Tatbestand:
Im Streit ist im Überprüfungsverfahren die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am xxxxx 1958 geborene Klägerin, die den Beruf einer Hauswirtschafterin erlernt hat und ab 1977 bis zum 4. Mai 1998 als
Pflegehelferin beschäftigt, danach arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos war, beantragte erstmalig im Mai 2001 unter Hinweis
auf ein erloschenes Leistungsvermögen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid
vom 15. November 2001 und Widerspruchsbescheid vom 21. März 2002 ab, weil die Versicherte auch unter Berücksichtigung einer
generalisierten Angststörung, einer Persönlichkeitsstörung, eines Diabetes mellitus und einer Adipositas per magna noch leichte
bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr und ohne besonders engen Kontakt zu Menschen regelmäßig ganztägig auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Auf die hiergegen fristgerecht erhobene Klage (Sozialgericht Hamburg S 39 RJ 427/02) ist die Klägerin auf Veranlassung des Gerichts durch die Ärztin für Psychiatrie und Neurologie, Sozialmedizin Dr. B. untersucht
und schriftlich begutachtet worden. Diese gelangte zu der Einschätzung, dass das Leistungsvermögen der Klägerin unter anderem
aufgrund einer generalisierten Angststörung zwar nicht aufgehoben sei, diese wegen erhöhter Erschöpfbarkeit aber seit Mai
1998 Tätigkeiten nur noch drei bis weniger als sechs Stunden täglich verrichten könne. Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen
hatte, dass in dem danach für die Beurteilung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen maßgeblichen Zeitraum
vom Mai 1993 bis Mai 1998 nur 13 anstelle von 36 Monaten Pflichtbeiträge vorhanden seien, nahm die Klägerin die Klage gegen
den ablehnenden Rentenbescheid zurück.
Aus einem von der Deutschen Rentenversicherung Nord veranlassten Heilverfahren in der C.-Klinik M. wurde die Klägerin am 24.
Juli 2008 mit den Diagnosen einer generalisierten Angststörung, einer Adipositas Grad 3, eines Diabetes mellitus, eines Bluthochdrucks
und eines Lymphödems der Beine als nicht arbeitsfähig und nur noch leistungsfähig für leichte Tätigkeiten unter drei Stunden
täglich entlassen. Ihr Bewegungsradius sei aufgrund ihrer Angsterkrankung stark eingeschränkt. Als Anforderung erlebte Aufgaben
führten zu massiven körperlichen Symptomen wie Schwitzen, Atemnot, Herzrasen und Schwindelgefühl. Es werde eine Berentung
empfohlen.
Daraufhin beantragte sie erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22. September
2008 mit dem erneuten Hinweis auf das Fehlen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab. Nach den getroffenen
Feststellungen bestehe volle Erwerbsminderung seit dem 31. Mai 1998. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und wies zur
Begründung darauf hin, dass volle Erwerbsminderung erst seit dem Ende des Kuraufenthalts in Malente bestehe. Zuvor habe sie
ein drei bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen besessen, was ihr auch mehrfach bescheinigt worden sei, so dass sich ein
neuer Leistungsfall der nunmehr vollen Erwerbsminderung ergebe. Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Bescheid vom 10.
August 2009 zurück. Es sei kein neuer Leistungsfall aufgrund des nunmehr vollständig aufgehobenen Leistungsvermögens eingetreten,
weil die Widersprechende zwar mit ihrem Leistungsvermögen nur teilweise erwerbsgemindert sei, jedoch bereits seit dem 31.
Mai 1998 mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts volle Erwerbsminderung vorliege, denn sie habe keinen ihrem
Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz inne und der Teilzeitarbeitsmarkt sei ihr verschlossen. Es gebe auch keine Hinweise
darauf, dass zwischenzeitlich ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen bestanden habe.
Unter dem 23. Dezember 2009 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Entscheidung der Beklagten vom 22. September 2008
nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Im Rahmen der Entscheidung seien Rechtsvorschriften unzutreffend ausgelegt worden. Der Sachverhalt und die der Entscheidung
zugrunde liegenden medizinischen Feststellungen würden hingegen nicht bestritten. Hiernach habe vom 31. Mai 1998 bis zum Juli
2008 ein drei bis unter sechsstündiges Restleistungsvermögen und ab Juli 2008 ein aufgehobenes Leistungsvermögen bestanden.
Wenn das Bundessozialgericht entschieden habe, dass für einen Versicherten, der nur noch ein drei- bis unter sechsstündiges
Leistungsvermögen aufweist, der Arbeitsmarkt als verschlossen zu gelten hat, dann bedeute dies nicht, dass auch dieser Versicherte
als voll erwerbsgemindert zu gelten habe. Die Verhältnisse des Arbeitsmarktes bzw. Teilzeitarbeitsmarktes lägen nämlich außerhalb
der Sphäre des Versicherten und hätten auf dessen Gesundheitszustand und das daraus abzuleitende Restleistungsvermögen keinen
Einfluss. Bei genauer Betrachtung ergebe sich, dass teilweise erwerbsgeminderten Versicherten bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts
keine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt werde, sondern lediglich eine solche wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Hieraus folge, dass ihr nach dem Eintritt des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung
im Juli 2008 mit Blick auf die zwischenzeitlich zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten nunmehr eine Rente zu gewähren sei.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2010 und Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2010 lehnte die Beklage auch diesen Antrag ab. Bei
der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderlichen konkreten Betrachtungsweise habe bereits im Mai 1998 wegen
der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes volle Erwerbsminderung vorgelegen.
Mit der daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat die Versicherte ihr Begehren unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens
weiterverfolgt. Es sei von zwei Leistungsfällen, demjenigen der teilweisen Erwerbsminderung einerseits und demjenigen der
vollen Erwerbsminderung andererseits auszugehen. Letzterer sei erst im Juli 2008 eingetreten. Wegen der mittlerweile zurückgelegten
Pflichtbeitragszeiten seien hierfür die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Beklagte ist dem
Begehren unter Hinweis darauf entgegengetreten, dass ein neuer Leistungsfall nicht begründet werden könne. Denn die Versicherte
hätte bei Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sogleich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung
erhalten können. Diese volle Erwerbsminderung sei auch weiterhin zugrunde zu legen.
Durch Urteil vom 22. März 2012 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. Mai 2012 hat das Sozialgericht die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2010 verurteilt,
der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August
2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung nach einem Leistungsfall vom 24. Juli 2008 ab 1. Februar 2009 bis 28. Februar 2014
zu gewähren. Der Bescheid vom 22. September 2008 sei rechtswidrig und deshalb nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzunehmen, weil er unzutreffend davon ausgehe, dass im Juli 2008 kein neuer Leistungsfall eingetreten sei. Während nämlich
die Rente wegen voller Erwerbsminderung nach §
43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) den vollständigen Verlust der Erwerbsfähigkeit ausgleichen solle, ermögliche die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
lediglich den Ausgleich im Rahmen eines nicht vollständigen Verlustes. Hiermit in Übereinstimmung sehe das zeitgleich mit
dieser Regelung eingeführte Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vor, dass Arbeitnehmer die Verringerung
ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verlangen können. Dementsprechend seien die bisherigen, von der Rechtsprechung
entwickelten Kriterien des "voll- und halbschichtigen Leistungsvermögens" in §
43 SGB VI durch konkrete, gesetzlich geregelte zeitliche Vorgaben ersetzt worden. Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin zunächst
ihr aus medizinischer Sicht noch gegebenes Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einzusetzen gehabt. Soweit
sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebe, dass bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ein Anspruch
auf eine volle Rente bestehe, handele es sich um einen bloßen Zahlungsanspruch, welcher nicht mit einem vollständig aufgehobenen
Leistungsvermögen gleichzusetzen sei. Wenn sich die Beklagte für ihre Auffassung auf die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg
vom 10. Juni 2010 - L 21 R 1203/07 - beziehe, so könne dem nicht gefolgt werden, weil diese zu Unrecht auf den Begriff des Versicherungsfalls abstelle, welcher
auch beinhalte, dass ein Teilzeitarbeitsplatz nicht zur Verfügung steht. Auf die der Beklagten am 18. April 2012 zugestellte
Entscheidung wird ergänzend Bezug genommen.
Mit ihrer am 26. April 2012 eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor, das Sozialgericht habe verkannt, dass die unterschiedliche
Behandlung der Rente wegen teilweiser und wegen voller Erwerbsminderung nur zum Tragen komme, wenn der Versicherte einen Teilzeitarbeitsplatz
innehabe. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, weshalb bei der Klägerin seit Mai 1998 volle bzw. teilweise Erwerbsminderung
bestehe. Wenn das Sozialgericht auf Seite acht des Entscheidungsabdrucks ausführe, es bestünden nach dem seit dem 1. Januar
2001 geltenden Recht konkretere Regeln für ein volles bzw. ein halbschichtiges Leistungsvermögen, §
43 SGB VI stelle nunmehr einen Bezug zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes her, während nach früherem Recht der
bisherige Beruf für die Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten maßgebend gewesen sei, so sei nicht ersichtlich, welche
konkreteren Regeln denn nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht bestehen. Das Sozialgericht vermenge zwei völlig
unterschiedliche Sachverhalte, nämlich die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, welche sich aus § 44
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung ergeben habe, und die Rente wegen Berufsunfähigkeit, welche sich aus §
43 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung des Gesetzes ergeben habe, miteinander. Während im neuen Recht die Rente
wegen Erwerbsminderung in §
43 SGB VI geregelt worden sei, sei § 44
SGB VI alter Fassung gestrichen worden. Der erreichte berufliche Status spiele nunmehr mit Ausnahme der aus Vertrauensschutzgründen
geschaffenen Regelung des §
240 SGB VI keine Rolle mehr. Hiervon ausgehend gebe es nur einen Versicherungsfall der Erwerbsminderung. Dies ergebe sich schon aus
dem ersten Leitsatz der Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 10. Dezember 1976, wenn es dort heiße
"oder erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 der
Reichsversicherungsordnung ist". Auch habe das Bundessozialgericht bereits in den Beschlüssen des Großen Senats vom 11. Dezember 1969 ausgeführt, es
sei Sinn und Zweck der Renten wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit, durch Krankheit oder Gebrechen ausgefallenes
Erwerbseinkommen zu ersetzen. Demgemäß komme es für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit nicht
nur auf die Frage an, ob der Versicherte gesundheitlich noch bestimmte Tätigkeiten verrichten könne, es sei vielmehr auch
erheblich, ob solche Tätigkeiten die Möglichkeit böten, durch ihre Verrichtung Erwerbseinkommen zu erzielen. Deshalb könne
die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten nicht nach Tätigkeiten beurteilt werden, die ihm kein Erwerbseinkommen verschaffen
könnten. Die Fähigkeit zum Erwerb und die Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, seien nicht gegeben, wenn der Versicherte
auf Tätigkeiten verwiesen würde, für die es keine oder nur wenige Arbeitsplätze gibt, der Arbeitsmarkt also praktisch verschlossen
ist, so dass der Versicherte nicht damit rechnen könne, einmal einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Es sei nach allem
für die Beurteilung, ob ein Versicherter berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne der §§ 1246 Abs. 2 und 1247 Abs. 2
Reichsversicherungsordnung ist, relevant, dass Arbeitsplätze, auf denen tätig zu sein ihm zuzumuten ist und die er mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit
noch ausfüllen kann, vorhanden seien. Mit diesen Ausführungen des Bundessozialgerichts sei die Ansicht des Sozialgerichts
Hamburg widerlegt, wonach lediglich ein Zahlungsanspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe, aber der Leistungsfall
der vollen Erwerbsminderung nicht eingetreten sei. Es sei deshalb den Ausführungen in dem auch vom Sozialgericht erwähnten
Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10. Juni 2010 zu folgen, wonach bei der Bestimmung des Leistungsfalles nicht nur auf
den medizinischen Sachverhalt abzustellen ist. Die so genannte konkrete Betrachtungsweise, welche sich aus dem Beschluss des
Großen Senats vom 10. Dezember 1976 ergebe, sei auf das seit dem 1. Januar 2001 geltende Recht der Rente wegen Erwerbsminderung
übertragen worden. Dies ergebe sich im Umkehrschluss aus §
43 Abs.
3 SGB VI, wo geregelt sei, dass bei Versicherten, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens
sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könnten, die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Hieraus sei
zu entnehmen, dass der Arbeitsmarktlage dann Bedeutung zukomme, wenn das zeitliche Leistungsvermögen die Grenze von sechs
Stunden täglich unterschreite. Da unter drei Stunden täglich erwerbsfähige Versicherte gemäß §
43 Abs.
2 S. 2
SGB VI bereits ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen voll erwerbsgemindert seien, komme die Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage
nur bei Versicherten mit einem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von drei bis unter sechs Stunden täglich
in Betracht. Wäre die Lage auf dem Teilzeitarbeitsmarkt im Recht der Erwerbsminderungsrente nicht relevant, würde es zudem
der Bestimmung des §
102 Abs.
2 Satz 3
SGB VI nicht bedurft haben, wo geregelt sei, dass von der Arbeitsmarktlage unabhängige Renten bei einem medizinischen Dauerzustand
unbefristet geleistet würden. Auch der amtlichen Begründung zum Erwerbsminderungsrentenreformgesetz sei die Fortführung der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Teilzeitarbeitsmarkt ausdrücklich zu entnehmen. In der Bundestagsdrucksache 14/4230
auf Seite 25 heiße es nämlich, die konkrete Betrachtungsweise werde wegen der ungünstigen Arbeitsmarktsituation beibehalten.
Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente werde nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten abhängig gemacht (so
genannte abstrakte Betrachtungsweise) sondern auch davon, ob der Versicherte noch in der Lage sei, bei der konkreten Situation
des (Teilzeit-) Arbeitsmarkts die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen. Für
die Annahme eines einheitlichen Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung spreche auch §
33 SGB VI. Auch dieser nehme eine Unterscheidung nach dem Grund der vollen Erwerbsminderung (verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt oder
ausschließlich medizinische Gründe) nicht vor. Schließlich gehe auch das Bundessozialgericht von einem einheitlichen Leistungsfall
der Erwerbsunfähigkeit aus. Denn es vertrete die Auffassung, dass kein neuer Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit eintreten
könne, solange eine einmal eingetretene Erwerbsunfähigkeit fortbestehe (Urteil vom 26. Juni 1990 - 5 RJ 62/89). Weiter führe es aus, dass es keine zwei verschiedenen Versicherungsfälle gebe, wenn an eine Erwerbsunfähigkeitszeitrente
einer Erwerbsunfähigkeitsdauerrente anschließe, weil es nur ein Stammrecht auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gebe (Urteil
vom 31. Oktober 2002 - B 4 RA 9/01 R). Nach allem gebe es nur einen einzigen Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung, und zwar unabhängig davon, ob er auf
medizinischen Gründen beruhe oder arbeitsmarktbedingt eingetreten sei. Solange eine einmal eingetretene volle Erwerbsminderung
fortbestehe, könne kein neuer Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eintreten. Nach allem könne das angefochtene Urteil
keinen Bestand haben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 22. März 2012 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. Mai 2012 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sei fest davon überzeugt, dass ihr ein Rentenanspruch erwachsen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich
der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Die Klägerin hat einen solchen Anspruch nicht. Denn ihr Versicherungskonto weist innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt
der Erwerbsminderung nicht drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung auf.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Beschluss vom 11. Dezember 1969 - GS 4/69 - sowie Beschluss vom 10. Dezember 1976 - GS 2 - 4/75 und - GS 3/76 - jeweils noch zu den Ansprüchen nach der
Reichsversicherungsordnung) war nämlich stets auch dann von Erwerbsunfähigkeit des Versicherten auszugehen, wenn dieser zwar noch unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bis unter acht Stunden täglich erwerbstätig sein konnte, er jedoch keinen entsprechenden
Arbeitsplatz innehatte und ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war. Eine Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes
lag vor, wenn weder der Rentenversicherungsträger noch die zuständige Arbeitsagentur dem Versicherten innerhalb eines Jahres
einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz anbieten konnten. Angesichts der Arbeitsmarktlage war in der Regel ohne weitere
Ermittlungen davon auszugehen, dass die Vermittlung eines in seinem Leistungsvermögen auch quantitativ eingeschränkten Versicherten
nicht innerhalb der Jahresfrist möglich ist, sodass der Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit regelmäßig bereits mit dem Absinken
des Leistungsvermögens auf unter acht Stunden täglich (untervollschichtig) angenommen wurde (vgl. hierzu für den zeitlichen
Geltungsbereich des § 44
SGB VI a.F. bis 31. Dezember 2000 Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd.1, Stand Januar 2002, § 43 Rdnr. 31
m.w.N. aus der Rspr.). Diese so genannte konkrete Betrachtungsweise hat der Gesetzgeber unter Geltung des neuen Erwerbsminderungsrentenrechts
uneingeschränkt beibehalten. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente wird nach wie vor nicht allein vom Gesundheitszustand
des Versicherten abhängig gemacht (sog. abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob er noch in der Lage ist, bei
der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarktes die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens
einzusetzen. Versicherte, die noch mindestens drei, aber nicht mehr sechs Stunden täglich arbeiten, das verbliebene Restleistungsvermögen
wegen Arbeitslosigkeit aber nicht in Erwerbseinkommen umsetzen können, erhalten weiterhin eine volle Erwerbsminderungsrente
(vgl. die amtliche Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-Drucksache
14/4230, Seite 25; Jörg in: Kreikebohm,
SGB VI, 4. Aufl., §
43 Rdnr. 4, 27 f.).
An dieser Situation konnte die aufgrund Verschlimmerung der Erkrankung eingetretene weitere Verminderung des Restleistungsvermögens
im Juli 2008 nichts mehr ändern. Es entspricht dem Grundgedanken des Versicherungsprinzips, dass die erforderliche Vorversicherungszeit
vor Eintritt des Versicherungsfalls zurückgelegt werden muss, so dass nur dasjenige Risiko versichert ist, welches sich nach
Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verwirklicht hat (vgl. BSG vom 14. August 2003 - B 14 RJ 4/03 R - Rn. 24). Da der Versicherungsfall sowohl nach altem als auch nach neuem Recht bereits eingetreten war, konnte durch die
Veränderung der gesundheitlichen Situation weder ein neuer Versicherungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit noch konnte
ein weiterer Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eintreten. Vielmehr hat sich hierdurch nur der rechtliche Hintergrund
der der Klägerin - vorbehaltlich der Erfüllung der besonderen rechtlichen Voraussetzungen - zu gewährenden Rente verändert
(ähnlich LSG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 10. Juni 2010 - L 21 R 1203/07 - Rn. 36).