Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
hat.
Der 1976 geborene Kläger brach eine im August 1992 begonnene Lehre als Maurer schon nach kurzer Zeit ab (Beiträge vom 01.08.1992
bis 16.09.1992). In der Folgezeit war er kurzfristig als Bauhelfer (Beiträge vom 25.07.1994 bis 10.08.1994) und von 2000 bis
2004 als Industriehelfer in einem Fabrikationsbetrieb für Unterhaltungselektronik (Beiträge vom 18.08.2000 bis 29.02.2004)
beschäftigt. In den übrigen Zeiten bestand Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit, wobei in den letzten Jahren vor dem Rentenantrag
lückenlos Beiträge aus Leistungen nach dem SGB II vorgelegen hatten. Der Kläger bezieht auch aktuell weiter Leistungen nach
dem SGB II; auf Grund der Gesetzesänderung zum 01.01.2011 werden aber seitdem keine Beiträge zur Rentenversicherung mehr entrichtet.
Am 19.05.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Veranlassung der
Beklagten wurde er am 06.07.2010 durch den Allgemeinmediziner Dr.H. untersucht. Dieser beschrieb, dass sich beim Kläger in
den vergangenen Jahren das Körpergewicht kontinuierlich erhöht habe und eine intensivere kombinierte psycho-somatisch-internistisch-orthopädische
Reha-Maßnahme indiziert sei, die der Kläger jedoch aus familiären Gründen derzeit ablehne. Folgende Diagnosen wurden gestellt:
1. Starkes Körperübergewicht mit Überlastung tragender Skelettanteile.
2. Belastungsbeschwerden linkes Schultergelenk.
3. Belastungsbeschwerden der Brust- und Lendenwirbelsäule.
4. Bewegungseinschränkung rechtes Sprunggelenk, beginnende Sprunggelenksarthrose.
5. Neigung zu erhöhten Blutdruckwerten, bislang unbehandelt.
6. Raucherbronchitis.
Trotz der bestehenden Gesundheitsstörungen sei der Kläger in der Lage, eine körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeit
überwiegend im Sitzen 6 Stunden und mehr auszuüben. Besondere Belastungen des Bewegungs- und Haltungsapparates seien zu vermeiden
und insbesondere Überkopfarbeiten seien nur noch eingeschränkt möglich.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 13.07.2010 ab. Der Kläger erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen
für eine entsprechende Rentengewährung: Er könne noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Am 19.07.2010 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein und gab an, dass ihm aufgrund seines massiven Übergewichts von 200
kg die Ausübung einer Tätigkeit von mehr als 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2010 zurück, da an der sozialmedizinischen Beurteilung
festgehalten werde und diese keinen medizinischen Leistungsfall für eine Erwerbsminderungsrente begründe. Den beim Kläger
vorhandenen Leistungseinbußen sei mit der Begrenzung des Leistungsvermögens auf leichte bis mittelschwere Arbeiten Rechnung
getragen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 06.10.2010 Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und angegeben, dass er sich nicht bücken könne
und auch keine Arbeit bekomme. Er habe eine Bescheinigung über 30 % Erwerbsminderung vorgelegt und sei vom medizinischen Dienst
auch als erwerbsunfähig angesehen worden. Weiter hat er dem Sozialgericht mitgeteilt, dass er einen Antrag auf Erhöhung seiner
Erwerbsminderung von 30 % beim Versorgungsamt eingereicht habe. Seine Beschwerden seien Übergewicht, starke Kreuzschmerzen,
Fettleber, Atemwege, Knie-Sprunggelenk. Er könne fast nicht mehr gehen.
Das Sozialgericht hat die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberfranken beigezogen und
einen Befundbericht beim behandelnden Arzt Dr.B. eingeholt. Dieser hat angegeben, dass beim Kläger ein Asthma bronchiale und
eine Verletzung der Achillessehne festgestellt worden sei und Kreuzschmerzen sowie Adipositas vorliegen würden. Eine Arbeitsunfähigkeit
sei für die Zeiten vom 18.12.2006 bis 27.01.2007, 28.07.2008 bis 15.08.2008, 17.09.2008 bis 21.09.2008, 15.06.2009 bis 08.08.2009
bescheinigt worden.
Am 17.03.2011 ist der Kläger auf Veranlassung des Sozialgerichts durch Dr.S. sozialmedizinisch untersucht worden, wobei folgende
Diagnosen aufgeführt worden sind:
1. Starkes Körpergewicht mit Überlastung tragender Skelettanteile.
2. Belastungsbeschwerden der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule.
3. Bewegungseinschränkung rechtes Sprunggelenk, beginnende Sprunggelenksarthrose.
4. Belastungsbeschwerden linkes Schultergelenk.
5. Raucherbronchitis.
Gegenüber dem Vorgutachten seien keine wesentlichen Änderungen eingetreten. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten
in wechselnder Körperhaltung überwiegend im Sitzen unter Ausschluss von Zwangshaltungen, ohne Notwendigkeit des Besteigens
von Leitern und Gerüsten und ohne häufiges Treppensteigen mindestens 6 Stunden täglich ausüben.
Nach Anhörung der Beteiligten in einem Erörterungstermin vom 17.03.2011 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 04.04.2011
die Klage abgewiesen. Aufgrund der übereinstimmenden Feststellungen der ärztlichen Sachverständigen würden die beim Kläger
vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht dazu führen, dass ein nur noch unter 6-stündiges Leistungsvermögen vorliegen würde.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden.
Mit Schreiben vom 06.04.2011 hat der Kläger Einspruch gegen den Bescheid vom 17.03.2011 erhoben, was als Berufung gegen den
Gerichtsbescheid vom 04.04.2011 angesehen worden ist. Er hat angegeben, dass er körperlich sehr angeschlagen sei, Kreislaufbeschwerden
und sehr hohen Blutdruck habe sowie immer sehr müde sei, Schwindelanfälle habe und auch keine Luft bekomme. Sein Gesundheitszustand
habe sich verschlechtert.
Der Senat hat einen Befundbericht bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. C. eingeholt, die offensichtlich über die ärztlichen
Unterlagen der nicht mehr bestehenden Praxis Dr.B. verfügt. Sie hat in ihrem Befundbericht vom 17.01.2012 mitgeteilt, dass
beim Kläger rezidivierende Atemnöte bei COPD, Adipositas permagna, erhöhter Blutdruck und Hyperurikämie vorliegen würden.
Die Befunde seien konstant geblieben und es seien keine Veränderungen im Gesundheitszustand eingetreten.
Durch Beschluss vom 26.01.2012 ist die Streitsache an den Berichterstatter übertragen worden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 04.04.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 01.10.2010 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verurteilen, ihm ab Rentenantragstellung eine Rente wegen voller, hilfsweise
wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 04.04.2011 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Beklagtenakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger weder einen Anspruch auf
Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung noch wegen Berufsunfähigkeit hat.
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif; insbesondere war der Senat im Rahmen der Amtsermittlungspflicht des §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nicht gehalten, ein weiteres Gutachten nach §
106 SGG einzuholen. Die vom Kläger behauptete Verschlechterung seiner Gesundheit gegenüber dem Zeitpunkt der Gutachtenerstellung
hat sich durch die Ermittlungen des Senats bei der behandelnden Ärztin nicht verifizieren lassen. Anhaltspunkte für eine bedeutsame
psychische Erkrankung des Klägers haben sich trotz der Andeutungen im Gutachten des Dr. H. im Folgenden nicht näher ergeben;
eine entsprechende fachärztliche Behandlung erfolgt nicht.
Die Leistungsfähigkeit des Klägers stellt sich folgendermaßen dar: Er ist noch in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung, aber überwiegend im Sitzen wenigstens 6 Stunden täglich zu verrichten,
wobei Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, das Besteigen von Leitern und Gerüsten und häufiges Treppensteigen zu vermeiden sind.
Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit stützt sich der Senat wesentlich auf die Feststellungen des erstinstanzlich bei Dr.
S. eingeholten Gutachtens, die in Übereinstimmung mit den übrigen gutachterlichen Äußerungen stehen.
Die beim Kläger festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen erfüllen weder die Voraussetzungen des §
43 Abs.
2 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) noch die des §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI. Nach diesen Vorschriften liegt eine volle Erwerbsminderung vor, wenn ein Versicherter nur noch weniger als 3 Stunden täglich
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig ist, und eine teilweise Erwerbsminderung, wenn er zwar noch mindestens 3 Stunden,
aber nur weniger als 6 Stunden täglich im Erwerbsleben einsatzfähig ist. Keine Erwerbsminderung im Sinne dieser Vorschriften
besteht dagegen, wenn jemand unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig
sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Nach den ärztlichen Angaben bestand beim Kläger zeitweilig Arbeitsunfähigkeit. Hierbei handelte es sich jedoch jeweils um
nur vorübergehende, behandlungsfähige Erkrankungen, die noch nicht als länger dauernde Unfähigkeit zum Einsatz im Erwerbsleben
anzusehen waren und damit auch keine zeitlich befristete Erwerbsminderung darstellten. Nachdem beim Kläger zu verschiedenen
Zeitpunkten Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden waren, ist im Umkehrschluss davon auszugehen, dass in den
übrigen Zeiträumen eine Arbeitsunfähigkeit nicht bescheinigt worden ist und nicht vorgelegen hat. Eine durchgehende quantitative
Erwerbsminderung kommt somit erst recht nicht in Betracht.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat einige Ausnahmefälle (sog. Katalogfälle - vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar,
Stand 01.04.2011, §
43 SGB VI Rn. 37 ff mwN) zugelassen, in denen trotz an sich zeitlich nicht eingeschränkter Einsatzfähigkeit eine Verweisung auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zulässig ist, sondern die Einsatzfähigkeit in einer konkreten, vom Versicherungsträger zu benennenden
Verweisungstätigkeit als Maßstab heranzuziehen ist. Beim Kläger liegt jedoch keiner der dort aufgezählten Fälle vor. Die körperlichen
Einschränkungen des Klägers stellen insbesondere keine schwere spezifische Behinderung dar und sind auch nicht als Summierung
ungewöhnlicher Einschränkungen einzuordnen, nachdem beim Kläger nur die für eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit
üblichen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen wie keine Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, kein überwiegendes bzw.
häufiges Gehen, Stehen und Steigen gefordert werden (vgl. Gürtner aaO. Rn. 47).
Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach §
43 Abs.
2 Satz 1
SGB VI setzt neben der medizinisch festgestellten vollen Erwerbsminderung voraus, dass vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine
Wartezeit erfüllt wurde und in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte
Beschäftigung oder Tätigkeit vorgelegen haben. Diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gelten in gleicher Weise für
die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach §
43 Abs.
1 SGB VI und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI.
Diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hätte der Kläger sowohl bei der Rentenantragstellung als auch später erfüllt
gehabt. Auch wenn der Kläger bisher noch keine 5 Jahre versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist - der Versicherungsverlauf
weist hierfür insgesamt 47 Kalendermonate aus -, hat der Kläger die allgemeine Wartezeit mit einer Mindestanzahl von 60 Monaten
an Pflichtbeiträgen zurückgelegt (§
50 Abs.
1 SGB VI), weil auch die Pflichtbeiträge dazuzählen, die während der Zeit seiner Arbeitslosigkeit nach dem
SGB III und SGB II gezahlt worden sind. Der Kläger hätte auch für einen eventuellen medizinischen Leistungsfall in der Zeit seit
der Antragstellung die im jeweils maßgeblichen Fünfjahreszeitraum erforderlichen rentenrechtlich relevanten Zeiten unproblematisch
aufzuweisen. In den letzten Jahren und bis 31.12.2010 liegen offensichtlich durchgängig Pflichtbeiträge wegen Leistungen nach
dem SGB II vor; nachdem ab 01.01.2011 wegen einer Gesetzesänderung (Aufhebung von §
3 Satz 1 Nr. 3a
SGB VI) solche Beiträge nicht mehr gezahlt werden, ist diese Zeit des Leistungsbezuges nach dem SGB II bei der zugleich bestehenden
Arbeitslosigkeit als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit (§
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB VI) einzuordnen, was nach §
43 Abs.
4 Nr
1 SGB VI zur Verlängerung des maßgeblichen Zeitraums führt und damit das Vorliegen einer ausreichenden Anzahl von Beiträgen weiter
erhält.
Eine Rente unmittelbar wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung kommt wegen der fehlenden medizinischen Voraussetzungen
- wie dargestellt nicht in Betracht.
Ein - hilfsweise zu prüfender - Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit scheidet ebenfalls
aus: Der Kläger gehört nicht zu dem von §
240 Abs
1 Nr
1 SGB VI erfassten Personenkreis, weil er nach dem 01.01.1961 geboren ist.
Die ablehnenden Bescheide der Beklagten und die erstinstanzliche Entscheidung sind somit im Ergebnis nicht zu beanstanden
und die Berufung war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.