Blindheit; Blindheitsnachweis; faktische Blindheit; Fallgruppen der VG-Plausibiliätskontrollen; Fernvisus; Goldmann-Perimetrie;
Landoltringe; Lesefähigkeit; Makuladegeneration; Testverfahren faktische Blindheit; Anschlussberufung; Arzt; Befund; Berufung;
Besorgnis der Befangenheit; Blindengeld; Diagnose; Beweisaufnahme; Erkrankung; Mitwirkung; Gutachteneinholung; medizinisches
Gutachten; Sachverständigengutachten; Sehschärfe; Widerspruch; Widerspruchsbescheid; Plausibilitätskontrolle; Untersuchungsmethode;
Testverfahren
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.
Am 08.02.2012 stellte die 1948 geborene Klägerin erstmals Antrag auf Blindengeld beim Beklagten, der mit Bescheid vom 05.03.2012
abgelehnt wurde, da nach einem Befundbericht des Medizinischen Versorgungszentrums M. die Sehschärfe auf dem linken Auge 0,16
betragen hatte und sich keine Hinweise für maßgebliche Gesichtsfeldeinschränkungen gefunden hatten.
Am 10.10.2012 stellte die Klägerin erneut Blindengeldantrag, woraufhin der Beklagte die Begutachtung durch Dr. G. veranlasste.
In dem Gutachten vom 04.12.2012 hielt dieser fest, dass sich bei Betrachtung des Augenhintergrunds Makulaveränderungen gezeigt
hätten, die an Morbus Stargardt denken ließen, wobei der späte Beginn ungewöhnlich sei. Als Visusbefunde wurden Erkennen von
Handbewegungen (rechts, links, beidäugig - jeweils ohne Korrektur) festgestellt. Eine Gesichtsfelduntersuchung sei nicht möglich
gewesen; dennoch sei davon auszugehen, dass eine Einschränkung des Gesichtsfelds, die das für Blindengeld erforderliche Maß
erreiche, nicht vorliegen würde. Bei der Beurteilung der Sehschärfe sei auffällig, wie sicher sich die Klägerin im Raum bewegt
habe. Sie habe mühelos einem Stuhl ausweichen können und sei sicher durch die Türe gegangen. Die Auslösung des optokinetischen
Nystagmus (OKN) nach Kotowski sei entsprechend einem Sehvermögen von 0,1 möglich gewesen. Unter Verweis auf wissenschaftliche
Literatur stellte der Gutachter fest, dass ein solches Sehvermögen für einen fortgeschrittenen Morbus Stargardt relativ typisch
sei.
Mit Bescheid vom 14.12.2012 lehnte der Beklagte daraufhin den Blindengeldantrag der Klägerin ab.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21.12.2012 Widerspruch. In der Begründung dessen wurde auf das Attest von Dr. G. vom 22.01.2013
verwiesen. Am 21.02.2013 nahm die Ärztin des Beklagten Dr. P. ausführlich Stellung. Sie hielt u.a. fest, dass der Visusabfall
zwischen den Untersuchungen am 29.12.2011 und 25.09.2012 (Befundberichte MVZ M. und Dr. C.), also innerhalb von nur neun Monaten,
angesichts der von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. G. anamnestisch angegebenen langsamen Progredienz nicht nachvollziehbar
sei. Weiter wies sie darauf hin, dass bei der Klägerin der OKN mit dem auf 0,1 kalibrierten Schachbrettmuster ausgelöst habe
werden können. Zusammenfassend stellte Dr. P. fest, dass die Zweifel an den Angaben zum Sehvermögen nicht nur auf der Beobachtung
des spontanen Orientierungsverhaltens beruhen würden, sondern auch maßgeblich auf den Diskrepanzen zwischen dem angegebenen
Sehvermögen und der Diagnose bzw. den morphologischen Befunden.
Daraufhin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2013 der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Blindheit sei vorliegend
nicht nachgewiesen. Die angegebene Sehschärfe von Handbewegungen bei der Begutachtung am 04.12.2012 auf beiden Augen sei mit
den funktionellen Untersuchungsbefunden nicht in Einklang zu bringen; der Beklagte wies insbesondere auf den OKN und weiter
darauf hin, dass der rasche Visusabfall innerhalb von neun Monaten nicht nachvollziehbar sei.
Am 02.04.2013 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben.
Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das SG Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Internisten K. und von der Augenärztin Dr. G.,
die am 16.12.2013 als Sehschärfe (korrigiert und unkorrigiert) Handbewegungen (Gläser bessern nicht) sowie Gesichtsfeldausfälle
beidseits festgestellt hat, vor allem im zentralen Bereich (die Gesichtsfelduntersuchung sei mit dem HFA 2 erfolgt, Leuchtdichte
und Stimulusgröße entsprechend Goldmann III/4). Blindheit bestehe seit mindestens 15.01.2013. Zu diesem Zeitpunkt habe sich
die Klägerin zur Erstuntersuchung in der Praxis vorgestellt. Laut Angaben der Klägerin sei die Sehminderung schon 2012 eingetreten.
Sodann hat das Gericht Beweis erhoben und Dr. L. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt.
In seinem Gutachten vom 15.04.2014 hat Dr. L. hinsichtlich der Sehschärfe festgestellt, dass ein Fünf-Meter-Visus an beiden
Augen nicht mehr erhebbar sei. In der Nähe betrage die Sehleistung rechts und links 1/100. Bei binokularer Prüfung betrage
die Sehleistung 1/70. Das Gesichtsfeld sei mit dem Goldmann-Perimeter aufgezeichnet worden und zeige freie Außengrenzen sowie
ein großes zentrozoekales Skotom an beiden Augen. Dieses Ergebnis stehe mit dem Augenhintergrundbefund in Übereinstimmung.
Hinsichtlich der Augenhintergrunduntersuchung hat der Sachverständige vor allem festgestellt, dass sich im Gebiet der Makula
eine ausgedehnte Pigmentverschiebung mit Pigementepitheldystrophien zeige. Dieser Bereich reiche bis in die oberen und unteren
Gefäßbögen hinein. Auch sei die Papille mit einbezogen. Die Aderhautgefäße in diesem Bereich seien in erheblicher Weise sklerosiert,
so dass die Diagnose einer sehr ausgeprägten Aderhautsklerose gestellt werden müsse.
Dr. L. hat als Diagnosen für beide Augen Astigmatismus myopicus compositus, Makuladegenration sowie Cataracta senilis incipiens
gestellt.
Für die schlechte Sehschärfe entscheidend sei der Makulabefund. Die großflächigen Makulaveränderungen seien nicht derart,
dass eine Stargardtsche Makuladegeneration wahrscheinlich sei; diese würde auch, so Dr. L., zu einem viel früheren Zeitpunkt
beginnen als es bei der Patientin nach den anamnestischen Angaben der Fall gewesen sei. Hingegen bedingten die Aderhautgefäßsklerose
und die zum Teil grobschollige, zum Teil feiner strukturierte Pigmentepiteldystrophie ein großes Zentralskotom, das sich im
Gesichtsfeld auch nachweisen lasse. Die beiden geprüften Marken würden schlüssige und in keiner Weise divergierende Übereinstimmungen
zeigen. Die Außengrenzen des Gesichtsfelds ergäben eine relativ gute Orientierung der Klägerin im freien Raum. Setze man nun
die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion, so ergebe sich keine auffällige
Diskrepanz der Befunde, die etwa Aggravationsverdacht nahelegen könnte.
Die Sehschärfe überschreite den kritischen Grenzwert im Sinne von Blindheit. Trotz des Gutachtens von Dr. G. ergebe sich jetzt
der hier beschriebene Befund; die Voraussetzungen für den Blindheitsnachweis seien mit Blick auf Dr. G. aber erst ab dem jetzigen
Untersuchungszeitpunkt anzunehmen.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.05.2014 ist Dr. P. weiterhin davon ausgegangen, dass Blindheit nicht nachgewiesen
sei, da die Auslösbarkeit des OKN eine Sehschärfe von 0,08 bzw. eine deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe
voraussetze. Bei einem Visus von 1/50 oder weniger sei der OKN nicht mehr auszulösen. Zu dieser auffälligen Diskrepanz habe
sich Dr. L. nicht geäußert.
In seiner im Auftrag des SG erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 30.06.2014 hat Dr. L. u.a. hervorgehoben, dass es sich jeweils um ein großes zentrozoekales
Skotom handele, dessen Außengrenzen am rechten Auge zwischen 15 und 30 Grad, links zwischen 20 und 28 Grad liegen würden.
Die im Gesichtsfeld zutage tretenden ausschließlich zentralen Ausfälle würden, so der Sachverständige, zweifellos eine erhebliche
Reduktion der zentralen Sehschärfe bedingen. Betrachte man die Ausdehnung der pathologisch veränderten Areale am Augenhintergrund
- die in ihrer Summe eine flächenhafte Degeneration nicht nur der Makula, sondern weit darüber hinausgehender Anteile bedingen
würden - so widerspreche die subjektive Angabe der Sehschärfe mit 1/100 auf beiden Augen nicht dem vorliegenden Befund, wobei
erfahrungsgemäß der Makula die konkrete Sehschärfe nicht angesehen werden könne, sondern ergänzend die subjektiven Angaben
des Patienten in Übereinstimmung zu bringen seien.
Hinsichtlich des Aggravationsverdachts hat der Sachverständige betont, dass eine derartige, zielgerichtete Verhaltensweise
der Klägerin während der Untersuchung nicht erkennbar gewesen sei. Wenn man die subjektiven Angaben als inkorrekt bezeichne,
müsste hierfür auch eine Diskrepanz zwischen Visus und Gesichtsfeldbefund gegeben sein bzw. der hierfür ursächlichen Degenerationsfläche,
was aber nicht der Fall sei.
Abschließend hat Dr. L. ausgeführt, dass er die Bedenken des Beklagten hinsichtlich der Beurteilung nachvollziehen könne,
eine Blindheit werde jedoch für nachgewiesen gehalten. Bei Betrachtung aller objektiven Befunde und deren Vergleich mit subjektiven
Verhaltensweisen könne er, Dr. L., keine Merkmale erkennen, die die Zuerkennung des Status der Blindheit zweifelhaft erscheinen
ließen.
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.07.2014 hat der Beklagte die Zweifel nicht ausgeräumt gesehen. Gerade die
Möglichkeit der Erhebung exakter Gesichtsfeldbefunde spreche erheblich gegen die Angabe einer hochgradigen Visusminderung
von nur noch 1/100 bzw. sogar nur noch Erkennen von Handbewegungen.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.10.2014 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2013 verurteilt,
der Klägerin Blindengeld ab 01.03.2014 zu zahlen. In der Begründung hat das SG hervorgehoben, dass es das Gutachten von Dr. L. für insgesamt überzeugend halte; darin sei eine hinreichende Beeinträchtigung
der Sehschärfe von weniger als 1/100 festgestellt worden. Den Ausführungen der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr.
P. und Dr. L. vermöge das SG nicht zu folgen, da Dr. L. darauf hingewiesen habe, dass die fehlende Auslösbarkeit des OKN bei einer Sehschärfe von unter
1/50 nur den Regelfall betreffe, bei der Klägerin aber zu vermerken sei, dass wegen des ausgedehnten Zentralskotoms nur der
Zentralbereich einer starken Visusminderung unterliege, nicht aber das gesamte Gesichtsfeld. Das Gericht vermöge auch nicht
der Kritik zu folgen, dass bei einem Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld nicht zu bestimmen sei, weil dabei nicht hinreichend
gewürdigt werde, dass bei der Klägerin mit großflächigem Zentralskotom und einer ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien
ein besonderer morphologischer Befund vorhanden sei. Dem Gesichtsfeldbefund könne allerdings dann nicht gefolgt werden, wenn
der Klägerin eine fehlende Mitwirkung vorzuhalten sei, was der Gutachter Dr. L. aber ausgeschlossen habe. Diese Beobachtung
könne von Vertretern des Beklagten mangels Anwesenheit in der Begutachtungssituation nicht in Zweifel gezogen werden, so das
SG. Schließlich habe sich Dr. L. auch überzeugend zu der allmählichen Visusverschlechterung geäußert, die die Abweichung gegenüber
den Beobachtungen von Dr. G. hinreichend erkläre.
Gegen den Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 19.11.2014 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) erhoben.
In der Berufungsbegründung hat der Beklagte eine Reihe von Punkten, die gegen den Blindheitsnachweis sprechen würden, aufgelistet,
nämlich im Wesentlichen die Verschlechterung des Visus innerhalb von nur sechs Monaten von 0,05 rechts/0,16 links auf nur
noch Erkennen von Handbewegungen, die Diagnose Morbus Stargardt, das Verhaltensmuster der Klägerin, die unterschiedlichen
Visus- und Gesichtsfeldangaben, die fehlende Erklärung für eine Visusminderung auf weniger als 0,05 durch ein Zentralskotom
beidseits, die Visusüberprüfung mit dem Kotowski-Test, nicht erfolgte mitarbeitsunabhängige Untersuchungen bei der Begutachtung
durch Dr. L. und die fehlende Erklärung der Sehstörung durch den morphologischen Befund.
Sodann hat das Gericht PD Dr. B., Universitätsklinikum B-Stadt, mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens
beauftragt. Im Gutachten vom 25.02.2016 ist die Schilderung der Klägerin wiedergegeben worden, dass diese bei Tätigkeiten
im Haushalt kaum mehr zurechtkomme. Seit 2005 sei die Klägerin berentet.
Bei der Sehschärfenprüfung in 5 msei die Visustafel binokular gut fixiert, die Landoltringe seien jedoch nicht erkannt worden.
Die Sehschärfe in 1 msei mit Hilfe einer Lesetafel geprüft worden. Die Tafel sowie die oberste Ziffer seien jeweils eindeutig
gut fixiert worden, auch wenn die Tafel ohne Erläuterungen in verschiedenen Richtungen dargeboten worden sei. Vor der Darbietung
der Lesetafel in 1 msei diese nicht angekündigt worden. Die Klägerin habe gesagt, sie sehe nicht einmal die Tafel bei eindeutiger
Blickfolge bei einer langsamen Bewegung der Tafel in 1 m. Während dieser Bewegung sei von der Klägerin plötzlich die Aussage
gemacht worden: "Die Fünf ist ganz weg." Zur weiteren Visustestung sei das Erkennen von einzelnen Fingern oder Handbewegungen
(monokular und binokular) überprüft worden. Hierzu sei die Handbewegung zunächst 30 bis 40, dann 50 cm, dann 1 msowohl zentral
als auch jeweils exzentrisch dargeboten worden. Die Klägerin habe berichtet, dass sie die Handbewegungen kaum erkennen könne.
Fingerzählen könne sie ebenfalls in den genannten Entfernungen (sowohl monokular als auch binokular) nicht wahrnehmen. Bei
der Darbietung eines Bleistifts in ca. 1 m Entfernung und Überprüfung der Konvergenzreaktion durch langsames Heranführen auf
ca. 20 bis 30 cm habe sich eine gute Konvergenzreaktion gezeigt. Ohne vorherige Erläuterung oder Ankündigung sei nach einer
P. mittels Teller-Acuity-Cards eine weitere Sehschärfenprüfung erfolgt. Ohne dass der Klägerin erklärt worden sei, auf den
Tafeln ein Streifenmuster zu sehen, habe diese erklärt: "Da kann ich die Striche jetzt nicht sehen." Bei Vorhalten eines Stifts
in 50 cm Entfernung sei dem Stift gut gefolgt worden, ohne dass zuvor die Richtung angegeben worden sei.
Der OKN sei horizontal und verikal bei verschiedenen Mustergrößen und Mustern binokular gut auslösbar gewesen.
U.a. hat die Sachverständige auch eine Gesichtsfeldmessung mit dem Halbkugelprojektionsperimeter nach Goldmann durchgeführt.
Es hätten sich folgende Ergebnisse gezeigt:
- Rechtes Auge: Mit der Marke III/4 hätten die Außengrenzen temporal bis ca. 60 Grad, unten bis ca. 60 Grad, nasal bis ca.
50 Grad, oben bis ca. 30 Grad gereicht. Es habe ein großes Zentralskotom bis nach ca. 15 Grad temporal bestanden.
- Linkes Auge: Mit der Marke III/4 hätten die Außengrenzen temporal bis ca. 50 Grad, unten bis ca. 45 Grad, nasal bis ca.
40 Grad, oben bis ca. 30 Grad gereicht. Ein großes Zentralskotom habe bis ca. 12 Grad temporal gereicht.
PD Dr. B. hat hervorgehoben, dass die ausgeprägte Netzhaut- und Aderhautatrophie bei der Klägerin zweifelsohne eine hochgradige
Sehminderung sowie eine hochgradige Einschränkung bei der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten bedinge. Die gutachterliche
Beurteilung werde allerdings erheblich dadurch erschwert, dass die Angaben der Klägerin leider nicht glaubwürdig erscheinen
würden. Weiter hat PD Dr. B. darauf hingewiesen, dass - wie auch bereits bei den Vorgutachtern - der Nachweis des OKN bei
verschiedenen Streifenmustern und Größen positiv gewesen sei. Insgesamt müsse daher zum jetzigen Zeitpunkt, trotz der sicherlich
erheblichen Visuseinschränkungen bei der Klägerin davon ausgegangen werden, dass die Kriterien zum Erhalt von Blindengeld
nach dem BayBlindG nicht erfüllt seien.
Mit Schreiben vom 20.05.2016 hat die Klägerin über ihre Bevollmächtigte erhebliche Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht.
Nach Auskunft des behandelnden Facharztes (Dr. C.) sei dieses Gutachten unverwertbar, da zum einen die angewandten Untersuchungsmethoden
unzulässig und zum anderen Befunde falsch interpretiert worden seien. Bei der Prüfung der Sehschärfe sei mit einer Lesetafel
mit Ziffern gearbeitet worden, diese seien für gutachterliche Zwecke jedoch nicht zugelassen, sondern nur Landoltringe. Wenn
nur die obere Ziffer erkannt worden sei, entspreche dies aber nur einer Sehschärfe von 0,02 und begründe somit auch einen
Anspruch auf Blindengeld. Zur Simulationsprüfung sei unzulässigerweise die Sehschärfe mit Teller-Acuity-Cards verwendet worden,
womit nur die Gittersehschärfe geprüft werden könne. Diese sei jedoch, so die Bevollmächtigte, aus wahrnehmungsphysiologischen
Gründen deutlich höher als die anguläre Sehschärfe. Daher seien die beiden bei der Begutachtung eingesetzten Simulationsproben
bereits aus methodischen Gründen nicht verwertbar. Der behandelnde Arzt habe weiter ausgeführt, dass die erstellte Optische
Cohäreztomographie (OCT) der Netzhautmitte sowie die Autofloureszenzuntersuchung Befunde zeigen würden, die mit einer Sehschärfe
von mehr als 1/50 schwer zu vereinbaren seien. Die Übereinstimmung der angegebenen Sehschärfe mit dem morphologischen Befund
werde von der Gutachterin jedoch im Gutachten nicht erörtert, obwohl dieses die von ihr vorgenommene Bewertung der sogenannten
Simulationsproben mehr als fragwürdig erscheinen lassen würden. Die Klägerin stütze ihr Begehren auf das Gutachten von Dr.
L.. Sofern dieses den Senat nicht überzeugen könne, werde beantragt, ein weiteres Gutachten nach §
106 SGG einzuholen, nachdem das Gutachten von PD Dr. B. nicht verwertbar sei. Hilfsweise werde beantragt, Dr. C. gemäß §
109 SGG zu beauftragen.
Auf Veranlassung des Senats hat die Sachverständige PD Dr. B. am 14.06.2016 zu den Ausführungen der Bevollmächtigten ergänzend
Stellung genommen. Dabei hat sie hervorgehoben, dass eine Simulationsprüfung immer verschiedene Methoden der Visusprüfung
einschließe; nur hierdurch könnten die Ergebnisse der einzelnen Methoden miteinander verglichen und auf Glaubwürdigkeit überprüft
werden. Sämtliche der angewandten Untersuchungsmethoden würden wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden
darstellen. Da sich bei der Simulationsprüfung eine deutlich bessere Sehschärfe ergeben habe als anhand der zunächst gemachten
Aussagen der Klägerin, habe der erforderliche Blindheitsnachweis nicht geführt werden können. Für die genaue Festlegung der
Grenze des Sehvermögens sei eine glaubwürdige Mitarbeit des Probanden unabdingbar. Die bessere Sehschärfe, die sich ergeben
habe, habe jedoch nicht mit absoluter Sicherheit bis an die obere Grenze geprüft werden können, da sich die Klägerin dann
vermutlich ihrer widersprüchlichen Aussagen bewusst gewesen sei. Eine noch etwas bessere Sehschärfe als bei der Simulationsprüfung
sei daher möglich. Die große Fünf auf der Lesetafel - dargeboten in einem Abstand von 1 m - entspreche einem Visus von 1/50.
Diese von der Klägerin angegebene Ziffer entspreche jedoch nach ihrer, PD Dr. B.s, Meinung nicht zwangsläufig der besten Sehschärfe,
sondern sei von der Klägerin versehentlich angegeben worden. Sie stehe in Diskrepanz zu der von ihr zunächst gemachten Aussage,
sie könne eine Handbewegung in 30 bis 40 bzw. 50 cm kaum sehen und mache diese Aussage somit unglaubwürdig.
Richtig sei, dass die Gittersehschärfe, die mit Hilfe der Teller-Acuity-Cards geprüft werde, nicht direkt auf eine Prüfung
der Sehschärfe mit Optotypen übertragen werden könne. Im Rahmen der gutachterlichen Bewertung liege die Bedeutung des durchgeführten
Tests mit den Cards jedoch im Wesentlichen darin, dass bei der Prüfung mit diesem nonverbalen Test ein erheblich besseres
Ergebnis habe erzielt werden können als dies durch die Klägerin bewusst angegeben worden sei.
Hinsichtlich der OCT und der Autofloureszenzuntersuchung hat PD Dr. B. darauf hingewiesen, dass die im Gutachten beschriebenen
Unterbrechungen der Atrophieareale nach ihrer Meinung die Sehschärfe bei der Klägerin erklären würden. Den genauen Wert der
Sehschärfe zu ermitteln, sei aufgrund der eingeschränkten Mitarbeit der Klägerin erheblich erschwert. Wegen der im Gutachten
aufgeführten Simulationsuntersuchungen läge der Sehschärfewert aber in jedem Fall deutlich höher als die Wahrnehmung von Handbewegungen,
wie von der Klägerin angegeben.
Im Schriftsatz vom 29.07.2016 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme der Sachverständigen bestätigt habe,
dass die Simulationsprüfung mit zulässigen Untersuchungsmethoden durchgeführt worden sei und dass der Blindheitsnachweis nicht
erbracht werden könne.
Am 18.08.2016 hat die Klägerseite zu der ergänzenden Stellungnahme mitgeteilt, dass sie den behandelnden Dr. C. um Äußerung
gebeten habe. Dieser vertrete weiterhin die Auffassung, dass das Gutachten nicht haltbar sei. Ebenso wie das Gutachten selbst
basiere auch die ergänzende Stellungnahme nicht auf Tatsachen, sondern auf Vermutungen.
Sodann hat die Klägerin beantragt, gemäß §
109 SGG Dr. C. zu beauftragen. Am 30.12.2016 hat dieser im Auftrag des Gerichts das Gutachten erstellt und darin Im Wesentlichen
Folgendes festgestellt:
Im Bereich der gesamten Makula zeige die OCT eine massive Verdünnung der äußeren Netzhautschichten einschließlich der Fotorezeptorenschicht.
Die Fovialgrube sei angedeutet erhalten. Das Pigmentepithel zeige massive Defekte.
Die Sehschärfe rechts und links sowie beidäugig werde ohne Korrektion mit der Wahrnehmung von Handbewegungen angegeben. Das
Vorsetzen optischer Gläser führe zu keiner Verbesserung. Bei der Untersuchung wurden folgende Gesichtsfeldbefunde erhoben
(geprüft mit dem Halbkugelprojektionsperimeter nach Goldmann, Prüfmarke III/4e):
- Rechtes Auge: Die Gesichtsfeldaußengrenzen würden nach oben bis 47 Grad, nach temporal bis 60 Grad, nach unten bis 57 Grad
und nach nasal bis 40 Grad reichen. Es finde sich ein großer zentraler, den sogenannten blinden Fleck einschließender Gesichtsfeldausfall,
der nach oben bis 20 Grad, nach temporal bis 30 Grad, nach unten bis 35 Grad und nach nasal bis 20 Grad reiche. Dieser zentrale
Gesichtsfeldausfall sei durch die beschriebenen Makulaveränderungen bedingt.
- Linkes Auge: nur geringfügige Abweichungen vom rechten Auge.
Weiter hat der Sachverständige eine Aggravationsprüfung in Form der Prüfung der Sehschärfe mit der ETDRS-R-Tafel durchgeführt.
Zu Beginn der Prüfung sei die Klägerin nur darüber informiert worden, dass die Prüfung mit Landoltringen wohl zu schwierig
sei und jetzt etwas Einfacheres gemacht werde. Eine Information über die Art der verwendeten Optotypen, nämlich Buchstaben,
sei nicht erfolgt. Bei der Prüfung - jeweils mit der der objektiven Refraktion entsprechenden Korrektion - habe die Klägerin
angegeben, keine der "Zahlen" erkennen zu können. Binokular habe mit einem Streifenmuster von 2 cm Breite in einer Entfernung
von 50 cm der OKN ausgelöst werden können. In einer Entfernung von 1 msei der OKN mit demselben Streifenmuster nicht auslösbar
gewesen.
Die beidseitige Erkrankung der Makula mit massiver Atrophie des Pigmentepithels und der Fotorezeptorenschicht habe zu einer
Herabsetzung der Sehschärfe verbunden mit der Ausbildung großer zentraler Gesichtsfeldausfälle geführt. Die festgestellte
Reduktion der Sehschärfe auf die Wahrnehmung von Handbewegungen sei durch den morphologischen Befund, insbesondere durch die
Atrophie der Fotorezeptorenschicht, erklärt. Die Angaben der Klägerin würden gut mit dem morphologischen Befund übereinstimmen.
Das Ergebnis der Aggravationsprüfung bestätige die Angaben der Klägerin zum Sehvermögen.
Sodann hat sich der Sachverständige auch kritisch mit den anderen Gutachten auseinandergesetzt. Hinsichtlich des Gutachtens
von Dr. G. hat Dr. C. hervorgehoben, dass die Methode der Auslösung des OKN mit dem Gerät nach Kotowski mit Unsicherheiten
behaftet sei. Dem Gutachten von Dr. L. hat Dr. C. zugestimmt. Bezüglich des Gutachtens von PD Dr. B. hat er die Verwendung
der weit verbreiteten Visustafel mit Zahlen als Optotypen bemängelt und weiter kritisiert, dass das Erreichen höherer Visusstufen
die Gutachterin zwar unterstellt habe, jedoch die Optotypen bei der Visusprüfung mit Landoltringen und mit Zahlen nicht als
nachgewiesen postuliert worden seien. Auch habe die Sachverständige die Teller-Acuity-Cards verwendet; hier sei jedoch zu
betonen, dass diese Methode nach Vollendung des ersten Lebensjahrs des Probanden als nicht mehr zuverlässig gelte. Vom - seitens
der Gutachterin - errechneten Visusäquivalent von 0,1 könne eben gerade nicht auf das Vorliegen eines tatsächlichen Visus
von 0,03 bis 0,05 geschlossen werden. Vielmehr bestätige das von PD Dr. B. festgestellte Visusäquivalent eben gerade die von
Dr. L. ermittelten Visuswerte von 1/100 bzw. 1/70. Die für die Zweifel von PD Dr. B. an den klägerischen Angaben aufgeführten
Gründe würden einer kritischen Überprüfung nicht standhalten.
Blindheit im Sinne des Gesetzes bestehe unter Berücksichtigung der aktenkundigen Vorbefunde und des selbst erhobenen Makulabefunds
seit 10.10.2012.
Auf das Gutachten gemäß §
109 SGG hat der Beklagte am 20.02.2017 darauf hingewiesen, es sei zu erwarten gewesen, dass Dr. C. wieder zu dem Ergebnis komme,
dass Blindheit vorliege, obwohl auch die sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung vom 23.12.2016 gegen das Erkennen von nur noch
Handbewegungen oder weniger spreche.
Mit Schreiben vom 20.09.2017 hat die Klägerin noch eine Schilderung ihrer Untersuchung bei der Gutachterin Dr. B. hinsichtlich
der verwendeten Zahlentafel (s.o., "Ziffer 5") abgegeben.
In der mündlichen Verhandlung des Senats am 26.09.2017 hat die Klägerin Anschlussberufung mit dem Ziel der Verurteilung des
Beklagten zur Blindengeldgewährung bereits ab Antragstellung erhoben.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.10.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.10.2014
abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, Blindengeld bereits ab Oktober 2012 entsprechend den gesetzlichen Bestimmung
zu gewähren.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§
143,
151 SGG) und begründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 14.12.2012 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben
oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung
dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung "zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen" keine eigenständige
Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung
der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds
in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes
in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds
in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung
mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld
unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der
Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen
besteht.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist im streitgegenständlichen Zeitraum ab Oktober 2012 nicht nachgewiesen.
Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren hätte oder
dass ihre Sehschärfe entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 0,02 oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift).
Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15 - und 24.01.2017 - L 15 BL 7/15) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen
grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen.
Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses
des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).
Auch unter Beachtung der aus der Natur der Sache folgenden Vorgabe, "dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad
zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann" (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen
Verfahren, 2. Aufl., S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer), weil sich ein Warten auf neue und bessere (naturwissenschaftliche)
Erkenntnisse aus naheliegenden Gründen verbietet (vgl. das Urteil des Senats vom 20.01.2017 - L 15 BL 16/12), ist nach dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens festzustellen, dass hier Blindheit der Klägerin nicht nachgewiesen
ist. Denn zahlreiche Aspekte lassen hieran ernsthaft zweifeln.
Zwar hat die Klägerin bei zahlreichen Untersuchungen Angaben gemacht, nach denen die oben geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen
für die Annahme von Blindheit erfüllt wären. Wie der gemäß §
109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. C. zutreffend dargelegt hat, kommt es für das Verfahren maßgeblich auf die Zweifel an diesen
(subjektiven) Angaben der Klägerin an. Die vorliegenden Zweifel sind erheblich und vor allem auch begründet. Sie stehen, gerade
in ihrer Gesamtheit, der Annahme entgegen, dass Blindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen würde.
1. Lichtlosigkeit
Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschließen; hierauf
muss angesichts der vorliegenden einschlägigen Befunde nicht näher eingegangen werden.
2. Faktische Blindheit
Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat wie bereits darauf hingewiesen erhebliche Zweifel.
Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das insoweit überzeugende Gutachten
von PD Dr. B., ferner auf die plausible versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage von Dr. L. vom 14.11.2014. Der Senat
macht sich diese Feststellungen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation stehen, zu eigen.
Dabei ist sich der Senat bewusst, dass die von Dr. L. erstellte Stellungnahme grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine
andere Beweiskraft hat und somit andere Aussagekraft besitzt als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar,
nicht nur Verwaltungsgutachten, sondern auch versorgungsärztliche Stellungnahmen zu verwerten und ihnen im Rahmen der freien
richterlichen Beweiswürdigung (§
128 Abs.
1 SGG) zu folgen. Ein anderer Weg, wie etwa der, versorgungsärztliche Stellungnahmen trotz fachlicher Fundiertheit und Überzeugungskraft
unbeachtet zu lassen, ist für den Senat nicht denkbar. Die sachliche Äußerung der genannten Versorgungsärztin deckt sich im
Übrigen auch mit den beim Senat bestehenden Fachkenntnissen, die dieser aufgrund der zahlreichen vergleichbaren Fälle im Bereich
des Blindheitsnachweises erworben hat. Die Äußerungen von Dr. L. lassen nicht die Besorgnis der Befangenheit entstehen, die
Klägerseite hat auch keine erheblichen Einwendungen in diese Richtung erhoben. Die Stellungnahme ist von der Klägerin lediglich
im Ergebnis - und auch nur teilweise - hinterfragt worden (zur Verwendung von Verwaltungsgutachten im gerichtlichen Verfahren
s. z.B. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14.)
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin an beiden Augen an einer großen zentralen Netzhaut- und
Adernhautatrophie, die bis über die großen Gefäßbögen hinaus reicht und von feinen linienartigen Unterbrechungen durchzogen
wird, leidet, ferner an Kurzsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Altersweitsichtigkeit und beginnendem Grauen Star. Dabei bedingt
die große zentrale Netzhaut- und Aderhautatrophie eine hochgradige Sehminderung und eine hochgradige Einschränkung im Leben
der Klägerin. Nach Auffassung des Senats reicht diese Einschränkung in ihrem Ausmaß bis relativ nahe an die Blindheitsgrenze
im Sinne des BayBlindG heran.
Diese Feststellungen ergeben sich u.a. auch aus dem plausiblen Gutachten von PD Dr. B..
Zwar hat die Klägerin im Laufe der Untersuchungen, z.B. bei dem gemäß §
109 SGG beauftragten Sachverständigen Dr. C. nur noch einen Visus von Handbewegungen und beim Sachverständigen Dr. L. einen Visus
von nur 1/70 angegeben. Auch war bei der Klägerin teilweise gar kein Gesichtsfeld mehr erhebbar. Dennoch ist faktische Blindheit
der Klägerin im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG nicht nachgewiesen.
Wie die Sachverständige PD Dr. B. plausibel dargelegt hat und auch entsprechend der Zweifel des Beklagten (Stellungnahme von
Dr. L. vom 14.11.2014), können diese Angaben einen Nachweis nicht erbringen. Aufgrund der zahlreichen entgegenstehenden Aspekte
sind diese Angaben nicht geeignet, den Senat davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin Blindheit im Sinne des BayBlindG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (s.o.) vorliegen würde.
1. So hat Dr. L. in der genannten Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Verschlechterung des Visus innerhalb
von nur sechs Monaten von 0,05 rechts und 0,16 links (Werte vom Februar 2012) auf nur noch Erkennen von Handbewegungen (Werte
im September 2012) ohne akute besondere Ursache sehr ungewöhnlich ist. Zwar ist dem Senat aus zahlreichen Verfahren nach dem
BayBlindG bekannt, dass es mitunter schwierig sein kann, tatsächliche Verschlechterungen der Sehfunktionen zu erklären, wenn kein Hinweis
für eine erneute Schädigung etc. besteht. So hat z.B. Prof. Dr. R., der gemäß §
109 SGG im Verfahren des Senats L 15 BL 6/07 (vgl. das Urteil vom 31.01.2013) ein Sachverständigengutachten erstellt hat, plausibel dargelegt, dass man es bei umfassenden
Schädigungen immer wieder erlebe, dass auch nach Jahren ohne sichtbare Änderung des morphologischen Befundes eine weitere
Funktionsschädigung eintrete. Der Sachverständige hat jedoch diese Aussage für solche umfassenden Schädigungen getroffen,
die auch die Sehrinde mit einbeziehen, also für die Fälle der zerebralen Schäden (vgl. zu diesem Problemkreis z.B. Braun/Zihl,
Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82). Um solche Zerebralschäden geht es
vorliegend jedoch nicht. Zudem wäre die Verschlechterung des Visus vorliegend (von 0,16 auf Handbewegungen!) massiv. Ein solcher
Visusverfall bedarf jedoch entsprechend der verbindlichen Vorgaben der VG in Teil B Vorbemerkung Nr. 4 zwingend der Erklärung
durch die morphologische Situation. Eine solche Erklärung gibt es vorliegend aber nicht. Insbesondere bleiben auch die Sachverständigen
Dr. L. und Dr. C. eine solche Erklärung schuldig. Eine solche stellt auch nicht der Hinweis von Dr. L. dar, dass die Klägerin
einerseits bei den behandelnden und andererseits bei den gutachterlich untersuchenden Augenärzten jeweils konsequent eine
identische Sehschärfe angegeben habe.
2. Wie sich aus der Beweisaufnahme ergibt, sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin die Erkrankung Morbus
Stargardt vorliegt. Insoweit könnte durchaus auch Einiges dafür sprechen, dass der Visus - entsprechend dieses Krankheitsbilds
- deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegt. Hiergegen steht zwar der Hinweis von Dr. L., dass die Makulaveränderung nicht
dem Befund einer Stargardtschen Makuladegeneration entspreche, sondern flächenmäßig und in der Ausprägungsart diese weitaus
übertreffe. Eine befriedigende Erklärung hinsichtlich der Ursache der Erkrankung der Klägerin gibt jedoch auch Dr. L. nicht.
3. Wie die Versorgungsärztin Dr. L. plausibel hervorgehoben hat, sind sowohl die Visusangaben der Klägerin als auch ihre Gesichtsfeldangaben
sehr unterschiedlich ausgefallen. So sind im September 2012 und Dezember 2012 beim Visustest nur Handbewegungen erkannt worden.
Im Dezember 2013 hat die Klägerin sogar angegeben, nur Unterarm- und nicht einmal Handbewegungen erkannt zu haben. Im März
2014 ist dann eine Visusbestimmung von 0,5/50 monokular bzw. 1/70 binokular möglich gewesen. Was das Gesichtsfeld betrifft,
so war im Dezember 2012 eine Gesichtsfeldbestimmung nach den Angaben der Klägerin überhaupt nicht möglich, im Dezember 2013,
März 2014, Januar 2016 und Dezember 2016 waren dann jedoch sehr exakte Gesichtsfeldangaben möglich. Diese aufgrund der unterschiedlichen
Gesichtsfeldangaben bestehenden Bedenken sind auch von Dr. L. und Dr. C. nicht ausgeräumt worden. Wie bereits hinsichtlich
des Visusverfalls innerhalb von nur sechs Monaten ist auch hinsichtlich dieser Zweifel festzustellen, dass die Gutachter hier
nicht einmal im Ansatz eine Erklärung liefern. Die Angaben der Klägerin, die Blindheit begründen würden, sind somit nicht
glaubhaft.
4. Zweifelhaft bleibt auch, ob die bei der Klägerin vorliegende unbestritten massive Einschränkung im zentralen Gesichtsfeld
eine so ausgeprägte Visusminderung, wie von der Klägerin angegeben, bewirken kann. Wie in der versorgungsärztlichen Stellungnahme
vom 14.11.2014 hervorgehoben worden ist, kann bei einer Ausdehnung von ca. 30 Grad keine Visusminderung auf unter 0,05 erklärt
werden. Zu dieser Frage stellt Dr. L. lediglich allgemein fest, dass "sich keine auffällige Diskrepanz der Befunde" ergebe,
wenn man die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion setze. Auch Dr. C. geht
ohne nähere Begründung davon aus, dass die festgestellten Zentralskotome das Herabsinken des Visus auf nur noch Handbewegungen
bewirken könnte. Genauere Erklärungen werden hier aber auch nicht geliefert.
5. Erhebliche Zweifel an der angegebenen Sehschärfe ergeben sich auch im Hinblick auf das Ergebnis des objektiven Funktionsbefundes
hinsichtlich der Auslösung des OKN. Auch wenn der Gutachter Dr. L. sicherlich zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es sich
hinsichtlich des festgestellten Visusäquivalents von 0,1 lediglich um einen Richtwert handelt und wenn der auf Antrag der
Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. C. auf Unsicherheiten in diesem Messverfahren verwiesen hat, so entspricht es dem
anerkannten und im Wesentlichen unstrittigen medizinischen Erfahrungswissen, dass eine Prüfung des OKN zur Abschätzung der
Sehschärfe (ohne Antworten von Seiten des Patienten) herangezogen werden kann (vgl. z.B. Lachenmayr, Begutachtung in der Augenheilkunde,
2. Auflage, S. 71 ff.), auch wenn hier, wie bei allen anderen objektiven Testverfahren generell durchaus die Möglichkeit der
Fehleinschätzung nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15). Wie dem Senat aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt ist, wird die Sehschärfe, bei der noch ein OKN ausgelöst werden kann,
in der medizinischen Fachwelt unterschiedlich angesetzt (a.a.O.). Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass ein auslösbarer
OKN eine oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetzt und bei einem (tatsächlich) auf Handbewegungen reduzierten
Visus negativ ausfällt. Bei einem auslösbaren OKN beträgt die Sehschärfe mehr als Handbewegungen. Insbesondere gilt dies auch
unabhängig von der Entfernung der Nystagmustrommel (a.a.O.).
6. Schließlich ergeben sich für den Senat massive Zweifel an den Angaben der Klägerin auch daraus, dass am 23.12.2016 (bei
Dr. C.) erneut eine sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung möglich war, obwohl die Klägerin beim Visustest nur noch das Erkennen
von Handbewegungen angegeben hat. Wie der Sachverständige in dem oben genannten Verfahren (L 15 BL 11/15) plausibel dargelegt hat, kann bei einer Sehschärfe von Handbewegungen die Testmarke III/4e nicht erkannt werden (vgl. die
Ausführungen des Senats in dem genannten Urteil). Auch insoweit gehen die Gutachter Dr. L. und Dr. C. auf diese Problematik
hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der klägerischen Angaben bei den subjektiven Prüfungen von Visus und Gesichtsfeld nicht
näher ein.
Im Übrigen überzeugen den Senat die Ausführungen des SG hierzu nicht, dass nämlich bei der morphologischen Situation der Klägerin mit einem großflächigen Zentralskotom und einer
ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien trotz eines Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld noch bestimmbar
sei und auch der OKN ausgelöst werden könne. So ist diese pointierte Feststellung von den vorliegenden Gutachten, die von
Blindheit der Klägerin ausgehen, nicht getroffen worden. Zum anderen liegt nahe, dass die Sehstörung der Klägerin nicht schematisch
in den "erkrankten Teil" und "gesunden Rest" aufgeteilt werden kann, sondern dass durch die Makulaveränderungen das Sehvermögen
insgesamt schwer beeinträchtigt ist. Anderenfalls würde lediglich ein Fall des von den Fallgruppen der DOG/VG berücksichtigten
Zentralskotoms vorliegen bzw. die Sehschärfe in der Peripherie für unbeeinträchtigt gehalten werden. Eine solche Vorstellung
entspricht jedoch nicht den medizinischen Gegebenheiten, wie aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme folgt.
7. Im Übrigen folgen massive Zweifel auch im Hinblick auf die von der vom Senat beauftragten Gutachterin PD Dr.B. aufgezeigten
Unstimmigkeiten bei den klägerischen Angaben etc. (s. im Einzelnen oben). Dabei ist nicht zu beanstanden, dass die Sachverständige
die vorgenannten Kontrolluntersuchungen vorgenommen hat. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. das Urteil
vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07) und ist - völlig unbestritten - für eine sinnvolle Blindenbegutachtung unabdingbar (vgl. z.B. durchgängig bei Lachenmayr,
a.a.O.), dass mit weiteren Prüfungen Plausibilitätskontrollen etc. erfolgen müssen. Die zum Einsatz gebrachten Tests stellen,
wie die Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, allesamt wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden
dar. Es kommt nicht darauf an, ob das eine oder andere Testverfahren Bedenken begegnet, wie sie von der Klägerseite hervorgehoben
worden sind (wie z.B. hinsichtlich der Teller-Acuity-Cards), was der Senat im Einzelnen nur eingeschränkt prüfen kann, dem
aber hier nicht weiter nachgegangen werden muss.
Nicht von Bedeutung ist vorliegend auch, ob es gegebenenfalls aussagekräftigere Aggravationstests gegeben hätte.
Schließlich ist für den Senat - mit Blick auf die diametral unterschiedlichen Angaben der Sachverständigen und der Klägerseite
zum Ablauf der Begutachtung - letztlich auch nicht mit Sicherheit erkennbar, ob die Klägerin bei der Prüfung der Sehschärfe
anhand der Lesetafel die Ziffer Fünf tatsächlich erkannt oder sonstige Kenntnis von dieser Ziffer auf der Tafel gehabt hat
(z.B. wegen des von der Klägerseite am 20.09.2017 geschilderten Begutachtungsablaufs oder auch aufgrund früherer Untersuchungen).
Aufgrund der Vielzahl von Indizien, dass die Angaben der Klägerin nicht plausibel gewesen sind, ergeben sich durch das nachvollziehbare
Gutachten von PD Dr. B. jedenfalls in der Gesamtheit deutliche Zweifel an den Angaben.
8. Entsprechendes gilt auch für die Verhaltensschilderungen durch Dr. G.. So hat die Klägerin durchaus eine Orientierungsfähigkeit
gezeigt, die mit Blindheit nur schwer vereinbar sein dürfte. Allerdings hat Dr. C. diese Zweifel relativiert, indem er darauf
hingewiesen hat, dass das periphere Gesichtsfeld wesentlich bedeutsamer sei als die zentrale Sehschärfe und dass die Klägerin
ihr Orientierungsverhalten sukzessive dem Fortschreiten des Augenleidens anpassen hat können. Dennoch verbleiben aus Sicht
des Senats gewisse Zweifel (vgl. im Übrigen zur generell begrenzten Bedeutung von Verhaltensbeobachtungen die Rechtsprechung
des Senats, z.B. das Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13).
9. Faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt auch nicht vor, weil etwa aufgrund des speziellen Krankheitsbilds der Klägerin ausnahmsweise von Blindheit auszugehen
wäre. Zwar ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder nach der Rechtsprechung des Senats die Annahme von
Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. im Einzelnen
die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - sowie vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15). Wie der Senat ebenso bereits entschieden hat, ist Voraussetzung für die Berücksichtigung jedoch, dass feststeht, welche
Visus- und Gesichtsfeldwerte im Einzelnen erreicht werden, was hier gerade nicht der Fall ist. Ein allgemeiner, pauschaler
Vergleich genügt insoweit nicht (vgl. das genannte Urteil vom 27.09.2016 - a.a.O. - sowie vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12).
Etwas Anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem Gedanken, dass gerade bei einer Makuladegeneration ein fast vollständiger
Verlust der Lesefähigkeit hervorgerufen wird, obwohl die Sehschärfe in der Ferne besser sein kann (vgl. z.B. Rohrschneider,
MedSach 2012, S. 5, 6), so dass trotz besserer (d.h. über 0,02 liegender) - wie vorliegend anzunehmend - Fernvisuswerte im
Hinblick auf die spezielle Erkrankung bei der Klägerin dennoch von Blindheit auszugehen wäre. Dieser Gedanke widerspricht
nämlich dem System der Blindheitsbeurteilung bzw. den Vorgaben der VG/DOG, die die Visusprüfung ausschließlich auf den Fernvisus
reduzieren, auch wenn dies "angesichts des hohen Stellenwertes von Lesen und Schreiben für die Teilhabe am täglichen Leben
verwundert" (Rohrschneider, a.a.O.). Eine solche Ausdehnung des Blindheitsbegriffs ist dem Senat aber nicht möglich, da er
an diese Vorgaben gebunden ist.
Somit schließt der Senat zwar nicht völlig aus, dass das Sehvermögen der Klägerin doch unter die maßgebliche Blindheitsschwelle
herabgesunken sein könnte. Wie ausführlich dargestellt, mangelt es jedoch insoweit am notwendigen Beweis.
Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so
gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen
(vgl. z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders.,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchtsrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast
die Folgen tragen, dass eine (deutliche) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das
Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Das BSG hat in seinem Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14) eine Beweiserleichterung - selbst für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden (vgl. hierzu
Braun/Zihl, a.a.O.) - klar abgelehnt. Etwas Anderes ergibt sich ferner auch nicht aus der Tatsache, dass vorliegend die Klägerin
Berufungsbeklagte ist.
Anlass für weitere Ermittlungen durch den Senat und erst recht eine verfahrensrechtliche Pflicht hierzu haben nicht bestanden,
auch wenn die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß §
106 SGG sogar vom Beklagten in den Raum gestellt worden ist. Aus Sicht des Senats war es jedoch nicht angezeigt und letztlich rechtlich
auch nicht möglich, noch weitere Gutachten nach §
106 SGG einzuholen. Es ist dem Senat selbstverständlich verwehrt, solange Gutachten einzuholen, bis ein bestimmtes Ergebnis dargelegt
wird. Auch ist ein Obergutachten dem sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich fremd (vgl. das Urteil des Senats vom 05.08.2014
- L 15 SB 29/12), "weil nach Verfahrensrecht alle Gutachten dieselbe Relevanz beanspruchen können" (Kater, a.a.O., S. 25), Ein Obergutachten
kommt vorliegend unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Denn in den Fällen, "in denen einander widersprechende Gutachten
vorliegen, ist das Gericht gezwungen, sich mit den Einzelheiten der medizinischen Feststellungen auseinanderzusetzen, um Klarheit
darüber zu gewinnen, welche überzeugen und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden können und welche nicht" (Kater, a.a.O.,
S. 27). Dies hat der Senat getan. Ein Sonderfall, der die Einholung einer "dritten Meinung" erforderlich machen würde, wie
etwa dann, wenn sich zwei grundsätzliche medizinische Lehrmeinungen gegenüberstehen und das Gericht mangels eigener Sachkenntnis
deren jeweilige Relevanz in der Wissenschaft nicht beurteilen kann, ist vorliegend nicht gegeben. Zudem sind in gerichtlichen
Verfahren medizinische Gutachten nicht um ihrer selbst willen einzuholen. Insbesondere ist es auch nicht Sinn des Verfahrens,
lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position
zu beziehen (vgl. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.2007 - 1 RK 28/95).
Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Der Gerichtsbescheid
des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist
abzuweisen. Die unbegründete Anschlussberufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).