Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Abrechnung einer stationären Krankenhausbehandlung eines bei der Beklagten Krankenversicherten
in der Klinik der Klägerin im Zeitraum vom 25.02.2015 bis 27.02.2015.
Der Versicherte litt an chronischer Niereninsuffizienz und benötigte regelmäßig die Durchführung von Dialysen. Am 25.02.2015
erfolgte die Aufnahme in der Klinik der Klägerin zur operativen Revision eines vorhandenen Shunts am linken Arm. Ausweislich
des Arztbriefes erfolgte die Shuntrevision am Aufnahmetag mittels Venenresektion und langstreckiger Raffung mittels Hegarstift.
Am 27.02.2015 wurde der Versicherte aus der stationären Behandlung entlassen.
Die Beklagte beglich die Rechnung über die Behandlung in Höhe von 4459,85 EUR zunächst. Ausweislich des seitens der Beklagten
eingeholten Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 27.08.2015 sei die Kodierung nicht in
vollem Umfang nachvollziehbar. Laut dem Operationsberichts sei eine Shuntrevision im Sinne einer distalen Shuntvenenresektion
und langstreckiger Venenraffung über einen Hegarstift erfolgt. Dabei wurde das Wort "Venen" seitens des Gutachters des MDK
jeweils fett markiert. Außerdem sei die notwendige Verweildauer um einen Tag zu kürzen. Am 13.11.2015 nahm die Beklagte dann
einen Abzug in Höhe von 2322,15 EUR vor und verrechnete den ihrer Meinung nach bestehenden Rückforderungsanspruch mit unstreitigen
Behandlungskosten in einem anderen Behandlungsfall.
Bezüglich der Kürzung der Verweildauer um einen Tag bestand Konsens zwischen den Beteiligten. Die Klägerin änderte die Rechnung
auf einen Betrag von 3255,60 EUR, so dass nach Auffassung der Klägerin noch 1128,90 EUR offen sind.
Am 01.12.2016 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage vor dem Sozialgericht mit dem Begehren der Verurteilung
der Beklagten zur Zahlung des Betrages von 1128,90 EUR erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Shuntvene sei zwar
aus einer körpereigenen Vene hervorgegangen, habe sich aber in der Zeit nach Anlage der Anastomose anatomisch umgewandelt.
Nicht nur das Lumen weite sich entsprechend dem Durchfluss, sondern auch die Dicke und Beschaffenheit der Gefäßwand. Dies
sehe auch das Deutsche Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in einer an die Klägerin gerichteten
Mail vom 12.04.2018 so, wenn es ausführe: "Bei ausgereiften Shuntgefäßen ist für die Kodes 5-380 bis 5-383, 5-386, 5-388,
5-389 und 5-395 bis 5-397 die Lokalisationsangabe.x (sonstige Blutgefäße) zu verwenden.".
Das Sozialgericht hat den Sachverständigen Dr. O. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat
in seinem Gutachten vom 26.02.2018 erklärt, bei dem Dialyseshunt habe sich die abführende Vene unter dem für eine Vene massiv
erhöhten Druck mit der Zeit erweitert und verlängert. Dies habe zu einem Overflow-Phänomen (also zu deutlich erhöhten Durchflussraten)
geführt. Aus diesem Grund habe die Shuntvene gekürzt und verengt werden sollen. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt,
zwar seien die seitens des Klägervertreters geschilderten feingeweblichen Veränderungen an der abführenden Vene zutreffend
und auch erwünscht. Durch den hohen Blutdruck weite sich die Vene und ihre Wand verhärte sich, um den Belastungen standzuhalten.
Dies seien erwünschte und notwendige Veränderungen. Eine normale Vene würde durch das vermehrte Punktieren im Rahmen der wöchentlichen
Dialysesitzungen rasch thrombosieren und sei anschließend nicht mehr nutzbar. Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass
es sich unverändert um eine Vene handele, nicht um eine Arterie oder anderes Gefäß. Damit sei die Verwendung der Prozedur
5-397.a2 (Andere plastische Rekonstruktion von Blutgefäßen: Oberflächliche Venen: Unterarm und Hand) richtig. Um arterielle,
aufwendigere Eingriffsziffern nutzen zu können, müsse die Legende unter Berücksichtigung der histologischen Wandveränderungen
der Vene geändert bzw. angepasst werden. Bei der genannten Auffassung ist der Sachverständige auch im Rahmen seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 20.12.2018 geblieben.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 10.12.2019 stattgegeben. Es sei hier der OPS-Kode 5-397.x:L zu kodieren gewesen.
Die seitens der Klägerin abgerechnete DRG F59B sei damit nicht zu beanstanden. Dafür spreche insbesondere die Stellungnahme
des DIMDI vom 12.04.2018. Darin heiße es, dass bei "ausgereiften Shuntgefäßen" [ ] für die Kodes 5-380 bis 5-383, 5-386, 5-388,
5-389 und 5-395 bis 5-397 die Lokalisationsangabe.x (sonstige Blutgefäße) zu verwenden sei. Auch wenn es sich bei dieser Stellungnahme
nicht um eine bindende Klarstellung gemäß §
301 Absatz
2 Satz 4
SGB V und §
295 Absatz
1 Satz 6
SGB V handele, liege somit doch ein starkes Indiz für die Verwendung des Kodes OPS 5-397.x:L vor, da dem DIMDI nach den gesetzlichen
Vorgaben und der Rechtsprechung die Aufgabe zukomme, die Kodes des OPS-Kataloges zu konkretisieren. Außerdem sprächen systematische
Erwägungen für die Verwendung des Kodes OPS 5-397.x:L.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 17.04.2020 zugestellte Urteil am 15.05.2020 Berufung eingelegt. Sie wiederholt mit der Berufung
im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wie die Äußerung des DIMDI zu werten sei, sei eine juristische Frage. Es
stehe außer Frage, dass sich eine Shuntvene gegenüber einer "normalen" Vene anatomisch verändere. Dies ändere aber nichts
daran, dass es sich schon allein aufgrund ihrer Flussrichtung weiterhin im medizinischen Sinn um eine Vene handele. Die E-Mail
des DIMDI, in der bei einer ausgereiften Shuntvene von einem "sonstigen Blutgefäß" ausgegangen werde, habe keinerlei Bindungswirkung.
Das Argument, dass eine Operation an einer Shuntvene einen erhöhten Aufwand erzeuge, sei zum einen tatsächlich unzutreffend
und zudem rechtlich irrelevant, da die Frage des Aufwands für die Subsumption unter einen Kode nicht erheblich sei. Zur Stützung
seines Vortrags hat der Bevollmächtigte der Beklagten 2 Gutachten aus anderen Verfahren vor dem Sozialgericht Hamburg vorgelegt
(Gutachten Dr. B. vom 13. Januar 2018 zum Az S 38 KR 571/16 und Auszüge aus den Gutachten Dr. R. zu dem Az S 48/ 6 KR 1786/15).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist ergänzend auf Gutachten aus anderen Verfahren vor
dem Sozialgericht Hamburg, in denen von dem Vorliegen eines "sonstigen Gefäßes" ausgegangen worden sei (Gutachten von Frau
Dr. H. zu dem Az S 2 KR 878/13 und S 46 KR 1714/16 und von Herrn Dr. S. zu dem Az S 46 KR 1838/16).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abrechnung
der streitigen stationären Behandlung unter Berücksichtigung des OPS-Code 5.397.x:R. Die Beklagte hat daher die Behandlung
zutreffend mit der DRG F59D vergütet. Weitere Zahlungsansprüche stehen der Klägerin daher nicht zu.
Für den Senat sind dabei folgende Argumente maßgeblich:
1) Der medizinische Sachverständige Dr. K. hat in seinem im Auftrag des Gerichts für das Parallelverfahren L 1 KR 97/19 erstellten Gutachten vom 20.03.2017 darauf hingewiesen, dass nach medizinischer Sicht eine Vene dadurch gekennzeichnet sei,
dass in ihr das Blut zum Herzen hinfließe, während es in einer Arterie vom Herzen wegfließe. Das ist der Kern der Abgrenzung.
Der Umstand, dass in der Arterie ein höherer Druck herrscht und daher auch die Gefäßwand anders strukturiert ist als bei einer
Vene, ist eine Konsequenz daraus. Aus dieser Sicht ist es nur konsequent, wenn Dr. K. der Meinung ist, eine Vene bleibe eine
Vene, auch wenn sie als Shunt genutzt werde. Dr. K. ist auch bis zum Schluss bei dieser Ansicht geblieben. Er hat nur deutlich
gemacht, dass er die Ausführungen des DIMDI als bedeutend ansehe und es der rechtlichen Bewertung überlasse, wie man diese
Aussage bewerte.
2) Prof. Dr. M. führt auf S. 15 seines von der Klägerin im Parallelverfahren L 1 KR 97/19 eingereichten Gutachtens vom 31. Juli 2016 sehr deutlich und nachvollziehbar aus, dass sich die Shuntvene nur direkt am Shunt
arterialisiere. Im weiteren Verlauf werde sie wieder eine ganz normale Vene.
Wollte man nun mit der Klägerin annehmen, dass eine Shuntvene ein "sonstiges" Gefäß iSd OPS sei, dann würde das bedeuten,
dass ein Gefäß in seinem Verlauf von einem "sonstigen" Gefäß in eine "normale" Vene mutiert. Das erscheint nicht nur nicht
überzeugend, es führt auch zu schwerwiegenden Problemen bei der Kodierung. Denn es stellt sich dann die Frage, an welcher
Stelle im Verlauf des Gefäßes genau diese Mutation stattfindet. Prof. Dr. M. äußert selbst, dass dies mit verschiedenen Übergangsstadien
erfolge. Die Grenze zwischen beiden Gefäßarten wird schwierig zu bestimmen sein. Dies führt zu Abgrenzungsproblemen, wenn
eine Gefäßraffung über eine größere Strecke erfolgt und dabei verschiedene Bereiche dieses Gefäßes erfasst werden. Diese Betrachtung
zeigt vielmehr, dass sie weder zutreffend noch funktional ist. Ein Gefäß hat einen bestimmten Charakter und behält diesen
in seinem Verlauf.
3) Prof. Dr. M. ist der Ansicht, dass sich die Kodierung als "sonstiges" Gefäß als spezifisch darstelle, da diese Kodierung
zu einer DRG mit dem Zusatz "mit aufwändigem Eingriff" führe.
Diese ist eine im Bereich der Kodierung stationärer Behandlungen unzulässige ergebnisorientierte Betrachtung. Objektiv und
systematisch betrachtet ist die Gruppe "5-397.x Sonstige" eine Sammelgruppe. Sie ist vom Kodegeber für Fälle gedacht, die
man in der Aufzählung nicht bedacht hat. Es mutet zwar in der Tat merkwürdig an, dass das Grouping-Ergebnis einen höheren
Wert ausweist, wenn man den Sammelkode berücksichtigt, als wenn man einen spezifischen Kode annimmt. Dies kann aber nicht
maßgebend sein, sondern vielmehr ist dann - wie so oft - die Verknüpfung im Grouping-Programm zu modifizieren.
Es ist überdies für den Senat nicht nachvollziehbar, dass ein Sammelkode spezifischer sein soll gegenüber einem Kode, der
das Gefäß in seiner Ursprungsform "Vene" genau benennt. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass das zentrale Argument
für die Kodierung unter dem Sammelkode ist, die Shuntvene stelle sich bei der OP wie eine Arterie dar. Es ist für den Senat
nicht erkennbar, dass der Sammelcode gerade die Besonderheiten einer OP an einer Arterie spezifisch erfasst. Dies tun vielmehr
die arteriellen Kodes. Es wäre daher aus Sicht der Klägerin eigentlich konsequent, einen arteriellen Kode anzuwenden.
4) Bei den Veränderungen der Shuntvene im Vergleich zu der ursprünglichen Vene handelt es sich um Abweichungen vom Normalzustand
einer Vene. Bei anderen Organen nimmt man solche Abweichung vom Normzustand nicht zum Anlass, von einem anderen oder sonstigen
Organ zu sprechen. Wenn sich z.B. die Zellen in Teilen der Speiseröhre aufgrund eines Refluxes zu Magenschleimhaut-Zellen
umwandeln, spricht man immer noch von einer Speiseröhre und nicht von einem sonstigen Organ. Wenn sich eine Leber durch einen
Tumor stark vergrößert und geweblich verändert, bleibt es ebenfalls eine (kranke) Leber und kein sonstiges Organ. Der Unterschied,
dass bei der Shuntvene die Veränderungen teilweise erwünscht sind, vermag nichts daran zu ändern, dass es sich um eine veränderte,
aber immer noch um eine Vene handelt.
5) Nach der Überzeugung des Senats stellt es daher die konsequenteste, systematischste und am einfachsten zu handhabende Kodierung
dar, die Shuntvene - wie ihr Name auch schon sagt - als Vene zu kodieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.