Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts
Schriftlicher Vergleich
Doppelnatur eines Prozessvergleichs
Erledigungswirkung im Hinblick auf den geregelten Streitgegenstand
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts.
Im vorangehenden Klageverfahren stritten die Beteiligten um Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Beschluss vom 27.3.2014
ordnete das Sozialgericht (SG) der Klägerin den Erinnerungsführer im Wege der Prozesskostenhilfe ab dem 24.3.2014 bei.
Mit Schreiben vom 11.12.2014 unterbreitete die Beklagte der Klägerin "das folgende Angebot":
1. Bei dem Kläger wird ab 11.7.2014 volle Erwerbsminderung auf Zeit bis 31.1.2018 gemäß §
43 Abs
2 SGB VI angenommen; dementsprechend werden Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen [ ...] zuerkannt.
2. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, [ ...].
3. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Rechtsstreit damit seine Erledigung gefunden hat.
Der Kläger nahm "das Vergleichsangebot der Beklagten vom 11.12.2014" an. (Schreiben vom 9.1.2015).
Nach Abschluss des Verfahrens hat der Erinnerungsführer beantragt, seine Gebühren und Auslagen mit EUR 1.071,00 festzusetzen
(Antrag vom 13.5.2015). Der Betrag setzt sich zusammen aus einer Verfahrens- und einer (Einigungs- bzw.) Aussöhnungsgebühr
in Höhe von jeweils EUR 300, einer (fiktiven) "Terminsgebühr" (sprachlich exakt: Termingebühr; im Folgenden verbleibt es bei
der gesetzlichen Terminologie) in Höhe von EUR 280 und einer Auslagenpauschale von EUR 20, jeweils zuzüglich 19% Umsatzsteuer.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat als Kostenbeamter die Terminsgebühr nicht berücksichtigt und nach entsprechender
Reduzierung der Umsatzsteuer die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren auf EUR 737,80 festgesetzt. Der Rechtsstreit sei
nicht durch Vergleich, sondern durch übereinstimmende Erledigungserklärung beendet worden; dieser Erledigungstatbestand führe
nicht zur Entstehung einer (fiktiven) Terminsgebühr (Festsetzungsbeschluss vom 27.5.2015). Seine gegen diese Entscheidung
am 23.6.2015 eingelegten, als "Beschwerde" bezeichnete Erinnerung, der der Kostenbeamte nicht abgeholfen hat (Entscheidung
vom 2.11.2015), hat der Erinnerungsführer über mehr als zwei Jahre nicht begründet.
Das SG hat die Erinnerung zurückgewiesen und die Kostenfestsetzung des Kostenbeamten bestätigt. Nach der Rechtsprechung der Landessozialgerichte
sei ein schriftlicher Vergleich, der eine fiktive Terminsgebühr auslöse, nur ein unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des
Gerichts geschlossener Vergleich. Ein im schriftlichen Verfahren ohne Mitwirkung des Gerichts geschlossener Vergleich reiche
nicht aus. In der beigefügten Rechtsmittelbelehrung heißt es, gegen den Beschluss könne binnen eines Monats nach Bekanntgabe
Beschwerde eingelegt werden (Beschluss vom 21.7.2015, zugestellt am 28.7.2015).
Dagegen hat der Erinnerungsführer am 14.8.2015 Beschwerde eingelegt. Es sei ein schriftlicher Vergleich geschlossen worden.
Damit entstehe die Teminsgebühr. Die Erwartungshaltung des Prozessbevollmächtigten an die Entstehung der Terminsgebühr sei
unabhängig davon, ob der Vergleich durch das Gericht initiiert wurde oder durch die Parteien, identisch.
Einen Antrag hat der Erinnerungsführer nicht angekündigt oder gestellt. Nach seinem Vorbringen ist davon auszugehen, dass
er weiter die Kostenfestsetzung in ursprünglich beantragter Höhe begehrt.
Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Die Beschwerde sei nicht fristgerecht innerhalb von 2 Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung eingelegt worden.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 18.8.2017).
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
I. Die Beschwerde ist zulässig.
Entgegen der Auffassung des Erinnerungsgegners ist die Beschwerde am 14.8.2017 fristgerecht eingegangen. Zwar sieht das Gesetz
eine zweiwöchige Beschwerdefrist vor, die hier am 11.8.2017 um 24 Uhr ablief und am 14.8.2017 bereits abgelaufen war, § 33 Abs 3 Satz 3 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG. Indes kommt, da es sich in der Hauptsache um ein sozialgerichtliches Verfahren handelt, wegen der falschen Rechtsmittelbelehrung
(Hinweis auf eine Monatsfrist) §
66 Abs
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entsprechend zur Anwendung, so dass die Jahresfrist gilt. Diese Frist hat der Erinnerungsführer eingehalten.
Die Beschwerde ist statthaft, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 3 RVG. Diese allgemein für das Kostenfestsetzungsverfahren des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts geltenden
Spezialvorschriften gehen, soweit sie einschlägige Regelungen enthalten, den Vorschriften des
SGG vor, § 1 Abs 3 RVG.
Der Erinnerungsführer ist befugt, das Verfahren in eigenem Namen zu betreiben, §§ 56 Abs 2 Satz 1 i.V.m. Abs 1 Satz 1, 55 Abs 1 Satz 1 RVG.
Der Wert des Beschwerdegegenstands beträgt EUR 333,20 und übersteigt damit den Grenzwert von EUR 200, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 3 Satz 1 RVG. Maßgeblich für die Bestimmung dieses Wertes ist die formelle Beschwer, also die Differenz zwischen beantragter und festgesetzter
aus der Staatskasse zu gewährender (Gesamt-)Vergütung. Der Erinnerungsführer hält eine Gesamtvergütung von EUR 1.071,00 für
berechtigt, das SG hat die Gebühren auf EUR 737,80 festgesetzt. Die Differenz beträgt EUR 333,20.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Zu Recht hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen und die aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf EUR 737,80 festgesetzt.
Denn eine Terminsgebühr ist nicht angefallen, §§ 14 Abs 1, 3 Abs 1 Satz 1 RVG i.V.m. mit Abs III der Amtlichen Vorbemerkung 3 zu Teil 3, Nrn 3104 und 3106 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis - VV).
Der Vergütungsanspruch des Erinnerungsführers als im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnetem Rechtsanwalt ergibt sich dem
Grunde nach aus §§ 45 Abs 1, 48 Abs 1 RVG und bestimmt sich in der Höhe nach §§ 14 Abs 1, 3 Abs 1, 2 Abs 2 S 1 RVG i.V.m. dem VV. Dieser Vergütungsanspruch umfasst hier nicht die - allein streitige - Terminsgebühr, Abs III der Amtlichen
Vorbemerkung 3 zu Teil 3, Nrn 3106 i.V.m. 3104 VV.
Es liegt weder einer der in den Nrn 3104 und 3106 VV geregelten Sondertatbestände noch einer der allgemeinen Tatbestände des
Abs III der Amtlichen Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV vor. Insbesondere - nur dies bedarf näherer Ausführungen - liegen die Voraussetzungen
der Nr 3106 S 1 Ziffer 1 VV nicht vor.
Nach dieser Vorschrift entsteht die Terminsgebühr, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,
[ ] ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.
Ein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr 3106 Satz 1 Nr 1 2. Alternative VV ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik
und Zweck der Regelung (nur) ein durch konstitutive Mitwirkung des Gerichts zustande gekommener Vergleich, der eo ipso (also
ohne zusätzliche prozessuale Erklärung) das Verfahren - im Umfange der getroffenen Regelungen - beendet (§
101 SGG), und als Vollstreckungstitel (vgl §
199 Abs
1 Nr
3 SGG) dient (so auch LSG NRW, Beschl v 5.7.2017, Aktenzeichen (Az) L 18 R 507/16 B; BayLSG, Beschl v 16.12.2016, Az L 15 SF 63/15; LSG NRW, Beschl v 4.1.2016, Az L 10 SB 57/15; LSG NRW, Beschl v 11.3.2015, Az L 9 AL 277/14 B; LSG NRW, Beschl v 5.1.2015, Az L 19 AS 1350/14 B, alle mwN). Der Senat nimmt ergänzend auf seine den Beteiligten bereits im Wortlaut bekannt gegebene Entscheidung vom 5.7.2017
Bezug (LSG NRW, Az L 18 R 507/16, juris).
Ein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr 3106 Satz 1 Nr 1 2. Alternative VV ist damit - entsprechend der Doppelnatur eines
Prozessvergleichs - immer auch ein Vergleich, der prozessrechtlich das Verfahren im Hinblick auf den geregelten Streitgegenstand
erledigt und dadurch die streitige Gebühr auslöst. Die Beteiligten haben vorliegend keinen schriftlichen Vergleich in diesem
Sinne geschlossen. Das Verfahren ist in der Hauptsache nicht durch einen schriftlichen (Prozess-)Vergleich, sondern durch
übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden. Nach §
101 Abs
1 Satz 1
SGG können die Beteiligten einen schriftlichen Vergleich zur (teilweisen oder vollständigen) Erledigung zur Niederschrift des
Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters schließen [ ]. Gemäß §
101 Abs
1 S 2
SGG ist dies seit dem 25.10.2013 (Art 7 Nr 9 des Gesetz zur Neuordnung der bundesunmittelbaren Unfallkassen, des
SGG und zur Änderung anderer Gesetze - BUK-NOG - v 19.10.2013, BGBl I, S 3836ff) auch dadurch möglich, dass die Beteiligten einen
in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber
dem Gericht annehmen.
Die Beteiligten haben einen derartigen Vergleich erkennbar nicht geschlossen. Sie mögen zwar materiell-rechtlich einen wechselseitig
verpflichtenden Vergleichsvertrag (vgl § 54 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) geschlossen haben, prozessual aber haben sie einen
verfahrensbeendenden Vergleich (Prozessvergleich) im Sinne des
SGG - das heißt unter Beteiligung des Gerichts - gerade nicht geschlossen. Im Kern ist die Verfahrenssituation die gleiche, wenn
sich die Beteiligten außergerichtlich einigen und dem erkennenden Gericht lediglich mitteilen, sie hätten sich außergerichtlich
geeinigt und erklärten das Verfahren deshalb übereinstimmend für erledigt. Folgerichtig enthält das "Angebot" der Beklagten
- zutreffend - unter 3. eine auf diese prozessuale Situation abzielende Erledigungserklärung. Diese hat der Kläger mit der
Annahme "des Vergleichsangebots" abgegeben.
Gegen diese Wertung hat der Erinnerungsführer im Rahmen seiner lapidaren Ausführungen nichts Wesentliches eingewandt. Der
simple Hinweis, es sei (materiell?) ein schriftlicher Vergleich geschlossen worden, verkennt die aufgezeigte prozessuale Situation.
Die Erwartungshaltung des Prozessbevollmächtigten mag (auch als interessengelenkte Erwartungshaltung des wirtschaftlich Begünstigten)
eine andere sein. Die gesetzlichen Regelungen differenzieren aber (nach der maßgeblichen, herrschenden Auslegung der Bestimmung)
danach, ob die außerterminliche Erledigung ursächlich der Hilfe des Gerichts bedurfte oder nicht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs 2 Sätze 2 und 3 RVG.
IV. Diese Entscheidung ist durch den Berichterstatter als Einzelrichter zu treffen (§§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 8 Satz 1 RVG). Auch wenn das
SGG den "Einzelrichter" nicht ausdrücklich erwähnt, zeigt §
155 SGG, dass der Berichterstatter als Einzelrichter fungiert. Hier wie dort wird dem Bedürfnis Rechnung getragenen, in geeigneten
Fällen das Kollegialgericht zu entlasten.