Anordnung der aufschiebenden Wirkung; Aufhebungsbescheid; Rechtsschutzbedürfnis; einstweilige Anordnung; Umzug; Nahtlosigkeitsregelung;
KdU; Leistungsantrag; örtliche Zuständigkeit; Erstattungsanspruch; Zuständigkeitswechsel; trägerübergreifender Umzug
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Antragsgegners, der Antragstellerin über den 31. März 2017 hinaus Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zu zahlen.
Die 1995 geborene Antragstellerin beantragte am 18. November 2016 die Fortzahlung von Leistungen nach dem SGB II durch den Antragsgegner, der diese zuvor bis einschließlich Dezember 2016 bewilligt hatte. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt
gemeinsam mit ihrem Großvater in einer Wohnung in H. Die Wohnung kostete 350 EUR monatliche Gesamtmiete. Die Antragstellerin
gab an, der Großvater erhalte für sie Kindergeld in Höhe von monatlich 95 EUR. Der Antragsgegner bewilligte der Antragstellerin
mit Bescheid vom 8. Dezember 2016 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2017 in Höhe von monatlich 518 EUR. Hierbei berücksichtigte er Bedarfe für
Unterkunft und Heizung in Höhe von 175 EUR.
Am 27. Februar 2017 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, sie werde mit ihrem Großvater Mitte März 2017 in eine
andere Wohnung ziehen und bitte, da sie nunmehr auch Hauptmieterin sei, um anteilige Berücksichtigung der Miete. Sie legte
einen Mietvertrag über eine Wohnung in T. vor, nach dem die dortige Wohnung zum 15. März 2017 angemietet werden sollte. Mit
Bescheid vom 2. März 2017 hob der Antragsgegner seinen Bewilligungsbescheid vom 8. Dezember 2016 ab dem 1. April 2017 ganz
auf: Die Antragstellerin ziehe zum 15. März 2017 um und er sei nicht mehr örtlich zuständig.
Am 14. März 2017 zogen die Antragstellerin und ihr Großvater um.
Ebenfalls am 14. März 2017 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 2. März 2017 ein: § 2 Abs. 3 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) sehe eindeutig vor, dass das alte Jobcenter weiterhin zu Leistungszuweisungen verpflichtet sei. Der Antragsgegner wies den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2017 zurück: Durch den aufnehmenden Träger seien Leistungen ab April 2017
zu erbringen. Voraussetzung dafür sei die dortige rechtzeitige Antragstellung. Lediglich für März 2017 greife die Nahtlosigkeitsregelung
und seien Leistungen noch durch ihn zu erbringen. Ab April 2017 sei er berechtigt gewesen, seine Bewilligungsentscheidung
aufzuheben, weil eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X eingetreten sei. Gegen den Bescheid vom 2. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2017 hat die Antragstellerin
am 18. April 2017 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben.
Der Antragsgegner hörte die Antragstellerin mit Schreiben vom 13. April 2017 zur beabsichtigten Aufhebung von Leistungen nach
dem SGB II für Februar 2017 wegen bislang zu niedrig angerechneten Kindergelds sowie für März 2017 wegen der Anrechnung einer Kindergeldnachzahlung
als einmalige Einnahme und der lediglich bis zum 13. März 2017 zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
an.
Am 17. Mai 2017 hat die Antragstellerin einen Versagungsbescheid des Jobcenters S.- Kreis vom 5. Mai 2017 für die Zeit von
März bis Mai 2017 vorgelegt. Aus diesem Bescheid geht die postalische "Antragstellung" auf Leistungen nach dem SGB II beim Jobcenter S.- Kreis am 29. März 2017 hervor. Den Termin zur Abgabe der Antragsunterlagen am 25. April 2017 hat die Antragstellerin
nicht wahrgenommen.
Bereits am 18. April 2017 hat sich die Antragstellerin mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage
gegen den Bescheid vom 2. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2017 an das Sozialgericht Halle
gewandt: Die Aufhebung der Bewilligung durch den Antragsgegner sei zu früh erfolgt. Das nunmehr zuständige Jobcenter habe
nämlich noch nicht über ihren Leistungsantrag entschieden. Sie habe einen Termin zur Rückgabe eines Antrags erst in der 17.
Kalenderwoche. Daher seien Leistungen nach dem SGB II weiterhin durch den Antragsgegner zu erbringen. Der Antragsgegner hat erwidert, wegen der bundesweiten Zuständigkeit der
Bundesagentur für Arbeit sei für Grundsicherungsleistungen ein Erstattungsanspruch nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X nicht geltend zu machen. Zur Vermeidung von Doppelzahlungen seien diese durch den aufnehmenden Träger ab dem Zeitpunkt der
Zahlungseinstellungen zu erbringen.
Mit Beschluss vom 15. Mai 2017 hat das Sozialgericht Halle den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt,
weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte bestünden. Zudem sei durch die Vollziehung
des Verwaltungsaktes keine unbillige Härte für die Antragstellerin gegeben, weshalb das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege.
Außerdem sei ein Anordnungsgrund nicht erkennbar. Da die Antragstellerin dem Antragsgegner ihren Umzug Ende Februar 2017 mitgeteilt
habe, sei nicht ersichtlich, warum sie nicht zu dieser Zeit auch Leistungen beim Jobcenter S.- Kreis beantragen hätte können.
Ein gerichtliches Eilverfahren gegen diesen sei einfacher und zweckmäßiger. Außerdem sei der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 SGB X nicht gegeben. Wegen der bundesweiten Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit für Grundsicherungsleistungen greife nämlich
die fortgesetzte Leistungserbringung, die die Erstattung nach § 102 Abs. 2 SGB X voraussetze, nicht.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 18. Mai 2017 zugestellten Beschluss hat dieser für die Antragstellerin am 2. Juni
2017 Beschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.
Die Berichterstatterin hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wegen
der Regelbedarfe in Betracht komme. Auf Anfrage hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass im Ergebnis eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens
gegen das Jobcenter S.- Kreis noch Leistungen für April und Mai 2017 offen seien. Ab Juni 2017 habe das Jobcenter S.- Kreis
mit Bescheid vom 16. Juni 2017 Leistungen vorläufig bewilligt.
Die Antragstellerin ist weiterhin der Ansicht, wegen § 2 Abs. 3 SGB X als Nahtlosigkeitsregelung seien Leistungen bis zur Leistungsaufnahme des nunmehr zuständigen Jobcenters durch den Antragsgegner
zu erbringen. Einzig die - hier nicht erfolgte - rückwirkende Leistungserbringung durch das Jobcenter Saalekreis lasse das
Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Wegen der zwischenzeitlichen vorläufigen Bewilligung durch das Jobcenter S.- Kreis beschränke
sich der Streitgegenstand auf die Monate April und Mai 2017.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 15. Mai 2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid
vom Bescheid vom 2. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2017 für die Monate April und Mai 2017
anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor, es sei nicht ersichtlich, warum das Jobcenter S.- Kreis nicht auch für April und Mai 2017 zahle.
Außerdem greife § 2 Abs. 2 SGB X nicht. Die Norm setze unter anderem voraus, dass die nunmehr zuständige Behörde zustimme - und die bisher zuständige Behörde
das Verwaltungsverfahren fortsetzen wolle. Letzteres sei erkennbar nicht der Fall, weil er einen Aufhebungsbescheid erlassen
habe. Außerdem müsse sich die Antragstellerin Versäumnisse bei der Antragstellung beim Jobcenter S.- Kreis vorhalten lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie
der Verwaltungsakten des Antragsgegners (Band II) verwiesen.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 15. Mai 2017 ist nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
2 Buchst. b
SGG ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den
Betrag von 750 EUR übersteigt, §§
143,
144 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGG. Die Antragstellerin begehrte die Zahlung monatlich weiterer 518 EUR. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde war dieser
Betrag für insgesamt drei Monate offen (vgl. § 42
Abs. 1 SGB II). Damit ermittelt sich der Betrag von 1.554 EUR, der den Wert von 750 EUR überschreitet.
Soweit das Sozialgericht Halle - wohl im Sinne eines mangelnden Rechtschutzbedürfnisses - auf einen einfacheren Weg zur Deckung
der grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfe durch Geltendmachung beim Jobcenter Saalekreis verwiesen hat, folgt der Senat
diesem Ansatz nicht. Denn die Prüfung des Leistungsfalls dort war noch nicht abgeschlossen, während der Antragsgegner Leistungen
nach dem SGB II bereits bewilligt hatte. Den "einfacheren Weg" zur Durchsetzung der Rechte der Antragstellerin bietet §
86b Abs.
1 SGG, in dessen Rahmen eine Rechtmäßigkeitsprüfung der angegriffenen Verwaltungsakte durchzuführen ist. Demgegenüber müsste die
Antragstellerin gegenüber dem nunmehr örtlich zuständigen Träger neben einem Anordnungsanspruch auch noch einen Anordnungsgrund
glaubhaft machen.
Auch der Einwand des Antragsgegners, die Antragstellerin habe die rechtzeitige Antragstellung beim nunmehr zuständigen Jobcenter
versäumt, greift nicht. Das SGB II kennt die Antragstellung als Leistungsvoraussetzung, § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Einen entsprechenden Antrag hat die Antragstellerin am 18. November 2016 gestellt. Auf diesen ist grundsätzlich über Leistungen
für ein Jahr zu entscheiden, § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Hält sich der Antragsgegner innerhalb dieses Zeitraums nicht mehr für zuständig, ist der Antrag weiterzuleiten. Die Sachlage
unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen, bei der ein Antrag von Beginn an bei einer unzuständigen Behörde eingegangen
ist. In diesem Fall verpflichtet § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - den unzuständigen
Leistungsträger zur unverzüglichen Weiterleitung des Antrags an den zuständigen Leistungsträger. Ist die Sozialleistung von
einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der in Satz 1 genannten Stellen
eingegangen ist. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, den Antragsteller, der sich an eine unzuständige Stelle wendet,
davor zu bewahren, dass ihm durch die zeitliche Verzögerung, mit der sein von dieser Stelle nach §
16 Abs.
2 Satz 1
SGB I an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleitender Antrag dort eingeht, materielle Nachteile entstehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG), Urteil vom 18. Mia 1995 - 5 C 1/93 - juris, Rn. 22). In diesem Sinn hat die Antragstellerin ihre Hilfebedürftigkeit nicht erst mit der "Antragstellung" beim
Jobcenter S.- Kreis, sondern bereits am 8. Dezember 2016 geltend gemacht. Mängel in der Zusammenarbeit zwischen dem vormals
und dem nunmehr zuständigen Leistungsträger können ihr insoweit nicht vorgehalten werden.
Die Beschwerde ist zum Teil begründet, weil der Antragsgegner § 2 Abs. 3 SGB X nicht beachtet und den auf den Regelbedarf entfallenden Leistungsanteil aus der Bewilligung vom 8. Dezember 2016 nicht bis
zur (vorläufigen) Aufnahme der Leistungsgewährung durch das Jobcenter S.- Kreis erbracht hat.
Verfahrensrechtliche Grundlage für eine Verpflichtung des Antragsgegners ist in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, in
denen es - wie hier - um die Geltendmachung einer bereits gewährten, zwischenzeitlich aber aberkannten Rechtsposition geht,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der angegriffenen behördlichen Entscheidung, wenn Widerspruch oder Anfechtungsklage
keine aufschiebende Wirkung haben, §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG.
Der Anwendungsbereich des §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG ist eröffnet. Die Klage der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 2. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 17. März 2017 hat keine aufschiebende Wirkung.
Zwar kommt dem Grundsatz des §
86a Abs.
1 Satz 1
SGG nach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zu, diese entfällt aber in den in §
86a Abs.
2 SGG genannten Fällen, wie etwa wenn nach Nr.
4 der Vorschrift die fehlende aufschiebende Wirkung durch Bundesgesetz vorgeschrieben ist. Eine solche bundesgesetzliche Vorschrift
ist § 39 Nr. 1 SGB II, nach dem Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt unter anderem keine aufschiebende Wirkung haben, wenn
dieser - wie hier - Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt.
Bei der Entscheidung nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG hat das Gericht das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides gegen das private
Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Es sind zuvörderst die Erfolgsaussichten
des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene durch
ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten
an der Vollziehung nicht besteht. Sind die Erfolgsaussichten nicht absehbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung. Es
gilt der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse
des Antragstellers. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme
wirkt. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später
Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg
zu versagen wäre (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 12. Aufl. §
86b Rn. 12f.) Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in den Fällen des §
86a Abs.
2 Nr.
1 bis 4
SGG im Sinne einer generalisierten Interessenbewertung eine Grundsatzentscheidung zugunsten des Vollzugsinteresses getroffen
hat (vgl. BSG, Beschluss vom 29. August 2011 - B 6 KA 18/11 R - juris, Rn. 12).
Vorliegend führt die Bewertung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
Klage der Antragstellerin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
§ 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X vermittelt der Antragstellerin einen materiell-rechtlichen Anspruch gegenüber dem Antragsgegner als vormals örtlich zuständiger
Behörde (vgl. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. Januar 2015 - L 4 AS 969/13 NZB - juris, Rn. 23), gerichtet auf die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II über den Zeitpunkt ihres Wegzugs aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners hinaus, wenn auch nicht in dem
von ihr geltend gemachten Umfang.
Gemäß § 2 Abs. 3 SGB X muss, hat die örtliche Zuständigkeit gewechselt, die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch so lange erbringen, bis
sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Diese hat der bisher zuständigen Behörde die nach dem Zuständigkeitswechsel
noch erbrachten Leistungen auf Anforderung zu erstatten. § 102 Abs. 2 gilt entsprechend.
Im Bereich des SGB II ist § 2 SGB X wie alle anderen Vorschriften des Zehnten Buchs anzuwenden (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Abweichende Regelungen zu diesem Grundsatz sind, anders als etwa für § 44 SGB X, im SGB II nicht getroffen.
Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X sind dem Grunde nach erfüllt. Durch den Umzug der Antragstellerin von H. nach T. hat die örtliche Zuständigkeit für die Erbringung
der Leistungen nach dem SGB II gewechselt, weil die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt verlegt hat (vgl. § 36 Abs. 1 SGB II). Ihr sind zur Zeit des Umzugs Leistungen nach dem SGB II durch den Antragsgegner gewährt worden und das nunmehr zuständige Jobcenter hat die Leistungsgewährung erst ab Juni 2017
und damit nicht i. S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X für April und Mai 2017 fortgesetzt.
Die Argumentation des Antragsgegners, § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X sei nicht anzuwenden, weil die Bundesagentur für Arbeit an jedem Ort der Bundesrepublik Deutschland Träger des Arbeitslosengelds
II - soweit es für den Regelbedarf geleistet werde - sei, und dass daher ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen sei, verfängt
nicht. Soweit erkennbar, zielt das Vorbringen auf die Notwendigkeit einer (im Wege der teleologischen Auslegung zu erreichenden)
Verengung des Anwendungsbereichs des § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X, wenn zu befürchten ist, dass ein Ausgleich geleisteter Zahlungen zwischen bislang und nachher örtlich zuständiger Behörde
nicht gewährleistet ist.
Indes gebietet der Sinn und Zweck von § 2 Abs. 3 SGB X eine solche Auslegung nicht. Vorrangiges Ziel in § 2 Abs. 3 SGB X ist der Schutz von Leistungsbeziehern vor der Gefahr der Unterbrechung des Leistungsbezugs (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung
zum Sozialgesetzbuch (SGB) - Verwaltungsverfahren - BT-Drucks. 8/2034, S. 30). § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB X flankieren diese in Satz 1 des Absatz 3 getroffene Regelung für den Fall, dass ein Ausgleich der Finanzierung erforderlich
ist. Folgte man der Ansicht des Antragsgegners, wäre ein solcher Ausgleich entbehrlich, weil sowohl in H. als auch im S.-
Kreis der Regelbedarf durch die Bundesagentur für Arbeit getragen werden würde. Indes ist für den Regelbedarf in H. die Bundesagentur
für Arbeit nur Leistungsträger (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), ebenso wie im S.- Kreis der Landkreis als zugelassener kommunaler Träger (§ 6a Abs. 1 iVm § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Kostenträger ist in beiden Fällen der Bund (§ 46 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II).
Selbst wenn bei dieser Sachlage eine (vorläufige) Finanzierungslücke zu Lasten des Antragsgegners als Leistungsträger wegen
der Weiterleistung erkannt werden könnte, gestatten § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB X die Erstattung zwischen ihm und dem nunmehr zuständigen Jobcenter. Die Vorschrift stellt dem Wortlaut nach auf die "Behörde",
nicht den "Leistungsträger" ab. Auch wenn sie einschränkend dahingehend auszulegen sein kann, dass ein Erstattungsanspruch
nur in Betracht kommt, wenn Anspruchsinhaber und Anspruchsgegner aus § 2 Abs. 3 Satz 3 SGB X selbständige Rechtssubjekte sind (vgl. Groth in jurisPR-SozR 2/2013, Anm. 2), was nicht für jede Behörde i. S. d. § 1 Abs. 2 SGB X zutrifft, dürfte die Rechtssubjektqualität des Antragsgegners auf der einen und des nunmehr zuständigen Jobcenters beziehungsweise
des Landkreises S.- Kreis auf der anderen Seite nicht anzuzweifeln sein.
Ein Fall des § 2 Abs. 2 SGB X, auf den der Antragsgegner zuletzt abgestellt hat, liegt nicht vor. Die Vorschrift betrifft allein das Verfahren bei einem
Zuständigkeitswechsel während eines Verwaltungsverfahrens. Das Verwaltungsverfahren zur Bewilligung von Leistungen nach dem
SGB II war aber mit Erlass des Bewilligungsbescheids vom 8. Dezember 2016 abgeschlossen (vgl. § 8 Halbsatz 2 SGB X). Das durch Anhörung vom 13. April 2017 eröffnete Verwaltungsverfahren betrifft die Frage der weiteren Rücknahme bewilligter
Leistungen für Februar und März 2017 und damit schon nicht den Regelungsgegenstand des Aufhebungsbescheids vom 2. März 2017
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2017.
Der Höhe nach hat der Antragsgegner nicht die vollen Leistungen aus dem Bescheid vom 8. Dezember 2016 bis zur Fortsetzung
der Leistungsgewährung durch das Jobcenter S.- Kreis zu gewähren. "Die Leistungen" im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X sind im Fall der Antragstellerin, bei der Mehrbedarfe nicht erkennbar sind, nur diejenigen Beträge, die der Antragsgegner
für den Regelbedarf bewilligt hat.
Grundsätzlich muss die Leistung durch die nicht mehr örtlich zuständige Behörde in dem bisherigen (rechtmäßigen) Umfang erbracht
werden. Ausgenommen von dem Anspruch auf Weiterzahlung sind solche Leistungen, die sich auf einen Anspruch beziehen, der allein
durch die bisher oder im Anschluss zuständige Behörde zu decken ist. Der Begriff "Leistungen" im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB II setzt nämlich ein Fortbestehen des Leistungsanspruchs sowie der notwendigen Leistungsvoraussetzungen unabhängig vom Wechsel
der Behördenzuständigkeit voraus. Daher ist im Bereich des SGB II bei einem sog. trägerübergreifenden Umzug die Weiterzahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung ausgeschlossen. Zieht
der SGB II-Leistungsempfänger aus seiner Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich einer Behörde aus, verliert er damit automatisch
seinen Anspruch auf Leistungen für diese nicht mehr genutzte Wohnung nach dem § 22 SGB II, weil ein entsprechender Bedarf nicht mehr zu berücksichtigen ist (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. Januar 2015
- L 4 AS 969/13 NZB - juris, Rn. 24; Neumann in Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, Stand Einzelkommentierung Lfg. 2/13, § 2 Rn. 37).
Daher sind die Leistungen für Unterkunft und Heizung aus dem Bescheid vom 8. Dezember 2016 nicht weiter zu erbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG und berücksichtigt die Leistungsaufnahme durch das nunmehr örtlich zuständige Jobcenter zum 1. Juni 2017 sowie das Unterliegen
der Antragstellerin im Hinblick auf die Weiterzahlung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.
Diese Entscheidung kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden.