Anspruch auf Arbeitslosengeld; Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit wegen grob fahrlässiger Unkenntnis
der Rechtswidrigkeit; Beweislast
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die von der Beklagten wegen des Eintritts einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen
Arbeitsablehnung verfügte Rücknahme und Erstattung dennoch bewilligter Leistungen über die ersten drei Wochen der Sperrzeit
hinaus gerechtfertigt ist.
Der 1976 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 10. November 2001 Arbeitslosengeld und meldete sich arbeitslos. Die
Beklagte gewährte ihm daraufhin Arbeitslosengeld aus einem Bemessungsentgelt von 324,43 Euro wöchentlich für ab 360 Tage ab
dem 10. November 2001. Nach einer Zwischenbeschäftigung in der Zeit vom 1. März 2002 bis 31. August 2002 und erneuter Arbeitslosmeldung
am 19. September 2002 bewilligte sie ihm im Dezember 2002 - wegen einer noch ausstehenden Arbeitsbescheinigung insoweit nur
vorläufig - ab dem Tag der Arbeitslosmeldung und Antragstellung erneut Arbeitslosengeld für noch 249 Tage in Höhe von zunächst
22,16 Euro kalendertäglich und wegen einer Anpassung des Bemessungsentgelts für die Zeit ab 10. November 2002 in Höhe von
22,50 Euro kalendertäglich (Bescheide vom 4. und 9. Dezember 2002).
Bereits am Tag der Arbeitslosmeldung hatte sie ihm ein Stellenangebot für eine Tätigkeit als Taxifahrer für Nachtfahrten unterbreitet.
Diese Stelle hatte der Kläger bei einem Vorstellungsgespräch am 23. September 2002 abgelehnt. Zur Begründung machte er im
Rahmen der Anhörung zum Eintritt einer Sperrzeit geltend, Nachtfahrten seien ihm nicht möglich, weil er im Dunkeln nicht gut
sehen könne.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Februar 2003 stellte die Beklagte deshalb eine Sperrzeit und das Ruhen des Anspruchs
auf Arbeitslosengeld gemäß §
144 SGB III (Sozialgesetzbuch Drittes Buch) für den Zeitraum vom 24. September 2002 bis 16. Dezember 2002 fest, nahm dessen Bewilligung
für diesen Zeitraum zurück, setzte einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.874,02 Euro wegen für den vorbenannten Zeitraum bereits
gezahlten Arbeitslosengeldes fest und minderte die Leistungsdauer um 84 Tage.
Hiergegen legte der Kläger am 3. März 2003 wiederum mit der Begründung, seine nachts nachlassende Sehkraft habe die Tätigkeit
nicht zugelassen, Widerspruch ein. Dazu legte er eine augenärztliche Verordnung über eine Sehhilfe vor. Ab dem 1. April 2003
rechnete die Beklagte mit dem Einverständnis des Klägers die Erstattungsforderung in Höhe von 0,99 Euro kalendertäglich gegen
dessen Leistungsanspruch auf und gab ihm mit Schreiben vom 28. April 2003 nochmals Gelegenheit zur Äußerung. Mit Widerspruchsbescheid
vom 20. Mai 2003 wies sie sodann den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 11. Juni 2003 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben. Das SG hat mit Urteil vom 31. Mai 2006 den angefochtenen Bescheid der Beklagten dahingehend abgeändert, dass die Sperrzeit - beginnend
ab 24. September 2002 - drei Woche betrage, die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosgeld nur für den entsprechenden
Zeitraum aufgehoben und der Betrag des zu erstattenden Arbeitslosengeldes auf 465,36 Euro herabgesetzt werde. Rechtliche Grundlage
für die Festsetzung der Sperrzeit sei §
144 Abs.
4 Nr.
1 Bst. c
SGB III in der ab 1. Januar 2003 geltenden durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002
(BGBl I S. 4607) geänderten Fassung. Diese sehe bei der erstmaligen Ablehnung eines Arbeitsangebotes nur eine Sperrzeit von drei Wochen vor.
(Nur) für den Zeitraum bis 14. Oktober 2002 sei der angefochtene Bescheid daher rechtmäßig und die Klage abzuweisen. In den
Gründen hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, die verkürzte Sperrzeit führe zu einer Minderung der Anspruchsdauer um (nur)
drei Wochen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. September 2006 zugestellte Urteil am 20. September 2006 Berufung eingelegt. Entgegen
der Auffassung des Sozialgerichts gelte nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Sozialrechts für eine an Tatsachen
anknüpfende Regelung das zum Zeitpunkt des Eintritts der Tatsache geltende Recht.
Der Senat hat die Berufung durch Urteil vom 14. Dezember 2007 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten
vom 4. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 auch hinsichtlich der Minderung der Anspruchsdauer
dergestalt geändert werde, dass sie nur 21 Tage betrage. Zur Begründung hat der Senat insbesondere ausgeführt, die Rücknahme-
und Erstattungsvoraussetzungen lägen nur im Hinblick auf eine dreiwöchige, vom 24. September 2002 bis 14. Oktober 2002 dauernde
Sperrzeit vor. Für die Zeit danach sei der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2002 dagegen rechtmäßig, obwohl
der Kläger das Stellenangebot für eine Tätigkeit als Taxifahrer abgelehnt habe. Die Neuregelung des Sperrzeitrechts durch
das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, die auf den vorliegenden Fall bereits anzuwenden sei, sehe
nämlich eine flexiblere, gestufte Sanktionsfolge vor, welche bei der ersten Ablehnung eines Arbeitsangebots nach Entstehung
des Arbeitslosengeldanspruchs eine nur dreiwöchige Sperrzeit zur Folge habe.
Auf die Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) (Az.: B 11 AL 10/08 R) diese Entscheidung durch Urteil vom 6. Mai 2009 aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts vom 31. Mai 2006 geändert.
Soweit die Beklagte im Bescheid vom 4. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 den Eintritt
einer Sperrzeit von zwölf Wochen und entsprechend das Ruhen sowie eine Minderung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld
verfügt habe, hat es die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Soweit die Beklagte in dem genannten Bescheid die Entscheidung
über die Bewilligung von Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 15. Oktober 2002 bis 16. Dezember 2002 aufgehoben und Erstattung
von zusätzlich 1.408,66 Euro (1.874,02 Euro abzüglich 465,36 Euro) gefordert habe, hat es die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen.
Zur Begründung hat das BSG insbesondere ausgeführt, im Revisionsverfahren sei über den Bescheid vom 4. Februar 2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2003 nicht mehr zu entscheiden, soweit die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit
von drei Wochen mit der Folge des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 24. September 2002 bis 14. Oktober
2002, die Aufhebung der Leistungsbewilligung für den vorgenannten Zeitraum mit Rückforderung von Arbeitslosengeld in Höhe
von 465,36 Euro sowie eine Minderung der Anspruchsdauer um 21 Tage verfügt habe. Gegen das ihn insoweit durch die teilweise
Klageabweisung beschwerende Urteil des SG habe der Kläger keine Berufung eingelegt und folglich sei das Urteil insoweit rechtskräftig geworden.
Soweit die Entscheidung der Beklagten danach noch im Streit stand, hat das BSG insbesondere Folgendes ausgeführt: Die im aufgehobenen
Urteil des Senats vertretene Auffassung zur Anwendbarkeit der zum 1. Januar 2003 geänderten Fassung des §
144 SGB III halte der rechtlichen Überprüfung nicht stand, wie das BSG sodann näher erläutert hat; insoweit wird auf dessen Urteil (Rdnr.
13-21) Bezug genommen. Aus der bis Ende 2002 geltenden Fassung (a.F.) von §
144 SGB III folge der Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen, ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs für die Zeit vom 24. September
bis 16. Dezember 2002 und eine Minderung der Anspruchsdauer um 84 Tage. Soweit der Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung
nach §
144 Abs.
1 SGB III a.F. die Nichtannahme einer angebotenen Beschäftigung trotz Belehrung über die Rechtsfolgen sowie das Fehlen eines wichtigen
Grundes erfordere, sei nach den Feststellungen des LSG wie auch unter Berücksichtigung der teilweise bestehenden Rechtskraft
des Urteils des SG vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen. Wegen der Ausführungen hierzu im Einzelnen wird wiederum auf das Urteil
des BSG (Rdnr. 23 f.) verwiesen. Die Entscheidung der Beklagten zur Sperrzeitdauer von zwölf Wochen sei unter diesen Umständen
nicht zu beanstanden. Die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten angenommenen Ruhens des Anspruchs folge aus §
144 Abs.
2 S. 2
SGB III a.F., die der Minderung der Anspruchsdauer um 84 Tage aus §
128 Abs.
1 Nr.
3 SGB III.
Ob allerdings die Beklagte über die rechtskräftige Entscheidung des SG hinaus berechtigt gewesen sei, die Leistungsbewilligung auch für die Zeit nach dem 14. Oktober 2002 zurückzunehmen und über
den bereits feststehenden Betrag von 465,36 Euro hinaus weitere 1.408,66 Euro zurückzufordern, könne nach den bislang getroffenen
Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Da die Arbeitslosengeldbewilligung durch die Beklagte erst im Dezember
2002 vorgenommen worden sei, richte sich die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X (i.V.m. §
330 Abs.
2 SGB III); das gelte auch, wenn die Beklagte (nur) wegen einer fehlenden Arbeitsbescheinigung das Arbeitslosengeld nur vorläufig nach
§
328 Abs.
1 S. 1 Nr.
3 SGB III geleistet haben sollte, da der Vorläufigkeitsvorbehalt die hier streitigen Bescheidinhalte nicht erfasse. Dem aufgehobenen
Urteil des LSG könne jedoch nur entnommen werden, dass die Bewilligung wegen der bereits eingetretenen Sperrzeit von Anfang
an rechtswidrig gewesen sei (§ 45 Abs. 1 SGB X). Im Rahmen der erneuten Verhandlung und Entscheidung seien daher noch eindeutige Feststellungen zu treffen, ob ein zur Rücknahme
für die Vergangenheit berechtigender Tatbestand vorliege. Zu § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X müsse sich das LSG die Überzeugung verschaffen, dass der Kläger Kenntnis bzw. grob fahrlässige Nichtkenntnis vom Nichtbestehen
eines Leistungsanspruchs im gesamten zwölfwöchigen Ruhenszeitraum gehabt habe. Dabei sei auf die Abschätzung der Rechtsfolgen
durch den Kläger nach dessen individuellem Verständnishorizont und insoweit auf eine "Parallelwertung in der Laiensphäre"
abzustellen. In diesem Zusammenhang werde das LSG auch zu berücksichtigen haben, dass der für die Kenntnis bzw. grob fahrlässige
Unkenntnis der Rechtswidrigkeit maßgebliche Zeitpunkt der Leistungsbewilligung im Fall des Klägers deutlich nach dem Sperrzeitereignis
vom 23. September 2002 gelegen habe. Nur soweit sich die Rücknahmeentscheidung nach den Vorgaben des § 45 SGB X als rechtmäßig erweise, bestehe auch ein Anspruch auf Erstattung überzahlter Leistungen gemäß § 50 SGB X.
Nach der Zurückverweisung haben die Beteiligten zur Sache nicht weiter Stellung genommen.
Die Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. Mai 2006 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger hat einen Antrag nicht gestellt. Er ist, da seine Anschrift nicht zu ermitteln war, zur mündlichen Verhandlung
im Wege der öffentlichen Zustellung geladen worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der Unterlagen
aus dem Verfahren vor dem SG und dem vorangegangenen Verfahren vor dem Senat, der Verfahrensakte des BSG und der zum Kläger geführten Leistungsakte der
Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 26. August 2011 verhandeln und entscheiden.
Der Kläger ist durch öffentliche Zustellung - mit Aushang der Benachrichtigung ab 15. Juli 2011 - ordnungsgemäß und rechtzeitig
zum Termin geladen und auf die möglichen Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden.
Auf die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist das angefochtene Urteil des SG abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 ist nicht zu beanstanden.
I. Der Bescheid ist - nachdem nur die Beklagte das Urteil des SG vom 31. Mai 2006 angegriffen hat und nach der Entscheidung des BSG vom 6. Mai 2009 - nur noch insoweit Gegenstand des Verfahrens,
als die Beklagte darin die Bewilligung von Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 15. Oktober 2002 bis 16. Dezember 2002 aufgehoben
und die Erstattung von weiteren 1.408,66 Euro gefordert hat. Im Übrigen haben das BSG bzw. bereits das SG (einschließlich der ergänzenden Maßgabe des Senats in dessen Urteil vom 14. Dezember 2007) die Klage rechtskräftig abgewiesen.
II. Auch die Aufhebungs- und in der Konsequenz die Erstattungsentscheidung der Beklagten sind rechtmäßig, da die Voraussetzungen
für eine rückwärtige Korrektur der Leistungsbewilligung vorlagen bzw. diesbezüglich eine Beweislastentscheidung zu ihren Gunsten
zu fällen ist.
Die - jedenfalls insoweit nicht nur vorläufige - Bewilligung von Arbeitslosengeld durch die Bescheide vom 4. und 9. Dezember
2002 war wegen der bereits ab 24. September 2002 eingetretenen Sperrzeit und des damit verbundenen Ruhens des Anspruchs von
Anfang an rechtswidrig. Für ihre Korrektur kommen daher als Rechtsgrundlage nur §§
330 Abs.
2 SGB III i.V.m. 45 Abs. 2 S. 3 SGB X in Betracht. Nach dessen Nr. 3 - die Voraussetzungen der übrigen Tatbestandsalternativen sind vorliegend ersichtlich nicht
erfüllt - ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zwingend mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückzunehmen,
wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe
Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Auf Grund der Entscheidung des BSG steht fest, dass wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung und des damit
verbundenen Ruhens des Leistungsanspruchs in der Zeit vom 24. September 2002 bis 16. Dezember 2002 die Bewilligung von Arbeitslosengeld
in entsprechendem Umfang rechtswidrig war. Auch die weiteren Rücknahmevoraussetzungen wie die Einhaltung der maßgeblichen
Fristen nach § 45 Abs. 3 und 4 SGB X und die formellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wie namentlich der Anhörung sind unproblematisch erfüllt. Allein fraglich
ist noch, ob auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 15. Oktober
2002 bis 16. Dezember 2002 vorlagen; auch dies ist im Ergebnis zu bejahen.
Grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit einer Leistungsbewilligung liegt vor, wenn der Begünstigte
einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte
einleuchten müssen. Maßgebend ist die persönliche Einsichtsfähigkeit, also ein subjektiver Maßstab (vgl. für viele BSGE 62,
103, 107 und Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 Rdnr. 52 m.w.Nw. aus der st. Rspr.). Danach ist auf die Abschätzung der Rechtsfolgen durch den Kläger nach dessen individuellem
Verständnishorizont und insoweit auf eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" abzustellen (vgl. für viele das BSG in dem
hier vorangegangenen Urteil: BSG, 06.05.2009 - B 11 AL 10/08 R). Konkret ist nach den Vorgaben des BSG in der zurückverweisenden Entscheidung zu berücksichtigen, dass für die Kenntnis
bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsaktes maßgebend ist (vgl. dazu auch
BSG, 27.01.2009 - B 7/7a AL 30/07 R) und dieser Zeitpunkt im Fall des Klägers deutlich nach dem Sperrzeitereignis vom 23.
September 2002 lag.
Die insoweit entscheidungserheblichen Umstände lassen sich wegen des subjektiven Maßstabs für den Verschuldensvorwurf grundsätzlich
nur durch eine persönliche Befragung des Begünstigten klären. Der Kläger ist jedoch zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
Auf Grund seines unbekannten Aufenthalts sind zudem weitere Bemühungen, ihn persönlich anzuhören, aussichtslos, so dass eine
Beweislastentscheidung zu treffen ist.
Regelmäßig geht die Unerweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der daraus eine ihm günstige Rechtsfolge ableiten will.
Grundsätzlich trägt daher die Beklagte die materielle Beweislast für das Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen und damit
auch der grob fahrlässigen Unkenntnis (oder der positiven Kenntnis) von der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung. Allerdings
kehrt sich im vorliegenden Fall die Beweislast um, da die Beklagte durch das Verhalten des Klägers in Beweisnot gerät: Die
noch streitigen Umstände ließen sich nur dann klären, wenn der Kläger bereit wäre, sich dazu zu äußern. Vor diesem Hintergrund
ist das Verhalten des Klägers - also die Aufgabe seines Wohnsitzes ohne Angabe einer neuen Adresse gegenüber dem Gericht oder
wenigstens gegenüber der Meldebehörde während des laufenden Verfahrens und die damit verbundene Unerreichbarkeit für das Gericht
- als schuldhafte Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheit zu werten, die eine an sich mögliche Beweisführung von vornherein
verhindert (vgl. zum Vorstehenden Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl. 2008, §
103 Rdnr. 18a).
Auf Grund der auf diese Weise bewirkten Beweisvereitelung ist eine Beweislastumkehr gerechtfertigt (vgl. dazu auch den in
§
444 ZPO enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken und zu dessen Erweiterung auf fahrlässiges Verhalten für viele Reichold in Thomas/Putzo,
ZPO, 31. Aufl. 2010, §
444 Rdnr. 1); eine bloße Beweiserleichterung ist dagegen weder angemessen noch ausreichend, wenn es sich - wie hier - um Tatsachen
handelt, die (allein) in der Sphäre des Beteiligten liegen, der sich seiner Mitwirkungsobliegenheit entzieht, so dass der
beweisbelastete andere Beteiligte die entsprechenden Tatsachen nicht einmal plausibilisieren kann. Beruht die unvollkommene
Beweiserhebung in einem derartigen Fall auf einem vorwerfbaren Tun oder Unterlassen desjenigen Beteiligten, dem die Unerweislichkeit
der Tatsache zum prozessualen Vorteil gereicht und in dessen Sphäre diese liegt, ist dementsprechend eine Beweislastumkehr
geboten (vgl. in diesem Sinne auch BSG, 30.11.2006 - B 9a VS 1/05 R; BSG, 13.09.2005 - B 2 U 365/04 B; offengelassen z.B. von BSG, 06.07.2006 - B 9a SB 52/05 B).
Regelmäßig setzt eine Beweislastumkehr voraus, dass der Beteiligte zuvor auf die Folgen seines Verhaltens hingewiesen wird.
Da eine entsprechende Belehrung - die gerade bei einem nicht rechtskundigen Beteiligten am sinnvollsten im Rahmen einer mündlichen
Verhandlung erfolgt, um sicherzustellen, dass dieser sie auch verstanden hat - hier auf Grund des unentschuldigten Fernbleibens
des Klägers nicht möglich war, kann und muss im konkreten Fall ausnahmsweise auch hierauf verzichtet werden.
Die sonstigen Umstände schließen das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit jedenfalls nicht aus: So spricht zwar der Eintritt
der Sperrzeit bereits im September 2002 zunächst dafür, dass der Antragsteller bei der Bewilligung durch die Bescheide vom
4. und 9. Dezember 2002 nicht (mehr) unbedingt mit einer Reaktion der Beklagten auf das Scheitern seiner Bewerbung rechnen
musste. Andererseits hatte die Beklagte ihn unter dem 5. Dezember 2002, also in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Bekanntgabe
der Bewilligungsentscheidung, um Erklärung zu den für den möglichen Eintritt einer Sperrzeit maßgeblichen Umständen gebeten.
Der Kläger hätte sich vor diesem Hintergrund zumindest dazu äußern müssen, in welcher Reihenfolge ihn die verschiedenen Schreiben
erreicht haben und ob und ggf. welche Schlüsse er (warum bzw. warum nicht) aus diesen gezogen hat. Daher erscheint es immerhin
(gut) möglich, dass er nur auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, dass die Beklagte hinsichtlich des Eintritts
einer Sperrzeit noch eine Entscheidung treffen wollte und er - weil ihm die insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände bekannt
waren - leicht hätte erkennen können, dass die Bewilligung rechtswidrig war.
Im Ergebnis ist zu Gunsten der Beklagten hinsichtlich der allein noch streitigen subjektiven Aufhebungsvoraussetzungen eine
Beweislastumkehr eingetreten. Die Rücknahmeentscheidung ist daher nicht zu beanstanden.
Die Erstattungsentscheidung folgt vor diesem Hintergrund ohne Weiteres aus § 50 Abs. 1 SGB X. Rechenfehler sind nicht ersichtlich: Die Beklagte hatte dem Kläger in der (noch) streitigen Zeit vom 15. Oktober 2002 bis
9. November 2002 kalendertäglich Arbeitslosengeld in Höhe von 22,16 Euro und vom 10. November 2002 bis zum Ende der Sperrzeit
am 16. Dezember in Höhe von 22,50 Euro erbracht. Daraus ergibt sich ([26 x 22,16 Euro] + [37 x 22,50 Euro]) gerade der noch
streitige Erstattungsbetrag von 1.408,66 Euro.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
IV. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.