Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes; Begutachtung von Schmerzen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit
des Teilzeitarbeitsmarktes vom 1. Mai 2011 bis zum 30. April 2014 hat.
Die 1957 geborene Klägerin war zuletzt laut Arbeitgeberauskunft der Einrichtungssysteme GmbH vom 12. September 2008 seit dem
13. Juni 1994 als Maschinenarbeiterin mit einer Anlernzeit von drei Monaten beschäftigt. Seit dem 12. Juli 2007 war sie arbeitsunfähig
erkrankt, seit dem 22. August 2007 bezog sie Krankengeld und seit dem 9. Januar 2009 Arbeitslosengeld.
Im August 2008 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen,
u.a. den Rehabilitationsentlassungsbericht der M.K.B.T.vom 15. Januar 2008 (Diagnosen: intracranielles Meningeom suprasellär
mit Operation vom 20. Juli 2007, Gesichtsfeldeinschränkung temporal oben links, Cephalgie, arterielle Hypertonie, Zustand
nach Struma-Operation; Leistungsbild: zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionsarbeiterin drei bis unter sechs Stunden,
leichte Arbeiten im Wechselrhythmus mit Einschränkungen drei bis sechs Stunden täglich) bei. Des Weiteren holte sie ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten der Dipl.-Med. B.vom 7. Dezember 2008 (Diagnosen: Kopfschmerz, Zustand nach Operation Hypophysenadenom 2007, Verdacht
auf Benzodiazepinabusus, Hypothyreose, Hypertonie; Leistungsbild: Tätigkeit als Produktionsarbeiterin sechs Stunden und mehr,
mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr) und ein augenärztliches Gutachten der Dr. Sch. vom 16. Februar 2009 (Diagnosen:
Gesichtsfeldeinengung, geringe Hyperopie mit Astigmatismus (Weitsichtigkeit mit Stabsichtigkeit), Alterssichtigkeit; Leistungsbild:
Tätigkeit als Produktionsarbeiterin sechs Stunden und mehr, leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus mit Einschränkungen
sechs Stunden und mehr) ein. Mit Bescheid vom 6. März 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2009 zurück. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen
aus, im Ergebnis der vorgenommenen medizinischen Sachaufklärung bestehe bei der Klägerin ein Leistungsvermögen für sechs Stunden
und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen. Somit liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung
nach §
43 Abs.
1 und Abs.
2 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) vor. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, weil von dem Hauptberuf
der Produktionsarbeiterin auszugehen sei. Damit sei sie in die Gruppe der Angelernten im unteren Bereich einzuordnen und grundsätzlich
auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Am 14. März 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
der Beklagten mit, er habe den Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 nicht erhalten, woraufhin eine Übersendung durch
Einschreiben mit Rückschein erfolgte. Der Widerspruchsbescheid ging dem Prozessbevollmächtigten laut Rückschein am 7. April
2010 zu.
Auf die Klageerhebung am 13. April 2010 hat das Sozialgericht (SG) u.a. diverse Befundberichte mit entsprechenden medizinischen Anlagen beigezogen und ein undatiertes neurologisch-psychologisches
Gutachten des Prof. Dr. R. (Eingang beim SG am 29. Dezember 2010) sowie ein psychologisches Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5. November 2010 eingeholt. Prof.
Dr. R. hat bei den Diagnosen ausgeführt, bei der Klägerin lägen wahrscheinlich eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung,
eine somatoforme autonome Funktionsstörung des vestibulären Systems und eine leichte Episode einer rezidivierenden depressiven
Störung vor. Sie weise eine verminderte Stresstoleranz, Konzentration, Leistungsgeschwindigkeit und Antrieb sowie eine vermehrte
Ermüdbarkeit auf. Zudem empfinde sie einen Schwindel und multilokuläre Schmerzen. Sie könne eine Tätigkeit als Maschinenarbeiterin
oder sonstige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Industrie und Handel wegen verminderter Dauerbelastbarkeit halb-
bis untervollschichtig ausführen. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwanghaltungen, ohne häufiges Bücken,
Absturzgefahr, Heben von Lasten (maximal etwa 10 kg als Einzelleistung), ohne Schichtarbeit und Akkordarbeit (wegen vermehrter
Ermüdbarkeit, verminderter Stresstoleranz und Leistungsgeschwindigkeit), ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastung
sowie ohne besonderen Zeitdruck seien ihr auf einfachem Niveau (verminderte Stresstoleranz, Konzentration und Leistungsgeschwindigkeit)
möglich. Arbeiten als Maschinenführerin erschienen wegen der ständigen Kopfschmerzen bei der Notwendigkeit einer Dauerkonzentration
nicht zumutbar. Ansonsten könne sie Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Industrie, Handel und Handwerk mit den
genannten Einschränkungen ausüben. Dieses Leistungsvermögen bestehe etwa seit der Operation des suprasellären Meningenoms
am 20. Juli 2007. Dipl.-Med. B. habe bei der Leistungseinschätzung die psychischen Störungen der Klägerin außer Acht gelassen.
Dipl.-Psych. K. führt in seinem Zusatzgutachten aus, bei der Klägerin liege eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine
somatoforme autonome Funktionsstörung des vestibulären Systems und eine rezidivierende depressive Störung - gegenwärtig leichte
Episode - vor. Hinsichtlich der bei der Klägerin bestehenden quantitativen und qualitativen Einschränkungen stimmen seine
Einschätzungen mit denen des Prof. Dr. R. überein.
Mit Urteil vom 8. April 2011 hat das SG antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2009 teilweise
aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes
ab dem 1. Mai 2011 befristet bis zum 30. April 2014 zu gewähren.
Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, dem erstinstanzlichen Urteil könne mit Blick auf den beurteilten medizinischen
Sachverhalt und den Rentenbeginn nicht gefolgt werden. Der psychologische Psychotherapeut K. könne bestenfalls Aussagen über
die effektive Belastbarkeit des Probanden, jedoch keine Aussagen zu Diagnosen, Prognosen, Rehabilitationsbedürftigkeit und
-fähigkeit treffen. Da der neurologische Gutachter entsprechend seiner fachlichen Qualifikation die psychiatrischen Symptome
zwar erkannt und mittels der psychologischen Zusatzbegutachtung auch gewürdigt haben wollte, habe er die vom Psychologen beschriebenen
Diagnosen letztendlich nur als Verdachtsdiagnosen übernommen. Damit entbehre das Gutachten wissenschaftlicher Kriterien, da
auf Verdachtsdiagnosen eine quantitative Leistungsminderung nicht begründet werden könne. Überdies sei die Beurteilung des
Neurologen Prof. Dr. R. zur strittigen Frage der quantitativen Leistungsminderung auf psychologischem Fachgebiet widersprüchlich
zu den erhobenen Befunden und fachgebietsfremd beurteilt. Es sei nicht schlüssig erkennbar, inwieweit es sich bei dem von
ihm vorgelegten Gutachten um ein neurologisch-psychologisches Gutachten handele. Aus den objektiv mitgeteilten neurologischen
Befunden sei eine zeitliche Leistungsminderung nicht nachvollziehbar. Der Einfluss der beschriebenen somatoformen Störungen
und der gegenwärtig beschriebenen leichten depressiven Episode auf das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin müsse durch
eine psychiatrische Begutachtung überprüft werden. Darüber hinaus sei der Rentenbeginn - ausgehend von einem möglichen Leistungsfall
am 5. November 2010 - nach §
101 Abs.
1 SGB VI der 1. Juli 2011 als siebter Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 8. April 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Das Gutachten des Dr. K. stehe konträr
zum Vorgutachten des Prof. Dr. R. und des Dipl.-Psych. K. Es sei nicht erkennbar, weshalb die Einschätzung des Dr. K. die
Richtige und die Einschätzungen der im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten Sachverständigen die Falsche sein solle.
Der Senat hat ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 13. Dezember 2011 und eine ergänzende Stellungnahme vom 24. Februar
2012 eingeholt. Danach liegen bei der Klägerin folgende Diagnosen vor: - Zustand nach operativer Behandlung eines nicht bösartigen
und nicht hormonaktiven Hypophysentumors im Universitätsklinikum Jena am 20. Juli 2007 mit Nachweis von funktionell nicht
bedeutsamen Gesichtsfelddefekten, - Meralgia parästhetica links (Einengung des Nervus cutaneus femoris lateralis beim Durchtritt
durch das Leistenband links mit sensiblen Reizsymptomen), - diffuses Wirbelsäulensyndrom als Ausdruck der somatoformen Schmerzstörung.
Es ergeben sich keine Hinweise auf eine Schädigung der zervikal-spinalen oder lumbal-spinalen Wurzeln. Auch eine neurogene
Claudicatio spinalis ist nicht nachweisbar, - anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4). Ausdruck dieser somatoformen
Schmerzstörung ist einmal das Wirbelsäulensyndrom und auch die Kopfschmerzkomponente, wobei hinsichtlich des Kopfschmerzes
zusätzlich eine analgetikainduzierte Kopfschmerzproblematik anzunehmen ist.
Die Klägerin sei noch in der Lage vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten ohne Hektik, ohne Stress und ohne affektive
belastende Situationen zu verrichten. In der letzten beruflichen Tätigkeit als Produktionsarbeiterin mit Akkordarbeit sei
keine Einsatzfähigkeiten mehr gegeben. Die Klägerin könne sechs Stunden täglich die Tätigkeit als Pförtnerin an der Nebenpforte
oder als Produktionshelferin bzw. sonstige ungelernte Arbeiten in Industrie, Handel oder auf dem sonstigen Arbeitsfeld ausüben.
Sie könne diese Tätigkeiten auch acht Stunden täglich verrichten.
Den Beteiligten wurden anonymisierte Kopien von Gutachten der berufskundlichen Sachverständigen J. zur Tätigkeit einer Pförtnerin
vom 30. Mai 2005 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 883/03), zur Tätigkeit einer Produktionshelferin vom 6. Juni 2004 (Az.: L 6 RJ 301/02) und eine Auskunft des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen vom 20. Dezember 2007 zur Kenntnisnahme
übersandt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist begründet; die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei
Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vom 1. Mai 2011 bis 30. April 2014.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die bei
Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes als Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren ist, weil sie im erstinstanzlichen
Verfahren ihren Antrag auf die Gewährung dieser Erwerbsminderungsrente ausdrücklich beschränkt hat.
Die Klage ist zulässig. Nach §
87 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben (Absatz 1). Hat ein Vorverfahren stattgefunden,
so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (Absatz 2). Eine Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids
vor Übersendung mit Rückschein (Zugang am 7. April 2010) an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist aus der Verwaltungsakte
der Beklagten nicht nachweisbar, so dass die Klagefrist nach §
87 Abs.
1 und Abs.
2 SGG mit der am 13. April 2010 erhobenen Klage beim SG gewahrt ist.
Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach §
43 SGB VI in der Fassung ab 1. Januar 2001 (n.F.) scheidet aus, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin ist nicht in dem für eine
Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach §
43 Abs.
1 Satz 1
SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit
erfüllt haben (Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare
Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig
zu sein (Satz 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens
sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§
43 Abs.
3 Halbsatz 1
SGB VI). Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
43 Abs.
3 Halbsatz 2
SGB VI).
Die Klägerin ist nicht teilweise erwerbsgemindert. Sie kann mindestens sechs Stunden täglich eine leichte Tätigkeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben. Nach dem Gutachten des Dr. K. vom 13. Dezember 2001, dem der Senat folgt, ist sie trotz
ihrer Gesundheitseinschränkungen nicht gehindert, eine Arbeitsleistung von mindestens sechs Stunden täglich zu erbringen.
Auf neurologischem Fachgebiet besteht ein Zustand nach operativer Behandlung eines nicht bösartigen und nicht hormonaktiven
Hypophysentumors im Universitätsklinikum Jena am 20. Juli 2007 mit funktionell nicht bedeutsamen Gesichtsfelddefekten, eine
Meralgia parästhetica links und ein diffuses Wirbelsäulensyndrom als Ausdruck der somatoformen Schmerzstörung, auf psychiatrischem
Fachgebiet eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4). Ausdruck der Schmerzstörung sind das Wirbelsäulensyndrom
und die Kopfschmerzkomponente, wobei zusätzlich eine analgetikainduzierte Kopfschmerzproblematik anzunehmen ist. Der Schluss
des Sachverständigen, die Klägerin könne noch leichte Arbeiten mit Einschränkungen - Vermeidung von Tätigkeiten in gebückter
oder halbgebückter Stellung, in Hockstellung, mit Kopfreklination, mit Überstreckung beider Arme, mit besonderer nervlicher
Belastung oder unter besonderem Zeitdruck, ohne Heben und Tragen von Gegenständen schwerer als 15 kg, ohne Tätigkeiten auf
Leitern und Gerüsten oder mit Absturzgefahr - in geschlossenen temperierten Räumen mit Schutz vor Kälte, Nässe, Zugluft, Lärm,
Reizstoffen wie Staub, Rauch, Gas und Dampf in geräuscharmer Umgebung mindestens sechs Stunden täglich ausüben, überzeugt
den Senat.
Dr. K. bestätigt die Ausführungen der Augenärztin Dr. Sch. in ihrem Gutachten vom 16. Februar 2009, dass die Leistungsfähigkeit
der Klägerin durch die Gesichtsfeldseinschränkung nicht wesentlich eingeschränkt wird. Im Rahmen der umfassenden neurologischen
und neuro-physiologischen Untersuchung ergaben sich keine Hinweise auf eine Schädigung lumbal-spinaler oder zervikal-spinaler
Wurzelsegmente. Auch eine neurogene Claudicatio spinalis ist nicht fassbar. Die Einklemmung eines Hautnervs am linken Oberschenkel
ist funktionell nicht bedeutsam. Die vorgetragenen Kopfschmerzen können nicht auf die Hypophysentumor-Operation 2007 zurückgeführt
werden; sie sind der somatoformen Schmerzstörung zuzurechen.
Im Rahmen von Gutachten müssen bei der Exploration geäußerte subjektive Beschwerden durch Schmerzen immer durch eine Konsistenzprüfung
validiert werden (vgl. Widder "Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 389;
Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen Nr. 030/102 der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften) 4.5). Hier hat die Auswertung des Amsterdamer Kurzzeitgedächtnistests (KGT) und des Strukturierten Fragebogens
Simulierter Symptome (SFSS) durch Dr. K. auffällige Befunde ergeben, die den Verdacht auf eine negative Antwortverzerrung
nahelegen. Deutliche Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung fanden sich auch bei der Auswertung des Deutschen
Schmerzfragebogens (DGS). Die Tests sind mit deutlich reduzierter Anstrengungsbereitschaft und hochgradigem Verdacht auf negative
Antwortverzerrung in hohem Maße auffällig. Dies spricht dafür, dass dem subjektiven Beschwerdebild kein adäquater Leidensdruck
gegenübersteht. Tendenziöse Elemente im Beschwerdevortrag sind unverkennbar. Eine tief greifende Einschränkung der Aktivität
und Partizipationsfähigkeit findet sich bei der Klägerin nicht; ein Rückzug von angenehmen Dingen des Lebens (vgl. Widder
"Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 390) ist nicht festzustellen. Entgegen
ihrer Behauptung, sie habe keine Freude mehr, hat sie z.B. vor kurzem noch einen Urlaub auf Mallorca durchgeführt; auch schaut
sie sich am Wochenende regelmäßig ein Fußballspiel an. Eine depressive Symptomatik liegt weder nach den Kriterien des ICD-10
noch des DSM-IV-TR vor. Leicht eingeschränkt sind die Stressresistenz und die Frustrationstoleranz; eine leichte Einschränkung
resultiert auch hinsichtlich der emotionalen Kompetenz. Zentrale Anteile der Persönlichkeit, d.h. die Willens- und Motivationsstruktur,
die Merk- und Konzentrationsfähigkeit, das Durchhaltevermögen, die Umstellungsfähigkeit, die geistige Flexibilität, und die
Aufmerksamkeit sind nicht betroffen. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestehen nicht; betriebsunübliche Pausen sind nicht
erforderlich.
Der Senat folgt nicht den Gutachten des Prof. Dr. R. und des Dipl.-Psych. K. Die von Prof. Dr. R. angegebene quantitative
Einschränkung des Restleistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden täglich beruht nicht auf den Befunden des neurologischen
Fachgebiets. Insoweit berichtet er über eine linksbetonte Visusminderung, keine fingerperimetrisch feststellbare Gesichtsfeldseinschränkung,
über unsystematisch verteilte, sich nicht an anatomisch vorgegebene Innervationsgebiete haltende Sensibilitätsstörungen an
den Beinen und ein nicht neurologisch zu erklärendes leichtes Hinken. In der Beantwortung der Beweisfragen (Ad 2) übernimmt
er dagegen die Diagnosen aus dem psychologischen Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. allerdings - worauf die Beklagte zu Recht
hinweist - nunmehr als Verdachtsdiagnosen. Eine eigene psychologische Befundung hat der Sachverständige offensichtlich nicht
durchgeführt; auch im Text des Gutachtens verweist er auf das psychologische Zusatzgutachten.
Soweit Dipl.-Psych. K. zu dem Ergebnis einer zeitlichen Einschränkung des Restleistungsvermögens der Klägerin gelangt, kann
ihm nicht gefolgt werden. Es begegnet bereits erheblichen Zweifeln, dass er als Nichtmediziner die Kompetenz zur Feststellung
von Schmerzzuständen hat, denn deren Begutachtung ist eine interdisziplinäre Aufgabe und erfordert die Kompetenz zur Beurteilung
körperlicher wie auch psychischer Störungen (vgl. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen Nr. 030/102 der AWMF 2. Spezielle
Aspekte der Begutachtung von Schmerzen - Interdisziplinärer Charakter); zumindest Anhaltspunkte für erstere sind nicht ersichtlich.
Überdies ist das Gutachten nicht schlüssig. So fehlt es an der unbedingt erforderlichen Validisierung der Behauptungen der
Klägerin durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage (vgl. Widder
"Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 389). Weiter wäre zu prüfen gewesen,
ob die Beschwerden bewusst oder bewusstseinsnah zur Durchsetzung eigener Wünsche eingesetzt werden und damit bei zumutbarer
Willensanspannung überwunden werden können (vgl. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen Nr. 030/102 der AWMF 4.5 Zusammenfassung
und Beurteilung 2.). Beides ist nicht geschehen. Die Annahme einer tief greifenden neurotischen Störung kann nicht aufrecht
erhalten bleiben, denn die Klägerin ist durchaus in der Lage, ihre Ziele zu formulieren. Ihre Beschwerdedarstellung ist eindeutig
tendenziös.
Der Senat stimmt Dr. K. zu, dass die Einholung von Gutachten auf anderem ärztlichen Fachgebiet nicht erforderlich ist. Insoweit
verweist er auf das augenärztliche Gutachten der Dr. Sch. vom 16. Februar 2009 sowie die ausführlichen Befundberichte des
Universitätsklinikums Jena Klinik für Neurochirurgie, wonach keine hormonellen Störungsmuster gegeben sind. Im Ergebnis entspricht
auch das Ergebnis des von der Beklagten eingeholten Gutachtens der Dipl.-Med. B. den Feststellungen des Dr. K ... Auch er
berichtet dort von Hinweisen auf Aggravation.
Bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten bedarf es grundsätzlich keiner Benennung einer Verweisungstätigkeit. Angesichts
der Rechtsprechung des 13. Senats des Bundessozialgerichts, dass eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkung oder
eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zur Verpflichtung der Benennung einer Verweisungstätigkeit führen kann (vgl.
BSGE 81, 15), verweist der Senat die Klägerin auf die ihr jedenfalls zumutbare und angesichts ihrer gesundheitlichen Einschränkungen
mögliche ungelernte Tätigkeit als Produktionshelferin entsprechend dem Gutachten der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004
aus einem anderen Verfahren des Senats (Az: L 6 RJ 301/02). Dabei handelt es sich um einfache wiederkehrende Tätigkeiten, die in vielen Branchen und bei unterschiedlichsten Produkten
anzutreffen sind, zum Teil auch bei Firmen, die sich auf derartige Arbeiten im Kundenauftrag spezialisiert haben und die nach
kurzer Einweisung ausgeübt werden können. In nennenswerter Zahl sind sie z.B. in der Metall-, Elektro- oder Kunststoffindustrie
sowie im Spielwaren und Hobbybereich vorhanden. Sie belasten nur leicht; Wirbelsäulen- oder gelenkbelastende Körperhaltungen
kommen nicht vor. Das Arbeitstempo wird nicht durch Maschinen und Anlagen vorgegeben; der Lohn wird nicht nach Akkordsätzen
errechnet. Als Einzelaufgaben werden Waren beklebt, eingehüllt, gezählt, sortiert; es werden Abziehbilder, Warenzeichen oder
Etiketten angebracht. Eingepackt wird in Papp-, Holzschachteln oder sonstige Behältnisse. Als Beispiel nennt die Sachverständige
leichte Verpackungsarbeiten in der Dentalbranche. Dabei werden die im Unternehmen hergestellten Produkte in der Endverpackung
so verpackt, wie sie an den Endverbraucher ausgeliefert werden. Z.B. werden kleine Dosen in Faltschachteln gepackt, Spritzen
werden in Tiefziehteile gelegt und kommen dann zusammen mit einer Gebrauchsanweisung oder Mischblöcken in die Faltschachtel.
Die Tätigkeit ist körperlich leicht und das Gewicht der zu verpackenden Teile liegt unter fünf Kilogramm. Sie kann im Wechsel
von Gehen und Stehen erledigt werden; es kann auch gesessen werden.
Diesem Anforderungsprofil entspricht das festgestellte Leistungsvermögen der Klägerin in dem Gutachten des Dr. K. vom 13.
Dezember 2011. Er hat die Möglichkeit der Ausübung dieser Tätigkeit in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Februar 2012
ausdrücklich bejaht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.