Geltendmachung eines Gründungszuschusses
Begrenzte Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren
Verstoß gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit
Gründe
1. Die am 27.04.2018 eingegangene Beschwerde gegen den am 11.04.2018 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom
05.04.2018, die sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren richtet, ist zulässig,
aber unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin für die klageweise Geltendmachung eines Gründungszuschusses
gemäß §
93 des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) Prozesskostenhilfe zu gewähren. Nach §
73a Abs.
1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetztes (
SGG) i.V.m. §§
114 ff.
Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist
dann gegeben, wenn nach summarischer Prüfung eine gewisse Möglichkeit des Obsiegens - auch im Sinne eines Teilerfolges - besteht
(Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl., §
73a Rn. 7 ff. m.w.N.). Das ist wiederum der Fall, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers auf Grund der Sachverhaltsschilderung
und der vorliegenden Unterlagen zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung
ausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.02.2017 - 1 BvR 2507/16 - juris Rn. 14 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.11.2008 - L 25 B 411/08 AS PKH - juris Rn. 5).
Zutreffend hat das Sozialgericht die hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 28.12.2017
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2018 beschwert die Klägerin nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 S. 1
SGG, da er nicht rechtswidrig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Gründungszuschusses nach §
93 SGB III bzw. auf eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit
beenden, können nach §
93 Abs.
1 SGB III zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss
erhalten.
Ein Gründungszuschuss kann gemäß §
93 Abs.
2 S. 1
SGB III geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer 1.bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch
auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht
allein auf § 147 Absatz 3 beruht, 2.der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 3.ihre oder
seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
Nach §
93 Abs.
1 u. 2 S. 1
SGB III ist der Agentur für Arbeit bei der Entscheidung über die Gewährung des Gründungszuschusses ein Ermessen in Form eines Entschließungsermessens
eingeräumt (BSG, Beschluss vom 17.08.2012 - B 11 AL 40/12 B - juris Rn. 5; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.11.2017 - L 18 AL 158/16 - juris Rn. 20; Winkler, in: Gagel,
SGB III, 69.EL, §
93 Rn. 63; Schmidt, in: BeckOK-
SGB III, 48.Ed., §
93 Rn. 12). Die Beklagte kann mithin auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich die Gewährung des
Zuschusses ablehnen (Urteil des Senats vom 17.10.2013 - L 9 AL 150/12 - juris Rn. 35; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.10.2016 - L 18 AL 50/15 - juris Rn. 17).
Weder liegt nach summarischer Prüfung (zur Beschränkung auf eine summarische Prüfung vgl. BSG, Beschluss vom 18.01.2018 - B 14 AS 218/17 B - juris Rn. 2; BSG, Beschluss vom 23.05.2018 - B 11 AL 27/18 B - juris Rn. 2) eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Anspruch auf Bewilligung des Gründungszuschusses vor, noch
besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung. Der Senat nimmt dazu gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts, denen er sich vollumfänglich
anschließt.
Auch das Beschwerdevorbringen der Klägerin führt nicht zu einem anderen Ergebnis in der Sache.
a. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null nicht gegeben.
Eine solche kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte lediglich eine Entscheidung
ermessensgerecht wäre (BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 1/07 R - juris Rn. 14; Gutzler, in: BeckOK-
SGB I, 48.Ed., §
39 Rn. 7).
Daran fehlt es, denn nach summarischer Prüfung ist nicht ausschließlich die Gewährung des Gründungszuschusses ermessensfehlerfrei.
Die Ermessensreduzierung auf Null folgt nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen
gezwungen wäre, eine selbständige Tätigkeit anzustreben.
(1) Dabei legt der Senat zugrunde, dass hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung der Behörde auf den Zeitpunkt
der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist, weil nur so verhindert werden kann, dass das Gericht entgegen dem Gewaltenteilungsprinzip
nach Art.
20 Abs.
2 S. 2 des
Grundgesetzes (
GG) sein eigenes Ermessen an die Stelle der Behörde setzt (so bereits Beschluss des Senats vom 23.04.2018 - L 9 AL 92/18 B ER - juris Rn. 1; ebenso Böttiger, in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2.Aufl., §
54 Rn. 98; Groß/Castendiek, in: Hk-
SGG, 5.Aufl., §
54 Rn. 72; Bieresborn, in: Roos/Wahrendorf,
SGG, §
54 Rn. 161; a.A. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12.Aufl., §
54 Rn. 34a). Im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung war der Beklagten der Umstand, dass die Klägerin aufgrund ihrer
gesundheitlichen Probleme eine selbständige Tätigkeit aufnehmen solle, nicht bekannt. Weder findet sich in der Akte ein Attest,
noch lässt sich ihr sonst ein Hinweis auf diesen Umstand entnehmen. Der Sachverhalt ist erstmals im Klageverfahren vorgetragen
worden. Er konnte daher von der Beklagten im Rahmen der von ihr zu treffenden Ermessensentscheidung keine Berücksichtigung
finden.
(2) Darüber hinaus ist das Vorliegen einer gesundheitlichen Einschränkung, aus der der zwingende Schluss zu ziehen wäre, die
Klägerin müsse eine selbständige Tätigkeit aufnehmen, nicht ersichtlich. Es findet sich in der Akte lediglich das Attest von
Dr. T, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 23.04.2018. Eine fachärztliche Stellungnahme liegt nicht vor. Zudem ergibt sich aus
dem Attest lediglich, dass die Klägerin an einem Burnout leide und daher eine Selbständigkeit ohne Vorgesetzten anstreben
solle. Davon abgesehen, dass damit gerade nicht bescheinigt wird, dass versicherungspflichtige Beschäftigungen vollständig
ausgeschlossen sind, ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen aufgrund des Burnouts nunmehr nur noch eine selbständige
Tätigkeit in Betracht kommen sollte. Nach der ICD Z73 bezeichnet der Burnout einen Zustand des Ausgebranntseins. Es handelt
sich in diesem Sinne nicht um eine Behandlungsdiagnose, denn der Burnout ist dem Bereich der Personen, die das Gesundheitswesen
aus sonstigen Gründen in Anspruch nehmen (Z70-Z76), zugeordnet. Es erschließt sich nicht, warum aus einem Zustand des Ausgebranntseins
zugleich folgen muss, dass keine versicherungspflichtigen Beschäftigungen mehr ausgeübt werden können. Das Attest enthält
in diesem Zusammenhang keinerlei nachvollziehbare Begründung für diese Behauptung. Ebenso wenig lässt sich dies dem Vortrag
der Klägerin entnehmen, die lediglich auf das Attest und vermeintliche Aussagen anderer Ärzte Bezug nimmt.
Das Attest und der Vortrag der Klägerin geben keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen.
Denn grundsätzlich darf die Prozesskostenhilfe verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin
ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 u. a. - juris Rn. 26; BVerfG, Beschluss vom 25.04.2012 - 1 BvR 2869/11 - juris Rn. 13). Zwar darf die Rechtsverfolgung nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden. Jedoch ist
eine begrenzte Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren zulässig. Es verstößt erst dann gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit,
wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsverfolgungsbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert
wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. OVG
NRW, Beschluss vom 14.07.2017 - 12 E 94/17 - juris Rn. 6; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.07.2015 - 4 O 8/25 - juris Rn. 7). Eine solche Beweisaufnahme kommt nach dem oben Gesagten nicht ernsthaft in Betracht.
b. Aus den oben genannten Gründen besteht auch kein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Neubescheidung. Die Beklagte hat
vielmehr auf Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch eine ermessensfehlerfreie
Entscheidung getroffen, da ihr die vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren.
Sie hat die Klägerin im Rahmen der Ermessensentscheidung zulässigerweise auf die Vermittlung in versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
verwiesen (zum Vermittlungsvorrang als Ermessensgesichtspunkt siehe Urteil des Senats vom 28.11.2013 - L 9 AL 81/13 - juris Rn. 42; Winkler, in: Gagel,
SGB III, §
93 Rn. 69 m.w.N.). Der Vortrag der Klägerin sowie das eingereichte Attest geben auch insoweit keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
3. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, §
177 SGG.