Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung beanspruchen kann.
Der 1958 in Ungarn geborene Kläger ist im Besitz des Vertriebenenausweises B und verfügt über einen zuerkannten Grad der Behinderung
von 50 aufgrund einer psychischen Störung. Er machte in Ungarn 1976 das Abitur, absolvierte eine Ausbildung zum Technischen
Grafiker und arbeitete in diesem Beruf etwa drei Jahre. Im Anschluss daran studierte er etwa ein halbes Jahr und arbeitete
dann als Kassierer und Geschäftsführer eines Kinos. Von Oktober 1979 bis Juni 1981 absolvierte er eine Aus- bzw. Weiterbildung
zum Filmclub- und Filmdiskussionsleiter. Nach einer weiteren Ausbildung zum Tischler arbeitete er in der familieneigenen Tischlerei
zunächst als mithelfendes Familienmitglied und später als deren Leiter. Seit Februar 1986 lebt der Kläger in Deutschland und
war hier zunächst arbeitslos. In den Jahren 1991 bis 1992 absolvierte er eine Umschulung zum Programmierer und führte sodann
bis Ende März 1997 ein Studium an der Universität Hamburg durch, welches er 1998 nach zwei Urlaubssemestern wegen Krankheit
endgültig abbrach. Vom 23. April bis 10. Juni 1998 war er erstmals in stationärer Behandlung in der Psychosomatischen Klinik
G. und ist seitdem laufend in Behandlung beim Gemeindepsychiatrischen Zentrum E ... Von Januar 2005 bis Oktober 2006 bezog
er Arbeitslosengeld II, seitdem erhält er laufend Sozialhilfe.
Am 7. Februar 2000 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, den er mit seit Jahren
bestehenden Depressionen begründete. Die von der Beklagten beauftragte Ärztin für Psychiatrie und Neurologie B. kam in ihrem
Gutachten vom 16. Juli 2000 zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger seit dem Tod des Vaters im Jahre 1980 eine depressive Entwicklung
vorliege, durch die seine Leistungsfähigkeit zwar deutlich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben sei. Er könne noch leichte
körperliche und einfache geistige Tätigkeiten vollschichtig leisten.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 30. Januar 2001 ab. Der dagegen erhobene Widerspruch
wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2001 zurückgewiesen, da aus den eingeholten medizinischen Unterlagen hervorgehe,
dass der Kläger noch vollschichtig leistungsfähig sei.
Mit seiner dagegen gerichteten Klage hat der Kläger seinen Anspruch weiter verfolgt und ausgeführt, er sei aufgrund seiner
Depression, einer ausgeprägten Erschöpfung und sozialer Phobien in keiner Weise mehr belastbar. Auch die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen seien erfüllt. In Ungarn sei er zwischen dem 1. September 1980 und dem 1. Februar 1986 ausschließlich in der
Tischlerei seiner Mutter beschäftigt gewesen. Zwar sei das Gewerbe wegen Auftragsmangels zwischen dem 26. Mai 1983 und dem
9. Oktober 1984 abgemeldet gewesen, er sei während dieser Zwangspause aber weiter für die Tischlerei tätig gewesen, indem
er Aufträge akquiriert, Werbung gemacht, Arbeitsmaterial eingekauft, die Tischlerei renoviert und Werkzeuge und Maschinen
repariert habe. Er sei nur deshalb nicht als Arbeitsloser registriert gewesen, weil es in Ungarn offiziell keine Arbeitslosigkeit
gegeben habe.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Orthopäden Dres. H., L. vom 30. April 2001, der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. K. und J. vom 6. Mai 2002, des Allgemeinmediziners Dr. L1 vom 23. Mai 2002, des Diplom-Psychologen B1 vom 12. September
2002 und der Internisten Dres. N. vom 9. August 2004 sowie die Krankenakte der Psychosomatischen Klinik G. über den stationären
Aufenthalt im Jahre 1998 und einen Entlassungsbericht der Fachklinik H1 vom 20. März 2002 eingeholt. Auf Veranlassung des
Sozialgerichts hat außerdem der Neurologe und Psychiater Dr. F. nach ambulanter Untersuchung des Klägers ein Gutachten vom
22. September 2003 erstattet. Er ist außerdem in den mündlichen Verhandlungen vom 6. Mai 2004 und 15. November 2007 als Sachverständiger
gehört worden und hat eine ergänzende schriftliche gutachtliche Stellungnahme vom 20. Oktober 2007 abgegeben. Im Termin am
6. Mai 2004 ist außerdem der berufskundige Sachverständige S. zu den für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten gehört
worden. Im Termin am 15. November 2007 hat das Sozialgericht den Zeugen C. zu den Lebensverhältnissen des Klägers in den Jahren
1983 und 1984 gehört.
Das Sozialgericht hat die Klage sodann durch Urteil vom 15. November 2007 abgewiesen. Zwar leide der Kläger nach den vorliegenden
medizinischen Unterlagen seit seiner Kindheit unter einer manifesten narzißtischen Persönlichkeitsstörung, dennoch sei von
einem aufgehobenen Leistungsvermögen nicht auszugehen. Vielmehr könne der Kläger noch vollschichtig körperlich leichte und
geistig einfache Tätigkeiten ausüben, sodass er weder erwerbsunfähig noch voll oder teilweise erwerbsgemindert sei. Allerdings
sei er berufsunfähig, da er den Beruf als Tischler und auch zumutbare Verweisungstätigkeiten auf der Ebene der gelernten oder
angelernten Tätigkeiten nicht mehr ausüben könne. Insofern komme nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen
ein Leistungsfall im Juni 1998 (Zeitpunkt der Entlassung aus der Psychosomatischen Klinik G.) in Betracht, für den aber die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger habe nämlich in den letzten fünf Jahren vor Eintritt
des Leistungsfalles keine drei Jahre mit Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen. Auch seien im Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis
Juni 1998 nicht alle Monate lückenlos mit rentenrechtlichen Zeiten belegt, da insbesondere der Zeitraum von Januar bis September
1984 eine Lücke aufweise. Entgegen dem Vortrag des Klägers könne diese Zeit nicht als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit
berücksichtigt werden, da der ungarische Versicherungsträger dies nicht bestätigt habe und auch die Vernehmung des Zeugen
C. hierfür nichts ergeben habe. Entgegen der Ansicht des Klägers könne ein früherer Leistungsfall als Juni 1998 nicht festgestellt
werden.
Der Kläger hat hiergegen am 5. Dezember 2007 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Ausführungen von Dr. F. seien nicht zutreffend,
da dieser nicht berücksichtigt habe, dass eine psychische Erkrankung nicht plötzlich ausbreche, sondern eine lange Entwicklungszeit
benötige. Er habe insbesondere die vorliegenden Berichte der behandelnden Ärzte vollkommen ignoriert, aus denen hervorgehe,
dass er bereits seit dem Tod seines Vaters im Jahre 1980 schwergradig chronisch depressiv sei und seit 1989 dementsprechend
therapiert werde. Aber auch schon 1977 sei er so schwer krank gewesen, dass er in der Psychiatrie behandelt worden sei. Er
habe auf psychologischen Rat eine Ausbildung sowie ein Studium angefangen, um eine Stabilisierung zu erreichen, was ihm leider
nicht gelungen sei. Vielmehr habe er nur sehr unregelmäßig an der Ausbildung und dem Studium teilnehmen können. Außerdem habe
er von 1986 bis 1990 in Deutschland nur einen Duldungsstatus gehabt und daher in ständiger Angst gelebt, abgeschoben zu werden.
In dieser Zeit seien seine Krankheiten auf dem Höhepunkt gewesen. Schließlich habe die Beklagte bereits 1994 einen Antrag
auf medizinische Rehabilitation abgelehnt, weil sie seine Arbeitsfähigkeit für nicht verbesserbar gehalten habe.
Es treffe auch nicht zu, dass er während der Zeit, als die Tischlerei geschlossen gewesen sei, gearbeitet habe. Er habe vielmehr
lediglich versucht, Aufträge zu akquirieren, was bedeute, dass er einmal im Monat eine Anzeige aufgegeben habe. Es sei ihm
verwehrt gewesen, diese Zeiten als Zeiten der Arbeitslosigkeit anerkennen zu lassen, da es im Sozialismus offiziell keine
Arbeitslosigkeit gegeben habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. November 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom
30. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2001 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise wegen Erwerbsunfähigkeit
oder Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie führt unter Bezugnahme auf einen Versicherungsverlauf
vom 7. September 2009 aus, dass im Zeitraum vom 31. Januar 1985 bis 29. Juni 1998 nur 24 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt
seien. Lediglich bei einem angenommenen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung im Juni 1998 seien die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen nach § 43 Abs. 5 in Verbindung mit §
53 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) erfüllt, da ein Tatbestand der vorzeitigen Wartezeiterfüllung vorliege.
Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger eine Bescheinigung seiner Schwester I. V. vom 15. Dezember 2008 vorgelegt,
in der es heißt, der Kläger habe von 1980 bis 1985 die Tischlerei geleitet. Der Betrieb sei aber mehrere Male geschlossen
gewesen, sodass der Kläger dort auch nicht gearbeitet habe. Ferner hat er eine Bestätigung seines Neffen G1 V. vom 15. Dezember
2008 eingereicht, in der dieser mitteilt, zwischen 1980 und 1985 immer wieder für mehrere Monate als Hilfskraft in der von
dem Kläger geleiteten Tischlerei gearbeitet zu haben. Die Tischlerei sei in dieser Zeit mehrmals wegen Auftragsmangels geschlossen
gewesen und auch der Kläger habe während dieser Zeit nicht gearbeitet.
Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. September 2009 die Zeugin H2 zur Frage der Tätigkeit des Klägers
für die Tischlerei in den achtziger Jahren gehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift
Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift
vom 24. September 2009 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 SGG) ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig
sind. Der Kläger kann eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht beanspruchen.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den §§
43, 44
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.), weil der Kläger auch Leistungen für die Zeit vor dem 1. Januar
2001 begehrt und der Rentenantrag vor diesem Zeitpunkt gestellt ist (§
300 Abs.
2 SGB VI).
Gemäß § 44 Abs. 1
SGB VI a.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. erwerbsunfähig
sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit
in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark
übersteigt (§ 44 Abs. 2 S. 1
SGB VI a.F.). Erwerbsunfähig ist unter anderem nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage
nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs. 2 S. 2 Nr. 2
SGB VI a.F.).
Eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers konnte - jedenfalls für einen vor dem Jahre 2006 liegenden Zeitpunkt - nach den vorliegenden
medizinischen Unterlagen nicht festgestellt werden. Dies ergibt sich insbesondere aus den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen
Dr. F. in seinem Gutachten vom 22. September 2003 nebst ergänzenden Stellungnahmen und Erläuterungen vom 6. Mai 2004, 20.
Oktober 2007 und 15. November 2007, denen der Senat folgt. Dr. F. hat dargelegt, bei dem Kläger bestehe eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung auf dem Borderline-Niveau im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeit. Einschränkungen der emotionalen
Steuerungsfähigkeit seien deutlich erkennbar, es sei dem Kläger nicht gelungen, konstante Objektbeziehungen herzustellen oder
aufrechtzuerhalten. Vor allem durch eine erhöhte Vulnerabilität sei sein Leistungsvermögen qualitativ erheblich eingeschränkt.
Auch wenn die seelische Störung schwerwiegend sei, entstehe jedoch keine quantitative Leistungseinschränkung. Der Kläger sei
vielmehr in der Lage, leichte Arbeiten ohne höhere Verantwortung und Zeitdruck vollschichtig zu leisten.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach §
43 Abs.
1 und
2 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder
Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens
sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
1 S. 2
SGB V n.F.). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
2 S. 2
SGB VI n.F.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da der Kläger - wie ausgeführt - über ein vollschichtiges Leistungsvermögen
für leichte Arbeiten ohne höhere Verantwortung verfügt.
Der Kläger dürfte mit diesen Einschränkungen jedoch berufsunfähig sein. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit
wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten
mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen
die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen
und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen
Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit
mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
43 Abs.
2 SGB VI a.F.).
Bei der Beurteilung der Berufsfähigkeit ist zunächst der bisherige Beruf des Versicherten zu ermitteln und - falls er diesen
Beruf gesundheitlich nicht mehr ausüben kann - sodann zu prüfen, welche Tätigkeiten ihm hiervon ausgehend noch zugemutet werden
können. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang ein Mehrstufenschema entwickelt. Im Bereich der Angestelltenversicherung
bilden die oberste Gruppe dabei die Berufe mit hoher beruflicher Qualität. Die Einstufung in dieser Gruppe verlangt regelmäßig
eine akademische oder vergleichbare Qualifikation sowie ein Bruttoarbeitsentgelt, welches oberhalb, an oder in der Nähe der
Beitragsbemessungsgrenze erzielt wird. Es folgt die Gruppe der Angestellten mit einer längeren als zweijährigen (regelmäßig
dreijährigen) Ausbildung, an die sich dann die Gruppe der Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und der Angelernten
und schließlich die Gruppe der unausgebildeten Angestellten anschließt (BSG, Urteil vom 22.2.1990 - 4 RA 16/89 - SozR 3- 2200 § 1246 Nr.1). Der Versicherte, der seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann, kann auf die Tätigkeiten
der nächstniedrigen Gruppe zumutbar verwiesen werden. Bisheriger Beruf ist in der Regel die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige
Beschäftigung oder Tätigkeit.
Der Kläger hat in Ungarn eine Ausbildung zum Tischler absolviert und diesen Beruf auch zuletzt ausgeübt. Diese Tätigkeit,
die grundsätzlich - sofern die im Ausland erworbene Berufsausbildung einer deutschen Ausbildung gleichgestellt werden kann
- den gelernten Tätigkeiten zuzurechnen ist, kann der Kläger jedoch nach den Ausführungen des berufskundigen Sachverständigen
S., denen der Senat folgt, mit seinem festgestellten Leistungsvermögen für nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne höhere
Verantwortung und Zeitdruck nicht mehr verrichten. Zumutbare Verweisungstätigkeiten auf der Ebene der gelernten oder angelernten
Tätigkeiten konnten für den Kläger nicht benannt werden. Die Frage der Gleichstellung der ausländischen Berufsausbildung kann
jedoch offenbleiben, da es für einen Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit jedenfalls an den versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen fehlt.
Nach §
43 Abs.
1 Nr.
2 SGB VI a.F. setzt der Rentenanspruch unter anderem voraus, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls
drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen
kann von einem Leistungsfall der Berufsunfähigkeit erst mit dem Zeitpunkt der Entlassung des Klägers aus der Klinik G. am
10. Juni 1998 ausgegangen werden. Dies folgt aus den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. F., der nachvollziehbar
dargelegt hat, dass der Kläger zwar bereits seit seinem 19. Lebensjahr in seinen Fähigkeiten, belastende Situationen zu bewältigen,
eingeschränkt und damit prädisponiert für die Entwicklung psychogener Symptome gewesen sei. Dies bedeute jedoch nicht, dass
es die aktuell festgestellten Einschränkungen seines Leistungsvermögens bereits damals gegeben habe. Vielmehr habe er trotz
seiner seelischen Erkrankung Abitur gemacht, eine Ausbildung als technischer Grafiker absolviert, als Geschäftsführer eines
Kinos gearbeitet und die Tischlerei seiner Eltern geführt. Noch Anfang der 90er Jahre habe er in Deutschland eine Umschulung
zum Software-Entwickler absolviert und ein Studium begonnen. Dafür, dass sich sein Zustand im Juni 1998 derart verschlechtert
habe, dass nunmehr von einer rentenrechtlich relevanten Leistungsminderung auszugehen sei, spreche auch, dass der Aufenthalt
in der Klinik G. die erste stationäre Behandlung darstelle und der Kläger danach erstmals bis laufend psychosoziale Betreuung
durch das Gemeindepsychiatrische Zentrum E. in Anspruch genommen habe.
Ausgehend von diesem Leistungsfall sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen unter Zugrundelegung des aktuellen Versicherungsverlaufs
des Klägers vom 14. November 2008 nicht erfüllt. Innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums (10. Juni 1993 bis 9. Juni 1998) wurden
keine Pflichtbeiträge entrichtet, vielmehr wurde der letzte Pflichtbeitrag im Oktober 1992 gezahlt. Der maßgebliche Fünf-Jahres-Zeitraum
ist jedoch gemäß §
43 Abs.
3 SGB VI a.F. um die Zeiten der Hochschulausbildung von Juni bis Oktober 1993 (5 Monate) und von Oktober 1996 bis März 1997 (6 Monate)
sowie um Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von November 1993 bis Oktober 1994 (12 Monate) und November 1994 bis März 1996 (17
Monate) - also insgesamt um 40 Monate - bis zum 10. Februar 1990 zu verlängern. Innerhalb dieses Zeitraums befinden sich weitere
Aufschubzeiten im Sinne von §
43 Abs.
3 SGB VI a.F. von insgesamt 79 Monaten, nämlich weitere 7 Monate Hochschulausbildung (November 1992 bis Mai 1993) sowie 72 Monate
Flucht/Vertreibung (Dezember 1985 bis Dezember 1991), sodass von einem Beginn des maßgeblichen Zeitraums am 10. Juli 1983
auszugehen ist. Innerhalb des Zeitraums vom 10. Juli 1983 bis 9. Juni 1998 sind jedoch lediglich 25 Monate mit Pflichtbeiträgen
belegt.
Soweit der Kläger mit seiner beim Sozialgericht erhobenen Klage zum Az. S 10 R 320/08 die Anerkennung weiterer rentenrechtlich relevanter Zeiten begehrt, ergibt sich hieraus nichts anderes. Die dort geltend
gemachten Zeiten Juli 1978 bis Februar 1979, August bis September 1979, September 1980 bis Juni 1982 und Dezember 1982 bis
März 1983 liegen vor dem hier maßgeblichen Zeitraum und sind daher für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung. Soweit
der Kläger die Anerkennung der Zeit von Juni 1991 bis Dezember 1991 (Umschulung durch das Arbeitsamt mit Bezug von Unterhaltsgeld)
als Pflichtbeitragszeit begehrt, kann er damit keinen Erfolg haben, da der Bezug von Entgeltersatzleistungen nach §
3 Nr. 3
SGB VI erst ab 1. Januar 1992 der Versicherungspflicht unterliegt (Grinitsch in Kreikebohm,
SGB VI, 2. Aufl., §
3 Rn. 24). Soweit er die Anerkennung der Zeiten April bis Juni 1996 und Oktober 1997 bis November 1998 als Zeiten der Arbeitslosigkeit
oder Arbeitsunfähigkeit begehrt, kommen diese als Aufschubzeiten im Sinne von §
43 Abs.
3 SGB VI a.F. nicht in Betracht. Sie stellen keine Anrechnungszeiten (§
43 Abs.
3 Nr.
1 SGB VI a.F.) dar, weil durch sie keine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen wurde (§
58 Abs.
2 SGB VI). Sie fallen auch nicht unter §
43 Abs.
3 Nr.
3 SGB VI a.F., da in den letzten sechs Monaten vor ihrem Beginn weder ein Pflichtbeitrag gezahlt wurde noch eine Zeit nach §
43 Abs.
3 Nr.
1 oder 2
SGB VI a.F. zurückgelegt wurde.
Ein vor dem 10. Juni 1998 liegender Leistungsfall lässt sich auch aus den medizinischen Unterlagen nicht begründen. Zwar ist
der Kläger bereits seit dem Ende der Siebzigerjahre in nervenärztlicher Behandlung - das früheste Dokument ist der Abschlussbericht
der Staatlichen Neuropsychiatrischen Institution B2 vom 1. August 1977 -, es gibt jedoch keine eindeutigen Hinweise dafür,
dass schon früher eine rentenrechtlich erhebliche Einschränkung des Leistungsvermögens vorgelegen hätte. Vielmehr hat Dr.
F. zutreffend darauf hingewiesen, dass es dem Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen über Jahre hinweg gelungen
ist, berufliche Qualifikationen zu erwerben und durchaus qualifizierte berufliche Tätigkeiten auszuüben. Noch in der Zeit
von Juni 1991 bis Oktober 1992 hat er eine Umschulung zum Software-Entwickler absolviert und im Anschluss daran ein Studium
aufgenommen, welches er erst 1998 abgebrochen hat. Auch zu einem stationären Aufenthalt in einer Fachklinik kam es erstmals
1998. Soweit der Kläger einwendet, die Beklagte habe bereits 1994 seinen Antrag auf medizinische Rehabilitation unter Hinweis
auf seine nicht mehr herstellbare Arbeitsfähigkeit abgelehnt, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat die Beklagte seinen entsprechenden
Antrag durch Bescheid vom 21. Dezember 1995 mit der Begründung abgelehnt, die Erwerbsfähigkeit könne durch stationäre Maßnahmen
nicht in ausreichendem Maße beeinflusst werden, es solle vielmehr zunächst die ambulante Psychotherapie fortgeführt werden.
Aus den gleichen Gründen kann der Kläger auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.) beanspruchen, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §
240 Abs.
1 SGB VI n.F. insoweit unverändert sind.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind auch nicht nach §
43 Abs.
4 in Verbindung mit §
53 Abs.
2 SGB VI a.F. bzw. §
43 Abs.
5 in Verbindung mit §
53 Abs.
2 SGB VI n.F. erfüllt. Nach diesen Vorschriften ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder
Tätigkeit nicht erforderlich, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung erwerbsunfähig
bzw. voll erwerbsgemindert geworden sind und in den letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine
versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Da diese Vorschriften ausdrücklich den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bzw.
einer vollen Erwerbsminderung voraussetzen (vgl. Niesel in KassKomm, §
53 SGB VI, Rn. 17; Löns in Kreikebohm, 2. Aufl.,
SGB VI, §
53 Rn. 13), vermögen sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf den hier vorliegenden Leistungsfall der
Berufsunfähigkeit im Juni 1998 nicht zu begründen. Ob aufgrund einer fortschreitenden Verschlechterung der gesundheitlichen
Situation des Klägers im Jahre 2006 vom Eintritt einer vollen Erwerbsminderung auszugehen ist - wofür spricht, dass er seit
November 2006 nicht mehr Arbeitslosengeld II, sondern Sozialhilfe bezieht -, kann offenbleiben, da zu diesem Zeitpunkt der
Zeitraum von sechs Jahren seit Beendigung des Studiums längst abgelaufen war und objektive Anhaltspunkte für eine derart gravierende
Verschlechterung vor Ablauf des Sechs-Jahres- Zeitraums nicht vorliegen. Auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
nach §
43 Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGB VI n.F. liegen zu diesem Zeitpunkt nicht vor.
Schließlich sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auch nicht nach den §
240 Abs.
2 SGB VI a.F. oder nach §
241 Abs.
2 SGB VI n.F. erfüllt. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Berufsunfähigkeit
für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat
vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist
oder wenn Erwerbsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Hier fehlt es an der lückenlosen Belegung der Monate
Januar 1984 bis Mai 1998 mit rentenrechtlichen Zeiten. Vielmehr stellt sich die Zeit von Januar bis September 1984 weiterhin
als Lücke dar, die nicht geschlossen werden kann. Entgegen der Auffassung des Klägers kann diese Zeit nicht als Anrechnungszeit
wegen Arbeitslosigkeit (§
58 Abs.
1 S. 1 Nr.
3 SGB VI in Verbindung mit § 29 des Fremdrentengesetzes) anerkannt werden, da es hierfür an einem Nachweis fehlt.
Eine Bestätigung des ungarischen Rentenversicherungsträgers liegt nicht vor. Der vom Sozialgericht gehörte Zeuge C. lebt nach
eigenen Angaben seit 1982 in Deutschland und konnte schon deshalb aus eigener Anschauung zu dem fraglichen Zeitraum keine
Aussage treffen. Soweit er ausgesagt hat, er erinnere sich, dass die Tischlerei mal geschlossen gewesen sei, genügt dies nicht
als Nachweis für den konkret streitigen Zeitraum. Das Gleiche gilt für die im Berufungsverfahren eingereichten Bestätigungen
der Schwester und des Neffen des Klägers, die sich ebenso wenig auf konkrete Zeiträume beziehen. Schließlich hat auch die
Vernehmung der Zeugin H2 durch das erkennende Gericht nichts anderes ergeben. Auch sie hat lediglich ausgesagt, dass die Tischlerei
häufiger geschlossen gewesen sei und dass ihr Vater ihr hierzu erklärt habe, dass der Kläger kränklich sei, nicht immer alles
schaffe und manchmal zu wenig Aufträge habe. Konkrete Erinnerungen an das Jahr 1984 hat sie nach eigenen Angaben nicht, was
angesichts des Zeitablaufs auch nachvollziehbar ist.
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass es in Ungarn systembedingt keine Arbeitslosigkeit gegeben habe und daher
kein urkundlicher Nachweis geführt werden könne. Dieser Umstand allein kann nicht dazu führen, dass lediglich die Behauptung
einer solchen Zeit ohne jeglichen Nachweis zu ihrer Anerkennung führt. Gegen die Annahme einer Zeit der Arbeitslosigkeit sprechen
im Übrigen auch die eigenen Angaben des Klägers im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens, wonach das Gewerbe zwar aus Gründen
der Kostenersparnis abgemeldet gewesen sei, er aber weiter für die Tischlerei gearbeitet habe, indem er unter anderem Aufträge
akquiriert und Werkzeuge repariert habe. Diese Äußerungen begründen zumindest erhebliche Zweifel am Vorliegen der subjektiven
Arbeitslosigkeit im Sinne seiner Bereitschaft, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Sein Vortrag im Berufungsverfahren,
seine Tätigkeit während dieser Zeit habe allenfalls darin bestanden, etwa einmal im Monat eine Anzeige aufzugeben, vermag
vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) oder Nr.
2 SGG (Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes
oder des Bundesverfassungsgerichts) nicht vorliegen.