Erwerbsminderungsrente
Verfahrensrüge
Überraschungsentscheidung
Gewissenhafter Prozessbeteiligter
Keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage
1. Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß
begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene
Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann.
2. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis
auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht zu rechnen brauchte.
3. Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen
vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht
damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt.
4. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage
oder eine Pflicht des Gerichts zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung.
5. Hat das Gericht sich jedoch hinsichtlich bestimmter Sach- oder Rechtsfragen geäußert, so kann es nicht ohne vorherige Information
der Beteiligten über eine mögliche andere Auffassung seinerseits in dieser Frage auf eine abweichende Beurteilung dieser Frage
seine Entscheidung gründen, weil dies eine Überraschungsentscheidung im obigen Sinne darstellen würde.
Gründe:
Mit Urteil vom 14.12.2016 hat das Sächsische LSG einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Der
Kläger verfüge über ein Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten von mindestens sechs Stunden täglich mit gewissen
qualitativen Leistungseinschränkungen. Bei der Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens hat sich das Berufungsgericht
ua auf das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 16.1.2016 gestützt. Der Leistungsbeurteilung
der nach §
109 SGG als Sachverständige gehörten Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 20.5.2016, die den Kläger nur noch für
fähig erachtet habe, unter drei Stunden täglich zu arbeiten, ist es hingegen nicht gefolgt.
Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil den Verfahrensmangel der Verletzung seines rechtlichen
Gehörs geltend.
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 2.3.2017 genügt nicht der vorgeschriebenen Form,
denn er hat den vom ihm gerügten Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§
160 Abs
2 Nr
3 iVm §
160a Abs
2 S 3
SGG).
Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß
begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene
Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; Nr 21 RdNr 4). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG gestützt werden kann (§
160 Abs
2 Nr
3 Teils 2
SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §
103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist
(§
160 Abs
2 Nr
3 Teils 3
SGG).
Das Vorbringen des Klägers wird den genannten Anforderungen nicht gerecht.
Der Kläger rügt eine Verletzung seines rechtliches Gehörs in Form einer Überraschungsentscheidung. Das LSG sei in seinem Urteil
nicht der Einschätzung des Leistungsvermögens der Sachverständigen Dr. R. gefolgt, obwohl es mindestens zweimal einen Versicherungsverlauf
und Auskünfte darüber eingeholt habe, wann bei ihm der Versicherungsfall spätestens eingetreten sein müsse, damit die besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung noch erfüllt seien. Dies "indiziere", dass
das LSG der Auffassung gewesen sei, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Rente wegen Erwerbsminderung
vorgelegen hätten. Dennoch sei der von ihm geltend gemachte Rentenanspruch im Termin zur mündlichen Verhandlung vom LSG ohne
weitere Hinweise "plötzlich" verneint worden.
Damit hat der Kläger eine Gehörsverletzung nicht schlüssig und nachvollziehbar dargetan. Von einer Überraschungsentscheidung
kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit
dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr,
vgl zB BVerfG [Kammer] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 RdNr 18 mwN). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn
im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs
nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Aus dem Anspruch
auf rechtliches Gehör ergibt sich keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage oder eine Pflicht
des Gerichts zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung. Hat das Gericht sich jedoch hinsichtlich bestimmter Sach- oder Rechtsfragen
geäußert, so kann es nicht ohne vorherige Information der Beteiligten über eine mögliche andere Auffassung seinerseits in
dieser Frage auf eine abweichende Beurteilung dieser Frage seine Entscheidung gründen, weil dies eine Überraschungsentscheidung
im obigen Sinne darstellen würde (vgl BSG Beschluss vom 2.4.2009 - B 2 U 281/08 B - Juris RdNr 6 mwN).
Daran fehlt es hier. Der Kläger beruft sich lediglich pauschal darauf, dass das LSG aktuelle Versicherungsverläufe verbunden
mit der Auskunft eingeholt habe, bis wann die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer
Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt seien. Er behauptet jedoch nicht, dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung
oder in einem vorherigen Schreiben den Beteiligten mitgeteilt habe, dass es hinsichtlich der Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens
des Klägers der Sachverständigen Dr. R. folgen werde und bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente
wegen Erwerbsminderung erfüllt seien. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger in der Beschwerdebegründung
zitierten Schreiben der Beklagten vom 5.10.2016. Vielmehr teilt diese dort unter Verweis auf die Ausführungen ihres sozialmedizinischen
Dienstes und der gehörten Sachverständigen Dr. H. (ua) mit, dass eine "Vergleichsbereitschaft aufgrund des Gutachtens von
Frau Dr. R. " (...) "weiterhin grundsätzlich nicht" bestehe. Auch vor diesem Hintergrund kann keine Überraschungsentscheidung
des Berufungsgerichts vorliegen, wenn es sich bei der Feststellung des zeitlichen Leistungsvermögens den dem Kläger bekannten
Ausführungen der Sachverständigen Dr. H. und damit letztlich im Ergebnis der Ansicht der Beklagten angeschlossen hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.