig erbracht.
Die Antragstellerin habe demnach für die Quartale II/2014 bis I/2018 zu Unrecht Honorare erhalten. Die sachlich-rechnerische
Fehlerhaftigkeit der Abrechnung habe zur Folge, dass die Honorarbescheide für die Quartale, in denen die Leistungen vergütet
worden seien, rechtswidrig seien. Bei der Neufestsetzung des Honorars stehe ihr, der Antragsgegnerin, ein weites Schätzungsermessen
zu. Vorliegend seien die beanstandeten GOPen für die genannten Quartale wegen des evident fehlerhaften Ansatzes daher (insgesamt)
zu berichtigen gewesen.
Am 17. Januar 2019 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Der Bescheid sei bereits wegen nicht gewährter
zweiter Akteneinsicht formal fehlerhaft. Darüber hinaus sei er auch materiell rechtswidrig. Die Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit der Abrechnungen nach §
106d Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) betreffe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zwar auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche
Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet habe (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Juni 2010, B 6 KA 7/09 R). Voraussetzung sei jedoch, dass diese Vorschriften einen unmittelbaren vertragsärztlichen Bezug hätten. Ein derartiger Bezug
sei vorliegend bereits nicht zu erkennen. Verstoße ein Arzt hingegen gegen das GenDG, werde dies nach §§ 25, 26 GenDG geahndet. Es sei demgegenüber nicht Aufgabe des Vertragsarztrechtes, dies zusätzlich mit Honorarkürzungen zu sanktionieren.
Insbesondere gehe die Ansicht fehl, dass sich jede Ultraschalluntersuchung nach den Mutterschafts-Richtlinien als genetische
Untersuchung i.S.d. GenDG darstelle. Bereits der Wortlaut des § 3 Abs. 1 GenDG, der zur Definition der genetischen Untersuchung maßgeblich auf den Untersuchungszeck abstelle, zeige, dass eine genetische
Untersuchung erst dann vorliege, wenn der Zweck der Untersuchung auf die Bestimmung genetischer Eigenschaften ausgerichtet
sei. Die mittels der GOPen Nr. 01773 bis 01775 EBM abgerechneten Ultraschalluntersuchungen seien aber nicht per se als genetische
Untersuchung in diesem Sinn einzuordnen. Der Vollzug des Bescheides würde zudem eine unbillige Härte für die Antragstellerin
bedeuten.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2018 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hat auf ihren Bescheid verwiesen und ergänzend vorgetragen: In den Mutterschafts-Richtlinien, auf welche die GOPen 01773
bis 01775 EBM jeweils Bezug nähmen, werde u.a. darauf verwiesen, dass bei genetischen Untersuchungen bzw. Beratungen die Vorgaben
des GenDG gälten. Nach § 8 GenDG werde eine vorherige ausdrückliche schriftliche Einwilligung in Untersuchungen gefordert. Der Begriff der genetischen Untersuchung
sei dabei weit gefasst. § 1 Abs. 1 Satz 1 GenDG reduziere im Hinblick auf Satz 2 die Einwilligung nicht auf den Fall der Probeentnahme. Es sei davon auszugehen, dass bei
jeglicher genetischen Untersuchung im weitesten Sinne eine Einwilligung erforderlich sei. Entsprechende Einwilligungen habe
die Antragstellerin nicht vorlegen können. Darüber hinaus fehle es an einer entsprechenden Indikation für die weiterführende
sonographische Diagnostik. So laute oftmals das Ergebnis der jeweiligen Untersuchung, dass es sich um einen unauffälligen,
zeitgerecht entwickelten Fetus handele.
Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2018 angeordnet (Beschluss vom 14. Februar
2019). Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Gegen den ihr am 15. Februar 2019 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 4. März 2019 Beschwerde eingelegt. Sie
wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Unrichtig sei, dass lediglich die GOP 01773 EBM auf die Mutterschafts-Richtlinien Bezug nehme. Bei den GOP 01774 und 01775 EBM sei dies ebenfalls der Fall. Nach Anlage 1d der Mutterschafts-Richtlinien sei die Anwendung der Dopplersonographie
als Maßnahme der Mutterschaftsvorsorge nur bei einer oder mehreren der dort aufgeführten Indikationen und - mit Ausnahme der
Fehlbildungsdiagnostik - nur in der zweiten Schwangerschaftshälfte zulässig. Diese Indikationen seien dem GenDG zuzuordnen, da gemäß § 3 Nr. 1 GenDG eine genetische Untersuchung eine auf den Untersuchungszweck gerichtete genetische Analyse zur Feststellung genetischer Eigenschaften
oder vorgeburtlicher Risikoabklärung sei. Die vorgeburtliche Risikoabklärung wiederum stelle nach § 3 Nr. 3 GenDG eine Untersuchung des Embryos oder Fötus dar, mit der die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen bestimmter genetischer Eigenschaften
mit Bedeutung für eine Erkrankung oder gesundheitlichen Störung des Embryos oder Fötus ermittelt werden sollen. Die seitens
der Antragstellerin im Rahmen der Plausibilitätsprüfung angegebenen Diagnosen und Untersuchungen fielen unter diesen Katalog,
weshalb das GenDG einschlägig sei. In den geprüften insoweit beanstandeten Fällen seien eindeutig gendiagnostische Beratungen und/oder Untersuchungen
durchgeführt worden. Ferner sei das SG nicht auf den Vortrag eingegangen, dass es in sechs näher bezeichneten Fällen an den Indikationen zum Ansatz der im Streit
stehenden Abrechnungsziffern fehle. Gründe, die eine unbillige Härte für die Antragstellerin rechtfertigen könnten, seien
nicht dargetan. Die Vollstreckung der Forderung sei zunächst bis einschließlich März 2019 ausgesetzt worden. Im Anschluss
bestehe die Möglichkeit, einen ratierlichen Ausgleich zu vereinbaren.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichtes Düsseldorf vom 14. Februar 2019 zu ändern und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Klage abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Es bestehe kein öffentliches Interesse an einem Sofortvollzug,
da von der Rechtswidrigkeit des Bescheides auszugehen sei. Zur Begründung verweist sie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Es treffe darüber hinaus nicht zu, dass in den genannten zehn Fällen eindeutig gendiagnostische Beratungen und/oder Untersuchungen
durchgeführt worden seien. Zudem müsse die Klärung der Indikationen notwendigerweise dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben,
da dies den Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung sprenge (Verweis auf Senat, Beschluss vom 2. Januar
2018, L 11 KA 29/17 B ER).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die am 4. März 2019 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den ihr am 15. Februar 2019 zugestellten Beschluss
des SG Düsseldorf vom 14. Februar 2019 ist zulässig, insbesondere gemäß §
172 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht (§
173 Satz 1, §
64 Abs.
1, Abs.
2, §
63 SGG) eingelegt worden.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht entsprochen.
a) Der Antrag ist zunächst zulässig. Insbesondere verfügt die Antragstellerin über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
aa) Sie hat mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 die Antragsgegnerin um Aussetzung der Vollziehung gebeten. Dem ist die Antragsgegnerin
für die Zeit (lediglich) bis zum 31. März 2019 nachgekommen.
bb) Dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin steht auch nicht der zwischenzeitliche Erlass des Widerspruchsbescheides
vom 10. April 2019 entgegen. Die Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG anzuordnen, stellt im Ergebnis die Situation her, die ohne die Ausnahmetatbestände des §
86a Abs.
2 SGG im Fall von Widerspruch und Klage nach §
86a Abs.
1 Satz 1
SGG bestünde. Danach haben Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des jeweiligen Bescheides
(vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 2.7.2012, L 8 R 1133/11 B ER, juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 20.3.2006, L 8 AS 369/06 ER-B, juris; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 13. Auflage 2020, §
86b Rn. 19).
b) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet.
aa) Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben,
diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt bei Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheiden
kraft Gesetzes gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG, §
87b Abs.
2 Satz 6
SGB V.
Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer
umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung
des Verwaltungsaktes andererseits. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten zunächst im Vordergrund: Am Vollzug eines
offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht kein öffentliches Interesse. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse
grundsätzlich, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich,
müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei kommt
in Anlehnung an den Rechtsgedanken des §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG vor allem dem Grad der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides Relevanz zu. Daneben können aber auch wirtschaftliche
Gesichtspunkte abhängig davon eine Rolle spielen, in welchem Umfang die sofortige Vollziehung für den Adressaten des Bescheides
eine besondere Härte darstellt (vgl. zu diesen Kriterien Senat, Beschluss vom 20 März 2019 - L 11 KA 76/18 B ER - GesR 2019, 446 ff.; Beschluss vom 22. Mai 2019 - L 11 KA 70/18 B ER - MedR 2020, 248 ff.; jeweils m.w.N.).
bb) Ausgehend von diesen Maßstäben war die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Rechtsbehelfe im vorliegenden
Fall anzuordnen, weil erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen.
(1) Rechtsgrundlage für die nachgehende sachlich-rechnerische Richtigstellung ist §
106d Abs.
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V (in der hier noch maßgeblichen Fassung von Art. 2 Nr. 9 des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom 16. Juli 2015 [BGBl. I, 1211]). Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung
die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Die damit verbundene Prüfung zielt auf
die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen
Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 13. Mai 2020 - B 6 KA 24/18 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, Urteil vom 24. Oktober 2018 - B 6 KA 42/17 R - SozR 4-2500 § 106a Nr. 19). Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann angezeigt, wenn die abgerechneten
Leistungen nicht die Vorgaben des EBM erfüllen (BSG, Urteil vom 16. Mai 2018 - B 6 KA 16/17 R - SozR 4-5531 Nr. 33076 Nr. 1; Urteil vom 11. September 2019 - B 6 KA 22/18 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; Urteil vom 13. Februar 2019 - B 6 KA 56/17 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-5531 Nr. 30790 Nr. 1 vorgesehen). Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch bei bereits
erlassenem Honorarbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit (nachgehende Richtigstellung). Sie löst in diesem Fall eine Rückzahlungsverpflichtung
des Honorarempfängers aus (vgl. zu beidem näher BSG, Urteil vom 24. Oktober 2018 - B 6 KA 34/17 R - SozR 4-2500 § 106d Nr. 2; Urteil vom 13. Februar 2019 - a.a.O.).
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das Verfahren auf sachlich-rechnerische Richtigstellung durch eine Plausibilitätsprüfung
eingeleitet wird. Diese ersetzt nämlich das Verfahren auf sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht. Erst wenn die Kassenärztliche
Vereinigung aufgrund der Plausibilitätsprüfung allein oder in Verbindung mit weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis kommt,
dass die Leistungen fehlerhaft abgerechnet worden sind, führt sie ein Verfahren der sachlich-rechnerischen Berichtigung durch
(vgl. §
5 Abs.
2 der auf der Grundlage von §
106d Abs.
6 Satz 1
SGB V zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband vereinbarten Abrechnungsprüfungs-Richtlinien [DÄ
2018, A-600 ff.]).
(2) Danach durfte die Antragsgegnerin zwar überprüfen, ob die nach den Leistungslegenden der genannten GOPen Nr. 01773 bis
01775 EBM zu beachtenden Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen der weiterführenden sonographischen Diagnostik
vorlagen. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, dass sie die Nichterfüllung dieser Voraussetzungen deshalb annehmen
durfte, weil in den von ihr geprüften Fällen keine Einverständniserklärung nach § 8 Abs. 1 GenDG vorlag.
(a) Eine Gebührenordnungsposition ist nur dann berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden ist
(Abschn. I. Ziff. 2.1. Satz 1 EBM). Nach Ziff. 2.1 Satz 5 EBM ist die Vollständigkeit der Leistungserbringung dann gegeben,
wenn die obligaten Leistungsinhalte erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten
Dokumentationspflichten - auch die der Patienten- bzw. Prozedurenklassifikation (z. B. OPS, ICD 10) - erfüllt sowie die erbrachten
Leistungen dokumentiert sind.
(b) Die GOPen Nr. 01773 bis 01775 EBM haben ihrem Wortlaut nach folgenden obligatorischen Leistungsinhalt:
GOP Nr. 01773 (weiterführende sonographische Diagnostik II) - sonographische Untersuchungen zur differentialdiagnostischen Abklärung
und/oder Überwachung von pathologischen Befunden bei Vorliegen der Indikationen gemäß Anlage 1c II.2 der Mutterschafts-Richtlinien
- Bilddokumentation
GOP Nr. 01774 (weiterführende sonographische Diagnostik des fetalen kardiovaskulären Systems bei Verdacht auf Fehlbildung oder
Erkrankung der Föten gemäß Anlage 1d der Mutterschafts-Richtlinien) - farbcodierte duplexsonographische Echokardiographie(n)
- Bilddokumentation
GOP Nr. 01775 (weiterführende sonographische Diagnostik des fetomaternalen Gefäßsystems bei Verdacht auf Gefährdung oder Schädigung
des Föten durch die in Anlage 1d der Mutterschafts-Richtlinien aufgeführten Indikationen) - farbcodierte duplexsonographische
Untersuchung(en) des fetomaternalen Gefäßsystems - Bilddokumentation.
(c) Für die Auslegung dieser wie aller vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist in erster Linie der Wortlaut der Regelungen
maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen
von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM - also des Bewertungsausschusses gemäß
§
87 Abs
1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als
einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse oder
Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau
der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines
Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei
unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen
die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben (BSG, Urteil vom 11. Februar 2015, B 6 KA 15/14 R - SozR 4-2500 § 106a Nr. 13; BSG, Urteil vom 13. Februar 2019 - B 6 KA 56/17 R - a.a.O.; BSG, Urteil vom 11. September 2019 - B 6 KA 22/18 R - a.a.O.; jeweils m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen des Honorarverfahrens (vgl. bereits BSG, Urteil vom 31. Januar 2001 - B 6 KA 5/00 R - SozR 3-5533 Nr. 7103 Nr. 1).
(d) Ausgehend vom Wortlaut ist weder die Erteilung noch die Dokumentation eventuell nach § 8 Abs. 1 GenDG erforderlicher Einverständniserklärungen Teil der Leistungslegende der genannten GOPen.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Verweis der GOPen auf die in den jeweiligen Anlagen der Mutterschafts-Richtlinien
des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) genannten Indikationen. Denn in diesen Indikationen wird die Erteilung einer Einverständniserklärung
ebenfalls nicht vorausgesetzt. Das gilt auch für GOP Nr. 01773 EBM, die auf Ziff. II.2 der Anlage 1c der Mutterschafts-Richtlinien verweist. In diesem genau bezeichneten Abschnitt
werden lediglich Indikationen bezeichnet, nämlich eine gezielte Ausschlussdiagnostik bei erhöhtem Risiko für Fehlbildungen
oder Erkrankungen des Fetus aufgrund von a) ultraschalldiagnostischen Hinweisen, b) laborchemischen Befunden, c) genetisch
bedingten und familiär gehäuften Erkrankungen oder Fehlbildungen in der Familienanamnese und d) teratogenen Noxen oder als
Alternative zur invasiven pränatalen Diagnostik. Auf den sich anschließenden Absatz "Aufklärung und Beratung gemäß § 2a Abs. 1 SchKG" und die darin enthaltene Bezugnahme auf das GenDG verweist GOP Nr. 01773 EBM demgegenüber gerade nicht [vgl. hierzu auch unter (e) (aa)].
Im Übrigen spricht der Umstand, dass in allen drei GOPen Dokumentationsleistungen (nämlich die Bilddokumentation) zum obligatorischen
Leistungsinhalt gehört, dagegen, dass weitere - nicht ausdrücklich genannte - Dokumentationspflichten für eine vollständige
Leistungserbringung im Sinne des EBM erfüllt sein müssen. Schließlich ist - im Rahmen der zurückhaltend vorzunehmenden systematischen
Betrachtung der Gebührentatbestände - zu berücksichtigen, dass z.B. GOP Nr. 01727, der eine gezielte molekulargenetische Untersuchung und insoweit eine ähnliche Früherkennungs- bzw. Vorsorgeleistung
betrifft, ausdrücklich den Nachweis einer vorliegenden Einwilligung der Personensorgeberechtigten als Abrechnungsvoraussetzung
bestimmt, während eine solche Regelung bei den GOPen Nr. 01773 bis 01775 EBM fehlt.
(e) Etwas anderes folgt auch nicht aus Abschn. II. 1.7 EBM. Diese Vorschrift bestimmt u.a. für Leistungen der Mutterschaftsvorsorge
in Nr. 1, dass für die Berechnung der in dem betreffenden Abschnitt genannten GOPen die entsprechenden Richtlinien des G-BA
maßgeblich sind und in Nr. 2, dass die gemäß diesen Richtlinien vorgeschriebenen (Bild-)Dokumentationen, notwendigen Bescheinigungen
und Ultraschalluntersuchungen - soweit sie nicht gesondert aufgeführt sind - Bestandteil der GOPen sind.
Eine Einwilligungserklärung, wie sie § 8 Abs. 1 GenDG vorschreibt, ist schon begrifflich keine Dokumentation oder Bescheinigung im Sinne dieser Bestimmung. Einer extensiven Auslegung
oder gar analogen Anwendung von Abschn. II 1.7. Nr. 2 EBM auf solche Erklärungen stehen schon die dargestellten, für Gebührentatbestände
maßgeblichen Auslegungsregeln entgegen.
Abgesehen davon enthält lediglich Anlage 1c Mutterschafts-Richtlinien, auf die GOP Nr. 01773 EBM verweist, unter "Aufklärung und Beratung gemäß § 2a Abs. 1 SchKG" den abschließenden Hinweis "Für genetische vorgeburtliche Untersuchungen gelten die Vorgaben des GenDG", indessen ohne jegliche gesonderte Bezugnahme auf die Notwendigkeit der Dokumentation einer Einverständniserklärung. Dass
auf diese Weise die Erteilung einer solchen Erklärung und deren Dokumentation seitens des G-BA zur Voraussetzung für die Abrechenbarkeit
einer vertragsärztlichen Leistung gemacht werden sollte, begegnet zumindest erheblichen Zweifeln. Mit Blick auf GOP Nr. 01774 und 01775 EBM verstärken sich diese Zweifel insofern, als dort das GenDG mit keinem Wort in Bezug genommen wird.
(f) Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die hier betroffenen Leistungen der weiterführenden sonographischen Diagnostik
aus anderen Gründen nur unter der Voraussetzung einer (ggf. erforderlichen) Einverständniserklärung nach § 8 Abs. 1 GenDG zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.
(aa) Zwar kann die Erfüllung von Dokumentationspflichten zu den Voraussetzungen zählen, unter denen eine Leistung in der gesetzlichen
Krankenversicherung erbracht und abgerechnet werden darf (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 13. Februar 2019 - B 6 KA 56/17 R - a.a.O. - zu Akupunkturleistungen). Voraussetzung ist dann jedoch, dass derartige Verpflichtungen in entsprechenden krankenversicherungs-
bzw. vertragsarztrechtlichen Bestimmungen hinreichend deutlich normiert sind, woran es aus den dargelegten Gründen hier gerade
fehlt.
(bb) Im Übrigen vertritt zwar der 1. Senat des BSG für den Bereich der stationären Versorgung die Auffassung, bei fehlender (wirksamer) Einverständniserklärung des Versicherten
mit einer Behandlungsmaßnahme entstehe kein Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse (vgl. BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 - B 1 KR 3/19 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 2 Nr. 14 vorgesehen; vgl. auch BSG, Urteil vom 19. März 2020 - B 1 KR 20/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen). Ob diese Rechtsprechung indessen auch auf den vertragsärztlichen Bereich
übertragen werden kann, erscheint zumindest sehr zweifelhaft (vgl. Clemens in jurisPK-
SGB V, 4. Aufl. 2020, §
106d Rn. 195 ff.).
(g) Angesichts dessen kann im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz letztlich dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen
eine sonographische Untersuchung als genetische Untersuchung zur vorgeburtlichen Risikoabklärung i.S.v. § 3 Nr. 1 Buchst. b), Nr. 3 GenDG anzusehen ist und die Einverständnispflicht nach § 8 Abs. 1 GenDG auslöst. Nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 3 GenDG kommt es allerdings darauf an, dass die Untersuchung die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen bestimmter genetischer Eigenschaften
ermitteln soll. Ob eine Untersuchung zur Abklärung des Vorliegens einer Fehlbildung diese Voraussetzung automatisch erfüllt,
ist angesichts der Möglichkeit spontaner, nicht genetisch bedingter Fehlbildungen sowie von Fehlbildungen aufgrund exogener
Faktoren (z.B. Medikamente, Infektionskrankheiten der Mutter) mindestens zweifelhaft. Die insoweit getroffenen Feststellungen
der Antragsgegnerin reichen jedenfalls voraussichtlich nicht aus, die Notwendigkeit einer Einverständniserklärung gemäß §
8 Abs. 1 GenDG in jedem von ihr angenommenen Fall zu rechtfertigen.
(3) Demgegenüber erscheint es nachvollziehbar, dass die Antragstellerin jedenfalls in einzelnen Fällen die GOPen Nr. 01773
bis 01775 EBM abgerechnet hat, ohne dass die dafür in den Leistungslegenden unter Verweisung auf die Anlagen 1c und 1d der
Mutterschafts-Richtlinien genannten Indikationen erfüllt waren. Der Senat nimmt insoweit auf die Feststellungen der Antragsgegnerin
zu den Beispielfällen im Widerspruchsbescheid Bezug. Gleichwohl rechtfertigt dieser Umstand es nicht, die vorläufige Vollstreckbarkeit
des angefochtenen Bescheides - teilweise - aufrechtzuerhalten.
Die Antragsgegnerin bezieht sich für ihre Befugnis, die gegenüber der Antragstellerin ergangenen Honorarbescheide (teilweise)
aufzuheben und das Honorar im Wege der Schätzung neu festzusetzen, auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. September 1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5550 § 35 Nr. 1). Diese setzt jedoch nicht nur die Unrichtigkeit der dem Honorarbescheid zugrunde liegenden Abrechnungs-Sammelerklärung
voraus, sondern auch, dass der Vertragsarzt sie grob fahrlässig falsch abgegeben hat. Hierzu hat der angefochtene Bescheid
indessen keine Feststellungen getroffen.
Im Übrigen sind die Tatsachengerichte zwar berechtigt und verpflichtet, ggf. eigene Schätzungen vorzunehmen. Fehlt indessen
- wie hier - im angefochtenen Bescheid jegliche Schätzungsgrundlage, die es dem Senat ermöglichen würde, ohne umfangreiche
Ermittlungen, die im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz nicht stattfinden können, den Umfang derjenigen abgerechneten
Leistungen festzustellen, die aufgrund fehlender bzw. unzureichender Indikationsstellung zu Unrecht abgerechnet worden sind,
ist es im Rahmen des von §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG eingeräumten gerichtlichen Ermessens gerechtfertigt, die aufschiebende Wirkung insgesamt anzuordnen.
Eine Entscheidung über den Streitwert ergeht nach gesonderter Anhörung.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).