Vertragsarztangelegenheiten - Wirksamkeit und Anfechtbarkeit eines Verzichts - Mitgliedschaft in der VV
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (noch) Mitglied der Antragsgegnerin (der Vertreterversammlung [VV]
der Kassenärztlichen Vereinigung [KV] Berlin) ist.
Der Antragsteller ist zur hausärztlichen Versorgung im Bereich der KV Berlin zugelassen. Er wurde bei Wahl zur VV 2010 für
die Wahlperiode vom 01. Januar 2011 bis 31. Dezember 2016 gewählt (KV-Blatt 1/2011, A 1225, A 1228).
Mit dem an den Vorsitzenden der Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 16. Februar 2012, das er durch Fax übersandte, erklärte
der Antragsteller, dass er wegen skandalöser Vorgänge in der Antragsgegnerin, zu denen der Vorsitzende beigetragen habe, von
seinem Amt in der Antragsgegnerin zurücktrete. Die Antragsgegnerin bestätigte den Erhalt des Faxes mit Schreiben vom 17. Februar
2012 und bat um eine Bestätigung, damit die Wirksamkeit der Rücktrittserklärung zweifelsfrei festgestellt werden könne. Dieses
Schreiben ließ der Antragsteller unbeantwortet. Für den Antragsteller rückte Frau AH in die VV nach; sie erklärte die Annahme
des Mandats unter dem 05. März 2012.
Mit Schreiben vom 18. März 2015 wandte sich der Antragsteller an die (jetzige) Vorsitzende der Antragsgegnerin und teilte
ihr mit, dass er der Auffassung sei, dass seine Rücktrittserklärung wegen signifikanter Formfehler ungültig sei. Denn für
die Wirksamkeit einer Rücktrittserklärung bedürfe es immer einer Originalunterschrift. Außerdem müsse sie zur Niederschrift
im Büro der Vorsitzenden oder notariell erklärt werden. Er sei deshalb weiter Mitglied der Antragsgegnerin, da er nicht wirksam
auf seine Mitgliedschaft verzichtet habe. Er bitte darum, ihm das zu bestätigen und den nächsten Tagungstermin der Antragsgegnerin
mitzuteilen.
Dieser Rechtsauffassung trat die Antragsgegnerin entgegen und teilte dem Antragsteller mit, dass er mit seinem Schreiben vom
16. Februar 2016 wirksam auf sein Mandat verzichtet habe und für ihn im März 2012 ein neues Mitglied nachgerückt sei (Schreiben
vom 09. April 2015). Zur Begründung führte sie aus: Sein Schreiben vom 16. Februar 2012 erfülle die formalen Voraussetzungen
für einen wirksamen Verzicht auf sein Mandat, da er es nicht nur unterschrieben, sondern auch seinen Arztstempel beigefügt
habe. Außerdem habe er sich in dem Zeitraum seit der Erklärung stets so verhalten, dass kein Zweifel daran möglich sei, dass
sein Rücktritt erst gemeint sei. Er habe sich nie nach einer Einladung erkundigt und an mehreren Sitzungen der Antragsgegnerin
als Gast teilgenommen.
Hiergegen hat sich der Antragsteller an das Sozialgericht Berlin gewandt und im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Feststellung
begehrt, dass er weiter Mitglied der Antragsgegnerin sei. Maßgeblich für die Wirksamkeit seiner Verzichtserklärung sei nach
§ 10 der Wahlordnung zur Bildung der von den Mitgliedern der Vereinigung zu wählenden VV der KVBerlin (WahlO-VV) der entsprechend anzuwendende § 46 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG). Dieser verlange für einen wirksamen Mandatsverzicht eine Erklärung zur Niederschrift der Vorsitzenden der Antragsgegnerin,
eines im Geltungsbereich des Gesetzes niedergelassenen Notars oder eines zur Vornahme von Beurkundungen ermächtigten Bediensteten
einer deutschen Auslandsvertretung. Da es hieran fehle, sei der Verzicht auf sein Mandat unwirksam erklärt worden.
Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag mit Beschluss vom 21. Juli 2015 zurückgewiesen, da der Antragsteller weder einen Anordnungsgrund
noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Der Antragsteller habe seit annähernd drei Jahren weder Rechte aus der
nunmehr von ihm behaupteten Mitgliedschaft geltend gemacht noch die Ernsthaftigkeit seiner Verzichtserklärung in Frage gestellt.
Damit entfalle eine besondere Eilbedürftigkeit. Vor allem aber fehle es an einem Anordnungsanspruch. Weder das Sozialgesetzbuch/Fünftes
Buch (
SGB V), die Satzung der KV Berlin, die WahlO-VV noch die Geschäftsordnung für die Vertreterversammlung der KV Berlin (GO VV) enthielten Vorschriften über den Verzicht auf die Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin. Die Möglichkeit des freiwilligen
Verzichts auf ein Wahlamt entspreche aber allgemeinen Wahlrechtsgrundsätzen; sie folge aus dem freien Mandat. Daher sei ein
Ausscheiden aus der Antragsgegnerin im Grundsatz durch einen Verzicht in Form einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung
zulässig. Diese bedürfe hier keiner besonderen Form, da hier keine Formvorschriften bestünden. Ein Rückgriff auf die Bestimmungen
des BWahlG sei damit ausgeschlossen.
Gegen den ihm am 30. Juli 2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen
Vorbringens am 25. August 2015 Beschwerde erhoben. Ergänzend macht er geltend: Aus seinem Verhalten, insbesondere seiner Teilnahme
als Gast an den Sitzungen der Antragsgegnerin, könne keine Verwirkung seines Mandates hergeleitet werden. Nach Aufhebung der
von ihm abgelehnten Beschlüsse der Antragsgegnerin sehe er kein Hindernis mehr, zukünftig seine Rechte als gewähltes Mitglied
einzufordern und wahrzunehmen.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2015 aufzuheben und
vorläufig festzustellen, dass er weiterhin Mitglied der Antragsgegnerin ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen und beruft sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen
sozialgerichtlichen Beschlusses. Es sei im Übrigen nicht mit Treu und Glauben vereinbar, wenn der Antragsteller sich auf eine
vermeintliche Formunwirksamkeit seiner Verzichtserklärung berufe, nachdem er drei Jahre lang keinerlei Rechte und Pflichten
als Mitglied der Antragsgegnerin wahrgenommen habe.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
abgelehnt. Denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch für sein Begehren nach vorläufiger Feststellung des Fortbestehens
seiner Mitgliedschaft in der Antragsgegnerin mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit
glaubhaft gemacht (§
86b Abs.
2 Sätze 2 und 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung).
1.) Nach §
80 Abs.
1 SGB V wählen die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen in unmittelbarer und geheimer Wahl die Mitglieder der Vertreterversammlung.
Die Wahlen erfolgen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl auf Grund von Listen- und Einzelwahlvorschlägen. Die Psychotherapeuten
wählen ihre Mitglieder der Vertreterversammlung entsprechend den Sätzen 1 und 2 mit der Maßgabe, dass sie höchstens mit einem
Zehntel der Mitglieder in der Vertreterversammlung vertreten sind. Das Nähere zur Wahl der Mitglieder der Vertreterversammlung,
einschließlich des Anteils der übrigen Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen, bestimmt die Satzung.
a) Die Satzung der KV Berlin in der Fassung vom 07.03.1991, zuletzt geändert am 21. April 2016, enthält in den §§ 3 bis 6
Bestimmungen zur VV, insbesondere § 6 der Satzung zur Amtsdauer der VV und zum Ausscheiden von Vertretern. § 6 Abs. 2 der
Satzung bestimmt dazu: Lehnt ein Gewählter die Wahl ab oder scheidet während der Amtsdauer der Vertreterversammlung ein Vertreter
aus, so tritt der in dem Wahlvorschlag nächstfolgende Bewerber an seine Stelle. Sind auf dem Wahlvorschlag keine Bewerber
mehr vorhanden, bleibt der Sitz unbesetzt. Das Nähere sowie die Voraussetzungen, unter denen eine Nachwahl durchzuführen ist,
regelt die Wahlordnung (Anlage 1 der Satzung). Eine Bestimmung über die Voraussetzungen der Wirksamkeit eines Verzichts auf die Mitgliedschaft in
der VV enthält weder das
SGB V noch die Satzung der KV Berlin. Vielmehr wird für "das Nähere" zum Ausscheiden von Vertretern der VV auf die WahlO-VV verwiesen.
b) Die WahlO-VV enthält neben den Bestimmungen über den Wahlvorgang nur in § 8 Abs. 2 eine Regelung, die sich mit der Nachfolge für ausgeschiedene Mitglieder beschäftigt. Danach tritt an die Stelle gewählter
Vertreter, die die Wahl nicht angenommen haben oder die während der Amtsdauer der Vertreterversammlung ausscheiden, der gemäß
§ 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 in dem Wahlvorschlag nächstfolgende Bewerber ein. Sind auf dem Wahlvorschlag keine Bewerber mehr vorhanden,
bleiben die Sitze unbesetzt. Im Übrigen enthält auch die WahlO-VV keine eigenen Bestimmungen zur Wirksamkeit des Mandatsverzichts eines Mitglieds der Antragsgegnerin. Allerdings bestimmt
§ 10 WahlO-VV, dass bei Ungültigkeit einzelner Bestimmungen der Wahlordnung oder bei Regelungslücken das BWahlG und die Bundeswahlordnung in der jeweils gültigen Fassung entsprechende Anwendung finden. Damit ist für die Feststellung der Wirksamkeit eines Mandatsverzichts
eines Mitglieds der Antragsgegnerin durch eine lückenlose Verweiskette das BWahlG maßgeblich. Der Rückgriff auf andere Vorschriften
und allgemeine Grundsätze des Wahlrechts ist damit ausgeschlossen.
2.) Nach § 46 Abs. 1 Nr. 4 BWahlG in der hier vorzunehmenden entsprechenden Anwendung verliert eine Mitglied der Antragsgegnerin
seine Mitgliedschaft bei dieser bei einem Verzicht auf sein Mandat. Der Verzicht ist nach § 46 Abs. 3 BWahlG in entsprechender
Anwendung nur wirksam, wenn er zur Niederschrift des Vorsitzenden der Antragsgegnerin, eines deutschen Notars, der seinen
Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, oder eines zur Vornahme von Beurkundungen ermächtigten Bediensteten einer deutschen
Auslandsvertretung erklärt wird. Die notarielle oder bei einer Auslandsvertretung abgegebene Verzichtserklärung hat der Vertreter
dem Vorsitzenden der Antragsgegnerin zu übermitteln. Der Verzicht kann nicht widerrufen werden.
a) Danach liegt hier kein wirksamer Verzicht des Antragstellers auf seine Mitgliedschaft in der Antragsgegnerin vor, weil
er seinen Verzicht nur schriftlich durch ein Fax an den Vorsitzenden der Antragsgegnerin erklärt hat und damit die strengen
Formvorschriften des § 46 Abs. 3 BWahlG nicht gewahrt sind.
b) Allerdings kann sich der Antragsteller hierauf nicht mehr berufen. Denn nach § 47 Abs. 1 Nr. 4 BWahlG analog entscheidet
der Vorsitzende der Antragsgegnerin in der Form der Erteilung einer Bestätigung der Verzichtserklärung über den Verlust der
Mitgliedschaft nach § 46 Abs. 1 BWahlG. Nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BWahlG in einsprechender Anwendung scheidet das Mitglied der
Antragsgegnerin mit der Entscheidung aus der VV aus. Eine Befugnis des Vorsitzenden, den Zeitpunkt des Ausscheidens abweichend
festzusetzen, sieht das Gesetz aus Gründen der Rechtsklarheit und um jede Möglichkeit einer Einflussnahme auf die personelle
Zusammensetzung der VV auszuschalten, nicht vor (vgl. hierzu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. August 2014 - 2 BvR 969/14 -, RdNr. 29, juris).
c) Die Vorsitzende der Antragsgegnerin hat dem Antragsteller mit ihrem Schreiben vom 09. April 2015 das Vorliegen einer wirksamen
Verzichtserklärung bestätigt und das Ende der Mitgliedschaft des Antragstellers auf den 16. Februar 2012 festgesetzt. Auch
wenn diese Entscheidungen nach Vorstehendem nicht mit den Voraussetzungen des §§ 46 Abs. 3, 47 Abs. 3 Satz 1 BWahlG zu vereinbaren
und deshalb rechtswidrig sind, die Entscheidung über den Verzicht auch nicht unverzüglich von Amts wegen getroffen (vgl. §
47 Abs. 3 Satz 2 BWahlG) und nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt worden ist, ist der Mandatsverlust des Antragstellers mit dem tatsächlichen Zugang des Bestätigungsschreibens
(vgl. § 8 Verwaltungszustellungsgesetz) wirksam und nach entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 3 Satz 3 BWahlG unanfechtbar geworden. Denn nach dieser Vorschrift kann der Betroffene innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung
der Entscheidung die Entscheidung der Antragsgegnerin über den Verlust der Mitgliedschaft im Wahlprüfungsverfahren beantragen;
nach § 9 Abs. 5 WahlO-VV hätte über einen solchen Antrag der Wahlprüfungsausschuss der Antragsgegnerin - im Sinne eines sozialgerichtlichen Vorverfahrens
- entscheiden müssen.
d) Der Antragsteller hat das Bestätigungsschreiben der Vorsitzenden der Antragsgegnerin nach der Datumsangabe eines Faxes
auf diesem Schreiben, das seinen Namen trägt und als Anlage seiner Antragsschrift beigefügt war, am 13. April 2015 erhalten,
spätestens aber am 27. April 2015, wie sich aus seiner eidesstattlichen Versicherung ergibt, die er mit seiner Antragsschrift
vom 19. Mai 2015 dem Sozialgericht vorgelegt hat. Danach lief die zweiwöchige Antragsfrist nach dem entsprechend anzuwendenden
§ 47 Abs. 3 Satz 3 BWahlG spätestens mit dem 11. Mai 2015 ab. Einen Antrag auf Entscheidung über den Verlust seiner Mitgliedschaft
im Wahlprüfungsverfahren hat der Antragsteller jedoch niemals gestellt. Dass er hierüber nicht belehrt worden ist, ist unschädlich,
weil das BWahlG keine dem §
66 SGG entsprechende Vorschrift enthält. Selbst wenn man in seiner Antragsschrift zur Einleitung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens
einen Antrag nach § 47 Abs. 3 Satz 3 BWahlG sehen wollte, wäre der Antrag zu spät, weil er erst am 19. Mai 2015 beim Sozialgericht
Berlin eingegangen ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO und §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 GKG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).