Parallelentscheidung zu BSG - B 12 R 11/14 B - v. 24.02.2015
Gründe:
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die (Teil-)Erstattung von
Arbeitgeberbeiträgen, die von der Rechtsvorgängerin der Klägerin für eine Beschäftigte für die Zeit vom 1.7.1990 bis 31.10.1991
an die Beklagte entrichtet wurden.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.12.2013 ist
in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 18.8.2014 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und macht das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) geltend.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit)
und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem
Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht
zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
Die Klägerin formuliert folgende "Rechtsfragen":
a) Auf Seite 6 der Beschwerdebegründung:
"Ist ein bezifferter Leistungsantrag erforderlich, wenn im Rahmen des Streitwertbeschlusses die Höhe der geltend gemachten
und daraus resultierenden Klageforderung zumindest annähernd beziffert ist?
Ist ein Anspruch genau beziffert, wenn ein Differenzbetrag zwischen der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Allgemeinen
Rentenversicherung eines genau benannten Versicherten für einen genau bezifferten Zeitraum begehrt wird?
Ist es zulässig, einem Kläger eine Bezifferung aufzugeben, der er nicht nachkommen kann, wenn ihm entsprechende Informationen
fehlen?
Kann einem Kläger eine Bezifferungspflicht auferlegt werden, wenn ihm die zugrunde liegenden Zahlen und Werte nicht bekannt
sind, dem Klagegegner (der Beklagten) hingegen schon?"
b) Auf Seite 13 der Beschwerdebegründung:
"Greift eine durch die Oberste Bergbaubehörde der ehemaligen DDR festgestellte Versicherungspflicht auch dann, wenn die zugrunde
liegenden Umstände, die zu der Gleichstellung geführt haben, zwischenzeitlich vollständig entfallen sind?
Kommt es bei der Feststellung der knappschaftlichen Versicherung nach dem Recht der ehemaligen DDR darauf an, ob die knappschaftliche
Versicherung zu Recht bestand?
Steht die knappschaftliche Versicherungspflicht unter dem Vorbehalt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse?"
c) Auf Seite 20 der Beschwerdebegründung:
"Kommt es zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, wenn die Knappschaft lange Jahre nicht tätig wird?
Kommt es zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, wenn die Knappschaft fast 20 Jahre nicht tätig wird?"
Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge - trotz des umfangreichen klägerischen
Vorbringens - schon im Ansatz nicht (vgl hierzu exemplarisch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Denn die Klägerin hat schon keine abstrakt-generellen Rechtsfragen - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich
oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl allgemein BSG vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - BeckRS 2010, 72088 RdNr 10; BSG vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar,
damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 181). Die Klägerin beschränkt
sich zu allen Fragekomplexen darauf, Fragen zu Einzelaspekten des Rechtsstreits zu formulieren, ohne dass eindeutig eine revisible
Norm benannt wird, zu der sich die Rechtsfrage im oben beschriebenen Sinne stellen würde. Darüber hinaus hat die Klägerin
bereits den prozessrechtlichen und materiell-rechtlichen Kontext der jeweiligen Fragestellung nicht eindeutig benannt. So
dürfte es bei dem Fragekomplex a) im Kern um die Abweisung der Leistungsklage durch das LSG wegen Unzulässigkeit mangels eines
bezifferten Klageantrags gehen, bei dem Fragekomplex b) um die Bindungswirkung eines in der DDR erlassenen Verwaltungsakts
und bei dem Fragekomplex c) um die konkrete rechtliche Beurteilung von Umständen des vorliegenden Sachverhalts. Dabei lässt
die Klägerin - anders als erforderlich - nicht erkennen, zu welchen bundesrechtlichen Regelungen sie eine revisionsgerichtliche
Entscheidung für erforderlich hält, sondern beschränkt sich darauf, eine Vielzahl von Einzelaspekten aufzuführen, ohne ihre
Begründung vor dem Hintergrund materiell-sozialrechtlicher und/oder prozessrechtlicher Vorschriften und dazu ergangener Rechtsprechung
zu systematisieren und zu strukturieren. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich aus einem umfangreichen
Beschwerdevorbringen das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde
geeignet sein könnte (vgl BSG Beschluss vom 3.11.2010 - B 6 KA 35/10 B - Juris mwN; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 mwN). Vielmehr liegt in einem solchen Fall eine ordnungsgemäße Begründung nicht vor; denn der in den Verfahren vor
dem BSG nach §
73 Abs
4 SGG bestehende Vertretungszwang soll gerade sicherstellen, dass der Inhalt der Beschwerdebegründung und das Begehren des Beschwerdeführers
vom Beschwerdegericht ohne großen Aufwand zu ermitteln ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Darüber hinaus setzt sich die Beschwerdebegründung im Rahmen der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht ansatzweise mit
der Rechtslage auseinander. Dies wäre erforderlich gewesen, um darzulegen, dass die vermeintliche Rechtsfrage nicht bereits
nach dem aktuellen Stand von Rechtsprechung und Lehre beantwortet werden kann. Zwar kann auch eine verfahrensrechtliche Frage
- wie von der Klägerin offenbar unter a) geltend gemacht - Gegenstand einer Grundsatzrüge sein (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 60; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 312). Die Klägerin ordnet die von ihr in den Raum gestellten
Fragen aber nicht in den jeweiligen gesetzlichen Kontext ein. Sie befasst sich beim Fragekomplex a) bereits nicht damit, dass
nach §
92 Abs
1 S 3
SGG die Klage einen "bestimmten" Antrag enthalten soll und nach §
112 Abs
2 S 2
SGG das Gericht (nur) die Aufgabe hat, durch den Vorsitzenden dahin zu wirken, dass die Beteiligten angemessene und sachdienliche
Anträge stellen. Die Beschwerdebegründung setzt sich weder mit diesen verfahrensrechtlichen gesetzlichen Vorschriften noch
mit dem verfahrensrechtlichen Grundsatz der Dispositionsmaxime (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, Vor §
60 RdNr 3; §
123 RdNr 3 ff mwN; Krasney/Udsching, aaO, Kap VII, RdNr 62 f) auseinander und legt deshalb nicht dar, inwieweit die von ihr formulierte
Frage - deren Qualität als Rechtsfrage unterstellt - auch unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Regelungen noch als klärungsbedürftig
gelten kann. Beim Fragekomplex b) unterlässt die Klägerin die insoweit notwendige substantiierte Auseinandersetzung mit der
Frage der Bestandskraft von Verwaltungsakten und den Aufhebungsvorschriften der §§ 44 ff SGB X. Beim Fragekomplex c) unterlässt die Klägerin jedwede Einordnung der von ihr in den Raum gestellten Frage in einen rechtlichen
Kontext. Wie an mehreren Stellen ihres Vorbringens stattdessen zum Ausdruck kommt, rügt sie im Kern lediglich die Unrichtigkeit
der Rechtsanwendung durch das LSG; darauf kann - wie bereits oben angesprochen - eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht
mit Erfolg gestützt werden.
2. Ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSGE 2,
81, 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52
SGG). Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG SozR Nr 79 zu §
162 SGG; BSG SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung
darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens
wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden
Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene
Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.
Die Klägerin rügt auf Seite 10 ff der Beschwerdebegründung eine "Rechtsverletzung, nämlich eine unzutreffende Anwendung des
Amtsermittlungsgrundsatzes". Zwar habe das LSG auf das Erfordernis einer Konkretisierung des unbezifferten Antrags und die
Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewiesen. Ihrem nachfolgenden Hinweis, dass ihr die entsprechenden Zahlen - im Gegensatz
zur Beklagten, die zur Berechnung der knappschaftlichen Leistungen notwendigerweise über sämtliche Unterlagen verfügen müsse
- weder bekannt seien, noch benannt werden könnten, sei das LSG hingegen nicht weiter nachgegangen. Hätte das LSG vom Grundsatz
der Amtsermittlung Gebrauch gemacht und die Beklagte zumindest gefragt, ob die entsprechenden Zahlen und Daten bei ihr vorhanden
seien, dann hätte die Beklagte diese Frage bejahen müssen. Im nächsten Schritt hätte das LSG dann eine Inaugenscheinnahme
der in Rede stehenden Unterlagen veranlassen können, sodass es sowohl dem Gericht, als auch der Klägerin möglich gewesen wäre,
den Erstattungsanspruch genauer zu skizzieren. lm Ergebnis wäre der Anspruch damit ohne Weiteres sehr genau bezifferbar und
die Klage somit zulässig geworden.
Hierdurch bezeichnet die Klägerin keinen Verfahrensmangel in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Form. Die
Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dem genügt die
Beschwerdebegründung nicht, denn es wird nicht aufgezeigt, dass im Berufungsverfahren ein entsprechender Beweisantrag gestellt
und in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausdrücklich aufrechterhalten worden ist (vgl zu diesem Erfordernis
zB BSG SozR 4-1500 §
160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
160 RdNr 18c mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen, §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Halbs 3
SGG iVm §
154 Abs
2, §
162 Abs
3 VwGO.
5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 S 1 Halbs 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.