Anspruch auf Sozialhilfe; Kostenerstattung bei Übertritt aus dem Ausland
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Kostenerstattungsanspruch bei Übertritt des Hilfeempfängers aus dem Ausland nach § 108 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Der 1960 in A./Chile geborene X., der (auch) deutscher Staatsbürger ist, reiste am xx.xx.1996 auf dem Luftweg aus Chile in
die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach seinen Angaben hatte er eine selbständige Tätigkeit in Australien aufgegeben, da
diese nicht mehr tragfähig gewesen sei. Sodann habe er für knapp zwei Monate bei seiner Mutter in Chile gelebt, bevor er nach
Deutschland einreiste. Der auf dem B. Flughafen gelandete X. hielt sich zunächst bei einer Bekannten oder Cousine in D. und
erhielt ab dem 15.08.1996 Sozialhilfe von der Stadt D ... Am 15. oder 16.09.1996 verzog X. in eine eigene Wohnung nach C.
und erhielt von der Klägerin seit dem 19.09.1996 Sozialhilfeleistungen. Seit dem 01.12.1997 ist der Aufenthalt des X. unbekannt.
Nachdem die Beklagte durch Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes vom 04.09.1996 gem. §§ 108 Abs. 2 i.V.m. 147 BSHG zum überörtlichen Träger der Sozialhilfe bestimmt worden war, meldete die Stadt D. dort am 18.09.1996 einen Erstattungsanspruch
für die seit dem 15.08.1996 erbrachten Leistungen an. Die Klägerin bat den Beklagten mit Schreiben vom 14.10.1996 um Anerkennung
der Kostenersatzpflicht.
Mit Schreiben vom 17.04.1997 erkannte der Beklagte eine Kostenerstattungspflicht gegenüber der Stadt D. dem Grunde nach an
und erstattete dieser 5.921,00 DM für die in der Zeit vom 15.08.1996 bis 23.09.1996 erbrachten Aufwendungen. Gegenüber der
Klägerin lehnte der Beklagte die Anerkennung einer Kostenerstattungspflicht durch Schreiben vom 14.05.1998 ab, da der Sozialhilfebedarf
dort nach dem Zuzug aus D. nicht innerhalb eines Monats nach Grenzübertritt eingetreten sei.
Auch die Stadt D. lehnte am 02.07.1998 einen von der Klägerin dort auf der Grundlage von § 107 BSHG geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ab. Sie vertrat die Auffassung, die vom Bundesverwaltungsamt vorgenommene Bestimmung
des zuständigen überörtlichen Trägers wirke bis zur endgültigen Beendigung des Hilfefalles fort und verwies auf eine Entscheidung
der Zentralen Spruchstelle vom 14.10.1974 (Az.: xx).
Die Klägerin trat daraufhin erneut an den Beklagten heran. Der Beklagte verzichtete mit Schreiben vom 16.12.1998 und nochmals
mit Schreiben vom 12.04.2000 auf die Einrede der Verjährung nach § 113 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X), da der Ausgang eines ähnlichen Rechtsstreits abgewartet werden sollte. Auf Anfrage des Beklagten übersandte die Klägerin
unter dem 11.05.2004 eine Kostenaufstellung über 7.598,64 Euro. Kosten berechnete sie erst ab dem 24.09.1996, weil der Beklagte
bis zum 23.09.1996 an die Stadt D. erstattet habe. Die Hilfe sei mit Ablauf des 30.11.1997 wegen mangelnder Mitwirkung des
Hilfeempfängers eingestellt worden.
Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 09.06.2004 unter Berufung auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts E. v. 15.01.2004
(Az.: xxx) eine Kostenerstattung ab, da der Kostenerstattungsanspruch nach § 108 BSHG aufgrund seines Schutzzwecks nach einem Umzug des Hilfeempfängers in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Hilfeträgers
nicht mehr anzuwenden sei.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 15.12.2005 Klage erhoben. Das Sozialgericht Meiningen, bei dem die Klage am 21.12.2005
eingegangen ist, hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 16.01.2006 an das Sozialgericht Frankfurt am Main verwiesen. Die
Klägerin hat zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht, der Umzug von D. nach C. lasse den Kostenerstattungsanspruch
nach § 108 BSHG nicht entfallen. Wegen des nur kurzen und vorübergehenden Aufenthalts von X. in D-Stadt sei fraglich, ob überhaupt von einem
Umzug gesprochen werden könne. Die Ausführungen des OVG E. (und anschließend des Bundesverwaltungsgerichts in der entsprechenden
Revisionsentscheidung vom 20.10.2005, Az.: xxxx) zum Schutzgedanken des § 108 BSHG sprächen angesichts der Nähe von D. und C. und vor allem der Nähe auch der Stadt C. zum Flughafen B. im hiesigen Fall nicht
gegen eine fortdauernde Anwendung der Vorschrift.
Der Beklagte hat im Hinblick auf die Überlegungen des OVG E. und des BVerwG auch im vorliegenden Verfahren keine Erstattungspflicht
gesehen. Maßgeblich sei allein, dass hier ein Zuständigkeitswechsel zwischen zwei örtlichen Trägern der Sozialhilfe stattgefunden
habe.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat das beklagte Land mit Urteil vom 19.03.2009 zur Zahlung von 7.598,64 Euro an die Klägerin
verurteilt und die Berufung zugelassen. Der Kostenerstattungsanspruch folge aus § 108 Abs. 1 BSHG. Die Cousine, bei der X. zunächst untergekommen war, habe diesen auf Grund eigenen Sozialhilfebezugs nicht unterstützen können.
Dementsprechend sei er alsbald nach C. in eine eigene Wohnung gezogen. Ein familiäres Zusammenleben, das die Kammer für den
Ausschluss eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 108 Abs. 3 BSHG für notwendig halte, sei nicht zu erkennen. Auch weitere Gründe für ein Entfallen des Anspruchs lägen nicht vor. Nach dem
Wortlaut der Norm müsse der Hilfebedarf nicht bei dem erstangegangenen Träger entstanden sein. Auch der Zweck der Vorschrift
rechtfertige in der vorliegenden Fallkonstellation nichts anderes. X. sei nur nach etwas mehr als einem Monat von D. aus in
die Nachbargemeinde C. verzogen. Der Umzug könne nicht als Neuorientierung angesehen werden, weil die Lebenssituation des
X. sich nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik noch nicht stabilisiert habe und damit nicht als abgeschlossen angesehen werden
könne. Es sei davon auszugehen, dass X. seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch nicht in D-Stadt begründet hatte. In diesem Fall
schließe der Umzug in die Nachbargemeinde nach einem kurzen Aufenthalt von etwas mehr als einem Monat die Anwendung des §
108 BSHG nicht aus.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 15.05.2009 zugestellte Urteil am 06.05.2009 Berufung beim Hessischen Landesozialgericht
eingelegt. Ein Kostenerstattungsanspruch des Beklagten sei durch den Umzug des X. entfallen. Dies folge zwar nicht aus dem
Wortlaut des § 108 BSHG, aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Norm solle lediglich den ersten Grenzübertrittsort in die Bundesrepublik
schützen. Ein darüber hinausgehender Grund für die Privilegierung anderer Orte, an die diese Person später verziehe, bestehe
nicht.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19.03.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19.03.2009 zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten
beider Beteiligter Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-).
Die zulässige Berufung ist begründet, denn der Beklagte ist nicht zur Erstattung der dem X. nach seinem Umzug von D-Stadt
nach C-Stadt vom 24.09.1997 bis 30.11.1997 gewährten Leistungen verpflichtet. Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach
§
54 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne Einhaltung einer Klagefrist statthaft.
Die Voraussetzungen für die geltend gemachte Kostenerstattung nach der Einreise des Hilfebedürftigen aus dem Ausland liegen
nicht vor. Für den Anspruch auf Kostenerstattung maßgebliche Rechtsgrundlage ist § 108 Abs 1 BSHG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 23. März 1994 - BGBl I 646), obwohl das BSHG zum 1. Januar 2005 außer Kraft getreten ist. Denn aus dem intertemporalen Verwaltungsrecht ergibt sich, dass materiellrechtlich
das BSHG nach seinem zeitlichen Gestaltungswillen auf den jeweils zu beurteilenden Sachverhalt anzuwenden ist. Ein Rechtssatz ist
grundsätzlich nicht auf solche Sachverhalte anwendbar, die - wie vorliegend - bereits vor seinem Inkrafttreten verwirklicht
waren (Urteil des BSG v. 24.03.2009, B 8/9b SO 17/07 R u. B 8 SO 34/07 R).
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 BSHG sind die aufgewendeten Kosten von dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der von der Schiedsstelle bestimmt wird, zu erstatten,
wenn jemand, der weder im Ausland noch im Geltungsbereich dieses Gesetzes einen gewöhnlichen Aufenthalt hat, aus dem Ausland
in den Geltungsbereich dieses Gesetzes übertritt und innerhalb eines Monats nach seinem Übertritt der Sozialhilfe bedarf.
Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch gemäß § 108 Abs. 1 BSHG liegen nicht vor, denn ein Erstattungsanspruch ist durch den Umzug des X. von D-Stadt nach C. nach Ablauf der in § 108 Abs. 1 BSHG geregelten Monatsfrist entfallen. Erst nach Ablauf dieser Frist ist der X. in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin gezogen
und er hat erst danach von der Klägerin Hilfeleistungen erhalten. Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt zwar nicht, dass ein
Erstattungsanspruch gegen den überörtlichen Träger der Sozialhilfe entfällt, wenn der Hilfebedürftige umzieht und den Zuständigkeitsbereich
des zunächst erstattungsberechtigten Trägers der Sozialhilfe und damit den ersten Anlaufort nach dem Grenzübertritt verlässt.
Ein Wegfall der Erstattungspflicht ist nur für den Fall benannt, dass dem Hilfeempfänger für einen zusammenhängenden Zeitraum
von drei Monaten Sozialhilfe nicht zu gewähren ist. Es wird vertreten, dass Abs. 5 eine abschließende Regelung enthält, weshalb
Abs. 1 nicht einschränkend dahingehend ausgelegt werden könne, dass bei einem Ortswechsel, der sich nicht innerhalb der Monatsfrist
vollzieht, die Pflicht zur Kostenerstattung entfalle (Schellhorn, BSHG 16. Aufl. 2002, § 108 Rn. 23).
Nach Sinn und Zweck der Norm lässt aber auch ein Umzug nach Ablauf der Monatsfrist eine Erstattungspflicht entfallen. § 108 BSHG dient dem Schutz der Sozialhilfeträger, die an der Grenze zum Ausland liegen und bezweckt eine Verteilung entstehender Sozialhilfelasten
bei Übertritt aus dem Ausland im Interesse desjenigen örtlichen Sozialhilfeträgers, in dessen Zuständigkeitsbereich Personen
aus dem Ausland übertreten und innerhalb Monatsfrist sozialhilfebedürftig werden (Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Stand Juni 2003, § 108 Rn. 7). Dieser Schutzzweck wird im Falle des Umzugs Hilfebedürftiger im Inland, der mit einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit
verbunden ist, nicht berührt; denn einem solchen Umzug fehlt grundsätzlich der die Kostenerstattungspflicht nach § 108 BSHG rechtfertigende Bezug zum Einreiseort (BVerwG v. 20.10.2005, xxxxxx). Dies gilt auch dann, wenn der Umzug lediglich in eine
Nachbargemeinde erfolgt. Es kann tatsächlich sein, dass -wie vom Sozialgericht angenommen- die (flug)hafen- oder grenznahen
Gemeinden besonders häufig durch einen Umzug nach Ablauf eines Monats ab Übertritt aus dem Ausland betroffen sind, weil eingereiste
Hilfebedürftige sich häufig in der Nähe ihres Einreiseortes eine dauerhafte Wohnung suchen. Die Abgrenzung, welche Gemeinden
dann noch als flughafen- oder grenznah anzusehen sind und innerhalb welchen Zeitraums nach der Einreise ein Umzug erfolgen
darf, ist aber kaum möglich. Durch die vorgesehene Monatsfrist hat der Gesetzgeber eine ausreichende Zeitspanne festgelegt,
innerhalb derer die Hilfebedürftigen in der Regel einen dauerhaften Aufenthalt begründen. Alle Umzüge, die nach der Monatsfrist
erfolgen, haben keinen die Kostenerstattungspflicht nach § 108 BSHG rechtfertigenden Bezug zum Einreiseort, denn sie betreffen nicht mehr den unmittelbar nach dem Übertritt aus dem Ausland
zuständigen Sozialhilfeträger.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO.
Die Revision war nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Nachfolgevorschrift des § 108 SGB XII entspricht der Regelung des § 108 BSHG.