Rentenversicherung
Zulässigkeit der Gegenvorstellung
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
Ermessensentscheidung
Gründe
I.
Die Klägerin ist die Witwe des am 11.02.2010 verstorbenen Versicherten Dr. A ... Streitig war im Berufungsverfahren mit dem
Aktenzeichen L 1 R 673/13 zwischen den Beteiligten die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der Teilaufhebung eines Rentenbescheids und der Rückforderung
überzahlter Rentenleistungen nach dem Tod des Versicherten.
Gegenstand des Verfahrens war neben dem noch gegenüber dem verstorbenen Ehemann der Klägerin ergangenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
vom 10.08.2009 der gegenüber der Klägerin ergangene Rückforderungsbescheid vom 27.07.2011, beide Bescheide in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2011. Ein früherer Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 ist in einem Klageverfahren vor
dem Sozialgericht Regensburg (Aktenzeichen S 10 R 4021/11) aufgehoben worden, worauf die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat. Mit Urteil vom 22.05.2011
hat anschließend das Sozialgericht Regensburg die gegen die Bescheide vom 10.08.2009 und 27.07.1011 gerichtete Klage abgewiesen.
Es hat insbesondere darauf abgestellt, dass auch der noch gegenüber dem verstorbenen Ehemann der Klägerin ergangene Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 10.08.2009 wirksam ergangen sei.
Im Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht hat die Klägerin an ihrer Auffassung festgehalten, dass der
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10.08.2009 keine wirksame Grundlage für eine Rückforderung darstellen könne. Da ihr
verstorbener Ehemann bereits damals geschäftsunfähig gewesen sei, habe ihm gegenüber der Bescheid nicht mehr wirksam bekanntgegeben
werden können.
Nach mündlicher Verhandlung vor dem Senat ist am 29.09.2016 ein Urteil ergangen, mit dem die Berufung gegen das Urteil des
Sozialgerichts Regensburg vom 22.05.2013 zurückgewiesen worden ist. Das Urteil ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung
und geheimer Beratung durch Verlesen der Urteilsformel verkündet worden. Es ist der Klägerin über ihren Bevollmächtigten am
17.11.2016 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 04.11.2016, eingegangen beim Landessozialgericht am 07.11.2017, hat die Klägerin Gegenvorstellung erhoben
und Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gestellt. Zur Begründung hat sie an ihrer Auffassung festgehalten,
dass der Bescheid vom 10.08.2009 aufgrund der Geschäftsunfähigkeit ihres verstorbenen Mannes nicht wirksam bekannt gegeben
worden und daher unheilbar nichtig sei. Die Beklagte habe, indem sie den Rechtsstreit nach der Erledigterklärung des früheren
Klageverfahrens weiterverfolgt habe, arglistig gehandelt. In einem rechtsstaatlichen Verfahren bestimme allein der Kläger
durch seinen Antrag den Streitgegenstand.
Außerdem hat die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom 29.09.2016 Beschwerde zum Bundessozialgericht
erhoben, die mit Beschluss vom 20.06.2017 als unzulässig verworfen worden ist (Aktenzeichen B 5 R 382/16 B). Die Klägerin hat im Beschwerdeverfahren eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz
gerügt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Berufungsakte Bezug genommen.
II.
1.
Die Gegenvorstellung der Klägerin gegen das Urteil des Senats vom 29.09.2016 ist zurückzuweisen. Sie ist bereits nicht statthaft.
Über diesen im Gesetz nicht vorgesehenen Antrag, der darauf abzielt, der Senat solle sein im förmlichen Rechtsmittelverfahren
nicht mehr abänderbares Urteil vom 29.09.2016 aufheben, ist in der für den Erlass eines Urteils vorgeschriebenen Besetzung
der Richterbank , also unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, weil das Gesetz die Hinzuziehung der ehrenamtlichen
Richter nicht ausschließt, und die Klägerin das rechtliche Gegenstück zum Erlass eines Urteils, nämlich dessen Aufhebung durch
dasselbe Gericht begehrt (§§
40 Satz 1,
33 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Gleichwohl darf der Senat gemäß §§
153 Abs.
1,
142 Abs.
1 SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil eine Gegenvorstellung kein das abgeschlossene Berufungsverfahren
erneut eröffnendes Rechtsmittel und auch kein Wiederaufnahmeverfahren i.S. von §
179 SGG ist (BSG, Beschluss vom 29.05.1991 - 4 RA 12/91). Eine Wiederaufnahmeklage i.S. von §
179 SGG i.V.m. §§
579,
580 Zivilprozessordnung (
ZPO) hat die anwaltlich vertretene Klägerin, die ihren Rechtsbehelf ausdrücklich als "Gegenvorstellung" bezeichnet und keine
Wiederaufnahmegründe im Sinne der vorgenannten Vorschriften vorgetragen hat, nicht erhoben.
Die gegen das Urteil vom 29.09.2016 gerichtete Gegenvorstellung der Klägerin ist bereits deshalb nicht statthaft, weil der
Senat nach dem maßgeblichen Prozessrecht nicht mehr befugt ist, seine Entscheidung von Amts wegen zu ändern. Gemäß §
202 SGG i.V.m. §
318 ZPO, die eine abschließende gesetzliche Abwägung zwischen den Anforderungen der Rechtssicherheit und dem öffentlichen Interesse
an der Korrektur inhaltlich unrichtiger End- und Zwischenurteile enthalten, ist der Senat an die Entscheidung, die in dem
von ihm erlassenen Endurteil vom 29.09.2016 enthalten ist, gebunden (so für alle der materiellen Rechtskraft fähigen Entscheidungen
u.a. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 19.06.1979 - VII R 79 - 80/78 -, BFHE 128, 32; Bundesarbeitsgericht - BAG -, Beschluss vom 18.05.1972 - 3 AZR 27/72 -, [...]; Reinhold in /Putzo,
ZPO, 37. Aufl. 2016, Vorbem. § 567, Rn. 15; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt ,
SGG, 17. Aufl. 2017, vor §
143, Rn. 16).
Außerdem setzt die Zulässigkeit einer Gegenvorstellung voraus, dass dem Betroffenen grobes prozessuales Unrecht zugefügt worden
ist, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (BSG, Beschluss vom 19.01.2010 - B 11 AL 13/09 C -, SozR 4-1500 § 60 Nr. 7; BVerfG vom 08.07.1986 - 2 BvR 152/83 -, BVerfGE 73, 322 mwN).
Die Klägerin hat mit ihrer Gegenvorstellung aber keinen Verfahrensfehler und damit erst recht kein grobes prozessuales Unrecht
geltend gemacht, sondern sich ausschließlich gegen die sachlich-rechtliche Richtigkeit der Entscheidung gewandt. Sie hat insbesondere
ihre Auffassung wiederholt, wonach der streitgegenständliche Bescheid vom 10.08.2009 nicht wirksam ergangen sei und nach der
Erledigterklärung des gegen den Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 angestrengten Klageverfahrens auch nicht mehr rechtshängig
gewesen sei. Inwieweit die von ihrer Auffassung abweichende Beurteilung der Rechtslage durch das Berufungsgericht eine schwerwiegende
Rechtsverletzung, insbesondere eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten darstellen könnte, wird von ihr nicht begründet.
Auch aus dem mittlerweile abgeschlossenen Beschwerdeverfahren vor dem BSG, Az.: B 5 R 382/16 B ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin ein grobes prozessuales Unrecht widerfahren sein könnte.
2.
Die Voraussetzungen für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sind nicht erfüllt, weil der Antrag erst nach der Verkündung
des Urteils gestellt worden ist. Die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist ebenfalls durch
den Senat und nicht den Vorsitzenden alleine zu treffen (BSG, Urteil vom 31.01.1974 - 4 RJ 183/73 -, SozR 1500 § 121 Nr. 1 und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, a.a.O., §
122, Rn. 4a). Die ehrenamtlichen Richter wirken dabei mit (Peters/Saut- ter/Wolff,
SGG, 4. Aufl. 2016, §
121, Rn. 55; Roller in Lüdke/Berchtold,
SGG, 5. Aufl. 2017; § 121, Rn. 7 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 31.01.1974 - 4 RJ 183/73 - SozR 1500 § 121 Nr. 1; BVerwG, Beschluss vom 15.07.2008 - 8 B 24/08 - und BAG, Urteil vom 25.01.2012 - 4 AZR 185/10 -; a.A. für einen nicht im Anschluss an die mündliche Verhandlung gestellten Antrag: Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Auflage 2014, §
121, Rn. 7 und wohl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
121, Rn. 4a).
Gemäß §
121 Satz 2
SGG kann das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
erfolgt durch den Vorsitzenden und kann auch von den Beteiligten angeregt werden. Sie steht, wenn keine Ermessensreduzierung
auf Null vorliegt, im Ermessen des Gerichts. Sie ist allerdings nur möglich, solange eine (andere) Entscheidung noch möglich
ist. Das war vorliegend nicht der Fall. Der Senat hat über die Berufung aufgrund mündlicher Verhandlung am 29.09.2016 entschieden
(§
129 SGG). Die Urteilsformel ist im Termin nach Schluss der mündlichen Verhandlung durch die Vorsitzende verlesen worden. Das Urteil
ist damit bereits vor der Zustellung der vollständigen Urteilsgründe am 29.09.2016 wirksam geworden (§
132 Abs.
2 SGG; Keller, a.a.O., §
125 Rn. 4). Der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist aber erst mit dem am 07.11.2016 beim Landessozialgericht
eingegangenen Schriftsatz und damit nach dem Wirksamwerden des Urteils gestellt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).