Anspruch auf Kostenerstattung für eine selbst beschaffte Sensorisch Dynamische Prothese zur Rumpfstabilisierung und Körperaufrichtung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Das Bayerische LSG hat mit Urteil vom 21.7.2020 einen Anspruch der in 2016 geborenen, bei der Beklagten krankenversicherten
Klägerin auf Kostenerstattung (iH von 2180,16 Euro) für eine von den Eltern beschaffte Sensorisch Dynamische Prothese (SDO)-Softorthese
zur Rumpfstabilisierung und Körperaufrichtung verneint: Bei der Therapie mittels SDO-Softorthese handele es sich nicht nur
um ein Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung (§
33 Abs
1 Satz 1 Var 1
SGB V), sondern auch um einen Bestandteil einer neuen Behandlungsmethode (§
135 Abs
1 SGB V). Letztere sei weder vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfasst noch sei sie eine abrechnungsfähige
ärztliche Leistung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä). Da kein Anspruch auf
Versorgung mit der Softorthese bestehe, könne Kostenerstattung nicht verlangt werden.
Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Sie rügt die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache, eine Rechtsprechungsabweichung und einen Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache, der Divergenz und des Verfahrensmangels nicht hinreichend dargetan hat (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese
noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam die Fragen:
"Gehört die Versorgung mit einer Softorthese zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung?
Handelt es sich bei der Versorgung mit einer Softorthese um eine neue Untersuchungsund Behandlungsmethode oder um die Versorgung
mit einem Hilfsmittel nach §
33 SGB V?
Finden für Softorthesen im Rahmen des §
33 SGB V die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs Anwendung?"
Der Vortrag der Klägerin genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Klärungsbedarf ist nicht
deshalb aufgezeigt, wenn auf unterschiedliche obergerichtliche Entscheidungen zur Einordnung von Softorthesen verwiesen wird.
Vor allem aber ist der Einwand nicht ausreichend, dass das LSG die Sache auf der Grundlage bereits vorhandener Rechtsprechung
des BSG falsch entschieden habe. Entgegen der Ansicht des LSG handele es sich bei der Softorthese nicht um ein Hilfsmittel zur Sicherung
des Erfolgs der Krankenbehandlung im Rahmen eines ärztlichen geleiteten und überwachten Therapiekonzeptes als ein Bestandteil
einer neuen Behandlungsmethode, sondern - ihrer Ansicht nach - um ein bloßes Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich.
Der Klärungsbedarf einer Rechtsfrage wird aber nicht dadurch dargelegt, dass der Beschwerdeführer davon ausgeht, dass das
Berufungsgericht die Sache unzutreffend entschieden habe (stRspr; vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Selbst wenn es sich hier - nach dem Vortrag der Klägerin - um ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich handeln sollte, hat
der Senat bereits entschieden (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 46), dass auch ein Behinderungsausgleich mit einem Hilfsmittel nur erzielt werden kann, wenn es im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung eingesetzt werden darf, wozu es aber zunächst einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA)
zu der zugrundeliegenden Behandlungsmethode bedarf. Darüber hinaus kann ohne positive Empfehlung des GBA nicht davon ausgegangen
werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive
Wirkung in Bezug auf Spätfolgen bringt (BSG aaO RdNr 47). Die Beschwerdebegründung enthält keine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung, insbesondere nicht mit den dort aufgestellten
Maßstäben zum Vorliegen einer neuen Behandlungsmethode, die im untrennbaren Zusammenhang mit einem Hilfsmittel steht (BSG aaO RdNr 32 ff).
Eine Rechtsfrage kann trotz Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidung weiter klärungsbedürftig bleiben oder erneut
klärungsbedürftig werden, wenn der Entscheidung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und nicht abwegige Einwendungen
gegen sie erhoben werden (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 24.4.2019 - B 3 KR 52/18 B - juris RdNr 9; Leitherer in Meyer-Ladewig ua,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160 RdNr 8b jeweils mwN). Neuer Klärungsbedarf ist aber auch nicht dadurch dargelegt, dass das LSG den Rechtsstreit vermeintlich unzutreffend entschieden
habe.
2. Die Klägerin hat auch keine Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG hinreichend bezeichnet. Sie weist darauf hin, dass das BSG in ständiger Rechtsprechung zur Versorgung mit Orthesen im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs Grundsätze aufgestellt
habe (Hinweis auf BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 und BSG Urteil vom 25.6.2009 - B 3 KR 19/08 R, juris). Sie ist der Ansicht, dass der streitige Anspruch nicht am Wirtschaftlichkeitsprinzip (§
12 SGB V) scheitere. Das LSG habe die Rechtsprechung des BSG "falsch" angewendet (Hinweis auf BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, SozR 4-2500 § 33 Nr 28, RdNr 15).
Dieser Vortrag entspricht nicht dem Aufzeigen einer Rechtsprechungsabweichung. Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten
Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Bezogen auf die Darlegungspflicht
einer Divergenz bedeutet dies, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der in
Bezug genommenen Entscheidung des BSG enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden,
dass auch das BSG die oberstgerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr; vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Hier fehlt es bereits an der Gegenüberstellung zweier sich einander widersprechender Rechtssätze. In der Darlegung der eigenen
Rechtsansicht, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG falsch angewendet habe, liegt allenfalls eine unzulässige Subsumtionsrüge (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.6.2009 - B 6 KA 6/09 B -, juris RdNr 16f).
3. Schließlich liegt auch kein hinreichend bezeichneter Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vor. Die Klägerin rügt, das LSG habe versäumt, das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Es habe nicht aus eigener
Erkenntnis entscheiden dürfen, ob die Versorgung mit einer Softorthese medizinisch notwendig sei.
Soweit ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung ua die Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrages,
dem das LSG nicht gefolgt ist, enthalten (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34). Ein in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags
gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten
hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr; vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Wird ein Rechtsstreit - wie hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen
Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs
2 SGG (BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 ff).
Die Klägerin trägt nicht vor, dass sie trotz ihres Einverständnisses zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf
die Durchführung einer etwaigen Beweisaufnahme "beharrt" habe. Denn nur dann gelten zuvor gestellte Beweisanträge als nicht
erledigt. Jedenfalls muss einem in der Berufungsinstanz durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beteiligten, der vorbehaltlos
sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt, klar sein, dass das Gericht ohne
weitere Sachaufklärung entscheiden kann (stRspr; zB BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 5).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.