Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über die Frage, ab wann bei der Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen ist.
Die 1950 geborene Klägerin stellte am 06.08.2007 erstmals einen Feststellungsantrag nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch
(
SGB IX) u.a. wegen Rückenschmerzen und depressiver Beschwerden. Das zuständige Versorgungsamt L stellte mit Bescheid vom 27.11.2007
bei der Klägerin einen Gesamt-Grad der Behinderung (Gesamt-GdB) von 40 fest. Die zu Grunde liegende versorgungsärztliche Stellungnahme
ging von einem Einzel-GdB von 40 für die Depressionen der Klägerin sowie von einem Einzel-GdB von 10 jeweils für ihren Bluthochdruck
und für ein degeneratives Wirbelsäulenleiden aus.
Auf den am 18.06.2009 gestellten Änderungsantrag, den die Klägerin u. a. mit Rücken- und Nacken- sowie Gelenk- und Kopfschmerzen
begründete, schlug der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten weiterhin einen Gesamt-GdB von 40 vor. Dabei bewertete er
die psychischen Störungen der Klägerin nur noch mit einem Einzel-GdB von 30, ihr chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Nervenwurzelreizerscheinungen
mit einem Einzel-GdB von 20 sowie ihre Fingerpolyarthrose, ihre Handgelenksarthrose, ihren Hüftgelenksverschleiß und die Blasenschwäche
jeweils mit einem Einzel-GdB von 10.
Mit Bescheid vom 06.10.2009 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 27.11.2007 auf und stellte ab dem 18.06.2009 bei der
Klägerin einen Gesamt-GdB von 40 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest.
Ihren rechtzeitig eingelegten Widerspruch ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten damit begründen, insbesondere
ihre Depression sei bislang nicht ausreichend gewürdigt. Dasselbe gelte für die Beeinträchtigung ihrer Greiffähigkeit.
Mit Bescheid vom 31.03.2010 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hat am 23.02.2010 einen Antrag auf Rente für Schwerbehinderte gleichzeitig mit ihrem Antrag auf Altersrente für
Frauen gestellt. Sie bezieht seit Juni 2010 Altersrente für Frauen.
Mit ihrer am 26.04.2010 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ab
Juni 2009 weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten auf psychiatrischem, orthopädischem
und internistischem Gebiet.
Der Psychiater Dr. E stellte bei der Klägerin eine wiederkehrende depressive Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen
Episode fest, für die er einen Einzel-GdB von 30, wie im Bescheid vom 06.10.2009 zu Grunde gelegt, vorschlug.
Der Orthopäde Dr. X stellte in seinem Gutachten vom 31.10.2010 die Diagnosen:
- radiale Handwurzelarthrose sowie Daumengelenksarthrose rechts stärker als links mit Störung der Greiffunktion
- degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit deutlicher Störung der lumbalen Beweglichkeit und beginnender Arthrose beider Hüftgelenke.
Für die Arthrose der Hand- und Daumengelenke schlug er einen Einzel-GdB von 20 und für die Einschränkung der Funktionsbeeinträchtigung
der Wirbelsäule ebenfalls einen Einzel-GdB von 20 vor.
Der um einen Vorschlag für die Bildung des Gesamt-GdB gebetene internistische Sachverständige Dr. L stellte, bezogen auf das
eigene Fachgebiet, keine relevanten Funktionseinschränkungen fest. Zum Zusammenspiel der Funktionsbeeinträchtigungen führte
er aus, die psychischen Beeinträchtigungen und Beschwerden von Seiten des Halte- und Bewegungsapparates der Klägerin könnten
sich als eine negative Rückkopplung der empfundenen Schmerzauswirkungen aufgrund der psychischen Beeinträchtigungen auswirken.
Jedoch seien die strukturellen Störungen im Bereich der Wirbelsäule und der oberen Extremitäten gesondert zu werten. Ein Gesamt-GdB
von 50 lasse sich unter Berücksichtigung der Zusatzgutachten nicht begründen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 28.02.2011 hat das Sozialgericht Köln die auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft
gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen. Es ist dabei von einem Einzel-GdB von 30 für das Funktionssystem Psyche, sowie von
einem Einzel-GdB von je 20 für das Funktionssystem Wirbelsäule und für das Funktionssystem Arme ausgegangen. Wegen der nur
leichten Funktionsbeeinträchtigung an Rumpf und Armen sei es gerechtfertigt, den Einzel-GdB von 30 für das System Psyche um
10 auf insgesamt 40 zu erhöhen. Eine Schwerbehinderung der Klägerin sei dagegen nicht festzustellen.
Mit ihrer gegen das am 28.03.2011 zugestellte Urteil am 12.04.2011 eingelegten Berufung rügt die Klägerin, schon aufgrund
der vom Sozialgericht zu Grunde gelegten Einzel-GdB-Werte sei eine Schwerbehinderung festzustellen. Die Bildung des Gesamt-GdB
durch das SG verkenne die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW). Danach sei aus einer Gesundheitsstörung
mit einem Einzel-GdB von 30 sowie zusätzlich zwei Gesundheitsstörungen mit Einzel-GdB von 20, die unabhängig nebeneinander
stünden, ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden. Wie sich zudem aus dem Aufsatz von Benz (Die Sozialgerichtsbarkeit - SGb - 2011,
S. 625 ff.) ergebe, seien die überkommenden Regeln für die Bildung des Gesamt-GdB seit Erlass der Versorgungsmedizin-Verordnung nicht mehr anwendbar. Vielmehr müssten sich nebeneinander stehende Einzel-GdB stets erhöhend auswirken.
Schließlich ergebe sich aus den vom behandelnden Orthopäden Dr. I übersandten Befundberichten, dass die Klägerin schon im
Juni 2009 an anhaltenden Nacken- und Halswirbelsäulenschmerzen gelitten habe und daher bereits in diesem Zeitpunkt ein Einzel-GdB
von 30 allein für ihre Halswirbelsäule angemessen gewesen sei.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
1.
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.02.2011 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 06.10.2009
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2010 zu verurteilen, bei der Klägerin einen GdB von mindestens 50 ab Antragstellung
nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen festzustellen,
2.
hilfsweise darüber Beweis zu erheben, inwieweit nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) eine Unterteilung der Einzel-GdB-Werte in schwache, mittlere und starke zulässig ist und bei der Bildung der Gesamt-GdB
eine solche weitere Unterteilung berücksichtigt werden darf durch Einholung einer Auskunft beim Verordnungsgeber,
3.
weiter hilfsweise den vom erkennenden Senat gehörten Gutachter L zu befragen, aufgrund welcher sozialmedizinischer Erfahrung
gemäß A 3. b) der gemeinsamen Grundsätze der VersMedV er Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen vermag, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind,
4.
weiter hilfsweise darüber Beweis zu erheb, welche konkreten sozialmedizinischen Erfahrungen im Sinne von A 3. b) der VersMedV erforderlich sind, um Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind,
durch Nachfrage beim Versorgungsgeber bzw. dem Sachverständigen Beirat Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit
und Soziales.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer weiteren Stellungnahme des Internisten Dr. L zur Frage des Gesamt-GdB sowie
von Befundberichten des behandelnden Orthopäden Dr. I. Dr. L ist in seiner Stellungnahme vom 22.07.2011 bei seiner Bewertung
des Gesamt-GdB der Klägerin mit 40 geblieben, weil es an einer Vergleichbarkeit der Klägerin mit Behinderten fehle, für deren
Leiden ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen sei.
Dr. I hat mit Schreiben vom 15.05.2012 mitgeteilt, wenn überhaupt klinisch möglich sei bei der Klägerin von einer deutlichen
Beschwerdezunahme an der Halswirbelsäule zum März 2011 zu sprechen.
Der Beklagte hat in der mündlichen Senatsverhandlung vom 29.06.2012 einen Gesamt-GdB der Klägerin von 50 ab Juni 2011 anerkannt.
Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Gerichtsakten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Soweit der Rechtsstreit ursprünglich auch die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin über den Juni 2011
hinaus zum Inhalt hatte, hat er sich nach §
101 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in der Hauptsache erledigt, weil die Klägerin das entsprechende Teilanerkenntnis des Beklagten in der mündlichen Senatsverhandlung
angenommen hat.
Im Übrigen, soweit die Klägerin mit ihrer Berufung darüber hinaus die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bereits
ab Stellung ihres Änderungsantrages im Juni 2009 begehrt, ist die Berufung zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen
Anspruch darauf, dass der Beklagte bereits ab diesem Zeitpunkt bei ihr die Schwerbehinderteneigenschaft feststellt. Der Bescheid
des Beklagten vom 06.10.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2010 ist insoweit rechtmäßig und verletzt
die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. §
54 Abs.
2 SGG.
Der Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung eines höheren GdB als durch den Bescheid vom 27.11.2007 festgestellt bestimmt sich
nach § 48 Abs. 1 SGB Zehntes Buch (X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass
eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt aufzuheben
entweder mit Wirkung für die Zukunft (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X) oder unter den Vorrausetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 4 SGB X vom Zeitpunkt dieser Veränderung. Zur Überzeugung des Senats lässt sich aber nicht feststellen, dass sich der Gesundheitszustand
der Klägerin und damit die tatsächlichen Verhältnisse, die dem Bescheid vom 27.11.2007 als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
zu Grunde lagen, bezogen auf den Gesamt-GdB bereits vor Juni 2011 im Zeitpunkt des Änderungsantrags bzw. des Rentenantrags
im Februar 2010 wesentlich im Sinne der Schwerbehinderung verschlechtert hat.
Nach §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden
abgestuft von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden festgestellt, §
69 Abs.
1 Satz 1 und Satz 4
SGB IX (in der für den streitbefangenen Zeitraum einschlägigen Fassung vom 21.12.2007). Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten für diese Feststellung die Maßstäbe der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG (seit 01.07.2011 § 30 Abs. 16 BVG) erlassenen Rechtsverordnung (VersMedV vom 10.12.2008) und insbesondere ihrer Anlage 2 (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG) entsprechend. Die Bemessung des
(Gesamt-)GdB ist dabei in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (BSG, Beschl. v. 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 b, [...] Rn. 5 m.w.N.). In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen
Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden
Zuständen gemäß §
2 Abs.
1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den
VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der
Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen
Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche (Gesamt-)GdB zu bilden (BSG, Urt. v. 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R, [...] Rn. 18 m.w.N.). Außerdem sind nach Teil A Nr. 3 b VG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen,
für die in der Tabelle der VG feste GdB-Werte angegeben sind (BSG, Urt. v. 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R, [...] Rn. 25).
Die führende Gesundheitsstörung, von der nach den genannten Grundsätzen bei der Bildung des Gesamt-GdB auszugehen ist, bestand
bei der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum im Funktionssystem Psyche und war mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten.
Nach Teil B Nr. 3.7 VG sind stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit
wie z.B. ausgeprägte depressive Störungen mit einem Einzel-GdB von 30-40 zu bewerten. Nach der für den Senat im Ergebnis überzeugenden
und von den Beteiligten auch nicht infrage gestellten Einschätzung des vom Sozialgericht gehörten Sachverständigen Dr. E war
bei der Klägerin deshalb für das Funktionssystem Psyche ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Der Sachverständige hat bei der
Klägerin eine wiederkehrende depressive Episode mit mittelgradigen Ausprägungen festgestellt, die zu Interessenverlust, Freudlosigkeit,
erhöhter Ermüdbarkeit und Schlafstörungen führte. Dem entsprach die Beschwerdeschilderung der Klägerin, nicht mehr lebenslustig
zu sein, kaum noch Freude empfinden zu können und an eingeschränktem Antrieb und Konzentration zu leiden sowie nachts schlecht
zu schlafen. Allerdings deutet der vom Sachverständigen erhobene Befund nicht auf eine besonders schwerwiegende Einschränkung
der Erlebnisfähigkeit der Klägerin hin. Er fand sie nämlich im psychischen Bereich zwar in gedrückter Stimmung, allerdings
auch gut auslenkbar und auflockerbar. Die Schwingungsfähigkeit erschien ihm erhalten.
Auch die Gestaltungsfähigkeit der Klägerin war, wenn auch eingeschränkt, jedenfalls teilweise erhalten. Die Klägerin hat beim
Sachverständigen angegeben, wie schon in der Zeit seit 2009 eine demenzkranke Nachbarin zu pflegen und dreimal in der Woche
stundenweise gegen die Zahlung von Pflegegeld als Putzfrau in einer Apotheke zu arbeiten. Außerdem hat sie beim Sachverständigen
als Hobby Radfahren sowie soziale Kontakte mit ihrem über eine Zeitungsannonce gefundenen Stammtisch und zu ihrer Schwägerin
sowie zu ihren Söhnen angegeben. Angesichts dieser jedenfalls teilweise erhaltenen Gestaltungsfähigkeit erscheint die Annahme
einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wie sie für die Vergabe eines Einzel-GdB von 30 erforderlich
ist, durch den Sachverständigen vertretbar, aber durchaus nicht kleinlich. Der stärkere Wert von 40 für eine psychische Störung
kommt angesichts der erhaltenen Ressourcen der Klägerin dagegen ersichtlich nicht in Betracht.
Für die Gesundheitsstörungen der Klägerin im Funktionssystem Rumpf war für den streitbefangenen Zeitraum insgesamt ein Einzel-GdB
von 20 anzusetzen. Nach Teil B Nr. 18.9 VG sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem
Wirbelsäulenabschnitt mit einem Einzel-GdB von 20, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten
mit einem Einzel-GdB von 30-40 zu bewerten. Der Wert für den Einzel-GdB ergibt sich dabei primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung,
der Verformung und Instabilität der Wirbelsäule sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Danach war bei
der Klägerin nur ein Einzel-GdB von 20 festzustellen, weil bei ihr mittelgradige funktionelle Auswirkungen in nur einem Wirbelsäulenabschnitt,
an der Lendenwirbelsäule, vorlagen. Denn dort fand der Sachverständige die Rückneige vollständig aufgehoben und die Seitneige
sowie Rotation seitengleich um 3/4 gegenüber der Norm eingeschränkt. Die im Röntgenbild aus dem Oktober 2009 dokumentierte
mäßiggradige Arthrose der Lendenwirbelsäule äußerte sich bei der Klägerin in Schmerzen, die über das Gesäß in die Beine bis
zu den Füßen ausstrahlten und mit einem Kribbelgefühl in den Waden verbunden waren.
Dagegen waren die funktionellen Auswirkungen der Schäden an der Halswirbelsäule der Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitraum
noch nicht als mittelgradig einzustufen. Bei seiner Untersuchung im August 2010 fand der orthopädische Sachverständige die
im Alltag vor allem maßgebliche Dreh-Beweglichkeit der Halswirbelsäule nur gering eingeschränkt. Ebenso wenig stellte er motorische
oder sensible radikuläre Ausfälle fest. Da nach Teil A Nr. 2 j) VG die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte die üblicherweise
vorhandenen Schmerzen sowie auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände mit einschließen, rechtfertigten allein die
von der Klägerin anamnestisch angegebenen Schmerzen verbunden mit Kopfschmerzen und Schwindelattacken noch keine Bewertung
der Funktionsbeeinträchtigung seitens der Halswirbelsäule als mittelgradig, wie es den Darlegungen von Dr. X entspricht.
Soweit sich die Klägerin demgegenüber auf den im Berufungsverfahren übersandten Befundbericht ihres behandelnden Orthopäden
Dr. I vom 22.10.2011 und dem darin schon im Juli und August angegebenen "persistierenden Halswirbelsäulen- und Nackenschmerz"
beruft, verkennt sie den ausführlichen Behandlungsbericht desselben Arztes vom 15.05.2012. Darin heißt es, kausal für die
Beschwerden der Nacken- und oberen Extremitäten der Klägerin seien die durch eine CT-Untersuchung der Halswirbelsäule erstmals
im Juni 2011 verifizierten Veränderungen der Halswirbelsäule in Gestalt einer Unkarthrose (Arthrose der Halbgelenke an der
Halswirbelsäule) mit Foranimal-Stenose (Einengung der Nervenausgänge der Wirbelsäule) C 3 / C 4 und C 4 / C 5 rechts. Derselbe
Arzt hat zudem angegeben, es sei von einer deutlichen Beschwerdezunahme frühestens zum März 2011, durch bildgebende Diagnostik
im Juni 2011 bestätigt, auszugehen. Dieser Verschlechterung des Gesundheitszustandes hat der Beklagte mit seinem Teilanerkenntnis
auch ausreichend Rechnung getragen. Die Annahme einer mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigung der Halswirbelsäule schon zu
dem von der Klägerin angestrebten früheren Zeitpunkt lässt sich dagegen auf der Grundlage der genannten Arztberichte des behandelnden
Orthopäden und des Befundes der erstinstanzlichen Begutachtung im August 2010 nicht begründen.
Ein weiterer Einzel-GdB von 20 war im streitbefangenen Zeitraum für das Funktionssystem Arme anzusetzen. Nach Teil B Nr. 18.13
VG ist die Versteifung eines Daumengelenks in günstiger Stellung mit einem Einzel-GdB von 0-10, die Versteifung beider Daumengelenke
und des Mittelhandwurzelgelenks in günstiger Stellung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die vom Sachverständigen Dr.
X festgestellte Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit mit ausgeprägter Druckempfindlichkeit sowie die Schwellung im Daumensattelgelenk
beidseits rechtfertigte auch nach Einschätzung des Senates im Wege einer - großzügigen - Analog-Bewertung zu den genannten
Werten des Teil B Nr. 18.13 VG wegen der vergleichbaren Einschränkung der Greiffunktion und der beidseitigen Betroffenheit
einen Einzel-GdB von 20.
Die weiteren bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen, die jeweils mit einem GdB von nur 10 zu bewerten waren, fallen
bei der Gesamt-GdB-Bildung nach Teil A Nr. 3 d) ee) Satz 1 VG von vornherein nicht ins Gewicht, da einer der von der Verordnung
genannten oder ein vergleichbarer Ausnahmefall einer besonderen Verstärkung bereits bestehender Leiden durch diese Gesundheitsstörungen
ersichtlich nicht vorliegt.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte war bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach §
69 Abs.
3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr.
3 VG ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
§
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen
in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt
sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund
richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in
freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen
(vgl. BSG, Urt. vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R, [...] Rn. 10 mwN). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen,
sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG, Urt. v. 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R, [...] Rn 25).
Die wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin betrafen im streitbefangenen Zeitraum zum ersten ihre Psyche,
zum zweiten ihre Wirbelsäule und zum dritten ihre Hände. Die Auswirkungen dieser Funktionsbeeinträchtigungen überschnitten
sich zu einem gewissen, wenn auch geringen Teil. So schränkten bereits die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin ihre
Gestaltungsfähigkeit im geschilderten Umfang ein. Weil bereits dadurch ihr Aktivitätsniveau generell gemindert war, konnten
sich ihre Wirbelsäulenbeeinträchtigungen sowie die Gesundheitsstörungen ihrer Hände weniger stark auswirken. Auch soweit die
Klägerin wegen ihrer Beschwerden an der Lendenwirbelsäule nur eingeschränkt heben und tragen konnte, ergaben sich (geringfügige)
Überschneidungen mit der Einschränkung ihrer Greiffähigkeit. Die andererseits vom Sachverständige Dr. L in seinem erstinstanzlichen
Gutachten für möglich gehaltene Verstärkung des seelischen Leidens der Klägerin durch ihre Schmerzen sieht der Senat dagegen
als vernachlässigbar an. Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, waren wesentliche Ursache für den Ausbruch bzw. die zeitweise
Verschlechterung des seelischen Leidens der Klägerin jeweils äußere Umstände wie der Tod des Ehemanns, der Verlust ihres Arbeitsplatzes
oder ihrer Wohnung. Eine wesentliche Rolle der Schmerzen der Klägerin für ihr seelisches Leiden hat dagegen insbesondere der
psychiatrische Sachverständige Dr. E nicht angenommen.
Im Übrigen standen die genannten Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne von Teil A Nr. 3 d) aa) VG weitgehend unabhängig nebeneinander
und betrafen verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens. Anders als die Klägerin unter Bezugnahme auf den Aufsatz
von Benz (SGb 2011, S. 625, 627) meint, gibt es aber keinen Erfahrungssatz und auch keine rechnerische oder logische Regel, die verlangen würden, alle mit
einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Bildung des Gesamt-GdB stets erhöhend zu berücksichtigen,
soweit sie sich nicht überschneiden oder decken (wohl a. A. auch LSG Berlin, Urt. v. 25. Mai 1993 - L 13 Vs 61/91, Leitsatz in [...]).
Dies folgert der Senat zum einen aus der Vorschrift des Teil A Nr. 3 d) ee) Satz 2 VG, die das Gericht als Rechtsverordnung
unmittelbar bindet (vgl. BSG, Urt. v. 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R, [...] Rn. 27). Danach ist es bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt,
auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (BSG, Urt. v. 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R, [...] Rn. 11), obwohl das weitgehend beziehungslose Nebeneinander verschiedener Gesundheitsstörungen bei der Bestimmung
des Gesamt-GdB eine häufige, wenn nicht die häufigste Konstellation darstellt (vgl. Losch, MedSach 2008, 236, 237). Es mag
sogar Einiges dafür sprechen, solche 20er Werte überhaupt nur dann steigernd zu berücksichtigen, wenn sie das vorhandene Leiden
besonders verstärken (Knittel,
SGB IX Kommentar, Rn. 73), weil ansonsten solche leichten Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. BT-Drs. 10/5701, S. 9) für sich genommen
die allgemeine Leistungsfähigkeit allenfalls gering beeinträchtigen (vgl. Götz, KOV 1966, 102). Dies kann hier aber dahinstehen.
Den Ausschlag gibt für den Senat vor allem der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit jeher aufgestellte Grundsatz,
dass bei der Feststellung des Gesamt - GdB weder mathematische Formeln noch feste Rechenregeln angewendet werden dürfen (so
schon BSG, Urt. v. 07.11.1979 - 9 RVs 12/78, [...] Rn. 13 m.w.N.). Durch das Zusammenspiel verschiedener Gesundheitsstörungen können sich einzelne Störungen stärker
auswirken als bei einem bis auf die einzelne Störung gesunden Menschen. Andererseits ist es auch möglich, dass sich das Maß
der Behinderung insgesamt durch hinzutretende Leiden nicht vergrößert (BSG, a.a.O.; ebenso Teil A Nr. 3 d) dd) VG). Die von der Klägerin verlangte generelle Rechenregel - 30 + 20 + 20 = 50 - kann
der Senat den gesetzlichen Vorschriften daher in keiner Weise entnehmen.
Er sieht sich mit dieser Rechtsansicht dabei auch nicht im Widerspruch zu der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung anderer
Senate des LSG NRW. Der Senat teilt vielmehr die etwa im Urteil des 6. Senats vom 31.03.2009 (L 6 SB 110/08, [...] Rn. 22) geäußerte Ansicht, dass Einzel-GdB von 20, die sich in verschiedenen Lebensbereichen auswirken, geeignet sind,
das Gesamtausmaß der Behinderung zu steigern. Aus Einzelgraden der Behinderung von 30 und zweimal 20 kann daher im Einzelfall
ein Gesamt-GdB von 50 gebildet werden (vgl. LSG NRW, Urt. v. 28.06.2007 - L 7 SB 152/04, [...] Rn. 24; Urt. v. 14.04.2005 - L 7 SB 158/02, [...] Rn. 16). Ob dies indes auch im konkreten Fall gerechtfertigt ist, hängt jeweils vom Verhältnis der einzelnen, nebeneinander
bestehenden Gesundheitsstörungen ab.
Diese gebotene Einzelfallbetrachtung lässt bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum die Feststellung der Schwerbehinderung,
die einen GdB von 50 erfordert (§
2 Abs.
2 SGB IX), nicht zu. Führende Gesundheitsstörung war bei der Klägerin ihre seelische Beeinträchtigung, die, wie ausgeführt, mit einem
Einzel-GdB von 30 zu bewerten war. Durch die Funktionsbeeinträchtigungen infolge der Beschwerden an der Lendenwirbelsäule
und der Einschränkung der Greiffähigkeit erfolgt jedoch keine Steigerung auf einen Gesamt-GdB von 50. Denn wie ausgeführt
verblieben der Klägerin trotz ihrer psychischen Erkrankung noch eingeschränkte, aber nicht unerhebliche Ressourcen in den
Bereichen Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (Pflege- und stundenweise Putztätigkeit, Hobby, Kontakt zu Stammtisch und Verwandten).
Zudem ergeben sich zwischen den Gesundheitsstörungen die dargelegten, wenn auch geringen Überschneidungen.
Vor allem aber lässt sich das Gesamtausmaß der Behinderung der Klägerin insgesamt nicht mit einem einzelnen Gesundheitsschaden
vergleichen, für den die VG einen festen GdB-Wert von 50 angeben, wie es Teil A Nr. 3 b) VG vorschreibt. Der Senat hält diesen
Gesamtvergleich auf der Grundlage der für ihn bindenden Vorgaben der VG sowie der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(Urt. v. 02.12.2010 - B 9 SB 4 / 10 R [...] Rn. 25 m.w.N.; Beschl. v. 16.05.1995 - 9 BVs 38/94, [...] Rn. 4; Urt. v. 16.03.1993
- 9 RVs 6/93, [...] Rn. 13; ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.08.2011 - L 7 SB 106/07, [...] Rn. 75; Bay LSG, Urt. v. 16.11.2010 - L 15 SB 53/09, [...] Rn. 46) und mit der vorherrschenden Ansicht in der Literatur (Dau,
SGB IX, §
69 Rn. 24; Knittel,
SGB IX Kommentar, Rn. 73; Straßfeld, SGb 2003, 613, 616 mwN.; Losch, a.a.O.; Rauschelbach, MedSach, 1980, 90/91; a.A. Benz, a.a.O.; Schimanski, GK-SchwbG, 2. Aufl. 2000, § 4 Rn. 97) grundsätzlich für erforderlich. Der Vergleich ist dabei prinzipiell auch in solchen Konstellationen möglich, in denen
bei einem behinderten Menschen Gesundheitsstörungen aus verschiedenen Funktionssystemen zusammenkommen (Losch, aaO; Rauschelbach,
aaO; a. A. Benz, aaO, 628; Schimanski, aaO). Denn auch wenn die Gesundheitsstörungen verschiedene Organe bzw. Funktionssysteme
betreffen, so können zumindest ein Teil ihrer Auswirkungen auf das tägliche Leben, die für die Feststellung des Gesamt-GdB
entscheidend sind, in demselben oder zumindest in verwandten Lebensbereichen auftreten (vgl. BSG, Urt. v. 16.03.1994 - 9 RVs 6/93, [...] Rn. 12). Der Senat verkennt dabei nicht, dass der von den VG geforderte Gesamtvergleich im Einzelfall schwer fallen
oder nicht überzeugend durchgeführt werden kann (vgl. BSG, Urt. v. 18.12.1996 - 9 RV 17/95, [...] Rn. 13; Straßfeld, a.a.O., 617). In solchen Fällen kann das Ergebnis des Vergleichs für die Bildung des Gesamt-GdB
möglicherweise nicht herangezogen werden. Indes lässt sich der Gesamtvergleich jedenfalls in der hier vorliegenden, nicht
ungewöhnlichen Konstellation durchaus noch zufriedenstellend ziehen, in der zu einem seelischen Leiden, das die Erlebnis-
und Gestaltungsfähigkeit einschränkt, noch verschiedene Leiden des Haltungs- und Bewegungsapparats treten, die sich zusätzlich
negativ auf die Mobilität, Beweglichkeit, Kraft und Geschicklichkeit auswirken.
Der Senat teilt insoweit die Einschätzung des Sachverständigen Dr. L, dass die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum nicht
mit einem Menschen zu vergleichen war, der an einer einzelnen Gesundheitsstörung leidet, für die nach den VG ein Tabellenwert
von 50 anzusetzen ist. Eine vergleichbar erhebliche Funktionsbeeinträchtigung (vgl. BSG, Urt. v. 16.03.1993 - 9 RVs 6/93, [...] Rn. 13) lag bei ihr insgesamt nicht vor. Anders etwa als bei einem Menschen mit einer schweren psychischen Störung
wie einer schweren Zwangskrankheit, die zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten führt (vgl. Teil B Nr. 3.7 VG),
war nach den Feststellungen des Sachverständigen bei der Klägerin durchaus noch ein geordneter Tagesablauf darstellbar. Denn
die zu ihrer psychischen Erkrankung hinzutretenden relativ leichten Einschränkungen von Seiten des Haltungs- und Bewegungsapparats
schränkten ihre Lebensführung nicht so nachhaltig ein. So war etwa ihre Manualfunktion hinsichtlich spezieller Griffarten,
aber nicht generell und damit nicht wesentlich eingeschränkt. Entsprechend diesem verbliebenen Restleistungsvermögen - bezogen
auf die gesamte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft - konnte die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum wie bereits dargelegt
noch gegen Zahlung von Pflegegeld eine demenzkranke Nachbarin pflegen und einer Tätigkeit als Putzfrau auf Stundenbasis nachgehen,
ihr Hobby Fahrradfahren ausüben und einen Stammtisch besuchen sowie Kontakt zu ihrer Schwägerin und ihren Söhnen aufrechterhalten.
Ein derartiges Ausmaß von Aktivitäten und einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben könnte ein schwer Zwangskranker nicht
entfalten.
Ebenso wenig lässt sich die Klägerin hinsichtlich ihrer Teilhabebeeinträchtigung mit einem Behinderten vergleichen, bei dem
ein Wirbelsäulenschaden mit besonders schweren Auswirkungen, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, vorliegt,
der nach Teil B Nr. 18.9 VG mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten ist. Eine vergleichbare Einschränkung der Beweglichkeit
und Mobilität und damit der gesellschaftlichen Teilhabe lag bei der Klägerin auch unter zusätzlicher Berücksichtigung ihrer
seelischen Erkrankung nicht vor, wie sich aus dem bereits dargelegten Umfang der ihr noch möglichen Teilhabeaktivitäten ergibt.
Der Senat hat dabei keine Bedenken, für den Gesamtvergleich auf die Feststellungen des dazu von ihm erneut befragten Sachverständigen
Dr. L zurückzugreifen. Über die Kompetenz desjenigen Sachverständigen, dem die Gesamtbeurteilung des GdB bei mehreren unterschiedlichen
Behinderungen obliegt, lassen sich keine unverrückbaren Rechtsgrundsätze oder auch nur Richtlinien aufstellen. Entscheidend
sind auch insoweit vielmehr die Gegebenheiten des Einzelfalls (vgl. BSG, Urt. v. 15.3.1979 - 9 RVs 16/78, [...] Rn. 15). Danach verfügte der Sachverständige Dr. L hier über ausreichende Sachkunde und Erfahrung zur Einschätzung
des Gesamt-GdB der Klägerin, mag er auch in der ersten Instanz nur ein Gutachten auf internistischem Gebiet über die Klägerin
erstattet haben. Denn andererseits hatte er in diesem Gutachten schon einen - allerdings noch unzureichend begründeten - Vorschlag
für die Einschätzung des Gesamt-GdB unterbreitet. Vor allem aber konnte der Sachverständige als Facharzt für Psychotherapie
die führende Gesundheitsstörung der Klägerin im Gesundheitssystem Psyche selbst ebenso kompetent beurteilen wie er als Arzt
für Chiropraktik, Rheumatologie und Akkupunktur auch die hinzutretenden orthopädischen Beeinträchtigungen der Klägerin einzuschätzen
vermochte.
Lässt sich somit ein Gesamt-GdB von 50 für den streitbefangenen Zeitraum nicht rechtfertigen, so ist die Berufung im Hauptantrag
zurückzuweisen.
Auch die hilfsweise gestellten, als Beweisanträge bezeichneten Anträge der Klägerin sind abzulehnen.
Der Antrag zu 2. enthält schon kein zulässiges Beweisthema. Unter Beweis gestellt werden können nur Tatsachen (Zöller/Greger,
ZPO, 29. Aufl. 2012, Vor § 284 Rn.10). Ein Beweisantrag muss daher eine hinreichend substantiierte Tatsachenbehauptung enthalten (BSG, Urt. v. 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R, [...] Rn. 24). Die von der Klägerin formulierte Frage, inwieweit nach der VersMedV eine Unterteilung der Einzel-GdB-Werte in schwache, mittlere und starke zulässig ist und bei der Bildung des Gesamt-GdB eine
solche Unterteilung berücksichtigt werden darf, behauptet keine beweisbare Tatsache, sondern wirft eine Rechtsfrage auf. Das
unterscheidet sie etwa von der Frage nach dem Fortbestand einer bestimmten Einzel-GdB-Bewertung in den VG, zu deren Beantwortung
medizinischer Sachverstand erforderlich sein kann (vgl. BSG, Beschl. v. 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B, [...]). Unabhängig davon kommt es auf die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage für die Entscheidung über ihre Berufung
auch nicht an, weil der Senat die Unterscheidung zwischen so genannten schwachen, mittleren und starken Einzel-GdB seiner
Entscheidung ohnehin nicht zu Grunde legt. Der Antrag zu 2. ist daher auch wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abzulehnen.
Soweit die Klägerin unter 3. beantragt hat, den Sachverständigen Dr. L zu befragen, aufgrund welcher sozialmedizinischer Erfahrung
er Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen vermag, für die in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind, so ist dieser
Antrag auf Anhörung des Sachverständigen bereits verspätet gestellt. Denn ein solcher Antrag muss rechtzeitig vor der mündlichen
Verhandlung gestellt werden, damit der Sachverständige geladen und eine Vertagung vermieden werden kann (BSG SozR 3- 1750 § 411 Nr. 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
128 Rn.12e). Im Übrigen ergibt sich die Antwort auf die Frage nach den sozialmedizinischen Erfahrungen des Sachverständigen zum
einen aus dem Inhalt seiner überzeugenden schriftlichen Stellungnahme in der Berufungsinstanz, zum anderen aus seiner bereits
im Einzelnen beschriebenen ärztlichen Qualifikation auf verschiedenen, für den Fall der Klägerin bedeutsamen ärztlichen Fachgebieten.
Der zu 4. gestellte Antrag der Klägerin betrifft ebenso wie derjenige zu 2. eine Rechtsfrage, und zwar nach der Auslegung
des Begriffs sozialmedizinische Erfahrung in der VersMedV. Er stellt somit ebenfalls keine Tatsachenfrage dar, die einem Beweis zugänglich wäre. Überdies liegt die Antwort auf diese
Rechtsfrage auf der Hand: Erforderlich sind alle sozialmedizinischen Erfahrungen, die für den Gesamtvergleich im konkreten
Fall benötigt werden. In diesem Sinn hat auch das BSG die genannte Rechtsfrage bereits beantwortet, indem es ausgeführt hat, dass sich über die Kompetenz desjenigen Sachverständigen,
dem die Gesamtbeurteilung des GdB bei mehreren unterschiedlichen Behinderungen obliegt, keine unverrückbaren Rechtsgrundsätze
oder auch nur Richtlinien aufstellen lassen (BSG, Urt. v. 15.3.1979 - 9 RVs 16/78, [...] Rn. 15). Auch der Antrag zu 4. ist daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 SGG. Trotz des Teilanerkenntnisses des Beklagten hatte er keine Kosten zu tragen, weil er der eingetretenen Verschlechterung
des Gesundheitszustands der Klägerin sofort durch ein Vergleichsangebot Rechnung getragen hat (Rechtsgedanke des §
93 ZPO, vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., §
193, Rn. 12c m.w.N.).
Anlass zur Revisionszulassung hat der Senat nicht gesehen, weil er der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne
von §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zumisst. Entscheidend ist die Bewertung der Behinderung der Klägerin im Einzelfall. Die zu Grunde gelegte Rechtsauffassung
zur Auslegung der VG entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG.