Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Auf den Antrag des 1964 geborenen Klägers vom 13. Dezember 2004 stellte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung
von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte mit Bescheid vom 20. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 6. Dezember 2005 bei dem Klägerin einen Gesamt-GdB von 30 fest, dem er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen
ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde legte:
a) Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes rechts (30),
b) Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes (10).
Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Cottbus hat der Kläger die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 begehrt. Hierzu hat
er u.a. das Rentengutachten des Orthopäden Dr. W vom 12. Dezember 2005 eingereicht. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten
das Gutachten des Orthopäden Dr. K vom 7. August 2006 eingeholt, der den Gesamt-GdB bei dem Kläger mit 20 eingeschätzt hat.
Auf Antrag des Klägers ist der Orthopäde Dr. R gehört worden, der sich in seinem Gutachten vom 19. Juli 2007 dafür ausgesprochen
hat, den Gesamt-GdB mit 30 festzusetzen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. August 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt,
dass der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 50 habe.
Die Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes rechts habe der Beklagte mit einem Einzel-GdB von 30 großzügig bemessen. Die
von beiden Sachverständigen nach der Neutral-Null-Methode erhobenen Bewegungsmaße bei der Beugung und Streckung von 0-15-110
(bei freier Unterarmbeweglichkeit) rechtfertigten nach Nr. 26.18 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP)
die Annahme eines GdB von 20. Eine Erhöhung des GdB auf 30 habe Dr. R mit der Begründung vorgeschlagen, dass bei dem Kläger
Blockierungsphänomene beständen und dessen Angaben zufolge belastungsabhängige Kapselreizerscheinungen in Form von Gelenkkapselschwellungen
und Überwärmungen aufgetreten seien, die bei der Untersuchung allerdings nicht festzustellen gewesen seien.
Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit geringen funktionellen Auswirkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sei nach
den übereinstimmenden Angaben der Sachverständigen mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Für den Diabetes mellitus sei ein Einzel-GdB von 10 bzw. maximal 20 anzusetzen. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen
Einzel-GdB von wenigstens 10 erreichen, lägen nicht vor.
Der Einzel-GdB für die Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes rechts von maximal 30 sei wegen der Funktionsbehinderung
der Wirbelsäule und des Diabetes mellitus nicht zu erhöhen, da es sich bei den beiden letztgenannten Beeinträchtigungen nur
um geringe Funktionsstörungen handele. Auch unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 20 für den Diabetes mellitus werde
die Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes rechts nicht weiter verstärkt. Der Gesamt-GdB sei daher mit 30 festzustellen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt u.a. vor, dass es sich bei der Funktionsbehinderung
des Ellenbogengelenkes rechts um eine erhebliche Leistungsminderung des gesamten rechten Armes handele. Der Diabetes mellitus
stelle nicht, wie das Sozialgericht angenommen habe, eine leichte, sondern eine erhebliche Funktionsbeeinträchtigung dar,
die zu einer wesentlichen Erhöhung des höchsten Einzel-GdB, hier von 30, zu führen habe. Auch die nicht unerheblichen Beeinträchtigungen
der Wirbelsäule hätten Berücksichtigung bei der Bildung des Gesamt-GdB zu finden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 23. August 2007 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2005 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab 14. Dezember
2004 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat einen Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Dr. B vom 10. Dezember 2008 eingeholt, demzufolge der Diabetes
mellitus Typ II mit Metformin behandelt wird, einem Arzneistoff aus der Gruppe der Biguanide, bei welchem sehr selten Hypoglykämien
auftreten können, im Falle des Klägers jedoch nicht aufgetreten sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, den
übrigen Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angegriffenen Urteil die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 20.
Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2005 ist nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch
auf Feststellung eines Gesamt-GdB von mehr als 30 hat.
Nach §§
2 Abs.
1,
69 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (
SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend
den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Zur Einschätzung des GdB sind zunächst die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte
für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum die Fassungen
der AHP von 2004, 2005 und 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)
vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP abgelöst haben.
Zugunsten des Klägers unterstellt der Senat, dass die Funktionsbehinderung dessen Ellenbogengelenkes rechts mit einem Einzel-GdB
von 30 zu bewerten ist. Ein höherer GdB ist nicht zu rechtfertigen. Ein Einzel-GdB von 40 ist nach Teil B Nr. 18.13 (S. 94)
der Anlage zu § 2 VersMedV beispielsweise für eine Versteifung des Ellenbogengelenkes einschließlich Aufhebung der Unterarmdrehbewegung
in ungünstiger Stellung vorgesehen. Mit Behinderungen dieses hohen Grades sind die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen
im Bereich des rechten Ellenbogens nicht zu vergleichen.
Die Bewertung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 ist nicht zu beanstanden, da es sich um
Schäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität
geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) handelt (siehe Teil B Nr. 15.1 (S. 90)
der Anlage zu § 2 VersMedV).
Hinsichtlich des Diabetes mellitus ist bei dem Kläger ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen. Maßgebend ist die in Teil B Nr. 15.1
(S. 73f.) der Anlage zu § 2 VersMedV getroffene Bewertung:
Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) 0
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen 10
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen 20
unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden
Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig
schwankend 30-40
unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich
gelegentlicher schwerer Hypoglykämien 50
Häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu bewerten.
Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.
Diese Bestimmungen sind grundsätzlich auch für noch nicht bestandskräftig beschiedene Zeiträume vor Inkrafttreten der VersMedV
am 1. Januar 2009 heranzuziehen (vgl. Bundessozialgerichts -BSG-, Urteil vom 11. Dezember 2008, B 9/9a SB 4/07 R, bei Juris,
zu der Rückwirkung der vorläufigen Neufassung der AHP vom 22. September 2008 [aaO.]), vorliegend also ab Antragstellung im
April 2006.
Da der Kläger wegen des Diabetes mellitus mit Metformin behandelt wird und sich keiner Insulintherapie unterziehen muss, kommt
lediglich ein Einzel-GdB von 20 in Betracht.
Eine Heraufsetzung dieses Einzel-GdB ist auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung (so BSG, Urteil vom 23.
April 2009, B 9 SB 3/08 R, bei Juris; siehe auch Urteil des erkennenden Senats vom 28. August 2009, L 13 SB 294/07) nicht angezeigt: Danach binden die in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV enthaltenen Regelungen zur Feststellung
des GdB bei Diabetes mellitus die Rechtsanwender nicht, da sie gegen §
69 Abs.
1 Satz 4
SGB IX verstoßen. Der medizinisch notwendige Aufwand für die Therapie einer Dauererkrankung wie des Diabetes mellitus kann je nach
Art und notwendigen Zeitaufwand "Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" im Sinne der genannten gesetzlichen
Vorschrift haben. Demgegenüber wird in der Rechtsverordnung nach wie vor allein die Einstellungsqualität des Diabetes und
nicht ein die Teilhabe beeinträchtigender Therapieaufwand berücksichtigt. Deshalb ist der Therapieaufwand von Gesetzes wegen
bei der Entscheidung über die Höhe des GdB zwingend mit einzustellen. Die Notwendigkeit seiner Berücksichtigung kann ja nach
Umfang dazu führen, dass der allein anhand der Einstellungsqualität des Diabetes mellitus beurteilte GdB auf den nächst höheren
Zehnergrad festzustellen ist (so BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008, B 9/9a SB 4/07 R, bei Juris). Vorliegend rechtfertigt
der den Kläger treffende konkrete Therapieaufwand nicht die Annahme, dass er sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen
am Leben in der Gesellschaft in einem Maße nachteilig auswirkte, das die Zuerkennung eines Einzel-GdB von 30 zur Folge hätte.
Denn der bei dem Kläger bestehende Diabetes mellitus Typ II erfordert keine Insulintherapie, bei welcher ähnliche Hypoglykämieprobleme
auftreten wie bei einem Diabetes mellitus Typ I. Vielmehr wird er mit Metformin behandelt. Der Kläger selbst sieht sich durch
die Einnahme dieses Medikaments nicht nachhaltig belastet. Gegenüber dem Gutachter Dr. R konnte er das Medikament nicht sicher
benennen.
Hinsichtlich der Beschwerden an den Knien ist dem Kläger nach den im Ergebnis übereinstimmenden Einschätzungen der orthopädischen
Sachverständigen kein Einzel-GdB von mindestens 10 zuzuerkennen. Während Dr. K keine echten Funktionsausfälle hat nachweisen
können, hat Dr. R lediglich eine beginnende Kniegelenkverschleißerkrankung ohne Kapselreizerscheinungen und ohne Bandinstabilität
bei freier Beweglichkeit festgestellt, die nach Teil B Nr. 18.14 (S. 99f.) der Anlage zu § 2 VersMedV keinen Einzel-GdB von
10 rechtfertigten.
Der Gesamt-GdB als Ausdruck der Gesamtbeeinträchtigung ist unverändert mit 30 zu bilden. Liegen mehrere Beeinträchtigungen
am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß §
69 Abs.
3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festzustellen. Nach Nr. 19 Abs. 3 der AHP bzw. Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB
von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, hier der Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes
rechts, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß
der Behinderung größer wird. Nach Nr. 19 Abs. 4 der AHP bzw. Teil A Nr. 3d ee der Anlage zu § 2 VersMedV führten zusätzliche
leichte Gesundheitsstörungen, die (wie die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule) nur einen GdB von 10 bedingten, nicht zu
einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20
(wie dem Diabetes mellitus) ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung
zu schließen. Vorliegend wirken sich die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen nicht besonders nachteilig aufeinander
aus, sondern betreffen verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens. Zudem ist nach Nr. 19 Abs. 2 der AHP bzw. Teil
A Nr. 3b der Anlage zu § 2 VersMedV bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen ein Vergleich mit
Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Ein Gesamt-GdB von 50 kann beispielsweise
nur angenommen werden, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie etwa beim
Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule,
bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei
leichter Belastung, bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung usw. Eine derartige Beeinträchtigung kann
im Falle des Klägers nicht angenommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.