Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob beim verstorbenen Ehemann der Klägerin - Versicherten - eine Blasen- und Harnröhrenkrebserkrankung
als Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung - Krebs der Harnwege durch aromatische Amine - vorlag.
Der 1953 geborene Versicherte durchlief vom 1. September 1970 bis zum 14. Juli 1972 im VEB Filmfabrik W. eine Ausbildung zum
Instandhaltungsmechaniker. Seit dem 19. Juli 1972 war er bis zum Oktober 1992 beim Chemiekombinat B. in der Abteilung TM 6
als Instandhaltungsmechaniker beschäftigt, wo er mit der Reparatur und Verschrottung von Pumpen und Behältern beschäftigt
war. Nach seiner Schätzung hielt er sich zu 20 Prozent der Arbeitszeit in der Werkstatt und zu 80 Prozent zwischen den Produktionsanlagen
auf. In seiner Tätigkeit als Meister ab 1980 war er nach seiner Schätzung zu 50 Prozent mit Kontrolltätigkeit und zu 50 Prozent
mit Bürotätigkeit befasst. In einer Tätigkeit ab 1. November 1992 für die Bayer B. GmbH war er schon nach seiner eigenen Einschätzung
nicht Aminen ausgesetzt.
Im Mai 1998 zeigten sich erste Anzeichen eines Harnröhren- und Blasenkrebses; nach Behandlung wurde im Jahr 2001 ein Rezidiv
entdeckt.
Am 28. September 2001 beantragte der Versicherte die Feststellung einer Berufskrankheit. Unter dem 16. Oktober 2001 machte
der Versicherte Angaben zu seinen Einsatzbereichen, dort vorkommenden Stoffen und zu möglichen Zeugen.
Mit Datum vom 6. November 2001 teilte die Bayer B. GmbH - Methylcellulosebetrieb - mit, in diesem Betrieb als Tätigkeitsbereich
des Klägers würden Amine nicht als Stoffe verwendet. Sie legte entsprechende Messberichte vor.
Die D. GmbH übersandte verschiedene Unterlagen.
Nach einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsbeamten Dr. K. vom 23. Januar 2002 fielen im Zuständigkeitsbereich des Versicherten
aromatische Amine in Form von p-Toluidin und p-Kresidin an. Im Bereich P 6/HW habe Umgang mit 2,4-Diaminoanisol (Ursol L),
Anilin, 1,4-Diamino-2nitrobenzol bestanden. Es handele sich um Stoffe der Gefährdungsklassen K 2 und K 3, während das ebenfalls
vorkommende aromatische Amin p-Phenylendiamin (Ursol D) nicht krebserzeugend sei. Möglicher Kontakt zu anderen Stoffen der
Gefährdungsklassen K 1 bis K 3 habe in verschiedenen Abschnitten des Bereichs P 6 bestanden. Bei Reparaturarbeiten und dem
Verschrotten von Pumpen, Ausrüstungsgegenständen und Behältern sei ein Kontakt mit einer Vielzahl von Stoffen möglich gewesen.
Die Exposition gegenüber aromatischen Aminen erfolge vorwiegend über die Haut. Beim Versicherten sei bis 1992 und während
der Zeit als Meister in geringerem Maße eine gelegentliche, nicht tägliche, stundenweise Exposition gegenüber aromatischen
Aminen anzunehmen.
In einer Stellungnahme vom 20. Februar 2002 der Gewerbeärztin M. Dr. F. vertrat diese die Auffassung, die Krankheit erfülle
nicht die Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anl. zur
BKV, weil als aromatische Amine nur Kanzerogene der Gefährdungskategorien K 2 und K 3 im Tätigkeitsbereich vorgekommen seien.
Mit Bescheid vom 12. März 2002 lehnte darauf die Beklagte die Feststellung der Berufskrankheiten nach Nr. 1301 und 1310 der
Anl. zur
BKV ab. Bezüglich der Krebserkrankung durch aromatische Amine verwies sie darauf, es habe kein Kontakt zu (einzeln aufgezählten)
Stoffen bestanden, die K 1-Stoffe sind. Soweit der Versicherte Kontakt zu Stoffen im Sinne der Nr. 1310 Anl.
BKV gehabt habe, sei als Organ für Krebsbefall die Lunge bekannt, die beim Versicherten nicht betroffen sei. Leistungen seien
nicht zu erbringen.
Mit dem noch im März 2002 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch hat der Versicherte sein Anliegen weiter verfolgt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2002 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Der Kläger
sei keinem aromatischen Amin krebserzeugender Wirkung auf die Harnblase des Menschen ausgesetzt gewesen. Bei den Stoffen p-Toluidin
und p-Kresidin, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei, handele es sich um Stoffe, deren Krebs erzeugende Wirkung nur im
Tierversuch nachgewiesen sei. Auch eine Krankheit nach §
9 Abs.
2 BKV scheide mangels entsprechender Erkenntnisse aus.
Mit der am 4. Juli 2002 beim Sozialgericht Dessau erhobenen Klage hat der Versicherte sein Anliegen weiter verfolgt. Am 26.
August 2002 ist er verstorben. Die Klägerin hat zum Zeitpunkt seines Todes mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.
Das Gericht hat ein Gutachten der Ärztin Dr. J. von der Sektion Arbeitsmedizin des Instituts für Medizinische Epidemiologie,
Biometrie und Informatik der Universitätsklinik H. vom 3. Juli 2003 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 43
- 57 d. A. verwiesen wird. Sie hat im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Arbeitsweise des Versicherten sei von einem intensiven
Kontakt mit dem jeweils produzierten Stoff auszugehen. Die Kleidung sei nach der Erfahrung aus anderen Verfahren häufig durchnässt
gewesen. Es habe also großflächiger Hautkontakt und auch inhalativer Kontakt bestanden. Die Tätigkeiten als Schlosser bzw.
Instandhalter würden in besonderem Maße als gefährdend angesehen. In einem arbeitsmedizinischen Standardwerk werde ausgeführt,
dass bei Expositionen in den fünfziger und sechziger Jahren von besonders schlechten Arbeitsbedingungen ausgegangen werden
müsse. Es gebe Erfahrungen, wonach solche Bedingungen noch lange fortbestanden hätten. Auch K 2-Stoffe seien ihrer Begriffsbestimmung
nach als Krebs erzeugend für den Menschen anzusehen. Lediglich sei die Nachweisführung auf Tierversuche beschränkt, da Menschen
in der Industrie durchgehend Mischexpositionen aromatischer Amine ausgesetzt seien, die eine unmittelbare Gefahrenzuordnung
für den einzelnen Stoff ausschlössen. Hätte er K 2-Stoffe ausschließen wollen, hätte schon der Verordnungsgeber auf aromatische
Amine der Gruppe K 1 abstellen können. Bei einem Vorkommen von p-Toluidin sei von einer wahrscheinlichen Mischexposition mit
o-Toluidin auszugehen, das als wahrscheinlich Krebs erregend eingestuft sei. Beim Umgang mit Anilin sei davon auszugehen,
dass 4-Aminodiphenyl als K 1-Stoff darin als Verunreinigung enthalten gewesen sei. Für alle anderen aromatischen Amine aus
der Aufzählung des Technischen Aufsichtsbeamten mit Ausnahme des 4-Aminodiethylanilins sei eine Krebs erregende Wirkung zumindest
nicht unwahrscheinlich. Die nicht zu den aromatischen Aminen gehörenden, dort aufgezählten K 1-Stoffe Benzol und Bischlormethylether
seien nicht für die Erregung von Blasen- oder Harnwegskrebs bekannt.
Insgesamt halte sie den Zusammenhang zwischen der Einwirkung aromatischer Amine und der Erkrankung für überwiegend wahrscheinlich.
Die Erkrankung sei für die Einwirkung typisch. Das Erkrankungsalter liege deutlich, nämlich 20 Jahre, vor dem Durchschnittsalter
für die Erkrankung. Die Latenzzeit zwischen Exposition und Erkrankung von 12 - 50, im Mittel 35 - 40 Jahren, sei hier typisch.
Es habe eine Exposition gegenüber mehreren Stoffen bestanden, die Krebs des harnableitenden Systems verursachten. Die Einordnung
als K2-Stoff könne nicht einziges Argument gegen einen Zusammenhang sein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe auch eine Exposition
gegenüber einem aromatischen Amin der K1-Gruppe bestanden. Die Expositionsbedingungen seien als schlecht einzustufen. Ein
Kollege des Versicherten führe ebenfalls ein Verfahren wegen eines Harnblasenkrebses. Demgegenüber sprächen gegen einen Zusammenhang
nur die Rauchergewohnheit des Versicherten und der Umstand, dass es sich bei den Expositionsstoffen überwiegend um K2-Stoffe
handele. Das Rauchen sei aber keine wesentliche Teilursache, weil eine chronische Exposition zu aromatischen Aminen auch ohne
regelmäßigen Nikotinabusus zu Harnblasentumoren führe.
Es sei von einem Beginn der Berufskrankheit mit dem Januar 1999 auszugehen. Ein Tumor der hier nachgewiesenen Art sei hinsichtlich
der Minderung der Erwerbsfähigkeit in den ersten beiden Jahren mit 70 v. H., ab dem Auftreten des Rezidivs im Mai 2001 mit
100 v. H. einzuschätzen. Die Oberärztin Dr. B. hat das Gutachten mitgezeichnet.
Die Beklagte hat ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Rektor des Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstituts
für Arbeitsmedizin der Universität Bochum, Prof. Dr. med. B., vom 24. Mai 2004 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen
auf Bl. 70 - 144 d. A. Bezug genommen wird. Der Gutachter ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, zwischen den hier einwirkenden
aromatischen Aminen und der durchgemachten Blasenkrebserkrankung lasse sich nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit ein
Zusammenhang begründen. Der Versicherte sei nicht nachweislich K1-Stoffen ausgesetzt gewesen. Dabei handele es sich um Stoffe,
die nach epidemiologischen Untersuchungen wie auch nach Informationen zum Wirkungsmechanismus beim Menschen Krebs erzeugten
bzw. einen Beitrag zum Krebsrisiko leisteten. Eine Dosis-Wirkungs-Beziehung sei selbst für diese Stoffe nicht bekannt. Der
Versicherte sei mit o-Toluidin und p-Kresidin K2-Stoffen ausgesetzt gewesen, die der Verursachung von Blasenkrebs verdächtig
seien, für die aber keine Evidenz einer krebserzeugenden Wirkung auf den Menschen bestünde. Die Wirkung dieser Stoffe habe
sich im Tierversuch überwiegend als dosisabhängig herausgestellt. Erhebungen beim Menschen seien nur für Gefahrenlagen möglich
gewesen, in denen eine Kombination mit anderen Chemikalien bestanden habe; bei den weiteren Stoffen habe es sich auch um K
1-Stoffe gehandelt.
Er halte auch bei einer völligen Gleichsetzung der K 2-Stoffe mit K 1-Stoffen die auf den Versicherten einwirkende Dosis nicht
für ausreichend. Aufgrund eigener Erfahrungen aus der Gummiindustrie gehe er von einer Gesamtdosis von ca. 1 mg aromatischer
Amine aus. Die Exposition habe nur in wenigen Fällen pro Jahr durch Verunreinigungen von Anilin in Form von o-Toluidin und
p-Kresidin bestanden.
Für die Zusammenhangswahrscheinlichkeit müsse nicht nur ein geeigneter Gefahrstoff vorgekommen sein, sondern auch in einer
Intensität eingewirkt haben, die denkbare andere Ursachen in den Hintergrund treten lasse. In der Regel gelte auch für krebserzeugende
Stoffe das Ansteigen der Krebswahrscheinlichkeit mit zunehmender Dosis. Für die Berufskrankheit nach Nr. 4104 sei dies durch
die Bestimmung einer Dosis berücksichtigt worden, bei der sich das Risiko verdoppelt und damit der Krankheitsausbruch mit
einer Wahrscheinlichkeit von mehr als der Hälfte auf die beruflichen Einwirkungen zurückzuführen sei. Ähnliches gelte für
die Beziehung von Lungenkrebs und bestimmten Kohlenwasserstoffen. Für aromatische Amine sei keine solche Verdoppelungsdosis
bekannt. Für den Versicherten hätten sich zudem keine konkreten Dosisgrößen ermitteln lassen. Nach seiner Auffassung komme
die Anerkennung als Berufskrankheit grundsätzlich in Betracht, wenn die arbeitsbedingte Einwirkung Krebs erzeugender aromatischer
Amine näherungsweise in dem Umfang erfolgt sei, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führe.
Hier seien die Umstände für eine Verdoppelung des Risikos bekannt. Dieses liege bei einer Einwirkungsdosis von 6 mg mit K
1-Stoffen, wobei in der Herleitung o-Toluidin als K 2-Stoff nicht berücksichtigt sei. Die Einwirkung beim Versicherten unterschreite
diese Dosis deutlich. Der vergleichsweise frühe Erkrankungszeitpunkt könne die fehlende Exposition nicht ersetzen. Das Rauchen
müsse beim Versicherten als konkurrierende Ursache angesehen werden, weil er allein dadurch die Dosis für eine Risikoverdoppelung
überschritten habe und das Risiko dasjenige durch eine mögliche berufliche Belastung um das Zehnfache überschreite.
Das Sozialgericht hat weiterhin ein Gutachten von Prof. Dr. B. über Blasenkrebs durch aromatische Amine bei Beschäftigten
in der Gummiindustrie, Bl. 149 - 187 d. A., beigezogen.
Dr. B. hat in einer ergänzenden Stellungnahme zum Gutachten vom 3. Juli 2003 unter dem 18. August 2004 (Bl. 188 - 194 d. A.)
Prof. B. entgegengehalten, er lasse offen, welche Maßstäbe er an eine Evidenz anlege. Tatsächlich lasse sich nicht beweisen,
dass o-Toluidin und p-Kresidin beim Menschen zu Blasenkrebs führten. Zu p-Kresidin lägen keine Untersuchungen am Menschen
vor. Der Tierversuch habe eine Dosis-Wirkungs-Beziehung ergeben. Im Hinblick auf die genannten Gründe müssten die vorliegenden
deutlichen Hinweise, wonach beide Stoffe auch beim Menschen Harnblasenkrebs hervorrufen könnten, ausreichen. Nach Auskunft
der am Institut tätigen Chemikerin und Erfahrungen aus Untersuchungen von Patienten, die in der chemischen Industrie gearbeitet
hätten, sei Anilin aufgrund der technischen Standards mit 4-Aminodiphenyl als K 1-Stoff verunreinigt gewesen. Die Arbeitsbedingungen
in den chemischen Werken der Region seien teilweise katastrophal gewesen. Das Wechseln von Rohren bei laufendem Betrieb sei
nach den langjährigen Erfahrungen mit Patienten aus der chemischen Industrie in der Region eine absolut gängige Arbeitsweise
gewesen. Die meisten Anlagen seien schon außerhalb der Reparaturbedürftigkeit undicht gewesen, sodass selbst bei der Wartung
Schadstoffkontakt bestanden habe. Prof. Dr. B. begründe seine Expositionseinschätzung nicht; diese sei für sie nicht nachvollziehbar.
Die Übertragung von Erfahrungen aus der Gummiindustrie auf die chemische Industrie halte sie für problematisch. Das gleiche
gelte für die Übertragung der Verdoppelungsdosis für Raucher auf Einwirkungen der Arbeitswelt. Wenn tatsächlich, wie der Kläger
angegeben habe, vier von tausend Arbeitern, davon jedenfalls zwei deutlich vor dem durchschnittlichen Erkrankungsalter, an
Blasenkrebs erkrankt seien, sei die zu erwartende Zahl um das Achtfache gesteigert. Die Rauchereigenschaft des Versicherten
könne nicht nur als Alternativursache angesehen werden. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass sich durch Rauchen das
Risiko erhöhe, an der Berufskrankheit zu erkranken.
Das Sozialgericht hat ein weiteres Gutachten des Arbeitsmediziners Prof. Dr. N. nach Aktenlage vom 5. April 2005 eingeholt,
wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 206 - 236 d. A. Bezug genommen wird. Der Sachverständige ist zu einer vollständigen Übereinstimmung
mit der Einschätzung der Sachverständigen Dr. B. gelangt. Er halte das vorgezogene Erkrankungsalter für ein starkes Indiz.
Die Erkrankung sei 22 Jahre vor dem mittleren Erkrankungsalter eingetreten. Die zeitliche Vorverlegung des Krankheitsausbruchs
sei für Harnblasenkrebs nach Einwirkung aromatischer Amine typisch und werde mit etwa zehn Jahren beziffert. Die Vorverlegung
sei hier sehr ausgeprägt. Die Latenzzeit von sieben Jahren sei plausibel.
Für die Exposition komme es entscheidend auf die Menge an. In den Jahren der Belastung mit krebserzeugenden aromatischen Aminen
seien keine Gefahrstoffmessungen durchgeführt worden. Es müsse daher auf qualitative Aussagen zurückgegriffen werden. Die
Versuche von Prof. B., über Hypothesen und Analogschlüsse zu einer Beurteilung der Gefahrstoffdosis zu gelangen, halte er
für verfehlt. Die bevorzugte Aufnahme auf dem Hautwege, die von Arbeitsweise, Arbeitsschritten, Arbeitshygiene und persönlichem
Arbeitsschutz abhänge, mache eine solche Vorgehensweise aussichtslos. Arbeitsschutz und Arbeitshygiene seien auch Anfang der
Siebziger Jahre und selbst in den alten Bundesländern noch weit vom derzeitigen Standard entfernt gewesen. Der Hinweis von
Dr. B. auf die katastrophalen Verhältnisse erscheine berechtigt. Den Schlussfolgerungen von Prof. Dr. B. aus seinen Beobachtungen
in der Gummiindustrie komme nicht der Rang eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Von einer breiten Zustimmung
in der Wissenschaft sei nicht auszugehen. Die Schlussfolgerungen von aromatischen Aminen im Zigarettenrauch auf Einwirkungen
der Arbeitswelt enthielten eine Reihe unbewiesener Voraussetzungen. Die Aufnahme durch Inhalation bzw. über die Haut habe
unterschiedliche Auswirkungen. Es sei mit einer Beeinflussung der aromatischen Amine im Zigarettenrauch durch weitere Rauchbestandteile
zu rechnen. Auch die besondere Stoffwechsellage des Rauchers bestimme die Wirkung aromatischer Amine mit. Die Rauchergewohnheit
des Versicherten könne nicht als außerberuflicher Faktor bewertet werden, weil Rauchen mit aromatischen Aminen im Sinne eines
überadditiven Synergismus zusammen wirke.
Der Sachverständige hat ein Schreiben des Facharztes für Arbeitsmedizin Priv.-Doz. Dr. B. vom 28. April 2004 nachgereicht,
mit dem dieser begründet, weshalb er Prof. Dr. B. in der Annahme einer Übertragbarkeit der Exposition bei Rauchern auf diejenige
bei Arbeitern in der Gummiindustrie nicht folgt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 241 - 244 d. A. Bezug genommen.
Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 20. Juli 2005 (Bl. 267 - 270 d. A.) vorgelegt.
Der Verfasser, der Zeuge Dr. K., weist vorab darauf hin, er sei selbst über 18 Jahre in der Farbenfabrik W. als Chemiker tätig
gewesen. Der Versicherte habe eine Reihe von Betrieben betreut, in denen Hunderte von Rohstoffen, Zwischenprodukten und Endprodukten
angefallen seien, darunter die K 2- und K 3-Stoffe, die bereits benannt worden seien. Im Zuständigkeitsbereich des Versicherten
sei aber keine Azofarbstoffproduktion erfolgt und seien die genannten Stoffe überhaupt nur in zwei von zwölf Betrieben angefallen.
Deshalb könne auch nur eine gelegentliche, nicht hohe Exposition angenommen werden. Großflächige Hautbenetzungen mit den in
Frage kommenden Aminen wären ggf. als Unfallereignis dokumentiert worden. Beim Zerlegen von Behältern aus Farbstoffbetrieben
würden keine Amine erzeugt. K 1-Verunreinigungen im Anilin seien für den Zeitraum von 1972 bis 1992 nicht zu erwarten.
Mit Urteil vom 18. Oktober 2005 hat das Sozialgericht unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten festgestellt, dass das
Harnöhrenkarzinom eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung darstelle und die Beklagte verurteilt, die dem Versicherten bis zu seinem Tode zustehenden Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung zu gewähren. Es hat ausgeführt, die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen
den beruflich einwirkenden aromatischen Aminen und der Erkrankung sei nach den Ausführungen Dr. B.s und unter Berücksichtigung
der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N. zu bejahen. Der Kläger sei gegenüber aromatischen Aminen der Gruppe K 2
exponiert gewesen. Diese Stoffe seien laut Definition als krebserzeugend für den Menschen anzusehen, weil durch hinreichende
Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweisen aus Tierversuchen und epidemiologischen Untersuchungen von ihrem nennenswerten
Beitrag zum Krebsrisiko auszugehen sei. Es sei nicht zu verkennen, dass die Exposition möglicherweise zeitlich gering gewesen
sei. Jedoch sei der genaue Nachweis der Menge der Einwirkung nicht Voraussetzung für die Anerkennung der Berufskrankheit nach
Nr. 1301. Denn für die in Betracht kommenden Stoffe bestünden auch keine MAK-Werte. Hinzu komme, dass es genaue Messgeräte
für die Schadstoffexposition nicht gegeben habe und Messungen nicht möglich gewesen seien.
Gegen das ihr am 18. November 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. Dezember 2005 Berufung eingelegt. Sie trägt
vor, bei der Berufskrankheit nach Nr. 1301 gehe es um sogenannte offene Tatbestandsmerkmale, bei denen im Rahmen der Prüfung
eines individuellen Ursachenzusammenhangs auch zu prüfen sei, ob die erfolgte Schadstoffeinwirkung allgemein zur Krankheitsverursachung
geeignet sei. Eine Krebs erzeugende Wirkung beim Menschen mit dem Zielorgan Harnblase sei für einige Stoffe, denen der Kläger
ausgesetzt gewesen sei, nur im Tierversuch nachgewiesen. Beobachtungen im Tierversuch könnten nicht ohne weiteres auf den
Menschen übertragen werden. Versuchstiere wiesen schon unter sich unterschiedliche Empfindlichkeiten gegenüber Krebs erzeugenden
Stoffen der Arbeitswelt auf. Es gebe auch für den Menschen ungefährliche Stoffe, die im Tierversuch Krebs erregend seien.
Die Übertragbarkeit sei auch wegen verschiedener biologischer Unterschiede eingeschränkt. Der Tierversuch erfordere in der
Regel zudem hohe Dosen, die das Risiko spezifischer falsch positiver Befunde in sich trügen. Eine entgegenstehende Auffassung
einzelner Gutachter genüge den Beweisanforderungen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Der angeschuldigte Stoff müsse
so weit erforscht sein, dass eine Aussage unabhängig vom Einzelfall getroffen werden könne. Diesbezüglich müsse sich eine
herrschende Lehrmeinung herausgebildet haben. Dies sei hier nicht gegeben. Folge man den Sachverständigen Dr. B. und Prof.
Dr. N., wäre die Unterscheidung zwischen K 1- und K 2-Stoffen entbehrlich. Die Aufgabe der Unterscheidung werde aber nicht
gefordert. Prof. Dr. N. bezeichne die dazu vertretene Gegenmeinung selbst als einen "weit verbreiteten" Irrtum. O-Toluidin
und p-Kresidin seien so häufig verwendete Substanzen, dass das Fehlen eines epidemiologischen, empirischen und erst recht
tatsächlichen Nachweises erhöhter Erkrankungsrisiken nicht übergangen werden könne. Prof. Dr. N. halte selbst die Expositionsmenge
für entscheidend, die hier nicht erwiesen sei. Den seriösen Versuch von Prof. Dr. B. lehne er ab, um statt dessen von Dr.
B. haltlose Gefährdungsszenarien zu übernehmen. Das Sozialgericht würdige die Gutachten insgesamt ungenügend. So stelle es
die Dauer der Exposition als unerheblich dar, obwohl Prof. Dr. N. selbst der Expositionshöhe Bedeutung zuschreibe. Nach §
9 der
SGB VII gälten nur solche Krankheiten als Berufskrankheit, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere
Einwirkungen verursacht seien, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade
als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sei. Diese Voraussetzung erfüllten nur K 1-Stoffe, die allein zur Schaffung der Berufskrankheit
nach Nr. 1301 geführt hätten. Die Exposition gegenüber o-Toluidin sei im Übrigen zu bestreiten und beruhe auf einer Schlussfolgerung,
die sie nicht teile.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 10. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie betont, eine maßgebliche Exposition zumindest gegenüber K 2-Stoffen werde überhaupt nicht in Zweifel gezogen. Bezüglich
der Ursächlichkeit für eine Krebserkrankung der Harnwege komme es nur auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit an. Insbesondere
das Gutachten von Prof. Dr. N. sei restlos überzeugend.
Das Gericht hat ein Gutachten des Direktors des Instituts der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des Universitätsklinikums
H. Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. vom 1. Dezember 2008 eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 361 - 393 d. A. verwiesen.
Der Sachverständige hat sich im Ergebnis den Erwägungen der anderen Sachverständigen angeschlossen. Er hat ausgeführt, eine
zeitliche Vorverlegung der Tumorentstehung könne auf eine besondere Veranlagung des Einzelnen und/oder eine außergewöhnliche
äußere Belastung mit krebserzeugenden Stoffen hinweisen. Die Unterscheidung von K 1-Stoffen und K 2-Stoffen müsse vor dem
Hintergrund der Zielsetzung ausgelegt werden. Bestimmungsgemäß dienten Grenzwerte dem Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz
und nicht vorrangig der Frage einer allgemeinen Geeignetheit zur Verursachung einer Berufskrankheit. Es handele sich nicht
um feste Größen, aus denen das Eintreten oder Ausbleiben von Wirkungen bei längeren oder kürzeren Einwirkungszeiten errechnet
werden könne. Ebenso wenig lasse sich aus der Einstufung als Krebs erzeugender Arbeitsstoff eine festgestellte oder angenommene
Schädigung im Einzelfall herleiten; hier entscheide allein der ärztliche Befund unter Berücksichtigung aller äußeren Umstände
der Entwicklung des Falles. Die Zielsetzung der Arbeitsstoffkommission sei nicht gleichzusetzen mit der Frage, ob die Voraussetzungen
für eine Berufskrankheit im Sinne von §
9 Abs.
1 SGB VII vorlägen. Nur einige Teile der Begründung der Arbeitsstoffkommission für die Einstufung seien inhaltlich vergleichbar mit
den Anforderungen an die wissenschaftliche Begründung für eine neue Berufskrankheit. Dies treffe beispielsweise für die Abschnitte
Wirkungscharakter, Wirkungsmechanismus und Erfahrungen beim Menschen zu. Die Kategorie K 1 stelle nicht umfassend die arbeitsbedingten
Krebsrisiken dar. Bei vielen, vor allem bei neu eingeführten Arbeitsstoffen, die aus Tierversuchen als notorisch Krebs erzeugend
bekannt seien, lägen die für die Kategorie K 1 erforderlichen Untersuchungen und Beobachtungen nicht vor. O-Toluidin sei 2006/07
als K 1-Stoff eingestuft worden. Epidemiologische Untersuchungen hätten ein bedeutend erhöhtes Risiko von Harnblasenkrebs
in Verbindung mit der Zunahme der Expositionszeit ergeben. O-Toluidin sei genotoxisch. Er gehe, wie die Vorgutachter, auch
von einer o-Toluidin-Exposition des Versicherten aus, da die Beklagte dieser Annahme nicht widersprochen habe. Während für
das rauchinduzierte Krebsrisiko eine mengenbezogene Abschätzung möglich sei, gelte dies im Falle der beruflichen Einwirkung
von o-Toluidin nicht. Dazu seien Untersuchungen unter Anwendung des Biomonitoring erforderlich, die früher nicht bekannt gewesen
seien. Ergebnisse von Luftmessungen zu Arbeitsstoffkonzentrationen, die ebenfalls nicht bekannt seien, seien zudem im Falle
von hauptsächlich über die Haut aufgenommenen Stoffen wie aromatischen Aminen nicht genügend aussagekräftig. Die Bedeutung
anderer aromatischer Amine, insbesondere des in Kategorie 2 gelisteten p-Kresidin, für die Verursachung einer Krebserkrankung,
könne nicht mit der notwendigen Sicherheit abschließend beurteilt werden. Es sei aufgrund des Wirkungsmechanismus von aromatischen
Aminen auch beim Menschen von einer Krebs erzeugenden Wirkung auszugehen. So sei ein genotoxisches Potential von p-Kresidin
bekannt. Für die Stoffe neben o-Toluidin, denen gegenüber der Versicherte exponiert gewesen sei, bestätige die aktuelle Bewertung
eine gesicherte humankanzerogene Wirkung insgesamt aber nicht. Bei der Exposition gegenüber den genannten aromatischen Aminen
sei auch ohne konkrete Quantifizierung davon auszugehen, dass in erhöhtem Maße eine Gefahr der Erkrankung bestünde. Die Kombination
gesichert und wahrscheinlich humankanzerogener Stoffe stelle aber eine Gefahrenquelle für Krebserkrankungen der ableitenden
Harnwege dar. Hinsichtlich des Zusammenwirkens mehrerer aromatischer Amine sei nachvollziehbar, dass eine Kombination bekannter,
beruflichen Harnblasenkrebs erzeugender Stoffe grundsätzlich die Wirkung verstärke. Für die Bewertung der Ursächlichkeit seien
die zeitlichen Abläufe bedeutsam. Aus den Erfahrungswerten mit der Berufskrankheit Nr. 1301 sei eine durchschnittliche Expositionsdauer
von 20 Jahren und eine mittlere Latenzzeit von 36 Jahren errechnet worden; beim Versicherten betrage sie 20 bzw. - im zu erwartenden
Streubereich - 26 Jahre. Weiter sei der Zeitraum zwischen Expositionsende und Krankheitsausbruch zu beachten, der beim Versicherten
etwa sechs Jahre betrage. Für Raucher habe sich ergeben, dass sich die Krebsgefahr nach 10 bis 15 Jahren Nichtrauchens stark
vermindere. Dieser Gesichtspunkt erhöhe den Beitrag des fortgeführten Rauchens an der Krankheitsverursachung beim Versicherten.
Insgesamt seien die zeitlichen Abläufe mit der Annahme einer Berufskrankheit zu vereinbaren und bei zusammenfassender Würdigung
die Verursachung der Krebserkrankung durch die Exposition gegenüber o-Toluidin in Verbindung mit anderen aromatischen Aminen
wahrscheinlich.
Das Gericht hat eine weitere Stellungnahme des Technischen Aufsichtsbeamten Dr. K. vom 10. Dezember 2003, Bl. 402 - 407 d.
A., in das Verfahren eingeführt. Dieser hat ausgeführt, Aussagen über eine Verunreinigung von Anilin durch K 1-Stoffe bezögen
sich auf eine Zeit vor 1900. Bei der schon in den fünfziger Jahren verfügbaren Technologie sei mit solchen Verunreinigungen
nicht mehr zu rechnen gewesen. Toluidin sei im Anilin höchstens zu 0,015 Prozent enthalten.
Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen zur Exposition des Versicherten. Wegen der Einzelheiten
wird auf Bl. 439 f. d. A. Bezug genommen. Der Zeuge W. hat bekundet, er sei dem Versicherten während der Tätigkeit im Chemiekombinat
vorgesetzt gewesen. Dieser sei vorwiegend in dem Bereich eingesetzt gewesen, in dem Schädlingsbekämpfungsmittel hergestellt
worden seien. Dabei sei er mit Rückständen von Stoffen in Berührung gekommen. Er sei wohl um 1980 herum Meister geworden und
habe dann Leitungsfunktionen wahrgenommen. Er werde aber auch selbst tätig geworden sein, da Instandhaltungskräfte knapp gewesen
seien. Er habe sich jedenfalls im Rahmen der Kontrolle und Anleitung vor Ort aufhalten müssen. Ein Zeitanteil als Instandhalter
von 20 Prozent in der Werkstatt und 80 Prozent in der Produktion könne passen.
Der Zeuge Dr. W. hat angegeben, er sei während der fraglichen Zeit für den Kresidinbetrieb verantwortlich gewesen. Der Versicherte
sei mit seiner Arbeit grundsätzlich anderweitig eingeteilt gewesen. In seinem Betrieb sei p-Toluidin als Ausgangsstoff verwendet
worden. Er schließe aus, dass auch o-Toluidin angefallen sei. Auch für den Ursolbetrieb sei der Versicherte grundsätzlich
nicht eingeteilt gewesen. Die Produktion von 2,4-Diaminoanisol oder Ursol L sei grundsätzlich nebensächlich und in ganz geringem
Umfang erfolgt, Hauptprodukt sei Ursol D gewesen. In mehreren Bereichen seien polyzyklische Kohlenwasserstoffe, insbesondere
Chlorbenzol, verwendet worden.
Der Zeuge Dr. K. hat angegeben, ihm sei nicht bekannt, dass beim Einsatz von p-Toluidin zwangsläufig o-Toluidin anfalle. Denkbar
sei dies nur als Verunreinigung. Ein solcher Umstand hätte dann aber folgerichtig auch zur Hochstufung von p-Toluidin zum
K 1-Stoff führen müssen, wie sie bei o-Toluidin erfolgt sei. Für den Fall einer unvermeidlichen Verunreinigung sei man z.
B. bei Dichlormethyläther so vorgegangen.
Das Gericht hat aus einer parallel geführten Streitsache eines anderen Klägers die Aussage des von der Klägerin benannten
Zeugen P. R., Bl. 464-467 d. A. in das Verfahren eingeführt. Darin bestätigt dieser als früherer Betriebsleiter der R- und
der Ätherfabrik, dort seien keine aromatischen Amine verarbeitet worden, und ihm sei ihr Anfall auch im Übrigen nicht bekannt.
Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. vom 18. April 2012 eingeholt, wegen deren
Einzelheiten auf B. 446 - 453 d. A. verwiesen wird. Der Sachverständige hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, bei
fehlendem Nachweis einer Exposition gegen o-Toluidin mache eine Exposition gegen p-Kresidin allein die Verursachung der Krebserkrankung
nicht wahrscheinlich. Das Rauchen stelle einen außerberuflichen Faktor dar, der die Entstehung der Krebserkrankung allein
erkläre.
In der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung haben die Akten der Beklagten - Az.: ... - vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Der Bescheid der Beklagten vom 12. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2002 beschwert die Klägerin
nicht im Sinne von §§
157,
54 Abs.
2 S. 1
SGG im - hier nur im Streit stehenden - Umfang der Verurteilung der Beklagten durch das Sozialgericht.
Es ist im Falle des Versicherten nicht wahrscheinlich, dass seine - im Krankheitsverlauf metastasierte - Harnröhrenkrebserkrankung
durch den beruflichen Umgang mit aromatischen Aminen verursacht wurde.
Die im Falle des Versicherten aufgetretenen besonderen Einwirkungen im Sinne des §
9 Abs.
1 S. 2 des
Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB VII - G. v. 7.8. 1996, BGBl. I S. 1254), die bei Nr. 1301 Anl.
BKV in der Einwirkung von aromatischen Aminen zu sehen sind, die Krankheiten - hier Krebs der Harnwege - hervorrufen können,
lagen bei ihm möglicherweise durch eine Einwirkung von p-Kresidin vor, wie der Sachverständige Prof. Dr. med. Dipl.-Chem.
T. in seinem Gutachten vom 1. Dezember 2008 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. April 2012 ausgeführt hat. Dabei
hat er in einer differenzierenden Weise erläutert, dass für p-Kresidin zwar nach den Maßstäben der Arbeitsschutzkommission
im Rahmen der Kategorienzuordnung eine gesicherte Krebs erregende Wirkung beim Menschen nicht bestätigt werden kann, es aufgrund
seines genotoxischen Wirkungsmechanismus aber wahrscheinlich beim Menschen Krebs erzeugend wirkt. Ob diese Beurteilung ausreicht,
um die Voraussetzung einer allgemeinen Verursachung der Krankheit durch besondere Einwirkungen nach §
9 Abs.
1 S. 2
SGB VII auszufüllen, kann dahinstehen.
Für alle weiteren aromatischen Amine, für die ein beruflicher Kontakt des Versicherten erwogen worden ist, fehlt es entweder
an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass sie allgemein Krebs der Harnwege verursachen können oder ist der berufliche
Kontakt des Versicherten nicht gesichert.
Eine Exposition des Versicherten gegen 2,4-Diaminoanisol lässt sich nicht belegen. Zwar wurde dieser Stoff im Ursolbetrieb
als Ursol L erzeugt. Nach der Aussage des Zeugen Dr. W. handelte es sich aber um eine nebensächliche und geringfügige Produktion
gegenüber derjenigen von Ursol D. Zudem lag der Betrieb nach der Aussage von Dr. W. schon räumlich nicht in dem Bereich, für
den der Versicherte eingeteilt war. Nach der Aussage des Zeugen W. kann der Versicherte dort nur bedingt und vertretungsweise
tätig gewesen sein. Dies begründet keine Überzeugung gegen jede vernünftige Zweifel, dass der Versicherte mit dem Stoff in
Berührung gekommen sein muss. Denn selbst wenn es zu einzelnen Einsätzen des Versicherten im Ursolbetrieb gekommen ist, was
noch wahrscheinlich sein mag, ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass sich diese auf die Hauptproduktion von Ursol D und
nicht auf die nebensächliche Produktion von Ursol L bezogen haben. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass ein Kontakt in
der Tätigkeit des Versicherten als Meister noch unwahrscheinlicher war, weil der Zuständigkeitsbereich dabei enger als für
die Instandhaltungstätigkeit war. Diese stärkere Konzentration der Tätigkeit auf die Betriebe für Schädlingsbekämpfungsmittel
hat der Zeuge W. mitgeteilt.
Das Auftreten des nachweislich Krebs erzeugenden Stoffes o-Toluidin im beruflichen Umfeld des Versicherten kann das Gericht
nicht feststellen. Die entsprechende Behauptung von Dr. J., dieser Stoff komme mit p-Toluidin höchstwahrscheinlich vor, lässt
sich nicht belegen. So hat der Zeuge Dr. W. die Anwesenheit von o-Toluidin bei der Verarbeitung von p-Toluidin in seinem Betrieb
ausgeschlossen. Schon dies zeigt, dass der allgemeine Satz Dr. J.s, beim Vorkommen von p-Toluidin trete wahrscheinlich auch
o-Toluidin auf, nicht beweisbar ist. Weiterhin hat der Zeuge Dr. K. als Chemiker mitgeteilt, ihm sei das von Dr. J. vermutete
gemeinsame Auftreten von p- und o-Toluidin nicht bekannt. Er hat auch eine plausible Erläuterung dazu geben können, dass diese
Vermutung nicht einer belegten wissenschaftlichen Erfahrung entsprechen kann. Denn es überzeugt, wenn er das Unterlassen einer
Hochstufung von p-Toluidin zu einem Stoff der Gefahrenklasse K 1 zusammen mit o-Toluidin mit einem zwangsläufigen gemeinsamen
Vorkommen für unvereinbar hält. Eine gemeinsame Einstufung von Stoffen in eine höhere Gefahrenklasse hat die Arbeitsstoffkommission
nach seiner Erläuterung an einem Beispiel nämlich in anderen Fällen vorgenommen, in denen ein Stoff als Verunreinigung eines
anderen notwendig vorkommt.
Auch das von Dr. J. behauptete Vorkommen des K 1-Stoffes 4-Aminodiphenyl als Verunreinigung im Anilin ist für den fraglichen
Kontaktzeitraum des Versicherten nicht gegen jede vernünftigen Zweifel festzustellen. Dagegen spricht bereits - entsprechend
der vom Zeugen Dr. K. zum o-Toluidin angestellten Überlegung - die Einstufung von Anilin in die Gefahrengruppe K 4, bei der
ein Krebsrisiko für den Menschen von der Einhaltung von Höchstkonzentrationen abhängt. Diese Einstufung ergibt sich aus der
Anlage, die Prof. Dr. med. Dipl.-Chem T. seinem Gutachten vom 1. Dezember 2008 beigefügt hat. Sie wäre aber widersinnig, wenn
eine Verunreinigung mit einem K 1-Stoff zwangsläufig anfällt. Der Zeuge Dr. K. hat zudem als technischer Aufsichtsbeamter
der Beklagten schon in seiner Stellungnahme vom 1. Dezember 2003 näher dargestellt, dass das Auftreten von 4-Aminodiphenyl
bei der Anilinverarbeitung nach dem technischen Standard jedenfalls seit den 50er-Jahren nicht zu erwarten war. Damit steht
in Einklang, dass in dem von ihm beigefügten Auszug aus dem Handbuch der Arbeitsmedizin reines Anilin als nicht krebserzeugend
beim Menschen bezeichnet wird. Diese Aussage wäre gegenstandslos, wenn in der Arbeitswelt zwangsläufig Verunreinigungen mit
K 1-Stoffen aufträten.
Für alle weiteren, im Arbeitsumfeld des Versicherten aufgetretenen aromatischen Amine, die alle außerhalb der Gefahrengruppen
K 1 und K 2 eingestuft sind, gilt, dass schon abstrakt nicht nachweisbar ist, dass Krebserkrankungen der Harnwege im Sinne
von §
9 Abs.
1 S. 2
SGB VII durch sie als besondere Einwirkungen verursacht sind. Allgemein umfasst die Gruppe K 3 nach den Ausführungen der Gutachter
Dr. J. und Prof. Dr. B. Stoffe, die wegen erwiesener oder möglicher Krebs erzeugender Wirkung Anlass zur Besorgnis geben,
aber aufgrund unzureichender Informationen nicht endgültig beurteilt werden können, woraus bereits auf die fehlende Klärung
einer Krebs erzeugenden Wirkung auf die Harnwege beim Menschen zu schließen ist. Der entgegen stehenden Auffassung Prof. Dr.
N.s, wonach auch genotoxische Stoffe der Kategorie K 3 generell zur Erzeugung von Blasenkrebs geeignet sind, folgt der Senat
im Hinblick auf die rechtlichen Beweisanforderungen nicht, nach denen unzureichende Informationen keine Überzeugungsbildung
unter Verdrängung selbst ernster Zweifel ermöglichen können. Dass die Unterfassung der jeweiligen Stoffe unter die Kategorie
3 unrichtig wäre, behauptet aber auch Prof. Dr. N. nicht.
Auch der Umgangsstoff Ursol D, bei dem es sich nach der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten um p-Phenylendiamin
handelt, erfüllt die Voraussetzungen einer Gefährdung im Hinblick auf Krebs der Harnwege nicht. Zwar geht Dr. J. im Gegensatz
zu dem Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten von einem begründeten Verdacht auf Krebs erregendes Potential aus. Eine K-Einstufung
des Stoffes teilt sie jedoch nicht mit und räumt ein, es gebe bisher kaum Untersuchungen. Die Voraussetzungen des §
9 Abs.
1 S. 2
SGB VII, wonach der Stoff als besondere Einwirkung schlechthin Krebserkrankungen der Harnwege verursachen müsste, erfüllen solche
bloßen Verdachtsmomente nicht.
Die danach nur nachgewiesene Einwirkung durch aromatische Amine in Form von p-Kresidin hat beim Versicherten nicht im Sinne
von §
9 Abs.
1 S. 1
SGB VII als Teil seiner versicherten Tätigkeit die Krebserkrankung verursacht. Maßgeblich ist für den Zusammenhang zwischen den beruflichen
Belastungen und dem Gesundheitsschaden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, bei der mehr für als gegen den Zusammenhang spricht
und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urt. v. 9.5.06 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Dabei sind in dem ersten Schritt der Prüfung der naturwissenschaftlichen Ursächlichkeit nur die
Bedingungen in die weitere Prüfung einzubeziehen, die gedanklich nicht fehlen dürfen, ohne dass auch der entstandene Gesundheitsschaden
fehlen würde. Bereits diese naturwissenschaftliche Ursächlichkeit lässt sich nach der Beurteilung des Sachverständigen Prof.
Dr. med. Dipl.-Chem. T. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. April 2012 nicht begründen. Denn er verneint die gestellte
Frage nach der Wahrscheinlichkeit der naturwissenschaftlichen Ursächlichkeit von p-Kresidin für die Krebserkrankung. Darin
liegt im Übrigen keine medizinische Abweichung von seinem Gutachten vom 1. Dezember 2008. Denn dort ist er davon ausgegangen,
dass die Exposition gegenüber o-Toluidin "in Verbindung mit" anderen aromatischen Aminen die Wahrscheinlichkeit der Mitverursachung
begründe. Diese Formulierung legte schon nahe, dass das medizinische Ergebnis nach Einschätzung des Sachverständigen von dem
Vorhandensein von o-Toluidin abhing, das sich nicht bestätigt hat. Auch hatte schon in dem Gutachten nicht der Sachverständige
selbst dem Gedanken beigepflichtet, o-Toluidin sei notwendige Verunreinigung von p-Toluidin, sondern hatte sich allein auf
die - zu dieser Zeit noch zutreffende - Beobachtung bezogen, dass die Beklagte diesem Gedanken nicht widersprochen habe.
Die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. überzeugt, weil die Einwirkung von p-Kresidin - als einziges
nach den obigen Ausführungen im Arbeitsumfeld des Versicherten vorhandenes aromatisches Amin von einschlägiger Bedeutung -
nach Art, Ausmaß und Häufigkeit als insgesamt gering einzustufen ist. Die nachweisbare berufliche Exposition des Versicherten
beschränkt sich auf einen seltenen Umgang mit p-Kresidin während der Zeit von 1972 bis 1992. Dieses Ergebnis ist aus den Aussagen
der Zeugen, den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten und den eigenen Angaben des Versicherten abzuleiten.
Nach der Aussage des Zeugen Wegewitz war der Versicherte als Instandhaltungsmechaniker vorrangig in dem Bereich beschäftigt,
in dem Schädlingsbekämpfungsmittel hergestellt wurden. Der Bereich betraf Betriebe, die durch die Namen Wofatox, Filitox und
Tinox gekennzeichnet waren, weiterhin den Mersol/Mersolat-Betrieb. Nach den insoweit unwidersprochen gebliebenen Einschätzungen
des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten fielen im Wofatox-Betrieb als Teil des Bereiches P 6/WR keine aromatischen
Amine an. Nach der Aussage des Zeugen Dr. W. gelangten auch im Mersol/Mersolat-Betrieb keine aromatischen Amine zur Anwendung.
Nach der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 20. Juli 2005 kamen aromatische Amine überhaupt nur in zwei der
vom Versicherten betreuten Betriebe vor, die nach der Zeugenaussage von Dr. W. als Kresidin- und Ursolbetrieb feststehen.
Eine andere Einschätzung der Einwirkung in den vom Zeugen Wegewitz benannten Zuständigkeitsbereichen des Versicherten ergibt
sich auch nicht aus dessen eigenen Angaben. Zwar hat der Versicherte den Umgang mit Filitox und Tinox nicht in Verbindung
mit dem Wofatox-, sondern mit dem Mersol/Mersolatbetrieb gebracht, jedoch war auch dieser Bereich nach der Aussage des Zeugen
Dr. W. frei von aromatischen Aminen.
Im Kresidinbetrieb war der Versicherte nur aushilfsweise tätig, wie die Zeugen W. und Dr. W. übereinstimmend ausgesagt haben.
Der Senat hält es gleichwohl schon aufgrund des vergleichsweise langen Zeitraums für erwiesen, dass er jedenfalls in wenigen
Fällen in Kontakt zu Resten von p-Kresidin gekommen ist, die sich beim Öffnen der Rohr- und Pumpsysteme als Rückstände entleerten
oder in verkrustetem Zustand abgekratzt werden mussten. Auf besondere Umstände der Hautberührung kommt es dabei allerdings
nicht entscheidend an, weil p-Kresidin im Gegensatz zu anderen aromatischen Aminen nach der Darstellung von Dr. J. hauptsächlich
über die Lunge aufgenommen wird.
Für die Zeit nach 1980 ist die Exposition als noch geringer einzuschätzen. Seit dieser Zeit war der Versicherte als Meister
tätig. Von den beiden verschiedenen Angaben, die die Beklagte zum Beginn der Tätigkeit als Meister - 1980 und 1985 - am 29.
Oktober 2001 aufgenommen hat, trifft die frühere zu. Dies ergibt sich aus der zeitlichen Eingrenzung durch den Zeugen W.,
die im Rahmen der Schätzungsbreite genau auf 1980 und jedenfalls auf einen Zeitpunkt vor 1985 hinweist, und dem Umstand, dass
der Versicherte schon anlässlich einer Auszeichnung am 7. Oktober 1983 als Meister bezeichnet wurde; die Bescheinigung befindet
sich bei den von der D. GmbH übersandten Unterlagen. Während der Zeit als Meister war der Versicherte nach der Aussage des
Zeugen W. "nicht mehr so unmittelbar mit den Apparaturen" beschäftigt, sondern verrichtete vor Ort vorrangig anleitende und
kontrollierende Tätigkeit. Für die Vermutung des Zeugen, der Versicherte könne wegen Personalmangels auch selbst unmittelbar
als Instandhalter tätig gewesen sein, ergibt sich kein Beleg. Hinzu kommt, dass die Zuständigkeit des Versicherten als Meister
noch enger auf den Bereich der Schädlingsbekämpfungsmittel beschränkt war und er für andere Bereiche allenfalls vertretungsweise
zuständig war, wie der Zeuge W. bekundet hat.
Die Einwirkung von p-Kresidin ist als geringfügig einzuschätzen, auch wenn keine bestimmte Mindestdosis für die Auslösung
einer Krankheit festgelegt werden kann. Es besteht Einigkeit unter allen Sachverständigen und Gutachtern darüber, dass jedenfalls
unmittelbar rechnerisch keine Dosis-Wirkungs-Beziehung für aromatische Amine im beruflichen Umfeld ermittelt werden kann.
Dazu fehlt es an eindeutigen Messergebnissen bezüglich der Einwirkung und an rechnerischen Beziehungen zwischen Dosis und
Wirkung. Die Herstellung einer konkreten Dosis-Wirkungs-Beziehung, die Prof. Dr. B. versucht, führt schon nach seiner eigenen
Einschätzung für den Fall des Versicherten nicht zu einer wahrscheinlichen Verursachung. Dieser Einschätzung hält Dr. B. in
ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 18. August 2004 aber mit Recht entgegen, sie sei nicht überprüfbar, da es für den Rückgriff
auf Erfahrungen aus der Gummiindustrie an einer ausführlichen Begründung zur Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Tätigkeiten
und Messergebnisse fehle. Dies bedarf aber keiner weiteren Klärung, da sich sowohl Dr. B. als auch Prof. Dr. N. überzeugend
schon im Ansatz gegen die rechnerische Übertragbarkeit von Risiken des Rauchens auf die Industrie und diejenige von einem
Industriezweig auf den anderen wenden. Ebenso überzeugt den Senat das von Prof. Dr. N. vorgelegte Schreiben von Priv.-Doz.
Dr. B. vom 28. April 2004, mit dem dieser seine Zweifel an der Übertragbarkeit der Einwirkungen des Rauchens auf diejenigen
am Arbeitsplatz mit den Unterschieden der Aufnahme der Schadstoffe und den Unwägbarkeiten einer gegenseitigen Beeinflussung
verschiedener Schadstoffe insbesondere beim Rauchen begründet.
Dies führt allerdings nicht dazu, mangels festzustellender Grenzwerte jede Einwirkung als für eine einschlägige Krebserkrankung
wahrscheinlich ursächliche mit der Begründung zu bewerten, jede Dosis könne grundsätzlich die Krankheit auslösen. Dieser Gedanke
betrifft die Gefahrenabwehr für die fraglichen Stoffe, für die die Zielvorgabe bestimmt ist, eine mögliche Gefahr durch die
Stoffe nicht hinnehmen zu wollen. Für die Frage der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Schadensverursachung besagt der
Umstand wiederum nur, dass eine konkrete Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht bekannt ist. Davon ist aber der Verordnungsgeber bei
Einführung der Berufskrankheit Ende der 30er Jahre zwangsläufig schon ausgegangen, ohne die Rechtsanwender von der Prüfung
eines Wahrscheinlichkeitszusammenhangs im Einzelfall zu entbinden. Die rechtliche Prüfungsanforderung besteht darin, vor dem
Hintergrund fehlender rechnerischer Möglichkeiten zur Herstellung eines Zusammenhanges stattdessen mit einer Beweiswürdigung
in einer Gesamtschau jedenfalls bedeutsamer Faktoren die Verursachungswahrscheinlichkeit zu bestimmen. Auch der Sachverständige
Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. verweist in seinem Gutachten darauf, die Verursachung einer Schädigung im Einzelfall sei anhand
des ärztlichen Befundes unter Berücksichtigung aller Umstände des Fall-Herganges zu prüfen.
Zu diesen Faktoren gehört aber auch der mehrfache Hinweis der Sachverständigen und Gutachter, dass man jedenfalls von einem
steigenden Krebsrisiko bei steigender Einwirkung ausgehen könne (insbesondere bei Prof. Dr. N.). Gerade für p-Kresidin hat
Dr. J. in ihrem Gutachten mitgeteilt, es habe sich im Tierversuch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung herstellen lassen. Es gibt
keinen Grund, an diese Erkenntnisse nicht anzuküpfen, wenn die gleichen Tierversuche als maßgeblich für eine gesicherte Krebsverursachung
beim Menschen angesehen werden. Dies muss aber die vorausgesetzte Unterstellung dafür sein, überhaupt die Verursachungswahrscheinlichkeit
für einen K 2-Stoff im Einzelfall zu prüfen. Der Sachverständige Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. hat dazu angegeben, Harnblasenkrebs
bei Ratten und Mäusen werde durch sehr hohe Dosen ausgelöst. Es liegt nahe, bei einer punktuellen und im Hinblick auf die
vorrangige Aufnahme über die Lunge dann jeweils nicht auffällig starken Einwirkung die Zusammenhangswahrscheinlichkeit zu
verneinen.
Eine Synkanzerogeneseproblematik durch ein Zusammenwirken von p-Kresidin mit anderen Berufsstoffen ist nicht zu erkennen.
Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. hat schon in seinem Gutachten vom 1. Dezember 2008 klargestellt, dass den anderen Chemikalien
für die Frage der Berufskrankheit Nr. 1301 kausalanalytisch keine Bedeutung zukommt. Zwar war der Kläger auch gegenüber Krebs
erzeugenden Stoffen, sogar der K 1-Klassifikation, exponiert, die keine aromatischen Amine sind. Dies waren Benzol, Bischlormethylether
und später Monochlordimethylether. Es gibt dazu aber keine gesicherten Erkenntnisse zum Krankheitsbefall der Harnblase, wie
Dr. J. unwidersprochen ausgeführt hat. Von den von Prof. Dr. N. neben aromatischen Aminen hervorgehobenen weiteren Berufsstoffen
des Versicherten, die nach seiner Auffassung Harnblasenkrebs verursachen können, nämlich polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen
und organischen Lösungsmitteln, hat der Zeuge Dr. W. nur die Verwendung von Chlorbenzol bestätigt, die keiner der beteiligten
Sachverständigen und Gutachter mit der Entstehung von Harnblasenkrebs in Verbindung gebracht hat, obwohl sie bereits aus der
Schadstoffaufstellung des Versicherten hervorgegangen war. Insofern hat der Sachverständige Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T.
nachvollziehbar keine Diskussionsansätze zur Synkanzerogenese beruflich einwirkender Stoffe gesehen.
Auch der Umstand des Rauchens in einem Umfang von 20 packyears führt nicht zu einer anderen Betrachtungsweise, wie der Sachverständige
nachvollziehbar einschätzt. Denn das Rauchen als solches erklärt bereits für sich allein durch eine zwei- fache Erhöhung des
Erkrankungsrisikos die Entstehung der Krankheit, ohne dass es dazu einer zusätzlichen Erklärung durch berufliche Belastungen
bedarf. Es kann nicht mit Prof. Dr. N. wegen eines überadditiven Synergismus mit der Einwirkung von aromatischen Aminen als
für die weitere Prüfung bedeutungslos abgetan werden. Dem Gedanken des Zusammenwirkens kommt auch keine Bedeutung zu, wenn
man nach konkreter Ermittlung der geringfügigen Einwirkung von p-Kresidin mit Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. T. zu dem Ergebnis
gelangt, dieser Stoff habe schon im Rahmen der naturwissenschaftlichen Kausalität nicht wahrscheinlich einen Ursachenbeitrag
zu der entstandenen Krebserkrankung geleistet. Bei dieser Einschätzung hat der Sachverständige die Denkmöglichkeit eines überadditiven
Synergismus bei der Synkanzerogenese gesehen, wie sich aus der entsprechenden Darstellung einer Wirkungsverstärkung bei einer
Kombination bekannter beruflicher Harnblasenkarzinogene ergibt. Dies hat ihn aber nicht bewogen, der Einwirkung von p-Kresidin
die Bedeutung eines naturwissenschaftlichen Ursachenbeitrags für die Entstehung des Harnröhrenkrebses beim Versicherten beizumessen.
Diesen Gedanken konnte Prof. Dr. N. so nicht anstellen, weil er entgegen dem Beweisergebnis des Senats von einer erheblichen
beruflichen Einwirkung von aromatischen Aminen auf den Versicherten ausging. Im Übrigen erscheint ein naturwissenschaftlich
notwendiges Zusammenwirken von verschiedenen Einwirkungen aromatischer Amine auch nicht zwingend. Denn Priv.-Doz. Dr. B. beschreibt
in seiner Stellungnahme, auf die sich Prof. Dr. N. bezieht, Möglichkeiten einer unterschiedlichen körperlichen Umsetzung aromatischer
Amine je nach der Einwirkungsquelle seitens des Berufs oder des Rauchens, die ein nachvollziehbares Zusammenwirken in Frage
stellen.
Den Gutachten von Dr. J./Dr. B. und - ihnen zustimmend - von Prof. Dr. N. konnte das Gericht nicht folgen. Dr. J. benennt
insgesamt neun Gesichtspunkte, die für eine Zusammenhangswahrscheinlichkeit sprechen, von denen das Gericht keinen für überzeugend
hält. Das Vorhandensein einer typischen Erkrankung ist bereits gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung, die der Prüfung des Wahrscheinlichkeitszusammenhanges
vorgegeben ist, und kann dort kein zusätzliches Argument sein. Die abstrakte Gefährlichkeit von p-Kresidin ist ebenfalls Voraussetzung
für die Zusammenhangsprüfung im Einzelfall und kann für diese selbst nicht als Argument dienen. Die berufliche Einwirkung
mehrerer Krebs verursachender Stoffe spricht nicht für einen Zusammenhang, weil sie nicht im Sinne rechtlicher Beweisanforderungen
belegt ist. Dr. J. selbst spricht in zwei Fällen lediglich von einem begründeten Verdacht, in einem Fall von "nicht für die
Tumorwirkung verantwortlich", in einem Fall von "keine Untersuchungen" und in zwei Fällen von keinem bekannten Befall des
harnableitenden Systems. Zu drei weiteren Stoffen - o-Toluidin, 4-Aminodiphenyl und 2,4-Diaminoanisol - bestand nach den obigen
Ausführungen kein Kontakt. Weiterhin überzeugt als Teil der neun Argumente für einen Wahrscheinlichkeitszusammenhang nicht,
dass die Einordnung als K 2-Stoff nicht einziges Argument dagegen sein könne. Der Wegfall eines Ablehnungsarguments begründet
nämlich nicht ein Argument für einen Zusammenhang. Die angeblich "hohe Wahrscheinlichkeit" einer Einwirkung eines K 1-Stoffes
erfüllt schon im Ansatz nicht die Beweisvoraussetzungen; konkret ist diese Einwirkung nach den obigen Ausführungen auch nicht
zu belegen. Für eine globale Einstufung der Expositionsbedingungen als schlecht fehlt nach der Würdigung konkreter Zeugenaussagen
zu den Einwirkungen ein Beleg. Ob die Erkrankung eines Kollegen des Versicherten an einem Harnblasenkrebs generell Schlüsse
zulässt, mag dahinstehen; das konkrete Ergebnis einer Zusammenhangsprüfung beim Versicherten vermag sie jedenfalls nicht entscheidend
in Frage zu stellen. Als Hinweis auf eine Zusammenhangswahrscheinlichkeit geeignet sind mit der Einschätzung Dr. J. grundsätzlich
die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Einwirkung und Krankheitsentstehung. Sie erscheinen aber angesichts der geringfügig
erscheinenden Einwirkung von Berufsstoffen nicht als durchschlagendes Argument, zumal der Versicherte zeitgleich zur beruflichen
Einwirkung von aromatischen Aminen in einem für die Krankheitsentstehung erheblichen Umfang geraucht und dabei aromatische
Amine aufgenommen hat. Denn wenn das Rauchen auch statistisch nicht für einen frühzeitigen Krankheitsausbruch typisch sein
sollte, ist andererseits kein Grund ersichtlich, weshalb eine geringfügigere berufliche Einwirkung von aromatischen Aminen
trotz einer stärkeren Einwirkung dieser Stoffe als Rauchbestandteile maßgeblich für einen frühen Krankheitsausbruch sein sollte.
Insoweit ist der Beklagten bei der Überlegung beizupflichten, solche Erwägungen könnten einen fehlenden Nachweis beruflicher
Einwirkungen nicht ersetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1, 2
SGG bestehen nicht.